Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 V 44



99 V 44

15. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1973 i.S. Imbach gegen
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn Regeste

    Gewährleistung zweckgemässer Rentenverwendung (Art. 45 AHVG und 76
AHVV). Indem die Versicherung die Rente gemäss den Weisungen des Vormundes
auszahlt, erfüllt sie ihre Leistungspflicht mit befreiender Wirkung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 45 AHVG ist der Bundesrat befugt, Massnahmen zu treffen,
damit die Renten und Hilflosenentschädigungen, soweit notwendig, zum
Unterhalt des Berechtigten und der Personen, für die er zu sorgen hat,
verwendet werden. Der Bundesrat hat von dieser Befugnis durch den Erlass
von Art. 76 AHVV Gebrauch gemacht. Gemäss dieser Bestimmung obliegt es
im allgemeinen den Ausgleichskassen, unter bestimmten Voraussetzungen
die Anordnungen zu treffen, die eine zweckmässige Verwendung der Renten
gewährleisten. Ist aber der Rentenberechtigte bevormundet, so ist die
Rente gemäss Art. 76 Abs. 2 AHVV einzig dem Vormund oder der von diesem
bezeichneten Person auszuzahlen. Absatz 3 des gleichen Artikels bestimmt
weiter, die einer Drittperson oder Behörde ausbezahlten Renten dürften von
diesen nicht mit Forderungen gegenüber dem Rentenberechtigten verrechnet
werden und seien ausschliesslich zum Lebensunterhalt des Berechtigten
und der Personen, für die er zu sorgen hat, zu verwenden. Diese
Bestimmungen gelten, gestützt auf Art. 84 IVV, auch auf dem Gebiete der
Invalidenversicherung.

    Diese Ordnung beinhaltet unter anderem eine Kompetenzabgrenzung
zwischen Ausgleichskassen und anderen Verwaltungsorganen, welche an
einer zweckmässigen Rentenverwendung interessiert sind, insbesondere
den Vormundschafts- und Fürsorgebehörden. Nach Sinn und Zweck dieser
Kompetenzabgrenzung kann es nicht Sache der Durchführungsorgane der
AHV sein, zu prüfen, wie der Vormund die Rente verwendet; dies zu
beurteilen, fällt vielmehr in die Zuständigkeit der vormundschaftlichen
Behörden. Nach der Rechtsprechung decken jedenfalls Art. 45 AHVG
und dessen Ausführungsbestimmungen keine Kassenverfügungen, die
klaren vormundschaftlichen Anordnungen der hierfür zuständigen und
verantwortlichen Organe widersprechen. Wo Verfügungen gemäss Art. 76 AHVV
mit vormundschaftsrechtlichen Anordnungen kollidieren, gebührt diesen
der Vorrang. Diese Prinzipien gründen nicht zuletzt darauf, dass die
Institutionen des Familienrechts eine Ordnung darstellen, die von der
Sozialversicherung vorausgesetzt wird und dieser daher grundsätzlich
vorgehen muss. Das Gericht verweist auf EVGE 1959 S. 197 ff., 1951
S. 138 ff., ZAK 1948 S. 24: BINSWANGER, Kommentar zum AHVG, S. 198;
ferner sinngemäss auf BGE 97 V 178 = ZAK 1972 S. 417 (betreffend den
prinzipiellen Vorrang des Familienrechts).

    Dieser Praxis gemäss findet auch die Spezialnorm des Art. 76 Abs. 3
AHVV auf die vormundschaftlichen Organe keine direkte Anwendung, weil sich
die Kompetenz dieser Organe zur Verfügung über die Rente ausschliesslich
und unmittelbar auf die umfassende Ordnung im Zivilgesetzbuch stützt
(vgl. EVGE 1959 S. 198).