Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 183



99 IV 183

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1973
i.S. Golta gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 397 StGB. Eine zur Zeit des früheren Verfahrens aus den Akten
ersichtliche, aber vom urteilenden Gericht übersehene massgebliche Tatsache
hat als nicht bekannt im Sinne der erwähnten Bestimmung zu gelten.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    In BGE 75 IV 184 hat der Kassationshof es als fraglich erachtet,
ob Art. 397 StGB unter den "Tatsachen oder Beweismitteln, die dem
Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren", auch
solche verstehe, die sich bereits aus den Akten ergaben, die das Gericht
aber übersehen hat. In BGE 80 IV 42 sodann hat er erklärt, eine Tatsache
sei nicht schon dann zur Zeit des früheren Verfahrens unbekannt gewesen,
wenn damals darüber nicht Beweis geführt worden sei, sondern nur dann,
wenn sie dem Gericht überhaupt nicht vorgelegen habe, sei es auch bloss
in Form einer irgendwie namhaft gemachten Hypothese.

    Demgegenüber hat der Kassationshof mehrmals entschieden, dass eine aus
den seinerzeit vorliegenden Akten zwar ersichtliche, aber vom urteilenden
Gericht übersehene massgebliche Tatsache als nicht bekannt im Sinne
von Art. 397 StGB zu gelten habe und demzufolge die Wiederaufnahme des
Verfahrens zugunsten des Verurteilten gestatte (nicht veröffentlichte
Urteile i.S. Schindler vom 2. Februar 1954, i.S. Binz vom 30. September
1954 und i.S. Campeanu vom 13. Juli 1956). Für die letztere Auslegung
spricht auch der Wortlaut von Art. 397 StGB. Diese Bestimmung sagt nicht,
die Wiederaufnahme des Verfahrens sei aufgrund von erheblichen Tatsachen
oder Beweismitteln möglich, von denen das Gericht zur Zeit des früheren
Verfahrens keine Kenntnis haben konnte (weil sie aus den Akten nicht
ersichtlich bzw. aus den Verhandlungen nicht erkannbar waren); vielmehr
erwähnt sie Tatsachen oder Beweismittel, von denen das urteilende
Gericht keine Kenntnis hatte, ohne dass der Grund dieser Unkenntnis
näher bezeichnet würde. Indessen hat der Richter von Tatsachen oder
Beweismitteln, die er übersehen hat, keine Kenntnis. In gewissen Fällen
ist es freilich unmöglich festzustellen, aus welchen Gründen der Richter
eine bestimmte Tatsache oder ein Beweismittel übergangen hat; es stellt
sich dann die Frage, ob er den fraglichen Punkt übersehen, für unerheblich
gehalten oder als unbewiesen erachtet hat. Ergeben sich derart ungewisse
Verhältnisse, läuft die Revisionsinstanz Gefahr, die Wiederaufnahme des
Verfahrens zugunsten des Verurteilten zu gestatten, bevor dieser andere
Rechtsmittel (kantonale Kassationsbeschwerde, Nichtigkeitsbeschwerde,
staatsrechtliche Beschwerde) ausgeschöpft hat. Voraussetzung der
Wiederaufnahme des Verfahrens ist jedoch unter allen Umständen, dass die
fragliche Entscheidung mit keinem anderen Rechtsmittel mehr angegriffen
werden kann. Das liegt im Wesen der Revision als eines ausserordentlichen,
aussergewöhnlichen Behelfes (ZStR 1947, S. 111/112).