Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 121



99 IV 121

24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Oktober 1973
i.S. Irving gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    1.  Art. 3 und 7 StGB. Abgrenzung zwischen Ausland- und Inlandtat
(Erw. 1).

    2.  Art. 252 StGB, Art. 23 ANAG. Verhältnis der beiden Bestimmungen
zueinander (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Clifford Irving erwirkte 1971 von der Verlagsfirma McGraw-Hill
Inc. in New York betrügerisch die ratenweise Auszahlung von US $
750'000. Seine Ehefrau Edith Margrith Irving beteiligte sich an dem
Verbrechen. Von Mai bis Ende Dezember 1971 präsentierte sie bei der
Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich dreimal an die Order von
H.R. Hughes lautende, von ihrem Ehemann ertrogene und ihr zugesandte
Checks, veranlasste ihre Einlösung und die Gutschrift des Gegenwertes in
Schweizerfranken (total Fr. 2'549,617.--) auf ein bei dieser Bank auf den
Namen H.R. Hughes eröffnetes Konto, nachdem sie sich jeweils mit einem
auf den genannten Namen ausgestellten falschen Schweizerpass ausgewiesen
und die Belege der Bank mit diesem Namen unterzeichnet hatte.

    Gleichzeitig liess sie beim Schweizerischen Bankverein in Zürich unter
Vorweisung einer auf Hanne Rosenkranz lautenden, echten bundesdeutschen
Identitätskarte, die sie der zweiten Frau ihres geschiedenen Mannes
entwendet hatte, Wertschriftendepots eröffnen, auf die sie vom Konto
bei der Schweizerischen Kreditanstalt abgehobene Beträge einzahlte. Auch
mietete sie bei der Bank unter dem Namen Hanne Rosenkranz ein Schrankfach
und erteilte jener verschiedene Aufträge. Die Belege unterzeichnete sie
mit dem erwähnten Namen.

    Sie überbrachte in der Folge insgesamt ca. Fr. 698'200.-- ihrem
Ehemann nach Ibiza, während Fr. 123'040.-- in Form von zwei Checks des
Schweizerischen Bankvereins an ihren geschiedenen Mann Dieter Rosenkranz
gingen. Frau Irving benutzte die auf Hanne Rosenkranz lautende Ausweiskarte
auch in Zürcher Hotels.

    B.- Am 16. Juni 1972 wurde Frau Irving in den Vereinigten Staaten wegen
dieser Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Sie
verbüsste zwei Monate in Amerika und stellte sich dann den schweizerischen
Strafbehörden.

    C.- Am 8. März 1973 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich
Frau Irving wegen fortgesetzten Betruges im Betrage von Fr. 2'549,617.--,
fortgesetzter Urkundenfälschung und Gebrauchs einer gefälschten Urkunde
im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 und 2 sowie wegen fortgesetzten Missbrauchs
einer echten Ausweisschrift gemäss Art. 252 Ziff. 1 StGB zu 24 Monaten
Gefängnis, abzüglich vier Tage Untersuchungshaft und zwei Monate in den
USA verbüsste Strafe.

    Eine kantonale Kassationsbeschwerde wurde vom Kassationsgericht des
Kantons Zürich am 2. Juli 1973 abgewiesen, soweit sie das obergerichtliche
Strafurteil zum Gegenstand hatte.

    D.- Frau Irving führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin rügt u.a. eine
Verletzung der Art..3 und 252 StGB.

    Das Obergericht hat sich mit dem Antrag auf Abweisung vernehmen lassen.
Die Staatsanwaltschaft hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin erblickt eine Verletzung von Bundesrecht
darin, dass das Obergericht den Betrug als Inlandtat gewürdigt habe,
obschon die geschädigte Firma McGraw-Hill Inc. ihren Sitz in den USA habe,
wo auch der Erfolg eingetreten sei, und obwohl der Haupttäter, Clifford
Irving, sämtliche Täuschungshandlungen ausserhalb der Schweiz begangen
habe. Die Abgrenzung zwischen Ausland- und Inlandtat gemäss. Art. 3 StGB
könne nicht in vollem Umfang den Grundsätzen folgen, welche die Praxis
bei der Auslegung von Art. 7 StGB festgelegt habe. Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2
StGB statuiere eine Ausnahme vom Grundsatz "ne bis in idem". Eine solche
Ausnahme, die zu einer Doppelbestrafung des Täters führe, dürfe nur in
denjenigen Fällen gemacht werden, in denen der Strafanspruch der Schweiz
so intensiv sei, dass diese sich mit der Bestrafung des Täters im Ausland
schlechthin nicht zufriedengeben könne. Das setze jedoch voraus, dass
eine Tat ganz oder zumindest in ihren wesentlichen Teilen in der Schweiz
begangen worden sei oder dass Schweizer zu Schaden gekommen seien. Die
Annahme, dass eine Tat immer dann als in der Schweiz begangen gelte, wenn
auch nur eine kleine Teilhandlung hier verübt worden sei, führe zu einem
das rechtsstaatliche Verbot der Doppelbestrafung unnötig einschränkenden
Ergebnis. Da im vorliegenden Fall alle wesentlichen Betrugshandlungen
des Haupttäters ausserhalb der Schweiz verübt worden seien, einzige
Geschädigte eine amerikanische Gesellschaft mit Sitz in den USA sei und
die Beschwerdeführerin lediglich die von ihrem Mann ertrogenen Checks
in der Schweiz einkassiert und den Erlös hier deponiert habe, stellten
ihre Handlungen im Rahmen des gesamten Betrugsmanövers verhältnismässig
unwesentliche Nebenhandlungen dar, welche den Betrug nicht zu einer
Inlandtat werden liessen. Die Vorinstanz habe deshalb ihre Zuständigkeit
in bezug auf den Betrug zu Unrecht bejaht.

    a) Nach Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ist diesem Gesetz unterworfen,
wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen verübt, und Art.
7 StGB bestimmt, dass ein Verbrechen oder Vergehen da als verübt gilt,
wo der Täter es ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Aus
dieser der Ubiquitätstheorie entsprechenden gesetzlichen Umschreibung
des Begehungsortes, die entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin ohne
Einschränkung auch im Rahmen des Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB gilt (LOGOZ,
N 2 zu Art. 3; THORMANN/v. OVERBECK, N 3 zu Art. 3), können sich freilich
Gerichtsstände an verschiedenen Orten ergeben mit der Folge, dass ein
Täter, dem gegenüber die Schweiz ihre Strafhoheit in Anspruch nimmt,
bereits im Ausland wegen der gleichen Straftat beurteilt und bestraft
worden ist. Das wurde jedoch vom Gesetzgeber in Kauf genommen und er
hat - von dem in Art. 3 Ziff. 2 StGB geregelten Fall abgesehen - das
ausländische Strafverfahren einzig und allein in der Weise berücksichtigt,
dass eine Strafe oder Strafquote, die der Täter im Ausland verbüsst hat,
vom schweizerischen Richter auf die von ihm selbständig erkannte Strafe
in Anrechnung gebracht wird (THORMANN/v. OVRBECK, N 5 zu Art. 3). Damit
ist den wegen einer allfälligen Doppelbestrafung geäusserten Bedenken aus
Billigkeitsgründen Rechnung getragen (HASLER, Die Wirkung ausländischer
Strafurteile im Inland, Diss. Zürich, S. 70 oben, 114 ff.), ohne dass es
dazu einer einschränkenden Anwendung des Art. 7 StGB im Rahmen des in
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB verankerten Territorialprinzips bedürfte.
Auch ist nicht ersichtlich, warum eine solche im vorliegenden Fall
deswegen geboten sein sollte, weil der "Haupttäter" Clifford Irving
seine Täuschungshandlungen ausschliesslich in den USA und gegenüber einem
Unternehmen mit Sitz in Amerika begangen hatte. Zur Beurteilung stehen
nicht diese Handlungen, sondern der Tatbeitrag der Beschwerdeführerin,
die - was sie nicht in Abrede stellt - als Mittäterin am Betrug ihres
Mannes teilgenommen hat.

    b) Was ihren Tatbeitrag anbelangt, steht ausser Frage, dass er
sich objektiv in der Schweiz verwirklicht hat. Anknüpfungspunkt für die
schweizerische Strafhoheit ist er nach dem Gesagten sicherlich dann, wenn
er als Teil der Tatbegehung im Sinne von Ausführung oder Erfolg erscheint.
Angesichts der Tatsachen, dass die Täuschungshandlungen Clifford Irvings
ausschliesslich in den USA begangen wurden, dass dieser dort auch die
ertrogenen Checks von der McGraw-Hill Inc. erhalten hatte und damit die
Tatbestandsmerkmale des Betrugs im Sinne des schweizerischen Rechtes
bereits erfüllt waren, bevor die Beschwerdeführerin - abgesehen von ihrer
vorgängigen Zustimmung zum deliktischen Plan - aktiv sich einschaltete,
könnte man versucht sein, jene Voraussetzung zu verneinen. Indessen
ist nicht zu übersehen, dass die Vollendung der Tat in Amerika eine
teilweise Begehung in der Schweiz nicht ausschliesst. Von der Vollendung
ist die Beendigung der Tat zu unterscheiden. Letztere tritt ein, wenn nach
Erfüllung aller objektiven Tatbestandsmerkmale die Umstände verwirklicht
sind, die der Täter nach der betreffenden Strafnorm beabsichtigt haben
muss, oder wenn bei frühzeitiger Vollendung das dieser nachfolgende
Verhalten zur weiteren Beeinträchtigung des verletzten Rechtsgutes
beiträgt. Entsprechend ist denn auch im Zwischenstadium zwischen
Vollendung und Beendigung noch eine Teilnahme möglich (BGE 98 IV 85;
SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 16. Aufl., N 2 und 3
der Vorbem. zu § 43, S. 304; SCHWANDER, Das Territorialitätsprinzip im
schweiz. Strafrecht, in Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe
Congrès international de droit comparé, S. 369/70).

    Durch die Einlösung der Checks in der Schweiz, die Gutschrift des
Gegenwertes in Schweizerfranken auf unter falschem Namen angelegten
Bankdepots in Zürich sowie die schliessliche Verschiebung eines Teils der
Gelder aus der Schweiz ins Ausland ist die Beeinträchtigung des verletzten
Rechtsgutes verschärft und der erstrebte Vorteil, nämlich die beabsichtigte
Bereicherung in nicht unerheblichem Masse gesichert worden. Die Handlungen
der Beschwerdeführerin in Zürich sind der Beitrag einer Mittäterin, durch
den der deliktische Erfolg zu einem nicht unerheblichen Teil in der Schweiz
verwirklicht worden ist, zumal die Handlungen der Frau Irving von Anfang
an massgeblicher Bestandteil des von ihrem Mann ausgeheckten und von ihr
nach reiflicher Überlegung gebilligten deliktischen Gesamtplans bildeten.

    Die Beschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin rügt weiter eine Verletzung von
Bundesrecht mit der Begründung, dass der Gebrauch des echten deutschen
Bundespersonalausweises, lautend auf den Namen Hanne Rosenkranz, von der
Vorinstanz zu Unrecht Art. 252 StGB unterstellt worden sei. Nach BGE 68
IV 89 und 89 IV 108 sei der genannte Ausweis ein fremdenpolizeiliches
Ausweispapier im Sinne des Art. 23 ANAG, welche Bestimmung deshalb hätte
angewendet werden müssen.

    Eine ausländische Identitätskarte ist in der Tat ein
fremdenpolizeiliches Ausweispapier gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 2 ANAG, aber
auch eine Ausweisschrift im Sinne des Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB. Die
erstere Vorschrift stellt unter Strafe, wer wissentlich echte, aber nicht
ihm zustehende Ausweispapiere verwendet, die zweite, wer in der Absicht,
sich oder einem anderen das Fortkommen zu erleichtern, echte nicht für
ihn bestimmte Ausweisschriften zur Täuschung missbraucht.

    Man kann diese Bestimmungen dahin auslegen, dass der Gebrauch
echter, aber fremder Ausweisschriften nach Art. 23 ANAG schlechthin und
aus irgendwelchen Motiven verpönt sei, während Art. 252 StGB ihn nur mit
Strafe bedrohe, wenn es in der Absicht geschehe, sich oder einem andern
damit das Fortkommen zu erleichtern. Wo diese letztere Voraussetzung
erfüllt ist, wäre somit gleichzeitig der Tatbestand des Art. 252 Ziff. 1
Abs. 4 StGB und derjenige des Art. 23 Abs. 1 al. 2 ANAG gegeben. Insoweit
würden sich die beiden decken. Ein Unterschied bliebe freilich bestehen
hinsichtlich der Strafdrohung, indem das ANAG eine Gefängnisstrafe von
längstens 6 Monaten, Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB die normale Höchstdauer
von drei Jahren Gefängnis vorsieht. Da das ANAG im Verhältnis zum StGB
ein Spezialgesetz ist, müsste nach der allgemeinen Regel die Sondernorm
des Art. 23 ANAG derjenigen des Art. 252 StGB vorgehen. Angesichts der
durch die unterschiedliche Strafdrohung bedingten praktischen Folgen
einer solchen Ordnung würde sich jedoch die Frage stellen, ob nicht
Art. 23 ANAG, insoweit als er sich mit dem später eingeführten Art. 252
StGB überschneidet, von dieser Bestimmung aufgehoben worden sei. Hafter
bezeichnet es als eine gesetzgeberische Zufälligkeit und Unstimmigkeit,
dass zum Beispiel das mit einem ausländischen Pass verübte Delikt unter
einer geringeren Strafdrohung steht, als sie Art. 252 StGB vorsieht,
und er gelangt zum Schluss, dass für eine solche Sondernorm im Hinblick
auf den ausreichenden Art. 252 StGB kein Bedürfnis mehr bestehe und
dass sie richtigerweise als aufgehoben zu gelten habe (Besonderer Teil,
S. 608). LOGOZ hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Kommentar,
N 2 zu Art. 252).

    Die Frage, ob Art. 23 ANAG durch Art. 252 StGB, soweit sich die
beiden Tatbestände decken, im allgemeinen ausser Kraft gesetzt wurde,
braucht indessen nicht beantwortet zu werden. Im vorliegenden Fall
hat die Beschwerdeführerin die deutsche Identitätskarte nicht zu
fremdenpolizeilichen Zwecken verwendet, sondern um sich das Fortkommen
zu erleichtern. Das aber rechtfertigte in jedem Fall die Anwendung von
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB.