Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 100



99 IV 100

21. Urteil des Kassationshofes vom 27. August 1973 i.S. Bähler gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. Regeste

    Art. 26 Abs. 1 SVG.

    Wer das Bremspedal seines Motorfahrzeuges so antippt, dass die
Bremslichter aufleuchten, das Fahrzeug aber nicht oder nur unwesentlich
verzögert wird, um den viel zu nahe aufgeschlossen folgenden Fahrzeuglenker
auf sein gefährliches Verhalten aufmerksam zu machen, verletzt keine
Verkehrsregel.

Sachverhalt

    A.- Am 5. März 1972 um die Mittagszeit fuhren Bähler und Schaltenbrand
mit ihren Personenwagen hintereinander von Riedholz kommend auf der
Hauptstrasse Nr. 5/12 in Richtung Flumenthal. Nachdem beide östlich
der Hinterriedholzkreuzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h
einen anderen Personenwagen überholt hatten, betrug der Abstand zwischen
den beiden Fahrzeugen noch 2-3 m. Als Bähler im Rückspiegel sah, dass
Schaltenbrand so nahe hinter ihn aufgeschlossen hatte, tippte er sein
Bremspedal kurz an. Darauf reagierte Schaltenbrand mit einer brüsken
Bremsung, so dass sein Wagen schleuderte und auf die Gegenfahrbahn
geriet. Dies veranlasste den aus der Gegenrichtung herannahenden Berrocoso,
sein Fahrzeug stark abzubremsen, um nicht mit Schaltenbrands Wagen
zusammenzustossen. Dabei schleuderte aber auch das Auto von Berrocoso,
geriet auf die Gegenfahrbahn und stiess mit dem korrekt entgegenkommenden
Personenwagen von Schenk zusammen. Dieser wurde dadurch leicht und dessen
Mitfahrerin tödlich verletzt. Berrocoso und seine Mitfahrerin erlitten
schwere Verletzungen.

    B.- Das Amtsgericht Solothurn-Lebern sprach Bähler am 3.  November
1972 der fahrlässigen Tötung und der Gefährdung Dritter durch grobe
Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu einer
bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 2 Monaten unter Ansetzung
einer Probezeit von 4 Jahren.

    Auf Appellation hin bestätigte das Obergericht des Kantons Solothurn
am 26. April 1973 den erstinstanzlichen Schuldspruch und bestrafte Bähler
mit 3 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit
einer Probezeit von 3 Jahren.

    C.- Bähler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben, soweit es ihn betrifft, und die Sache
zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht beantragen Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht wirft Bähler vor, er habe durch das Antippen
des Bremspedals bzw. durch das Aufleuchtenlassen der Bremslichter
Verkehrsregeln (Art. 26 Abs. 1 SVG und Art. 12 Abs. 2 VRV) vorsätzlich
verletzt und damit Dritte fahrlässig gefährdet. Gemäss Art. 26 Abs. 1
SVG muss sich jedermann im Verkehr so verhalten, dass er andere
in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch
gefährdet. Art. 12 Abs. 2 VRV gestattet brüskes Bremsen und Halten nur,
wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.

    Im angefochtenen Urteil stellt das Obergericht verbindlich fest,
durch das Antippen des Bremspedals sei das Fahrzeug Bählers nicht oder
höchstens geringfügig verzögert worden. Von brüskem Bremsen oder gar
Halten ist nirgends die Rede, so dass Bähler zu Unrecht der Verletzung
von Art. 12 Abs. 2 VRV schuldig gesprochen wurde.

Erwägung 2

    2.- Schaltenbrand fuhr hinter Bähler mit einem Abstand von nur
2-3 m, wobei die Geschwindigkeit der beiden Fahrzeuge ca. 100 km/h
betrug. Dieses vorschriftswidrige Verhalten Schaltenbrands setzte
Bähler einer erheblichen Gefahr aus. Wäre dieser nämlich aus irgend
einem Grund gezwungen gewesen, stark zu bremsen, so hätte das Fahrzeug
Schaltenbrands unvermeidlich dasjenige Bählers gerammt. Dieser Gefahr
versuchte der Beschwerdeführer dadurch zu entgehen, dass er durch Antippen
des Bremspedals die Bremslichter kurz aufleuchten liess, um Schaltenbrand
auf sein gefährliches Verhalten aufmerksam zu machen. Bei diesem Manöver
wurde sein Wagen nach der für den Kassationshof verbindlichen Feststellung
des angefochtenen Entscheides (Art. 277bis Abs. 1 BStP) nicht oder nur
unwesentlich verzögert. Bähler hat somit weder Schaltenbrand noch andere
Verkehrsteilnehmer gefährdet. Sein Verhalten war im Gegenteil nicht nur
eine erlaubte, sondern auch eine angemessene Reaktion gegenüber einem so
nahe aufgeschlossen folgenden Fahrzeuglenker. Diesen allein trifft die
volle Verantwortung, wenn er dann zu brüsk bremste, statt sein Fahrzeug
sachte zu verlangsamen und so einen ausreichenden Abstand zu schaffen. Von
diesem Verhalten deutlich zu unterscheiden ist das grundlos scharfe Bremsen
aus Böswilligkeit mit dem Zweck, den nachfolgenden Automobilisten zu
erschrecken oder gar eine Auffahrkollision zu provozieren. Die Auffassung
des Obergerichts, Bähler habe durch das blosse Antippen des Bremspedals
Verkehrsregeln vorsätzlich verletzt und damit Dritte fahrlässig gefährdet,
verletzt Bundesrecht.

    Da das Verhalten des Beschwerdeführers rechtmässig war, und diesem kein
Fehler zur Last gelegt werden kann, stellt sich die Frage der Kausalität
zum nachfolgenden Unfallgeschehen nicht.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts - Strafkammer - des Kantons Solothurn vom 26. April
1973 aufgehoben, soweit es Ulrich Bähler betrifft, und die Sache zur
Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.