Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 1



99 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 19. Januar 1973 i.S. Garoni gegen
Firma Maroquin. Regeste

    Art. 28 und 173 ff. StGB; Antragstellung im Ehrverletzungsverfahren.

    Eine Generalvollmacht gemäss Art. 462 Abs. 1 OR genügt nicht für
die Stellung eines Strafantrages im Ehrverletzungsprozess; vielmehr ist
eine besondere Ermächtigung im Sinne von Art. 462 Abs. 2 OR erforderlich
(Erw. d).

Sachverhalt

    A.- a) Der einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrat der Firma
Maroquin Etbl., Vaduz, Guido Feger, erteilte am 14. Juni 1965 Hennecke
Kardel eine Generalvollmacht, wonach dieser ermächtigt wurde, "für die
Firma zu verhandeln, Verträge abzuschliessen, Beträge einzukassieren,
über Bankkonten und andere Aktiven zu verfügen, gegenüber Dritten und
Behörden rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben, kurz alles zu tun,
was der Verwaltungsrat der Firma selbst tun könnte". Feger erklärte
in dieser Urkunde weiter, "alle Handlungen von Kardel namens und für
Rechnung der Firma als rechtsgültig und rechtsverbindlich anzuerkennen,
wie wenn der Verwaltungsrat der Firma selbst gehandelt hätte".

    b) In seiner Nummer vom 15. Januar 1971 prangerte der Schweizerische
Beobachter unter dem Titel "Kundenfang" die angeblich unlauteren
Geschäftsmethoden einer "Firma Maroquin, mit Niederlassung in Ceuta
(Marokko) und einer Auslieferungsstelle in Genf" an. Der Verfasser
schilderte darin das zweifelhafte Vorgehen dieser Firma als Verkäuferin
antiker marokkanischer Waffen u.ä. am Beispiel eines Willy G. aus Basel.

    c) Am 24. März 1971 zeigte die Firma Maroquin, Etbl., Vaduz,
den Schweizerischen Beobachter wegen Beleidigung, Verleumdung, übler
Nachrede und Geschäftsschädigung an. Die Unterschrift der Anzeige
stammte vom Generalbevollmächtigten der Firma, Hennecke Kardel. Im
anschliessenden Ehrverletzungsprozess übernahm Peter Garoni als Redaktor
des Schweizerischen Beobachters die Verantwortung für den eingeklagten
Artikel.

    B.- Mit Urteil vom 24. Januar 1972 sprach das Strafgericht Basel-Stadt
(Dreiergericht) Garoni unter anderem wegen Fehlens eines rechtsgültigen
Strafantrages von der Anklage betreffend Ehrverletzung frei.

    Der Appellationsgerichtsausschuss des Kantons Basel-Stadt schützte
am 29. August 1972 die Berufung der Klägerin und wies die Sache zur
materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurück.

    C.- Gegen dieses Urteil führt Garoni Nichtigkeitsbeschwerde an das
Bundesgericht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und
ihn in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils freizusprechen.

    Die Beschwerdegegnerin hat sich sinngemäss mit dem Antrag auf Abweisung
der Beschwerde vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht
eine Generalvollmacht für die Stellung eines Strafantrages als ausreichend
betrachtet. Angesichts des höchstpersönlichen Charakters des Antragsrechtes
wegen Ehrverletzung sei es sogar fraglich, ob eine Spezialvollmacht, welche
diese Berechtigung ausdrücklich aufführt, genügen würde. Selbst wenn Kardel
im vorliegenden Fall die Firma praktisch in allen Belangen vertreten habe,
ermächtige das Gesetz ihn nicht zur Stellung dieses Strafantrages.

    a) Wie die Vorinstanz und der Beschwerdeführer zutreffend erklären,
ist nach Lehre und Rechtsprechung das Recht, Strafantrag zu stellen,
grundsätzlich höchstpersönlich und unübertragbar (BGE 92 IV 2 a, 87 IV
106, 86 IV 82, 80 IV 213, 73 IV 71; HAFTER, Allgemeiner Teil, S. 137
IV 1; SCHWANDER, Strafgesetzbuch, 2. A. S. 225 Mitte; WALTER HUBER,
Die allgemeinen Regeln über den Strafantrag, Diss. S. 15 ff. und dort
angeführtes Schrifttum). Wurde eine juristische Person verletzt (BGE
96 IV 148), so richtet sich die Zuständigkeit, Antrag zu stellen, nach
deren Organisation. Befugt ist dasjenige Organ, das die durch das Delikt
verletzten Interessen wahrt.

    b) Nach dem angefochtenen Urteil war Kardel im Handelsregister nicht
als unterschriftsberechtigt eingetragen und galt somit nicht als Organ
der juristischen Person. Unter Verweisung auf die Generalvollmacht aus
dem Jahre 1965 hält der Appellationsgerichtsausschuss Kardel dennoch
für antragsberechtigt, weil dieser offensichtlich für den ganzen
Geschäftsgang und alles, was damit zusammenhing, allein besorgt und
verantwortlich war. In solchen Fällen, in denen die Firma in sämtlichen
Belangen durch einen generalbevollmächtigten Geschäftsführer als praktisch
einzigen Vertreter repräsentiert werde, müsse das Recht zur Stellung des
Strafantrages als in der Generalvollmacht mitenthalten betrachtet werden.
Diese Auffassung der Vorinstanz hält einer näheren Prüfung nicht stand.

    c) Aufgrund der Generalvollmacht vom 14. Juni 1965 kamen Kardel
nur die in Art. 462 Abs. 1 OR erwähnten Befugnisse zu; namentlich war er
bloss ermächtigt, diejenigen Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Betrieb
eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art
geführten Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich
mit sich bringen (BECKER, Kommentar zu Art. 462 N. III auf S. 719/20;
GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 6. A. S. 160 III). Die Handlungsvollmacht berechtigte
Kardel also nicht zu allen Rechtshandlungen, die in seinem Gewerbebetrieb
je anfallen konnten. Ferner war er nach Art. 462 Abs. 2 OR zu gewissen
Handlungen nur ermächtigt, wenn ihm diese Befugnisse ausdrücklich erteilt
worden waren. Diese Regel der ausdrücklichen Vollmachterteilung erfährt
wegen des Vertrauensprinzipes dort eine Ausnahme, wo der Geschäftsherr
dem Prokuristen auch die Prokura nur stillschweigend eingeräumt hatte
(BGE 94 II 118). Im vorliegenden Fall findet diese Ausnahme jedoch keine
Anwendung, weil die generell ausgestellte Handlungsvollmacht gerade
nicht stillschweigend, sondern ausdrücklich erteilt worden war. Dass
Feger seinem Geschäftsführer Befugnisse eingeräumt habe, die über den
Inhalt von Art. 462 Abs. 1 OR hinausreichten, ergibt sich entgegen der
Auffassung der Vorinstanz weder aufgrund der Generalvollmacht noch aus
seinem nachträglichen Verhalten. Nach der Lehre hätte eine erweiterte
Vollmachtserteilung zwar ausdrücklich, aber nicht unbedingt schriftlich
erfolgen müssen. Hingegen genügt es keineswegs, dass der Geschäftsherr
seinen Geschäftsführer einfach walten lässt (BECKER, aaO S. 720/1). Gerade
das trifft aber im vorliegenden Fall zu. Feger hat sich weder vor noch
während des Verfahrens je in diesem Sinne geäussert, geschweige denn die
Handlung Kardels ausdrücklich gebilligt.

    d) Eine ausdrückliche Ermächtigung benötigt der
Handlungsbevollmächtigte gemäss Art. 462 Abs. 2 OR zur
Prozessführung. Diese umfasst im Gegensatz zu Art. 396 Abs. 3 OR sowohl
die Anhebung eines Prozesses als auch dessen Abwehr (SCHÖNENBERGER,
Kommentar zu Art. 462 OR N. 17 auf S. 1690).

    Nach der Rechtsprechung bedeutet die Stellung eines Strafantrages
allerdings nicht immer eine Prozesseinleitung, für die der
Handlungsbevollmächtigte gemäss Art. 462 Abs. 2 OR einer besonderen
Ermächtigung bedarf. Wie der Kassationshof in BGE 73 IV 68 ff. erklärte,
fällt die Stellung des Strafantrages dann nicht unter den Begriff der
"Prozessführung", wenn der Strafantrag lediglich darauf abzielt, den
öffentlichen Ankläger in die Lage zu versetzen, das Strafverfahren
einzuleiten. Nach dieser Rechtsprechung ist der Generalbevollmächtigte
ohne vorherigen Beschluss des Verwaltungsrates dort zur Stellung des
Antrages befugt, wo es um den Schutz des Geschäftsvermögens geht und der
Strafantrag nicht gegen den Willen der Gesellschaftsorgane gestellt wird
(GAUTSCHI, Berner Kommentar zu Art. 462 OR, N. B 11 d auf S. 452). So
verhielt es sich aber im vorliegenden Fall nicht; denn Kardel hat eine
Ehrverletzungsklage erhoben. Dass er aufgrund seines Strafantrages auch
eine Kreditschädigung im Sinne von Art. 160 StGB geltend gemacht habe,
wurde vorfrageweise schon von der Staatsanwaltschaft verneint und ist von
ihm im kantonalen Verfahren nie behauptet worden. Er war zum Strafantrag
wegen Ehrverletzung nicht berechtigt:

    aa) Wie Garoni und die Vorinstanz mit Fug ausführen, trifft die
Ehrverletzung die höchstpersönliche Rechtssphäre des Geschädigten.
Auch bei einer juristischen Person ist diese mit den materiellen
Rechtsgütern nicht identisch, mit deren Wahrung oder Verwaltung der
Generalbevollmächtigte betraut ist. Deshalb wird von der Lehre für
diesen Fall zur Stellung des Strafantrages eine Sondervollmacht verlangt
(REHBERG, Der Strafantrag, in ZStR 85/1969 S. 258; WAIBLINGER in ZbJV
85/1949 S. 424 oben). Dieser Auffassung ist zuzustimmen, weil dort, wo es
um die Strafverfolgung wegen Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter
geht, der Verletzte selber entscheiden soll, ob er eine Strafverfolgung
einleiten will oder nicht.

    bb) Noch aus einem weiteren Grund kommt dem Generalbevollmächtigten
Kardel die Befugnis zur Stellung des Strafantrages nicht zu. Nach §
6 lit. a der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt beurteilt
der Richter Ehrverletzungen auf Privatklage hin. Mit der Stellung eines
Strafantrages wegen Ehrverletzung wird somit der Prozess angehoben und ohne
Zutun des öffentlichen Anklägers fortgesetzt. Hier fallen Antragstellung,
Klageerhebung und Parteinahme im Prozess zusammen. Die schwerwiegende
Entscheidung, ob in einem solchen Fall ein Verfahren eingeleitet werden
soll, setzt eine erweitertere Zuständigkeit des Geschäftsführers voraus als
dort, wo mit dem Strafantrag lediglich die Anhandnahme des Prozesses durch
die staatlichen Organe bezweckt wird (BGE 73 IV 68 ff). Diese Befugnis
muss wegen der oft nicht geringen Folgen eines Ehrverletzungsprozesses dem
Geschäftsherrn vorbehalten sein und kann daher nur durch ausdrückliche
Ermächtigung einem Generalbevollmächtigten überlassen werden. In der
Strafantragstellung wegen Ehrverletzung kann somit ohne weiteres die
eigentliche "Prozessführung" im Sinne des Art. 462 Abs. 2 OR erblickt
werden. Dazu war Kardel, wie bereits erwähnt (vgl. oben lit. c), nicht
ermächtigt.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Sache
zur Abweisung der Klage mangels gültigem Antrag an die Vorinstanz
zurückgewiesen.