Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 99



99 II 99

15. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. April 1973 i.S. Phoenix SA
gegen Nautilus SA Regeste

    Bundesgesetz vom 23. September 1953 über die Seeschiffahrt unter der
Schweizerflagge (SSG)

    Art. 111 SSG. Die "Ablieferung" im Sinne dieser Bestimmung ist
gleichbedeutend der "Überführung..." nach Art. 3 § 6 des Brüsseler
Übereinkommens vom 25. August 1924 (Erw. 2).

    Art. 111 Abs. 2 und Art. 117 Abs. 2 SSG. Rechtslage bei vorbehaltloser
Annahme der Ware. Freizeichnung für Landschäden (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Der Nautilus SA, die ein Schiffahrtsunternehmen mit Sitz in
Genf betreibt, wurden gemäss Konnossement Nr. 12 vom 3. Februar 1970 und
Konnossement Nr. 24 vom 21. Mai 1970 in Marseille zwei Malztransporte für
die SA des Brasseries du Cameroun in Douala übertragen. Lieferantin des
in Säcke verpackten Malzes war die Firma Malteries Franco-Belges in
Paris. Am Bestimmungsort zeigte sich, dass ein Teil der ersten Sendung
durch Feuchtigkeit verdorben war und dass die zweite Sendung einen
Gewichtsverlust aufwies, was Schäden von umgerechnet Fr. 11'955.20 und
Fr. 1'684.-- ergab.

    Die Versicherungsgesellschaft Companie Phoenix SA, London, bei der die
SA des Brasseries du Cameroun versichert war, deckte den gesamten Schaden
und liess sich alle Ansprüche gegen die Nautilus SA abtreten. Diese
weigerte sich, den Schaden an der ersten Sendung zu ersetzen, und
offerierte für den Schaden an der zweiten Sendung vergleichsweise
Fr. 512.--.

    B.- Am 14. Juni 1971 betrieb die Compagnie Phoenix SA die Nautilus SA,
welche Rechtsvorschlag erhob. Am 17. September 1971 klagte die Companie
Phoenix SA beim Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt gegen die Nautilus SA
auf Bezahlung von Fr. 13'639.20 nebst 6% Zins ab 22. Juni 1971 zuzüglich
Fr. 21.- Kosten des Zahlungsbefehls. Zugleich verkündete sie den Streit an
die Malteries Franco-Belges. Die Beklagte erklärte sich in der Klageantwort
bereit, den Schaden an der zweiten Sendung zu vergüten, und widersetzte
sich im übrigen der Klage. Die Streitberufene beteiligte sich am Prozess
nicht, sondern. erklärte in einer "Erwiderung" vom 21. Oktober 1971,
dass sie für den Fall ihrer Inanspruchnahme sich auf den Gerichtsstand
Paris berufe.

    Das Zivilgericht verpflichtete am 17. Juli 1972 die Beklagte gemäss
Anerkennung zur Bezahlung von Fr. 1'684.-- und wies im übrigen die
Klage ab. Das Appellationsgericht bestätigte ohne zusätzliche eigene
Begründung am 12. Januar 1973 das erstinstanzliche Urteil.

    C.- Die Klägerin legte Berufung an das Bundesgericht ein. Sie beantragt
Gutheissung der Klage für die Restforderung von Fr. 11'955.20 mit 6% Zins
seit 22. Juni 1971 und Fr. 21.- Betreibungskosten, eventuell Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz. Die Beklagte verlangt Bestätigung des
kantonalen Entscheides.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Konnossements-Bedingungen sehen unter Art. 25 den Gerichtsstand
Basel und die Anwendbarkeit schweizerischen Rechts vor. Nach Feststellung
der kantonalen Gerichte anerkennen beide Parteien die Bestimmungen des
Bundesgesetzes über die Seeschiffahrt unter der Schweizerflagge vom 23.
September 1953/14. Dezember 1965, des sogenannten Seeschiffahrtsgesetzes
(SSG).

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin macht geltend, nach schweizerischem Recht sei
in erster Linie nicht das SSG anzuwenden, sondern das in Brüssel
am 25. August 1924 abgeschlossene Internationale Übereinkommen zur
einheitlichen Feststellung einzelner Regeln über die Konnossemente
(Brüsseler-Übereinkommen; AS 1954 S. 758, BS 7 S. 543). Massgebend für den
Beginn der Rügefrist sei nach Art. 3 § 6 Abs. 1 dieses Übereinkommens "der
Zeitpunkt der Überführung der Ware", nicht der Beginn des Abtransports,
wie die Vorinstanz annehme.

    a) Im "Schlussprotokoll" zum Brüsseler-Übereinkommen (AS 1954 S. 767)
heisst es unter Absatz 2, die vertragsschliessenden Parteien, zu denen
die Schweiz nicht gehörte, könnten "dieses Übereinkommen in Kraft setzen,
entweder indem sie ihm Gesetzeskraft verleihen, oder indem sie die in
dem Übereinkommen vereinbarten Regeln in ihre eigene Landesgesetzgebung
in einer, dieser entsprechenden Form einfügen". Mit diesem Vorbehalt ist
die Schweiz dem Übereinkommen beigetreten (AS 1954 S. 749 und 767). Für
sie wurde es am 28. November 1954 wirksam (AS 1954 S. 758). Damals
galt das am 23. September 1953 von den Räten angenommene SSG noch
nicht. Es wurde erst auf den 1. Januar 1957 in Kraft gesetzt, nachdem die
Vollzugsvorschriften ausgearbeitet worden waren (AS 1956 S. 1356). Die
Revision von 1965 diente dazu, das Gesetz, das allerdings in freier
Form entsprechende Regeln bereits enthielt, den internationalen Abkommen
anzupassen, u.a. gemäss dem genannten Vorbehalt dem Brüsseler-Übereinkommen
von 1924 (vgl. Botschaft vom 14. Mai 1965, BBl 1965 II S. 284, besonders
S. 287 f.). Dabei erachtete es der Bundesrat als zweckmässig, darauf
hinzuweisen, "dass eine landesrechtliche Übernahme des Abkommens vorliegt,
um die Interpretation nach der internationalen Praxis zu gewährleisten"
(Botschaft aaO, S. 288). Art. 101 Abs. 2 SSG wurde daher neu gefasst. Er
sieht vor, dass bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen über den
Seefrachtvertrag (Art. 111-117 SSG) die Vorschriften des Internationalen
Übereinkommens vom 25. August 1924 zur einheitlichen Feststellung der
Konossemente zu berücksichtigen sind. Die kantonalen Gerichte haben
daher den Ersatzanspruch der Klägerin zu Recht nach SSG, das im Sinne
des Abkommens auszulegen ist, beurteilt.

    b) Nach Art. 111 SSG kann entweder gemäss Abs. 1 ein Schaden am
Frachtgut bei der Ablieferung im Beisein des Seefrachtführers und des
Empfängers festgestellt, oder, sofern das unterbleibt, nach Abs. 3
vom Empfänger bei äusserlich erkennbaren Schäden bis spätestens zur
Ablieferung und bei äusserlich nicht erkennbaren Schäden innerhalb von
drei Tagen seit der Ablieferung schriftlich Mängelrüge erhoben werden,
widrigenfalls die Güter als vorbehaltlos angenommen gelten. Nach Art. 3 § 6
des zitierten Übereinkommens sind Verluste oder Schäden und ihre allgemeine
Natur... "vor oder bei der Überführung der Güter in den Gewahrsam des auf
Grund des Frachtvertrages zum Empfange Berechtigten schriftlich" anzuzeigen
(Abs. 1). Diese "Überführung..." begründet - wie aus dem französischen
Originaltext klar hervorgeht - die Vermutung für die richtige Ablieferung
("cet enlèvement constituera jusqu'à preuve contraire une présomption que
les marchandises ont été délivrées par le transporteur telles qu'elles sont
décrites au connaissement"), die ihrerseits nach Abs. 2 die dreitägige
Frist für die Anzeige geheimer Mängel auslöst. Die erwähnte Wendung ist
also gleichbedeutend der Ablieferung nach Art. 111 SSG.

    c) Nach Art. 3 Abs. 2 des Konnossementes war die Beklagte berechtigt,
die Güter der SATA, die anstelle der Empfängerin handelte, abzuliefern. Die
kantonalen Gerichte stellen unter Hinweis auf die von den Brasseries
du Cameroun veranlasste Expertise verbindlich fest, dass die SATA das
Frachtgut am 22. März 1970 in Empfang genommen habe. Spätestens zu diesem
Zeitpunkt muss die Ablieferung der Güter erfolgt sein, legte doch die
Klägerin selber den "Beginn des Abtransportes" auf den 21. März 1970
fest. Ferner ist erwiesen, dass am 22. März 1970 der Schaden weder
festgestellt noch schriftlich gerügt worden ist. Die durch die SATA
vertretene Empfängerin hätte daher, wenn man zu ihren Gunsten die Schäden
als äusserlich nicht erkennbar betrachten wollte, innert drei Tagen,
d.h. bis 25 März 1970 schriftlich rügen müssen. Die erst am 3. April 1970
erfolgte Beanstandung war daher längst verspätet.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 111 Abs. 2 SSG hat - im Unterschied zu Art. 452
OR - die vorbehaltlose Annahme der Ware nicht die Verwirkung des
Schadenersatzanspruches zur Folge, sondern sie begründet die Vermutung,
dass der Seefrachtführer die Güter in demselben Zustand und in derselben
Menge abgeliefert hat, wie sie von ihm zur Beförderung übernommen worden
sind. Die Folge ist eine Verschiebung der Beweislast. Der Empfänger muss
dartun, dass der Schaden vom Seefrachtführer zu vertreten ist, während
bei richtiger Schadensanzeige dem Seefrachtführer nach Art. 103 Abs. 1
der Entlastungsbeweis offensteht. Liegt ferner eine nach Art. 117 Abs. 2
SSG zulässige Freizeichnung des Seefrachtführers von Landschäden vor,
so hat der Empfänger zu beweisen, dass der Schaden an Bord eingetreten
ist. Eine solche Freizeichnung ist hier nach Art. 3 des Konnossementes
Nr. 12 erfolgt.

    Nach Feststellung der kantonalen Gerichte hat die Klägerin den Nachweis
für die Beschädigung der Güter an Bord nicht erbracht. Diese Feststellung
ist für das Bundesgericht verbindlich und wird von der Klägerin denn auch
nicht angefochten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes
des Kantons Basel-Stadt vom 12. Januar 1973 bestätigt.