Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 9



99 II 9

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Februar 1973
i.S. M. F. und G. F. gegen H. F. Regeste

    Ehevertrag; Rechtsmissbrauch.

    Gütergemeinschaft. Ehevertragliche Zuweisung des ganzen Gesamtgutes
an den überlebenden Ehegatten (Art. 226 Abs. 1 ZGB).

    Ein solcher Ehevertrag ist nicht schon dann rechtsmissbräuchlich,
wenn er erst im Hinblick auf das unmittelbar bevorstehende Ableben des
einen Ehegatten abgeschlossen wurde, sondern nur dann, wenn er lediglich
die Interessen anderer Erben, vor allem der Kinder aus erster Ehe, in
krasser Weise zu verletzen bestimmt ist (Erw. 4 c).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- P. F. (geb. 1924) heiratete am 21. März 1960 die ebenfalls
1924 geborene H. S., nachdem er sich von seiner ersten Ehefrau hatte
scheiden lassen. Weder aus der ersten noch aus der zweiten Ehe sind Kinder
hervorgegangen. Die Eheleute F., die beide nur wenig in die Ehe eingebracht
hatten, betrieben gemeinsam ein Motel, das im Verlauf der Ehe ins Eigentum
von P. F. überging und den Hauptbestandteil des ehelichen Vermögens
bildete. Die Ehefrau trug durch ihre tatkräftige Mitarbeit wesentlich
zum Erfolg des Geschäftes bei; sie erwies sich als die treibende Kraft.

    Im Sommer 1967 erkrankte P. F. Er musste ins Spital eingeliefert
werden, wo er am 22. September 1967 operiert wurde. Die behandelnden Ärzte
waren sich indessen von Anfang an bewusst, dass er nicht mehr gerettet
werden konnte. Sie teilten dies der Ehefrau und dem Bruder des Erkrankten
mit, nicht jedoch diesem selbst. P. F. wusste nicht, dass seine Krankheit
unheilbar war.

    Am 17. November 1967 schlossen die Eheleute F. im Spital einen
Ehevertrag ab, der in der Folge von der Vormundschaftsbehörde genehmigt
wurde. Der Vertrag hat folgenden Wortlaut:

    "I.  Als Güterstand wählen die Vertragsparteien mit Wirkung ab
Datum dieses Ehevertrages die allgemeine Gütergemeinschaft im Sinne von
Art. 215 ff. ZGB.

    II.  Diese Gütergemeinschaft soll sich ohne Vorbehalt auf das ganze
Vermögen und Einkommen der Vertragsparteien erstrecken, dieses Vermögen
und Einkommen also zum Gesamtgut beider Ehegatten vereinigen.

    III.  Stirbt ein Ehegatte, so fällt das ganze Gesamtgut uneingeschränkt
dem überlebenden Ehegatten zu.

    IV.  Dieser Gütergemeinschaftsvertrag ist im Güterrechtsregister
nicht einzutragen und daher auch nicht zu publizieren.

    V.  Dieser Ehevertrag ist gemäss ZGB 181 II vormundschaftlich
genehmigen zu lassen. Die Vertragsparteien beauftragen die unterzeichnete
Urkundsperson, diese Genehmigung bei der Vormundschaftsbehörde von
Küssnacht zu beantragen."

    Am 20. Dezember 1967 starb P. F. Er hinterliess als gesetzliche Erben
seine Ehefrau, seine Mutter und seinen Bruder.

    B.- Am 25. März 1969 erhoben die Mutter und der Bruder des Erblassers
Klage gegen die Witwe F. Sie beantragten unter anderem, es sei gerichtlich
zu erkennen, dass der Ehevertrag vom 17. November 1967 vollumfänglich
nichtig sei. Das Bezirksgericht erklärte den Ehevertrag als ungültig,
soweit darin die gesetzlichen Pflichtteilsrechte umgangen würden, mit
der Begründung, mit dem im Hinblick auf den unmittelbar bevorstehenden
Tod des Ehemannes abgeschlossenen Vertrag hätten die Eheleute F. keine
Wirkungen unter Lebenden, sondern erbrechtliche Folgen beabsichtigt,
nämlich die Beseitigung der Ansprüche der Pflichtteilserben. Dies sei
rechtsmissbräuchlich.

    Das Kantonsgericht, an welches beide Parteien appellierten, hob mit
Urteil vom 30. August 1971 den Entscheid des Bezirksgerichts auf und wies
die Klage ab. Es hielt die Einrede des Rechtsmissbrauchs für unbegründet.

    C.- Gegen dieses Urteil erheben die Kläger Berufung ans Bundesgericht
mit dem Antrag, der Ehevertrag sei nichtig zu erklären.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Ist unter dem System der allgemeinen Gütergemeinschaft das
Gesamtgut wegen Todes des einen Ehegatten aufzulösen, so fällt nach
Art. 225 Abs. 1 und 2 ZGB die eine Hälfte dem überlebenden Ehegatten zu,
während die andere Hälfte an die Erben des Verstorbenen übergeht. Nach
Art. 226 Abs. 1 ZGB können die Ehegatten indessen durch Ehevertrag eine
andere Teilung vereinbaren. Sie dürfen auf diesem Wege der einen Seite
auch das ganze Gesamtgut und der andern nichts zuteilen. Ebenso ist
zulässig, das Gesamtgut nicht einem zum voraus bestimmten, sondern dem
überlebenden Ehegatten zuzuwenden (BGE 81 II 422, 77 I 3; LEMP, N. 7
und 15 zu Art. 226 ZGB; EGGER, Ehevertragliche Vereinbarungen über den
Vorschlag, ZBGR 1952 S. 168; KLAUS, Pflichtteilsrecht und güterrechtliche
Verfügungen, Diss. Zürich 1971 S. 48; FULPIUS, Le conjoint survivant en
droit matrimonial et successoral suisse, Diss. Genf 1968 S. 97 f).

    Durch den Ehevertrag darf jedoch nach Art. 226 Abs. 2 ZGB den
Nachkommen des verstorbenen Ehegatten ein Viertel des bei dessen Tod
vorhandenen Gesamtvermögens nicht entzogen werden. Den andern Erben steht
kein solcher güterrechtlicher und auch kein erbrechtlicher Pflichtteil
zu, denn der Ehevertrag über das Gesamtgut geht ihnen gegenüber dem
erbrechtlichen Pflichtteilsrecht vor (BGE 77 I 3 f; LEMP, N. 19 zu Art. 226
ZGB; ESCHER, N. 7 zu Art. 462 ZGB; TUOR, N. 21 zu Art. 527 ZGB; EGGER, aaO
S. 168; PICENONI, Das Ineinandergreifen güterrechtlicher und erbrechtlicher
Vorschriften, ZBGR 1965 S. 201; FULPIUS, aaO S. 98. A. M. lediglich KLAUS,
aaO S. 93 f, der den entfernteren Pflichtteilserben die erbrechtliche
Herabsetzungsklage zubilligt).

    b) Die ehevertragliche Freiheit findet indessen - wie jede
Rechtsausübung - ihre Schranke im Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2
Abs. 2 ZGB). So betrachtete es das Bundesgericht in BGE 53 II 99 als
rechtsmissbräuchlich, wenn zwei Ehegatten, welche sich bisher nie
veranlasst sahen, an eine vom gesetzlichen Güterstand abweichende
vertragliche Regelung auch nur zu denken, in einem Zeitpunkt, wo die
Auflösung der Gemeinschaft durch den Tod des einen Ehegatten offensichtlich
unmittelbar bevorsteht und daher eine Regelung der ökonomischen Folgen
des Gemeinschaftslebens gar nicht mehr in Frage kommt, einen andern
Güterstand vereinbaren, nur um dadurch dem überlebenden Ehegatten
auf Kosten der Pflichtteilserben des dem Tode nahen Kontrahenten mehr
zuzuhalten, als das Gesetz auf dem normalen Wege der Verfügung von Todes
wegen erlaubt. In BGE 81 II 423 präzisierte es, für die Anwendung von
Art. 2 Abs. 2 ZGB könne es keineswegs genügen, dass die Begünstigung
des überlebenden Ehegatten der Hauptzweck des Ehevertrags gewesen
sei. Von einem Rechtsmissbrauch könne höchstens dann die Rede sein,
"wenn der eine solche Begünstigung enthaltende Vertrag unter Umständen
eingegangen wurde, die es als ausgeschlossen erscheinen liessen, dass
der vertragliche Güterstand sich noch unter Lebenden werde auswirken
können, mit andern Worten, wenn die Ehegatten mit dem Vertrag einzig die
Begünstigung des überlebenden Kontrahenten über das durch Verfügung von
Todes wegen erreichbare Mass hinaus bezweckten".

    Nach dieser Rechtsprechung ist somit der Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses der entscheidende Gesichtspunkt. Die Zuweisung des
Gesamtgutes an den überlebenden Ehegatten soll dann rechtsmissbräuchlich
sein, wenn der Vertrag erst im Hinblick auf das unmittelbar bevorstehende
Ableben des einen Ehegatten abgeschlossen wurde.

    c) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist jedoch in der Doktrin
auf Widerspruch gestossen (vgl. MERZ, N. 552 zu Art. 2 ZGB; LEMP, N. 20
zu Art. 226 ZGB; EGGER, aaO S. 179 ff; STOCKER, Zum Schweizerischen
Ehegüterrecht, ZSR 1957 S. 381 a; KLAUS, aaO S. 132). In der Tat kann es
bei der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, nicht oder jedenfalls
nicht nur auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ankommen. MERZ hebt
zu Recht hervor, Vereinbarungen über die Teilung des Vorschlags und
die Zuweisung des Gesamtgutes würden naturgemäss und legitimerweise
im Hinblick auf das Ableben und die dadurch bewirkte Auflösung des
Güterstandes getroffen (aaO; vgl. auch STOCKER, aaO S. 381 a f). Es kann
den Ehegatten nicht verwehrt sein, ihren Güterstand jederzeit, also auch
kurz vor dem Ableben des einen, den veränderten Umständen anzupassen,
zumal da sich die Verhältnisse in einem späteren Zeitpunkt oft besser
überblicken lassen (KLAUS, aaO). Rechtsmissbräuchlich ist nur derjenige
Ehevertrag, der lediglich die Interessen anderer Erben, vor allem der
Kinder aus erster Ehe, in krasser Weise zu verletzen bestimmt ist (MERZ,
aaO; STOCKER, aaO S. 384 a). Ob dies der Fall ist, lässt sich nur auf
Grund einer umfassenden Würdigung aller Umstände ermitteln (EGGER, aaO
S. 179 ff; KLAUS, aaO; vgl. auch BGE 82 II 491, wo das Bundesgericht bei
der Prüfung der Frage, ob eine rechtsmissbräuchliche Vereinbarung über die
Teilung des Vorschlags bei der Güterverbindung vorliege, unter anderem in
Betracht zog, dass das eheliche Vermögen nicht nur aus Vorschlag bestand,
dass die Ehefrau zur Erzielung des Vorschlags beigetragen hatte, dass keine
Benachteiligung der Kinder aus erster Ehe beabsichtigt war und dass sich
die Ehefrau durch Geduld und Verständnis für den oft schwierigen Ehemann
ausgezeichnet hatte).

Erwägung 5

    5.- a) Im vorliegenden Fall kann es daher nicht entscheidend sein,
dass P. F. im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unheilbar krank war und
rund einen Monat später starb. Im übrigen können die Kläger aus diesem
Umstand ohnehin nichts ableiten. Nach den tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz wusste P. F. nicht, dass er todkrank war. Er hielt
seine Krankheit für heilbar, und die Ärzte liessen ihm die Hoffnung
auf Genesung. Am 17. November 1967, als der Vertrag abgeschlossen wurde,
ging es ihm verhältnismässig gut. Er konnte aufstehen und Bewegungsübungen
machen. P. F. hat den Ehevertrag daher nicht im Hinblick auf seinen
unmittelbar bevorstehenden Tod abgeschlossen. Für ihn ging es nicht nur
um die Begünstigung seiner Ehefrau im Falle seines Ablebens, sondern auch
um die Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse unter Lebenden.

    Der Beklagten war zwar bekannt, dass P. F. nicht mehr gerettet werden
konnte. Sie hat aber die Unwissenheit ihres Ehemannes nicht ausgenützt,
um ihn zum Abschluss eines Vertrages zu verleiten, den er bei Kenntnis der
Sachlage nicht abgeschlossen hätte. Vielmehr hatten die Eheleute F. schon
vor der Erkrankung des Erblassers die Absicht, ihre güterrechtlichen
Verhältnisse abweichend vom Gesetz zu regeln. Nach den Ausführungen
des Kantonsgerichts hat P. F. beim Vertragsabschluss der Urkundsperson
ausdrücklich erklärt, er habe dies schon lange machen wollen. Dadurch
unterscheidet sich der vorliegende Fall von BGE 53 II 99. In jenem Fall
hatten sich die Ehegatten vor Abschluss des Ehevertrages nie veranlasst
gesehen, an eine vom gesetzlichen Güterstand abweichende vertragliche
Regelung auch nur zu denken.

    b) Von einer krassen Benachteiligung der Kläger kann zudem keine Rede
sein. Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, hätte P. F. die Erbfolge in
seinen Nachlass durch letztwillige Verfügung dem Recht seines Heimatkantons
Basel-Stadt unterstellen können (Art. 59 Abs. 2 SchlT ZGB und Art. 22
Abs. 2 NAG). Dieser Kanton hat den in Art. 471 Ziff. 3 ZGB vorgesehenen
Pflichtteilsanspruch der Geschwister gestützt auf Art. 472 ZGB aufgehoben
(§ 125 EG ZGB; vgl. BGE 91 II 462). P. F. hätte seinem Bruder somit
durch letztwillige Verfügung den Pflichtteil entziehen können. Es kann
nicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn er die gleiche Wirkung mit einem
Ehevertrag herbeiführte.

    Der gesetzliche Erbteil der Mutter des Erblassers beträgt 3/8,
die jedoch mit der Nutzniessung zugunsten der Beklagten belastet
sind. Ihr Pflichtteil ist halb so gross wie ihr gesetzlicher Erbanspruch
(Art. 471 Ziff. 2 ZGB), d.h. also 3/16. Auch dieser Anteil ist indessen
nutzniessungsbelastet. Die Mutter F. wurde am 15. April 1886 geboren. Sie
war somit im Zeitpunkt des Todes ihres Sohnes bereits 81 Jahre alt,
während die Beklagte damals erst 43 Jahre zählte. Angesichts dieses
Altersunterschiedes ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie je in
den Genuss des Ertrags ihres Erbteils bzw. ihres Pflichtteils kommen
könnte. Im Falle ihres Ablebens ginge ihr Erbteil an ihren Sohn über,
wäre aber weiterhin mit der Nutzniessung zugunsten der Beklagten belastet,
die 11 Jahre jünger ist als dieser. Es liegt somit nur eine geringfügige
Beeinträchtigung der Anwartschaften der Erben vor, die die Zuweisung des
Gesamtgutes an die Beklagte nicht rechtsmissbräuchlich machen kann.

    c) Schliesslich entsprach der Ehevertrag auch den wirtschaftlichen
Verhältnissen der Ehegatten. Diese hatten nach den Feststellungen
der Vorinstanz das beim Tod des Erblassers vorhandene Vermögen, dessen
Hauptbestandteil das während der Ehe übernommene Motel bildet, gemeinsam
erwirtschaftet; eingebrachtes Gut hat daran keinen oder doch nur einen
geringfügigen Anteil. Dass überhaupt ein Aktivenüberschuss hatte gebildet
werden können, war überdies weitgehend der tatkräftigen Mitarbeit der
Beklagten zuzuschreiben. Es bestanden daher gute Gründe, das Gesamtgut
dem überlebenden Ehegatten zuzuweisen.

    Unter diesen Umständen lässt sich nicht sagen, die Eheleute F. hätten
mit dem Ehevertrag lediglich die Interessen anderer Erben in krasser
Weise verletzen wollen. Eine zweckwidrige Verwendung des Instituts des
Ehevertrags liegt nicht vor. Die Einrede des Rechtsmissbrauchs ist daher
zu verwerfen. Dies führt zur Abweisung der Berufung.