Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 159



99 II 159

22. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1973 i.S. B und X gegen
Erben A. Regeste

    Öffentliche Beurkundung, Stellvertretung.

    1.  Art. 68 Abs. 1 lit. a OG. Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde
(Erw. 1).

    2.  Art. 32 ff. und 216 Abs. 2 OR. Das kantonale Recht darf die
Gültigkeit eines formbedürftigen Vertrages nicht von der Beurkundung einer
Tatsache abhängig machen, die von Bundesrechts wegen keiner besonderen
Form bedarf (Erw. 2 und 3).

Sachverhalt

    A.- Durch Vertrag vom 28. März 1968, den X öffentlich beurkundete,
räumte A dem B an dem in Niederrohrdorf gelegenen Grundstück Nr. 1635 ein
bis zum 31. Dezember 1977 befristetes Kaufsrecht ein. Die Parteien setzten
den Kaufpreis für die Parzelle, die bloss 280 m2 umfasst, im Vertrag auf
Fr. 5'600.-- fest. Gemäss schriftlicher Vollmacht vom 25. März 1968 liess
sich A bei der Verurkundung durch seinen Sohn vertreten.

    X führte dazu in der Urkunde aus, dass der Grundeigentümer laut
beglaubigter Vollmacht rechtsgültig durch seinen Sohn vertreten sei. In
Wirklichkeit beglaubigte er die Unterschrift auf der Vollmachtsurkunde
erst einige Tage nach dem 28. März, nachdem A sie am Telephon als die
seinige anerkannt hatte.

    A starb am 21. September 1968. Auf Anmeldung des X vom 28. Januar
wurde das Kaufsrecht am 30. Januar 1969 im Grundbuch vorgemerkt.

    Mit Schreiben vom 10. Juni 1969 teilte B den Erben des A mit, dass
er von seinem Kaufsrecht Gebrauch mache. Diese weigerten sich indes,
ihm das Grundstück zu Eigentum zu übertragen.

    B.- Im August 1969 klagte B gegen die Erben des A insbesondere auf
Feststellung, dass er gestützt auf sein Kaufsrecht rechtmässiger Eigentümer
der Parzelle Nr. 1635 geworden sei.

    Das Bezirksgericht Baden wies die Klage entsprechend den Begehren der
Beklagten ab und befahl dem Grundbuchamt, das zugunsten des B vorgemerkte
Kaufsrecht zu löschen.

    B und der als Nebenintervenient am Verfahren teilnehmende X
appellierten an das Obergericht des Kantons Aargau, das die Appellation
am 28. Januar 1972 abwies. Das Obergericht ist der Auffassung, der Kläger
könne schon deshalb nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden,
weil das Kaufsrecht erst nach dem Tode des A beim Grundbuchamt zur
Vormerkung angemeldet worden sei. Dazu komme, dass die Unterschrift des
A auf der Vollmachtsurkunde unter einem falschen Datum beglaubigt worden
sei, was den Vertrag nach §§ 7 und 13 des aarg. EG zum ZGB ungültig mache.

    C.- B und X führen gegen dieses Urteil zivilrechtliche
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und das Obergericht
anzuweisen, dem Kläger das Eigentum an der Parzelle Nr. 1635 gerichtlich
zuzusprechen.

    Die Beklagten halten die Beschwerde für unbegründet und beantragen,
sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die vorliegende Sache unterliegt, wie die I. Zivilabteilung
am 10. Mai 1973 entschieden hat, mangels des in Art. 46 OG vorgesehenen
Streitwertes nicht der Berufung. Die Rüge der Beschwerdeführer, die
Vorinstanz habe die Gültigkeit des Vertrages über das Kaufsrecht zu
Unrecht von der Vorschrift des § 7 EG abhängig gemacht, kann dagegen
gemäss Art. 68 Abs. 1 lit. a OG Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde
bilden. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 216 Abs. 2 OR bedarf ein Vertrag, durch den ein
Kaufsrecht an einem Grundstück begründet wird, zu seiner Gültigkeit der
öffentlichen Beurkundung.

    a) Die öffentliche Beurkundung ist die Aufzeichnung rechtserheblicher
Tatsachen oder rechtsgeschäftlicher Erklärungen durch eine vom Staat mit
dieser Aufgabe betraute Person, in der vom Staate geforderten Form und
in dem dafür vorgesehenen Verfahren. Das Bundesrecht sagt selber nicht,
in welcher Weise und in welchem Verfahren die öffentliche Beurkundung bei
Kaufverträgen über Grundstücke, zu denen auch der Kaufsrechtsvertrag gehört
(BGE 86 II 36), vorzunehmen ist, noch wer solche Verträge verurkunden darf;
das im einzelnen zu regeln, ist durch Art. 55 Abs. 1 SchlT ZGB vielmehr
den Kantonen überlassen worden.

    Der kantonalen Regelung sind indes durch das Bundesrecht Schranken
gesetzt. Nach diesem Recht beurteilt sich, was unter der öffentlichen
Beurkundung zu verstehen ist und welchen Mindestanforderungen sie zu
genügen hat (BGE 84 II 640 Erw. 1, 90 II 281 Erw. 5 mit Zitaten). Das
Bundesrecht schreibt die öffentliche Beurkundung im Verkehr mit
Grundstücken insbesondere vor, weil es die Vertragsparteien vor
unüberlegten Entschlüssen bewahren und dafür sorgen will, dass sie
die Tragweite ihrer Verpflichtungen erkennen und dass ihr Wille in der
Urkunde klar und vollständig zum Ausdruck kommt (BGE 90 II 281/2). Mit
der öffentlichen Beurkundung will es zudem eine sichere Grundlage
für den Grundbucheintrag schaffen. Mit Rücksicht auf diese Ziele muss
von Bundesrechts wegen verlangt werden, dass die Urkundsperson in der
von ihr zu errichtenden Urkunde alle Tatsachen und Willenserklärungen
feststellt, die für den materiellrechtlichen Inhalt des zu beurkundenden
Rechtsgeschäftes wesentlich sind (BGE 94 II 272/3 und 95 II 310 mit
Zitaten; MUTZNER, Die öffentliche Beurkundung im schweizerischen
Privatrecht, ZSR 1921 S. 118a; BECK, N. 6 zu Art. 55 SchlT ZGB;
MEIER-HAYOZ, N. 92 zu Art. 657 ZGB; HANS HUBER, Die öffentliche Beurkundung
als Begriff des Bundesrechts, ZBJV 1967 S. 249 ff.).

    Muss die kantonale Regelung einerseits die sich aus dem Begriff
und Zweck der öffentlichen Beurkundung ergebenden Mindestanforderungen
erfüllen, so darf sie anderseits auch nicht so weit gehen, dass sie
die Wirksamkeit des Bundeszivilrechts beeinträchtigt oder verunmöglicht
(MUTZNER, aaO S. 113a; BECK, N. 4 zu Art. 55 SchlT ZGB; KUMMER, N. 32a zu
Art. 9 ZGB; HUBER, aaO S. 259). Sie darf insbesondere nicht die Gültigkeit
eines formbedürftigen Vertrages von der Beurkundung einer Tatsache abhängig
machen, die von Bundesrechts wegen keiner besonderen Form bedarf.

    b) Nach Art. 32 ff. OR kann die Ermächtigung zur Stellvertretung
formlos erteilt werden. Auch die Vollmacht zum Abschluss eines
Rechtsgeschäftes über Eigentum oder beschränkt dingliche Rechte an
Grundstücken ist formlos gültig; sie kann sogar stillschweigend, durch
schlüssiges Verhalten gegeben werden (BGE 84 II 157 mit Zitaten). Art. 16
Abs. 1 GBV ändert daran nichts; er bezieht sich nicht auf den
Vertragsabschluss, sondern bloss auf die Anmeldung beim Grundbuchamt. Die
Kantone dürfen. diese Regelung nicht dadurch erschweren oder unwirksam
machen, dass sie die Gültigkeit der Beurkundung an Voraussetzungen knüpfen,
von denen der Bundesgesetzgeber selber bewusst abgesehen hat (MUTZNER, aaO
S. 115a). Gewiss muss die öffentliche Urkunde über Verträge, die Rechte an
Grundstücken zum Inhalt haben, die Vertragsschliessenden und allfällige
Stellvertreter richtig angeben; denn diese Angaben betreffen wesentliche
Punkte des Rechtsgeschäftes (BGE 45 II 564 ff.). Daraus folgt indes nicht,
die Kantone dürften die Wirksamkeit der Stellvertretung und damit die
Gültigkeit des öffentlich beurkundeten Vertrages von der Einhaltung
besonderer Formvorschriften abhängig machen, die dem Bundeszivilrecht
widersprechen.

    Soweit die Kantone die Urkundsperson im Interesse der Rechtssicherheit
verpflichten, sich von der zivilrechtlichen Legitimation der
Vertragsparteien und namentlich von der Befugnis ihrer allfälligen
gesetzlichen oder gewillkürten Stellvertreter zu überzeugen, kann es sich
somit bloss um Ordnungsvorschriften handeln. Ihre Missachtung macht die
Urkundsperson disziplinarisch verantwortlich, die Beurkundung aber nicht
ungültig. Diese Auffassung wird auch im Schrifttum vertreten (H. MARTI,
Bernisches Notariatsrecht, S. 209; E. BLUMENSTEIN, Motive zum Vorentwurf
eines bern. Notariatsgesetzes, S. 150; A. BURRI, Öffentliche Beurkundung
nach luzernischem Recht, Diss. Zürich 1966 S. 60/1; A. SCHELLENBERG,
Öffentliche Beurkundung von Rechtsgeschäften, insbesondere nach
zürcherischem Recht, Diss. Zürich 1930 S. 22/3).

Erwägung 3

    3.- Mit § 7 des aarg. EG zum ZGB verhält es sich nicht anders. Nach
dieser Bestimmung muss eine beglaubigte Vollmacht vorgewiesen und deren
Vorlage in der Urkunde bescheinigt werden, wenn eine Partei sich durch
einen Bevollmächtigten vertreten lässt. X setzte sich darüber hinweg,
indem er das Rechtsgeschäft beurkundete und in der Urkunde das Vorliegen
einer beglaubigten Vollmacht bescheinigte, obwohl er die Unterschrift des
Vollmachtgebers erst einige Tage später beglaubigen konnte. Die Auffassung
des Obergerichts, solche Verstösse gegen § 7 machten die öffentliche
Beurkundung gemäss § 13 EG unwirksam, widerspricht dem Bundesrecht, das
für die Stellvertretung keine besondere Form vorsieht, die Gültigkeit
der Beurkundung folglich nicht vom Vorliegen einer beglaubigten Vollmacht
abhängig machen kann. Dass die Vorschriften des EG gemäss Art. 52 Abs. 3
SchlT ZGB vom Bundesrat genehmigt worden sind, steht der Prüfung der Frage,
ob sie sich mit dem Bundesrecht vertragen, nicht im Wege (BGE 63 II 294;
BECK, N. 11 zu Art. 52 SchlT zum ZGB).

    Das Obergericht hat somit statt des massgebenden eidgenössischen
Rechts kantonales Recht angewendet. Für die Beurteilung der Klage, die
auf Zusprechung des Eigentums abzielt, kommt ferner entgegen der Annahme
der Vorinstanz nichts darauf an, dass der aus dem Kaufsrechtsvertrag
Verpflichtete bei der Anmeldung des Vertrages zur Vormerkung im Grundbuch
schon gestorben und somit die Vollmacht, die er der Urkundsperson zur
Vornahme dieser Anmeldung erteilte, gemäss Art. 35 OR erloschen war. Die
Verpflichtung des A ging auf seine Erben über, gleichviel ob der Vertrag
im Grundbuch gemäss Art. 683 und 959 ZGB vorgemerkt wurde oder nicht
(BGE 46 II 233 E. 1). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben
und die Sache gemäss Art 73 Abs. 2 OG zu neuer Entscheidung an das
Obergericht zurückzuweisen. Die Vorinstanz hat dabei auch zu den übrigen
Parteivorbringen Stellung zu nehmen, zu denen sie sich im angefochtenen
Urteil nicht geäussert hat.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts (2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau vom 28. Januar
1973 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht
zurückgewiesen.