Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 754



99 Ia 754

87. Urteil vom 13. August 1973 i.S. Studentenschaft der Universität Bern
gegen den Regierungsrat des Kantons Bern Regeste

    Art. 88 OG; Legitimation der öffentlich-rechtlichen Körperschaft zur
staatsrechtlichen Beschwerde.

    Die Studentenschaft der Universität Bern hat keine Autonomie wie die
Gemeinde. Sie ist daher nicht legitimiert, einen Eingriff des Staates in
ihre Organisation und Kompetenzen anzufechten.

Sachverhalt

    A.- Das bernische Gesetz über die Universität vom 7.  Februar 1954
(UG) enthält folgende Bestimmungen: "Art. 12:

    Der Regierungsrat bestimmt die Kollegiengelder und Gebühren, die
von den Studierenden zu entrichten sind. Die Prüfungsgebühren werden
von den Fakultäten festgesetzt, unter Vorbehalt der Genehmigung durch
die Erziehungsdirektion. Art. 15:

    Alle immatrikulierten Studierenden bilden die Studentenschaft der
Universität; diese kann sich in Fakultätsorganisationen gliedern.

    Die Gesamtstudentenschaft und die Studentenschaften der einzelnen
Fakultäten haben das Recht, in allen studentischen Angelegenheiten Anfragen
und Anregungen an das Rektorat und an die Dekane zu richten.

    Die Statuten der Gesamtstudentenschaft und der Studentenschaften der
Fakultäten bedürfen der Genehmigung durch den Senat.

    ..."  In Art. 1 der Statuten der Studentenschaft Bern vom 14. Dezember
1971 wird näher ausgeführt, dass die Studentenschaft der Universität
Bern als Organ der Hochschule ein Verein mit Sitz in Bern ist, der die
Wahrung der ideellen und materiellen Interessen der Studierenden der
Universität Bern bezweckt. Nach Art. 41 der Statuten werden von den
immatrikulierten Studierenden der Universität Bern Semesterbeiträge für
die Studentenschaft der Universität erhoben, deren Höhe durch Beschluss des
Studentenrats festgesetzt wird und von der kantonalen Erziehungsdirektion
zu genehmigen ist.

    Am 21. März 1973 erliess der Regierungsrat des Kantons Bern, nachdem
der Bezug der Kollegiengelder und Semestergebühren bis anhin bloss aufgrund
von nicht publizierten Regierungsratsbeschlüssen erfolgt war, gestützt
auf Art. 12 UG eine Verordnung über die Kollegiengelder und Gebühren an
der Universität Bern. Art. 12 dieser Verordnung betrifft die Kasse für
studentische Zwecke, welcher gemäss Art. 2 und Art. 4 je ein Beitrag
aus der von den Studierenden zu entrichtenden Immatrikulationsgebühr
(Fr. 2.-) und der Semestergebühr (Fr. 9.50) sowie der für die Erneuerung
der Legitimationskarte erhobene Beitrag (Fr. 1.-) zufallen. Die Vorschrift
lautet: "Art. 12:

    Die Kasse für studentische Zwecke dient der Förderung studentischer
Interessen im Rahmen der Zweckbestimmung der Universität. Im übrigen
hat die Verwendung der Mittel politisch und konfessionell neutral zu
erfolgen. Über die Verwendung der Mittel entscheidet eine vom Regierungsrat
eingesetzte Kommission. Sie setzt sich zusammen aus:

    - einem Senatsmitglied als Vorsitzendem,

    - dem Rektorat,

    - dem Universitätssekretär,

    - zwei Vertretern der Studentenschaft.

    Der Senatsausschuss unterbreitet dem Regierungsrat seine Wahlvorschläge
für den Vorsitzenden, die Studentenschaft für ihre Vertreter.

    Die Erziehungsdirektion erlässt das Geschäftsreglement der Kommission.

    Gegen die Entscheide der Kommission kann bei der Erziehungsdirektion
Beschwerde geführt werden."

    B.- Die Studentenschaft der Universität Bern (im folgenden kurz
"Studentenschaft" genannt) hat gegen diese regierungsrätliche Verordnung
über die Kollegiengelder und Gebühren an der Universität Bern vom 21. März
1973 staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, Art. 4 Abs. 1,
soweit er die Gebühr für die Kasse für studentische Zwecke betrifft,
sowie Art. 12 aufzuheben. Sie macht eine Verletzung des Prinzips der
Gewaltenteilung, des Willkürverbots, des Grundsatzes von Treu und Glauben,
des Autonomierechtes der Studentenschaft sowie des Gleichbehandlungsgebotes
geltend. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus
den nachstehenden Erwägungen.

    C.- Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern beantragt namens des
Regierungsrats, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Die Studentenschaft macht geltend, sie sei eine Körperschaft
des öffentlichen Rechts, die hinsichtlich der von ihr zu erfüllenden
Öffentlichen Aufgaben autonom sei. Dieser Autonomiebereich, welcher gleich
demjenigen der Gemeinde einen verfassungsmässigen Schutz geniesse, werde
durch die angefochtene Verordnung verletzt. Der Regierungsrat des Kantons
Bern bestreitet nicht, dass die Studentenschaft eine öffentlichrechtliche
Korporation ist. Zur Begründung seines Nichteintretensantrages macht er
jedoch geltend, dass sie sich auf keinen Autonomieanspruch berufen könne.

    a) Dass es sich bei der Studentenschaft der Universität Bern um eine
Korporation des öffentlichen Rechts handelt, unterliegt keinem Zweifel. Sie
ist durch Gesetz, nämlich durch Art. 15 UG, geschaffen worden als ein
Verband, dem die im Interesse der öffentlichen Anstalt bzw. des Staates
liegende Aufgabe, die mit dem Universitätsbetrieb zusammenhangenden
Interessen der Studierenden zu wahren, überbunden ist.

    b) Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger
Rechte der Bürger ist nach der Umschreibung ihrer Voraussetzungen in
Verfassung (Art. 113 BV) und Gesetz (Art. 88 OG) ein Rechtsbehelf zum
Schutze der natürlichen und juristischen Personen gegen Übergriffe
der öffentlichen Gewalt und dient daher nicht zur Anfechtung von
Entscheidungen, die gegen den Inhaber dieser Gewalt ergangen sind.
Öffentlich-rechtlichen Korporationen, die mit der Wahrnehmung öffentlicher
Aufgaben betraut sind, steht daher die staatsrechtliche Beschwerde nicht
zu, es sei denn, sie bewegten sich auf dem Boden des Privatrechts und
würden durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass wie eine Privatperson
betroffen. Eine Ausnahme gilt nur für die Gemeinde, der das Recht zuerkannt
wird, ihre durch Verfassung oder Gesetz gewährleistete Autonomie gegenüber
dem Staat als dem ihr übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt zu
verteidigen oder Entscheidungen anzufechten, welche ihre Existenz oder
den Bestand ihres Gebietes in Frage stellen (BGE 96 I 328, 95 I 45 f,
88 I 108 f, je mit Verweisungen).

    In der Beschwerde wird mit Recht nicht behauptet, dass im Kanton Bern
Verfassung oder Gesetz der Studentenschaft die gleiche Autonomie wie der
Gemeinde einräumten. Es fragt sich daher bloss, ob der Studentenschaft auch
ohne dahingehende kantonale Vorschrift eine Autonomie zuzuerkennen ist,
deren Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden kann. Dazu
besteht jedoch kein Anlass. Wenn das Bundesgericht die Gemeindeautonomie
als ein verfassungsmässiges Recht im Sinne von Art. 113 BV anerkennt, so
deshalb, weil den Gemeinden von alters her ein bestimmter, von Eingriffen
des staatlichen Behörden geschützter Bereich der Selbstgesetzgebung und
Selbstverwaltung zusteht. Die Gemeindeautonomie steht im Zusammenhang mit
dem Gemeindeföderalismus als einem wesentlichen Element des politischen
Aufbaus der Schweiz. Ihre Anerkennung als verfassungsmässiges Recht schützt
die Gemeinde davor, von einem selbständigen Gemeinwesen mit demokratischer
Willensbildung zu einem kantonalen Verwaltungsbezirk zu werden (BGE 95
I 56 mit Hinweisen auf Literatur; JACQUES MEYLAN, Problèmes actuels de
l'autonomie communale, ZSR 1972 N. F. 91 II S. 21 ff.; ULRICH ZIMMERLI,
Die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Gemeindeautonomie,
ZBl 73 1972 S. 257). Diese Gründe, welche die Anerkennung eines
verfassungsmässig geschützten Autonomiebereiches rechtfertigen, sind
bei der Studentenschaft der Universität Bern nicht vorhanden. Auch wenn
die an der Universität Bern immatrikulierten Studenten ihr zwangsweise
angehören und die Entscheidungen, die sie im Rahmen der ihr übertragenen
studentischen Angelegenheiten trifft, auf demokratischer Willensbildung
beruhen (Art. 14 ff. der Statuten vom 14. Dezember 1971), so ist sie
ein Verwaltungskörper innerhalb der öffentlichen Anstalt, dem weder
die Funktion noch die politische Bedeutung einer Gemeinde zukommt. Die
Studentenschaft ist daher nicht legitimiert, sich mit staatsrechtlicher
Beschwerde gegen einen Eingriff des Staates in ihre Organisation und
Kompetenzen zu wenden. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.