Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 504



99 Ia 504

61. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juni 1973 i.S. X. gegen Stadtrat von
Zürich und Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Derogatorische Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV),
persönliche Freiheit, Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV);
Vorschriften über die Strassenprostitution.

    1.  Eine Bestimmung, welche die Übertretung von polizeilichen
Vorschriften über die Strassenprostitution unter Strafe stellt, verstösst
nicht gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts,
Erw. 2;

    2.  Verhältnis des Grundrechts der persönlichen Freiheit zu den
anderen Freiheitsrechten (hier: Handels- und Gewerbefreiheit), Erw. 3;

    3.  Die stadtzürcherischen Vorschriften über die Strassenprostitution
verstossen bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen die Verfassung,
Erw. 4.

Sachverhalt

    A.- Gestützt auf § 74 des Gemeindegesetzes, § 28 Abs. 2
des Baugesetzes, § 61 des Strassengesetzes, §§ 74 und 75 des
Gesundheitsgesetzes und § 1, 2 und 14 der Verordnung über die allgemeine
und Wohnhygiene erliess der Stadtrat von Zürich am 17. Februar 1972
folgende "Vorschriften über die Strassenprostitution":

    "Art. 1. Es ist untersagt, in der erkennbaren Bereitschaft, sich der
gewerbsmässigen Unzucht hinzugeben, sich an folgenden Orten aufzuhalten:

    a) auf Strassen und Plätzen, an denen Wohnhäuser stehen, ausgenommen
in eigentlichen Vergnügungsvierteln von 20 Uhr bis 03.00 Uhr;

    b) an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel während deren
Betriebszeit;

    c) in und bei Parkanlagen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind;

    d) in der Nähe von Kirchen, Schulen und Spitälern.

    Art. 2 Übertretungen dieser Vorschriften werden mit Busse gemäss §
138 des Baugesetzes, § 85 des Gesundheitsgesetzes und § 56 der Verordnung
über allgemeine und Wohnhygiene bestraft.

    Art. 3 Diese Vorschriften treten nach Genehmigung durch den
Regierungsrat in Kraft".

    Nachdem der Regierungsrat des Kantons Zürich diese Vorschriften am 15.
März 1972 genehmigt hatte, wurden sie am 7. April 1972 im Tagblatt der
Stadt Zürich (Städtisches Amtsblatt) veröffentlicht.

    B.- Mit Eingaben vom 25./26./27. April 1972 erhoben Frau X. und
47 weitere Betroffene beim Statthalter des Bezirks Zürich Rekurs mit
dem Antrag, den erwähnten Stadtratsbeschluss vom 17. Februar 1972
nichtig zu erklären bzw. aufzuheben. Zur Begründung Inachten sie im
wesentlichen geltend, der angefochtene Beschluss verletze das Grundrecht
der persönlichen Freiheit. Weiter rügten sie, die vom Stadtrat angerufenen
kantonalen Bestimmungen vermöchten keine hinreichende gesetzliche Grundlage
für die angefochtene Freiheitsbeschränkung abzugeben.

    Am 22. Juni 1972 wies der zur Beurteilung zuständige Bezirksrat von
Zürich den Rekurs ab, soweit er darauf eintrat. Dabei nahm er an, die
erwähnten kantonalen Vorschriften stellten eine genügende Rechtsgrundlage
für den angefochtenen Beschluss dar. Dieser habe sich aufgedrängt,
um die zunehmenden Auswüchse des Dirnenwesens zu bekämpfen und die
Bevölkerung vor dem damit verbundenen Lärm und anderen Belästigungen
zu schützen. Weiter erkannte der Bezirksrat, eine Verletzung des
Grundrechts der persönlichen Freiheit stehe nicht in Frage. Soweit sich
die Rekurrentinnen auf den Grundsatz "nulla poena sine lege" beriefen,
sei jedoch auf den Rekurs einzutreten. Eine Verletzung dieses Grundsatzes
könne indessen im angefochtenen Beschluss nicht erblickt werden, und
entgegen der Auffassung der Rekurrentinnen verstosse dieser auch nicht
gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit.

    C.- Am 18. Oktober 1972 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich
einen gegen den erwähnten Entscheid des Bezirksrats erhobenen Rekurs der
betroffenen Rekurrentinnen ab.

    D.- Frau X. und 10 weitere Betroffene führen staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid des
Regierungsrats des Kantons Zürich vom 18. Oktober 1972 aufzuheben. Die
Beschwerdeführerinnen machen geltend, der angefochtene Entscheid und der
ihm zugrunde liegende Stadtratsbeschluss vom 17. Februar 1972 über die
Strassenprostitution verletzten den Grundsatz der derogatorischen Kraft
des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV), das Grundrecht der persönlichen
Freiheit und eventuell die Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV). Die
Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden
Erwägungen.

    E.- Der Stadtrat von Zürich beantragt, auf die Beschwerde nicht
einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Der Regierungsrat des Kantons
Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

    F.- In ihrer Stellungnahme zu den Vernehmlassungen des Stadtrats
und des Regierungsrats halten die Beschwerdeführerinnen an ihrem Antrag
fest. Sie beanstanden insbesondere erneut, dass die Behörden mit der
angefochtenen Ordnung der Strassenprostitution ermächtigt würden, den
Strichgang praktisch überall zu verbieten und bloss einzelne Toleranzzonen
zu schaffen.

    G.- Der Polizeivorstand der Stadt Zürich weist demgegenüber in einer
vom Präsidenten der staatsrechtlichen Kammer eingeholten Stellungnahme
zu den Vorwürfen der Beschwerdeführerinnen darauf hin, dass die
Strassenprostitution nach der neuen Ordnung keineswegs nur innerhalb
bestimmter Toleranzzonen gestattet bleibe; den Dirnen stehe es vielmehr
frei, selbst geeignete Standplätze zu suchen, sofern diese in mehrheitlich
unbewohnten Gebieten lägen und dabei die übrigen Vorschriften (Art. 1
lit. b-d) beachtet würden. In diesem Sinn sei auch das "Merkblatt zu
den Vorschriften über die Strassenprostitution" zu verstehen, das den
Betroffenen ausgehändigt worden sei und in dem einige Beispiele von
geeigneten Strichplätzen aufgeführt seien.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerinnen rügen zunächst eine Verletzung von Art. 2
Üb. Best. BV (Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts). Sie
machen geltend, der Bundesgesetzgeber habe die strafbaren Handlungen gegen
die Sittlichkeit in Art. 187 ff. StGB abschliessend umschrieben. Die
angefochtenen Vorschriften über die Strassenprostitution seien somit
verfassungswidrig, weil damit ein Verhalten generell mit Strafe bedroht
werde, das vom Bundesgesetzgeber in Art. 206 StGB (Anlocken zur Unzucht)
nur unter bestimmten Voraussetzungen als strafwürdig bezeichnet worden
sei, nämlich nur dann, wenn die zur Unzucht bereite Person durch Zurufe,
Anreden, Gesten und dergleichen für ihre käuflichen Dienste werbe (BGE
95 IV 131 ff).

    a) Das eidgenössische öffentliche Recht geht dem kantonalen
öffentlichen Recht immer und ohne weiteres vor (BGE 97 I 503 Erw.
3 a mit Verweisungen). Dem kantonalen und kommunalen Gesetzgeber ist
demnach verwehrt, Vorschriften über Rechtsgebiete aufzustellen, die
eine abschliessende bundesrechtliche Regelung erfahren haben. Wie die
Beschwerdeführerinnen mit Recht geltend machen, enthält das Bundesrecht
eine abschliessende strafrechtliche Würdigung der gewerbsmässigen
Unzucht (BGE 68 IV 42/43). Der Bundesgesetzgeber hat sich darauf
beschränkt, gewisse Vorbedingungen, Auswüchse und Nebenerscheinungen
der Prostitution unter Strafe zu stellen (vgl. Art. 206, 207, 209,
210 StGB). Die gewerbsmässige Unzucht als solche ist nicht mit Strafe
bedroht und kann auch nicht gestützt auf Art. 335 Ziff. 1 StGB durch
das kantonale Übertretungsstrafrecht für strafbar erklärt werden
(BGE 68 IV 40 ff). Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht mit
administrativen oder polizeilichen Massnahmen bekämpft werden kann
(BGE 68 IV 43; HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S.
174). Solche kantonale Vorschriften sind jedoch mit dem Bundesrecht nur
vereinbar, wenn sie dem Sinn und Geist desselben nicht widersprechen
(BGE 74 I 144 mit Verweisungen). Die stadtzürcherischen Vorschriften
über die Strassenprostitution vermögen demnach dem Vorwurf der
Bundesrechtswidrigkeit nur standzuhalten, wenn sie nicht die gewerbsmässige
Unzucht als solche mit Strafe bedrohen, sondern andere Ziele verfolgen,
d.h. wenn sie nach Sinn und Zweck ausserhalb der Sittlichkeitsdelikte
des Strafgesetzbuches stehen (vgl. BGE 89 I 180, 187 Erw. 3). Wie es
sich damit verhält, prüft das Bundesgericht frei (BGE 97 I 835 Erw. 2
mit Verweisungen).

    b) Art. 206 StGB bezweckt den Schutz der öffentlichen Sittlichkeit
und will das öffentliche Ärgernis bekämpfen, das Prostituierte erregen,
indem sie ihren Leib für jedermann erkennbar zu Markte tragen (BGE 81 IV
110 Erw. 1). Wie sich aus den Akten ergibt, werden die angefochtenen
Vorschriften über die Strassenprostitution anders gerechtfertigt,
Anstoss zu ihrem Erlass gaben vor allem die häufigen Klagen von Bewohnern
bestimmter Quartiere der Stadt Zürich, die sich über unzumutbaren Lärm
und über Belästigungen unbeteiligter Fussgänger durch Zuhälter, Freier
und Dirnen beschwerten. Die angefochtenen Vorschriften bezwecken somit
in erster Linie den Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung und in einem
weiteren Sinn der öffentlichen Gesundheit, soweit diese Rechtsgüter durch
die gewerbsmässige Unzucht gefährdet oder verletzt werden; sie dienen
mit anderen Worten vorab dem Schutz typischer Polizeigüter, zu deren
Wahrung die zuständigen Behörden des Kantons und der Gemeinde ausdrücklich
verpflichtet sind (vgl. § 74 Gemeindegesetz, § 74 Gesundheitsgesetz). Dass
Übertretungen dieser Vorschriften mit Strafe bedroht werden, bedeutet
demnach nicht, dass die gewerbsmässige Unzucht als solche für strafwürdig
erklärt und damit kriminalisiert wird, sondern der kommunale Gesetzgeber
wollte damit nach dem Gesagten lediglich die Möglichkeit schaffen, die
Nichtbeachtung von verwaltungsrechtlichen Normen zum Schutze besonders
gefährdeter Polizeigüter zu ahnden. Die Strafbestimmung in Art. 2 der
angefochtenen Vorschriften über die Strassenprostitution verfolgt
demnach offensichtlich ein anderes Ziel als Art. 206 StGB, weshalb
nicht ernstlich behauptet werden kann, sie laufe dem Sinn und Geist des
eidgenössischen Strafrechts zuwider. Von einer Verletzung des Grundsatzes
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 Üb. Best. BV) kann
daher nicht die Rede sein.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerinnen rügen weiter, die vom Regierungsrat
geschützten Vorschriften über die Strassenprostitution verletzten sie
in ihrer persönlichen Freiheit, denn es stehe ihnen nicht mehr frei,
wo sie in der Stadt Zürich auf ihre Freier warten wollten, sondern sie
hätten sich dorthin zu begeben, wo sie die Stadtpolizei hinweise, wenn
sie überhaupt im Geschäft bleiben wollten.

    Die persönliche Freiheit ist ein ungeschriebenes Individualrecht
der Bundesverfassung und gehört zum Kreis der unverzichtbaren und
unverjährbaren Grundrechte (BGE 99 I a 266, 98 I a 423 Erw. 4, 97
I 49 Erw. 2, 841 Erw. 3). Sie garantiert nicht bloss das Recht auf
freie Bewegung und körperliche Unversehrtheit, sondern schützt den
Bürger auch in der ihm eigenen Fähigkeit, eine bestimmte tatsächliche
Begebenheit zu würdigen und danach zu handeln. Sie gewährleistet als
verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz ferner alle Freiheiten, die elementare
Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen und
bietet auf diese Weise einen umfassenden Grundrechtsschutz, der sich auf
den Inhalt und Umfang der übrigen verfassungsmässigen Freiheitsrechte
entscheidend auswirkt (BGE 97 I 842). Im Verhältnis zu diesen ist
sie jedoch subsidiär; sie kann demnach nicht angerufen werden, wenn
Beschränkungen eines anderen Freiheitsrechts in Frage stehen (BGE 97 I
50 oben). Die angefochtenen Vorschriften über die Strassenprostitution
beschränken die Beschwerdeführerinnen nicht in ihrer Bewegungsfreiheit
schlechthin, sondern enthalten bloss Regeln, welche die Prostituierten bei
Ausübung der gewerbsmässigen Unzucht zu beachten haben. Ein allfälliger
verfassungsmässiger Schutz dieser gewerblichen Tätigkeit könnte sich somit
von vorneherein nicht aus dem Grundrecht der persönlichen Freiheit, sondern
höchstens aus der in Art. 31 BV verankerten Handels- und Gewerbefreiheit
ergeben. Der Vorwurf, die vom Regierungsrat geschützten Vorschriften über
die Strassenprostitution verstiessen gegen das Grundrecht der persönlichen
Freiheit, geht daher fehl.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerinnen machen denn auch hilfsweise geltend,
die stadtzürcherischen Normen über die Strassenprostitution stünden
im Widerspruch zur Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV). Der
Regierungsrat führt demgegenüber aus, dass die Beschwerdeführerinnen die
öffentliche Strasse regelmässig zu gewerblichen Zwecken verwendeten, indem
sie dort nach Freiern Ausschau hielten. Er schliesst daraus, dass in ihrer
Tätigkeit ein gesteigerter Gemeingebrauch erblickt werden müsse. Diese
Betrachtungsweise hat vieles für sich. Träfe sie zu, so vermöchten
die Beschwerdeführerinnen auch aus dem einzigen überhaupt in Frage
stehenden Freiheitsrecht, der Handels- und Gewerbefreiheit, keine Rechte
abzuleiten, denn das Bundesgericht hat stets angenommen, dass Art. 31 BV
keinen Anspruch auf Benützung des öffentlichen Bodens für gewerbliche
Zwecke gebe und diese Benützung daher dem Wirkungsbereich der Handels-
und Gewerbefreiheit entzogen sei (BGE 97 I 655 mit Verweisungen). Das
Bundesgericht vermöchte somit die umstrittenen behördlichen Anordnungen
über die Benützung des öffentlichen Bodens nur unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV zu überprüfen (BGE 97 I 656). Ob in der gewerblichen Tätigkeit
der Beschwerdeführerinnen ein gesteigerter Gemeingebrauch erblickt werden
kann und ob die gewerbsmässige Unzucht überhaupt unter dem Schutz der
Handels- und Gewerbefreiheit steht, mag indessen offen bleiben. Denn selbst
wenn man das Vorliegen eines gesteigerten Gemeingebrauchs verneinen und
die Schutzwirkung der Handels- und Gewerbefreiheit grundsätzlich bejahen
wollte, hielten die angefochtenen Vorschriften - wie im folgenden näher
auszuführen ist- vor der Verfassung ohne weiteres stand.

    a) Art. 31 BV gewährleistet die Handels- und Gewerbefreiheit, behält
aber in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel
und Gewerbe vor. Dieser Vorbehalt umfasst in erster Linie polizeiliche
Massnahmen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Gesundheit sowie zur
Wahrung von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr (BGE 98 I a 400 Erw. 2
mit Verweisungen, 95 I 426, 91 I 462 Erw. 3). Solche Beschränkungen
bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (BGE 98 I a 285/6 Erw. 5 mit
Verweisungen) und halten vor der Verfassung nur Stand, wenn sie die
Gewerbegenossen in gleicher Weise treffen und wenn sie verhältnismässig
sind, d.h. nicht weiter gehen, als es der polizeiliche Zweck erfordert. Die
Beschwerdeführerinnen machen vor dem Bundesgericht nicht mehr geltend, dass
die vom Stadtrat herangezogenen kantonalen Bestimmungen keine hinreichende
gesetzliche Grundlage für die angefochtene Ordnung abzugeben vermöchten,
sondern sie bringen lediglich vor, die Beschränkung ihrer gewerblichen
Tätigkeit sei unverhältnismässig. Wie es sich damit verhält, prüft das
Bundesgericht frei (BGE 96 I 384 Erw. 3).

    b) Wie bereits ausgeführt (vgl. oben Erw. 2 b) bezwecken die
angefochtenen Massnahmen in erster Linie die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie den Schutz der öffentlichen
Gesundheit. Die zahlreichen aktenkundigen Klagen aus der Stadtbevölkerung,
insbesondere von Bewohnern bestimmter Quartiere und von Fussgängern,
lassen darauf schliessen, dass die von der Tätigkeit der Prostituierten
ausgehenden Belästigungen ein unzumutbares und teilweise geradezu
gesundheitsschädigendes Ausmass angenommen haben. Mit Rücksicht
darauf erscheint es durchaus sachgemäss, das dem Kundenfang dienende
Herumstehen der Prostituierten auf Strassen und Plätzen in der Nähe
von Wohnhäusern (Art. 1 lit. a der Vorschriften), an Haltestellen
öffentlicher Verkehrsmittel während der Betriebszeiten (Art. 1 lit. b),
in öffentlichen Parkanlagen (Art. 1 lit. c) und in der Nähe von Kirchen,
Schulen und Spitälern (Art. 1 lit. d) zu untersagen. Zu Unrecht machen
die Beschwerdeführerinnen geltend, diese polizeilichen Massnahmen
richteten sich nicht gegen die eigentlichen Störer und seien bereits
deshalb unzulässig. Wenn auch zuzugeben ist, dass die Belästigungen zu
einem grossen Teil von den Zuhältern und Freiern ausgehen, so kann doch
nicht bestritten werden, dass die eigentlichen Ursachen der unerwünschten
Störungen der öffentlichen Ordnung in der Strassenprostitution selbst
liegen. Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung als Mitstörer gilt,
wer zwar nicht selbst stört, aber andere zu Störungen veranlasst oder
bewusst in Kauf nimmt, dass andere es seinetwegen tun (BGE 87 I 114,
90 I 4/5). Es liegt in der Natur der Sache, dass sich jede Strassendirne
durch ihre Aufmachung allfälligen Kunden gegenüber zu erkennen geben will
und entsprechend darauf angewiesen ist, dass sich eine Anzahl Freier um
sie interessiert. Damit nimmt sie bewusst in Kauf, dass ihre Kunden,
namentlich solche mit Motorfahrzeugen, die Wohnbevölkerung durch ihr
Verhalten erheblich stören. Sie wird dadurch zur Mitstörerin und kann sich
nicht beklagen, wenn die zuständige Behörde auch gegen sie einschreitet,
falls sich das Vorgehen gegen die unmittelbaren Störer als weitgehend
wirkungslos oder als zu aufwendig erweist. Im übrigen ergibt sich aus
den Akten, dass nicht selten auch Dirnen als unmittelbare Störerinnen
auftreten. Unter dem Gesichtswinkel des Grundsatzes, wonach polizeiliche
Massnahmen im Rahmen des Möglichen gegen den Störer gerichtet werden
sollen, gibt die angefochtene Ordnung deshalb keinen Anlass zu Kritik.

    Unbehelflich ist sodann auch der Einwand, die fraglichen Auswüchse
könnten auch auf Grund bisheriger polizeilicher Vorschriften geahndet
werden. Die Bestimmungen über die Strassenprostitution sind nicht
deshalb unstatthaft, weil sie in einem besonderen Erlass und nicht in der
allgemeinen Polizeiverordnung der Stadt Zürich enthalten sind. In welcher
Form ein bestimmter polizeirechtlich erheblicher Sachverhalt erfasst
werden soll, liegt weitgehend im Ermessen der zuständigen Behörde, im
vorliegenden Fall im Ermessen des Stadtrats von Zürich; dessen Entscheid
ist vom Verfassungsrichter nicht zu beanstanden, wenn dabei den allgemein
anerkannten Grundsätzen des Polizeirechts, insbesondere dem Prinzip der
Verhältnismässigkeit, gebührend Rechnung getragen wird.

    Entgegen der Befürchtung der Beschwerdeführerinnen bezwecken
die angefochtenen Vorschriften keineswegs ein generelles Verbot der
Strassenprostitution. So weisen Stadtrat und Polizeivorstand der Stadt
Zürich denn auch ausdrücklich darauf hin, dass die Dirnen ihrer Tätigkeit
ausserhalb der im Stadtratsbeschluss genannten Orte unbehelligt nachgehen
könnten, sofern sie sich nicht des Anlockens zur Unzucht (Art. 206 StGB)
schuldig machten und keine berechtigten Klagen laut würden. Die Behörden
anerkennen in diesem Zusammenhang, dass den Prostituierten weiterhin
ausgedehnte Gebiete auf öffentlichem Grund für ihre Tätigkeit zur
Verfügung stehen, die teilweise bereits heute benützt werden und nicht
weniger günstig gelegen sind als die nunmehr verbotenen Standplätze. Diese
Ausführungen decken sich mit Wortlaut und Sinn des an die Prostituierten
abgegebenen Merkblatts, in welchem eine Anzahl Örtlichkeiten aufgeführt
werden, wo der Strassenprostitution keine polizeilichen Hindernisse
im Wege stehen dürften. Ähnliches ergibt sich sodann auch aus der
Gegenüberstellung der alten und neuen Strichplätze gemäss dem vom
Polizeivorstand zu den Akten gegebenen Stadtplan. Unter diesen Umständen
besteht kein Grund zur Befürchtung, dass die zürcherischen Behörden auf
dem Weg einer extensiven Auslegung von Art. 1 lit. a der Vorschriften
(Verbot der Strassenprostitution auf Strassen und Plätzen, "an denen
Wohnhäuser stehen") ein generelles Verbot des Strichgangs beabsichtigen
könnten. Sinn und Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift sowie die
erwähnten Zusicherungen von Stadtrat und Polizeivorstand weisen vielmehr
darauf hin, dass bloss ausgesprochene Wohngebiete, d.h. Quartiere und
Strassenzüge mit überwiegendem Wohncharakter vor den unzumutbaren Störungen
durch die Strassenprostitution geschützt werden sollen. Wenn die Behörden
die angefochtenen Vorschriften auch in Zukunft im zugesicherten Sinn
anwenden, so lässt sich unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit
nichts gegen die stadtzürcherische Ordnung der Strassenprostitution
einwenden, denn sie auferlegt den Betroffenen keine Einschränkungen,
die über das zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung
erforderliche Mass hinausgehen. Auch wenn die gewerbliche Tätigkeit der
Beschwerdeführerinnen unter dem Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit
stünde, gäbe der angefochtene Entscheid daher keinen Anlass zu Kritik.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.