Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 866



97 I 866

124. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1971 i.S. Leitungsgesellschaft
AG gegen Eidg. Bankenkommission Regeste

    Bundesgesetz über die Anlagefonds.

    Wertschriftenanlagefonds dürfen überhaupt nicht und
Immobilienanlagefonds nur bis zur Hälfte der Anlagekosten durch Aufnahme
fremder Mittel, mit oder ohne Verpfändung von Fondsaktiven, finanziert
werden (Erw. 2).

    Übergangsrecht; Verpflichtung der Leitung eines Immobilienanlagefonds,
die zu hohe hypothekarische Belastung der Fondsgrundstücke herabzusetzen
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Leitungsgesellschaft AG, Zug, leitet den Immobilienanlagefonds
"West Fund". Sie erwarb für Rechnung der Anleger Grundstücke in
Kanada. Zur Finanzierung wurden ausser den Einlagen der Anleger Kredite
verwendet, die von Dritten gegen Verpfändung der Grundstücke gewährt
wurden. Im Zeitpunkte des Inkrafttretens des Anlagefondsgesetzes
(1. Februar 1967) betrug die hypothekarische Belastung rund 80%
des Gestehungswertes der Grundstücke. Die Leitungsgesellschaft wurde
seitens der Eidg. Bankenkommission (Kammer für Anlagefonds) wiederholt
darauf aufmerksam gemacht, dass die Belastung 50% dieses Wertes nicht
übersteigen dürfe (Art. 35 Abs. 3 AFG) und daher bis zum 31. Januar 1970
herabgesetzt werden müsse (Art. 53 Abs. 3 AFG). Im neuen Fondsreglement
wurde bestimmt, dass der Erwerb der Grundstücke aus dem Erlös der
Emission der Anteilscheine und durch Aufnahme von Krediten bei Dritten
finanziert werde; anschliessend wurde der Inhalt des Art. 35 Abs. 3 AFG
wiedergegeben. Die Bankenkommission genehmigte das neue Reglement. Im
Schreiben vom 13. Februar 1970, mit dem sie dies der Fondsleitung und
der Depotbank mitteilte, erklärte sie, dass sie jede den Satz von 50%
übersteigende Verschuldung zulasten des Fonds, "ob grundpfandgesichert
oder ungesichert", als unzulässig betrachte. Ende Juni 1970 waren die
Grundstücke des "West Fund" noch im Umfange von 57,5% der Gestehungskosten
mit Pfandrechten belastet. Mit Verfügung vom 26. April 1971 verpflichtete
die Bankenkommission die Leitungsgesellschaft, "die Fremdfinanzierung
der Anlagen des West Fund bis 30. Juni 1972 auf höchstens 50% der
Gestehungswerte der Grundstücke herabzusetzen"; für den Fall des
Ungehorsams drohte sie der Gesellschaft Busse an.

    B.- Gegen diese Verfügung erhebt die Leitungsgesellschaft
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es wird geltend gemacht, allerdings dürfe
nach Art. 35 Abs. 3 AFG die hypothekarische Belastung der zum Fonds
gehörenden Grundstücke 50% der Anlagekosten nicht überschreiten. Dagegen
verwehre das Gesetz der Beschwerdeführerin nicht, zur Finanzierung der
Anlagen bei Dritten Kredite, die nicht durch Pfandrechte an Grundstücken
des Fonds gesichert sind, über die 50% hinaus aufzunehmen. Die gegenteilige
Anordnung der Bankenkommission sei unzulässig.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Anlagefonds ist ein Sondervermögen, das auf Grund
öffentlicher Werbung von den Anlegern zum Zwecke gemeinschaftlicher
Kapitalanlage aufgebracht und von der Fondsleitung nach dem Grundsatz der
Risikoverteilung für Rechnung der Anleger verwaltet wird (Art. 1 Abs. 2,
Art. 2 Abs. 1 AFG). Der Fonds hat keine Rechtspersönlichkeit. Die
ihm zugewiesenen Sachen sind Eigentum der Fondsleitung, und ihr
stehen auch die zum Fonds gehörenden Rechte zu; die Anleger haben nur
obligatorische Ansprüche gegen die Fondsleitung (Botschaft zum AFG,
BBl 1965 III 290 ff.). Die Fondswerte werden indessen im Konkurs der
Fondsleitung nicht zur Konkursmasse gezogen, sondern unter Vorbehalt der
in Art. 16 AFG umschriebenen Ansprüche der Fondsleitung zugunsten der
Anleger ausgesondert (Art. 17 AGF). Nach Art. 16 hat die Fondsleitung
Anspruch auf die im Fondsreglement vorgesehenen Vergütungen, auf
Befreiung von den Verbindlichkeiten, die sie "in richtiger Ausführung
des Kollektivanlagevertrages" eingegangen ist, und auf Ersatz der
Aufwendungen, die sie zur Erfüllung solcher Verbindlichkeiten gemacht
hat (Abs. 1); diese Ansprüche werden aus Mitteln des Anlagefonds
erfüllt (Abs. 2). Art. 12 Abs. 2 AFG bestimmt, dass die zum Bestande
des Anlagefonds gehörenden Sachen und Rechte nicht mit Pfandrechten
belastet oder zur Sicherung übereignet werden dürfen. Diese Regel wird
für die Immobilienanlagefonds durch Art. 35 Abs. 3 AFG eingeschränkt,
welcher lautet: "In Abweichung von Art. 12 Abs. 2 darf die Fondsleitung
für Schulden, die den Anlagefonds betreffen, Grundstücke verpfänden,
jedoch darf die Belastung im Durchschnitt aller Grundstücke die Hälfte
der Anlagekosten nicht überschreiten."

    Der Beschwerdeführerin ist zuzugeben, dass Art. 12 Abs. 2 und Art. 35
Abs. 3 AFG nach ihrem Wortlaut sich nur auf solche von der Fondsleitung
eingegangene Verbindlichkeiten beziehen, die durch Verpfändung oder
Übereignung von Aktiven des Fonds sichergestellt sind, und dass die Frage,
wieweit die Fondsleitung bei Dritten Kredite für den Fonds ohne derartige
Sicherstellung aufnehmen darf, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist.
Nach der Meinung der Beschwerdeführerin wäre daraus durch Umkehrschluss
zu folgern, dass das Gesetz der Fondsleitung die Aufnahme solcher
nicht durch Verpfändung oder Übereignung von Fondswerten gesicherter
Kredite unbeschränkt gestatte. Dagegen nimmt die Bankenkommission an,
Art. 12 Abs. 2 und Art. 35 Abs. 3 AFG seien auf Kredite dieser Art -
insbesondere Blankokredite - analog anzuwenden; Wertschriftenanlagefonds
dürften also überhaupt nicht und Immobilienanlagefonds zu höchstens 50%
der Anlagekosten mit irgendwelchen fremden Mitteln finanziert werden. Es
ist zu prüfen, welche Auffassung dem Sinne des Gesetzes entspricht.

Erwägung 2

    2.- Zweck des Anlagefonds ist die kollektive Anlage der von den
Anlegern einbezahlten Gelder. Die Fondsleitung hat die Aufgabe, das von
den Anlegern zu diesem Zweck aufgebrachte Vermögen zu verwalten (Art. 2
Abs. 1 AFG), wobei sie ausschliesslich die Interessen der Anleger zu wahren
hat (Art. 14 AFG). Sie darf die Werte des Fonds nicht für sich selbst
verwenden, insbesondere nicht für eigene Schulden verpfänden (Art. 12
Abs. 2 AFG). Ebensowenig darf sie aber für Rechnung des Fonds - mit oder
ohne Verpfändung von Fondsaktiven - Verbindlichkeiten eingehen, die mit
den Interessen der Anleger nicht vereinbar sind. Die Aufnahme fremder
Mittel für die Finanzierung des Anlagefonds widerspricht grundsätzlich
der Zweckbestimmung des Fonds, die in der kollektiven Anlage der von den
Anlegern selber aufgebrachten Gelder besteht. Die Fremdfinanzierung kann
mit erheblichen Risiken für die Anleger verbunden sein, da im Falle der
Liquidation des Anlagefonds die Forderungen der fremden Geldgeber den
Vorrang gegenüber den Ansprüchen der Anleger haben (Art. 17 AFG). Sie ist
daher nur beschränkt zulässig. Die Schranken ergeben sich aus Wortlaut und
Sinn des Art. 12 Abs. 2 und des Art. 35 Abs. 3 AFG. Diese Bestimmungen
gehen dem Fondsreglement vor; sie sind zwingend (Art. 8 Abs. 4 AFG). Ihnen
widersprechende Verbindlichkeiten zulasten des Fonds können grundsätzlich
nicht als "in richtiger Erfüllung des Kollektivanlagevertrages eingegangen"
(Art. 16 Abs. 1 AFG) betrachtet werden; sie sind nach der gesetzlichen
Ordnung unzulässig.

    a) Art. 12 Abs. 2 AFG untersagt der Leitung eines
Wertschriftenanlagefonds die Verpfändung und die Sicherungsübereignung
von Fondswerten ohne Einschränkung, für die eigenen wie für die den Fonds
betreffenden Schulden. Die Bestimmung soll namentlich verhindern, dass
die Leitung eines solchen Fonds für dessen Rechnung unter Verpfändung zu
ihm gehörender Werte an der Börse spekuliert und damit die Interessen der
Anleger aufs Spiel setzt (BBl 1965 III 305, 320 oben). Diese Interessen
können aber in gleichem Grade auch dadurch gefährdet werden, dass
die Leitung des Wertschriftenanlagefonds Anlagen mit fremden Mitteln
ohne Verpfändung von Fondsaktiven finanziert. Eine befreundete Bank,
z.B. die Depotbank, wird der Fondsleitung dafür unter Umständen auch
ohne Pfand Kredit gewähren. Sie würde die Kursentwicklung aufmerksam
verfolgen und rechtzeitig die Rückzahlung des Darlehens fordern. Sie
hätte solchenfalls in der Regel kein grösseres Risiko, als wenn sie sich
Fondsaktiven als Pfand geben liesse, da die Anleger bei der Liquidation
des Anlagefonds immer erst nach Tilgung aller Fondsschulden befriedigt
werden. Anderseits wäre auch für die Anleger das Risiko mit oder ohne
Verpfändung von Fondsaktiven gleich gross. Nach dem Sinn und Zweck
des Anlagefondsgesetzes, das in erster Linie die Anleger schützen
soll, ist daher Art. 12 Abs. 2 auf den Fall, wo die Leitung eines
Wertschriftenanlagefonds zu dessen Finanzierung fremde Mittel ohne
Verpfändung oder der Sicherstellung dienende Übereignung von Werttiteln
des Fonds aufnimmt, analog anzuwenden. Auch eine nicht in dieser Weise
gesicherte Fremdfinanzierung ist also der Leitung eines solchen Fonds
schlechthin untersagt.

    Dass Art. 12 Abs. 2 AFG nur von der Verpfändung und der
Sicherungsübereignung spricht, ist leicht erklärlich: Als das
Anlagefondsgesetz vorbereitet und erlassen wurde, war bekannt, dass
in den Vereinigten Staaten von Amerika Börsenspekulationen, die für
Rechnung von Wertschriftenanlagefonds unter Verpfändung von Fondsaktiven
vorgenommen worden waren, zu Zusammenbrüchen geführt hatten; man wollte
die dem schweizerischen Recht unterstehenden Fonds dieser Art gegen die
Wiederholung solcher Vorkommnisse schützen (BBl 1965 III 262/3, 305, 320
oben). Offenbar wurde bei der Ausarbeitung des Gesetzes nicht beachtet,
dass auch die Aufnahme von Blankokrediten in gleicher Weise den Interessen
der Anleger abträglich sein kann. Bei der Auslegung des Gesetzes darf
aber über dieses Risiko nicht hinweggesehen werden.

    b) Die von Art. 12 Abs. 2 abweichende Sonderordnung, die nach Art. 35
Abs. 3 AFG für die Immobilienanlagefonds gilt, wird in der Botschaft des
Bundesrates wie folgt begründet (BBl 1965 III 305):

    "Es ist in der Schweiz allgemein üblich, den Erwerb von Liegenschaften
teilweise durch die Aufnahme von Hypotheken zu finanzieren. Die
Fondsleitungen haben in mehr oder weniger grossem Ausmass diese Praxis
übernommen. Sie sichern sich damit eine gewisse Beweglichkeit für
die Planung von Bauten und die Beschaffung von Bauland. Es ist jedoch
bemerkenswert, dass gerade die angesehensten Anlagefonds sich in der
Aufnahme von Schulden deutliche Zurückhaltung auferlegen. Die Möglichkeit,
weitere Hypotheken aufzunehmen, kann ihnen nötigenfalls die Erfüllung
selbst massiver Rücknahmebegehren erleichtern. Sie sind sich ausserdem
bewusst, dass der Anleger mit dem Erwerb von Immobilienzertifikaten
eine sichere Anlage sucht. Je höher die hypothekarische Belastung, um
so spekulativer ist jedoch die Anlage: Eine fühlbare Depression auf dem
Liegenschaftsmarkt könnte bei einer Belastung von 80% des Gestehungspreises
zur völligen Entwertung der Anteilscheine führen. Darum darf nach dem
Entwurf die Belastung im Durchschnitt aller Grundstücke die Hälfte der
Anlagekosten nicht überschreiten."

    Ein Immobilienanlagefonds kann indessen auch mit Hilfe fremder Kredite,
die nicht durch Verpfändung von Fondsgrundstücken sichergestellt sind,
finanziert werden. Es ist durchaus möglich, dass eine vertrauenswürdige
Fondsleitung solche Kredite erhält, wenn sie dem Geldgeber verspricht,
ohne seine Zustimmung keine weiteren grösseren Verbindlichkeiten
einzugehen. Aber in diesem Fall ist das Risiko für die Anleger wiederum
gleich gross wie dann, wenn Fondswerte verpfändet werden, weil bei der
Liquidation jedes Anlagefonds alle - auch die nicht pfandversicherten -
Forderungen Dritter vorweg befriedigt werden müssen. Die Grenze, über
welche gemäss dem Wortlaut des Art. 35 Abs. 3 AFG die Verpfändung der
Fondsgrundstücke für Fondsschulden nicht hinausgehen darf, muss daher
nach dem Sinn des Gesetzes auch für die nicht in dieser Weise gesicherten
Verbindlichkeiten für Rechnung des Fonds gelten; die Bestimmung ist also
auf solche Schulden analog anwendbar. Es ist unerheblich, dass derartige
Verbindlichkeiten weder in der Botschaft und im Entwurf des Bundesrates
noch im Gesetz ausdrücklich erwähnt sind - was wohl darauf zurückzuführen
ist, dass sie bisher in der Schweiz nicht gebräuchlich waren. Würde Art. 35
Abs. 3 AFG entsprechend der Auffassung der Beschwerdeführerin nach dem
Buchstaben ausgelegt, so wäre der Umgehung der dort zum Schutze der
Interessen der Anleger aufgestellten Belastungsgrenze Tür und Tor geöffnet.

Erwägung 3

    3.- Nun geht aber die 50% der Anlagekosten überschreitende
hypothekarische Belastung der zum "West Fund" gehörenden Grundstücke auf
die Zeit vor dem Inkrafttreten des AFG zurück. Wenn die Beschwerdeführerin
die damals eingegangenen Verpflichtungen erfüllt, handelt sie "in
richtiger Ausführung des (zur Zeit der Kreditgewährung rechtsgültigen)
Kollektivanlagevertrages". Sie hat deshalb grundsätzlich Anspruch auf
Befreiung von diesen Verbindlichkeiten zulasten des Fondsvermögens. Aber
sie muss nach Art. 53 Abs. 2 AFG die Belastung der Aktiven des Fonds innert
bestimmter Frist - nach der angefochtenen Verfügung bis Ende Juni 1972 - an
Art. 35 Abs. 3 AFG anpassen. Nach dem Gesagten genügt es jedoch nicht, dass
sie den oder die Kreditgeber für den 50% der Anlagekosten übersteigenden
Teil der Kreditsumme auf das Pfandrecht verzichten lässt; vielmehr ist
die Fremdfinanzierung des Fonds schlechthin soweit herabzusetzen, dass
sie die 50% nicht überschreitet. Die Beschwerdeführerin wird zu diesem
Zweck gegebenenfalls einen Teil der Aktiven des Fonds veräussern müssen. In
einem Falle, wie er hier vorliegt, könnte eine Fondsleitung genötigt sein,
gerade die am besten verkäuflichen Objekte zu verwerten, um Verluste
zu vermeiden; nach Durchführung einer solchen Transaktion könnte sich
unter Umständen ergeben, dass die Risiken der Anleger tatsächlich nicht
vermindert wären. Angesichts des klaren Textes des Art. 53 Abs. 2 AFG
verstösst jedoch die Anordnung der Aufsichtsbehörde, dass die Belastung
der Fondsaktiven an Art. 35 Abs. 3 AFG anzupassen sei, nicht gegen das
Bundesrecht, jedenfalls dann nicht, wenn die Fondsleitung nicht gezwungen
wird, offensichtlich zur Unzeit und entgegen den eindeutigen Interessen
der Anleger einen Teil der Aktiven zu verwerten. Dass die angefochtene
Verfügung die Beschwerdeführerin in eine solche Zwangslage versetze,
wird indessen nicht behauptet und ist nicht anzunehmen. Die Verfügung
ist nicht zu beanstanden.