Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 860



97 I 860

123. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1971 i.S. Käsereigenossenschaft
Althäusern gegen Aargauischen Milchverband, Suhr und Abteilung für
Landwirtschaft. Regeste

    Ablieferung von Überschussmilch einer Käserei; V über die Verwertung
der Verkehrsmilch vom 30. April 1957 (VMV).

    1.  Unter welchen Voraussetzungen hat ein Milchverband sich der
Ausübung der ihm übertragenen öffentlichrechtlichen Funktionen zu
enthalten? (Erw. 4).

    2.  Auch ein Vertrag über die Lieferung von Überschussmilch einer
Käserei an milchverarbeitende Dritte bedarf zu seiner Gültigkeit der
Genehmigung nach Art. 15 VMV. (Erw. 6).

    3.  Die Milchgenossenschaften sind auch bezüglich der Verwertung
von solcher Überschussmilch an die Weisungen der zuständigen Sektion des
Zentralverbandes gebunden (Erw. 7).

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    A.- Der Verband aargauischer Käserei- und Milchgenossenschaften, Suhr
(AMV), verfügte am 31. März 1967, die Käsereigenossenschaft Althäusern
habe die notwendigen Massnahmen einzuleiten, um ab 1. Januar 1968
sämtliche Milch zu Sbrinz verarbeiten zu können. Auf Beschwerde hin hob
die Abteilung für Landwirtschaft des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements
diese Verfügung am 12. Mai 1970 auf, wies die Käsereigenossenschaft
Althäusern an, ihre Milch im Rahmen der bestehenden Kapazitäten vorläufig
weiterhin auf Emmentaler zu verarbeiten und beauftragte den AMV, mit
den Käsereigenossenschaften Althäusern, Besenbüren und Rottenschwil
Verhandlungen über eine allfällige Zusammenlegung der drei Genossenschaften
zur zentralen Verarbeitung der Milch aufzunehmen und hierüber bis 1. Mai
1972 Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen. Dieser Beschwerdeentscheid
blieb unangefochten.

    Nachdem ihr der Milchkäufer auf den 1. November 1970 gekündigt hatte,
stellte die Käsereigenossenschaft Althäusern einen Lohnkäser ein, der
die Emmentalerfabrikation weiterführte. Ausserdem verpflichtete sie sich
vertraglich, ab 1. November 1970 ihre Überschussmilch der Schweizerischen
Milchgesellschaft AG, Hochdorf (SMG), abzuliefern.

    B.- Am 22. Oktober 1970 verfügte der AMV, die Genossenschaft habe ihm
die Überschussmilch ab 1. November 1970 als Aushilfsmilch abzuliefern. Die
Abteilung für Landwirtschaft wies am 27. Mai 1971 die gegen diese Verfügung
gerichtete Beschwerde der Genossenschaft ab und ordnete in Ziff. 2 und
3 des Dispositivs ihres Entscheides an:

    "2. Die Schweizerische Milchgesellschaft AG Hochdorf wird angewiesen,
den unrechtmässigen Bezug der Überschussmilch der Käsereigenossenschaft
Althäusern unverzüglich einzustellen.

    3. Die Käsereigenossenschaft Althäusern hat gemäss Entscheid vom
22. Oktober 1970 die Überschussmilch ab sofort an den aargauischen
Milchverband, Suhr, abzuliefern."

    Am 6. Mai 1971 hatte der AMV noch verfügt, die Genossenschaft habe,
soweit es die Platzverhältnisse im Käsespeicher erlaubten, pro Tag 2 Laib
Emmentalerkäse zu fabrizieren, was eine Mehrfabrikation von ca. 15 Laib
pro Monat bedeute. Diese Verfügung blieb unangefochten.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
die Käsereigenossenschaft Althäusern die Aufhebung des Entscheides der
Abteilung für Landwirtschaft vom 27. Mai 1971 und des Entscheides des
AMV vom 22. Oktober 1970. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich,
soweit wesentlich, aus den rechtlichen Erwägungen.

    D.- Während die SMG in ihrer Vernehmlassung die Beschwerdeführerin
unterstützt, beantragen der AMV und die Abteilung für Landwirtschaft,
die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der AMV sei gar nicht
zuständig gewesen, die Verfügung vom 22. Oktober 1970 zu erlassen. Damit
will sie aber offenbar nicht bestreiten, dass der AMV an sich die zum
Erlass der fraglichen Weisung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 VMV zuständige
Sektion des Zentralverbandes Schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM)
war. Sie vertritt vielmehr die Ansicht, er hätte im vorliegenden Falle
in Ausstand treten sollen, da seine Interessen hier ihren eigenen
widersprächen, er somit nicht objektiv habe entscheiden können. Dabei
beruft sie sich auf Art. 10 VwG und auf das bereits erwähnte Gutachten
Kaufmann vom 31. Oktober 1961.

    Art. 10 VwG über die Ausstandsgründe im Verwaltungsverfahren findet,
wie das Bundesgericht erst kürzlich festgestellt hat, wohl auf natürliche
Personen Anwendung, die eine Verfügung zu treffen oder vorzubereiten
haben, nicht aber auf eine Behörde oder einen Verband als solchen
(unveröffentlichtes Urteil i.S. Zurlinden vom 23. Juli 1971). Aus ihm
lässt sich somit nicht ableiten, der AMV hätte im vorliegenden Falle in
Ausstand treten sollen.

    Nach dem Gutachten Kaufmann ergibt sich aus dem Grundgedanken der
Übertragung öffentlichrechtlicher Funktionen an die Milchverbände, dass
diese in Angelegenheiten, in denen sie eigene finanzielle Interessen haben,
hinsichtlich ihrer öffentlichrechtlichen Funktionen in Ausstand treten
müssen. Dem ist insofern zuzustimmen, als eine ungeschriebene Regel den
Milchverband verpflichtet, sich der Ausübung seiner öffentlichrechtlichen
Funktionen zu enthalten, wenn seine privaten Interessen unmittelbar
und offenkundig denen anderer Beteiligter entgegenstehen. Darüber
hinaus anzunehmen, der Milchverband habe bei jeder Verfügung, an der
neben verbandseigenen auch verbandsfremde Personen interessiert sind,
wegen Befangenheit in Ausstand zu treten, hiesse hingegen, wie auch im
Gutachten Kaufmann angetönt wird, die ganze gegenwärtige Organisation
der Konsummilchversorgung und Milchverwertung in Frage stellen, denn
diese Organisation führt ihrer Natur nach immer wieder zu gewissen
Interessenkollisionen zwischen Milchverbänden einerseits und ihren
Mitgliedern oder Dritten anderseits. An den Milchverbänden liegt
es dann jeweils, sich ihrer öffentlichrechtlichen Aufgabe würdig zu
zeigen und unter Hintanstellung von Privat- oder Verbandsinteressen
objektiv zu entscheiden. Ausserdem hat die Abteilung für Landwirtschaft
als Aufsichts- und gegebenenfalls Beschwerdeinstanz darüber zu wachen,
dass keine Missbräuche vorkommen. Sollte aber, wie die SMG behauptet, die
vom Parlament und Bundesrat beschlossene Organisation unter den heutigen
Verhältnissen wirklich nicht mehr genügen, so wäre es jedenfalls nicht
Sache des Bundesgerichts, hier Abhilfe zu schaffen.

    Ein offenkundiger und unmittelbarer Konflikt zwischen den privaten
Interessen des Verbandes und jenen der Beschwerdeführerin liegt nicht vor.
Ein offenkundiger Konflikt könnte eventuell zwischen dem AMV und der SMG
bestehen; um solche Konflikte zu vermeiden, bestimmt Art. 15 Abs. 4 VMV,
dass die Genehmigung (oder Nichtgenehmigung) von Milchlieferungsverträgen
mit Fabriken Sache des ZVSM ist. Dagegen ist grundsätzlich keine
Ausstandspflicht des regionalen Milchverbandes anzunehmen für Anordnungen,
durch die eine Milchgenossenschaft zur Ablieferung von Aushilfsmilch
i.S. von Art. 6 VMV an den Verband verpflichtet wird. Ob die vom AMV
angeforderte Milch von ihm wirklich als Aushilfsmilch benötigt wird,
hat mit der Frage seiner allfälligen Befangenheit nichts zu tun, sondern
ist gegebenenfalls von der Beschwerdeinstanz materiell zu überprüfen.

Erwägung 5

    5.- ...

Erwägung 6

    6.- In materieller Hinsicht ist vorab zu prüfen, ob die Käsereien, wie
die Beschwerdeführerin behauptet, frei über jenen Teil der eingelieferten
Milch verfügen können, den sie nicht für die ihnen vorgeschriebene
Käseproduktion benötigen, oder ob auch diese sog. "Überschussmilch" von den
Bestimmungen der Verkehrsmilchverordnung erfasst wird und ihre Verwertung
somit Gegenstand von Weisungen des ZVSM und seiner Sektionen bilden kann.

    Weder der Milchbeschluss noch die Verkehrsmilchverordnung erwähnen
die Überschussmilch ausdrücklich. Das will aber nicht heissen, für die
Überschussmilch gelte eine Sonderregelung im Sinne der Beschwerdeführerin.
Diese Milch ist ein Teil der von den Produzenten für den Konsum oder zur
Verarbeitung in Verkehr gebrachten Milchmenge, also Verkehrsmilch im Sinne
von Art. 5 MB, und unterliegt deshalb mangels einer Ausnahmebestimmung
den Vorschriften der Verkehrsmilchverordnung.

    Nach der VMV ist zu unterscheiden zwischen der ständigen Lieferung
von Konsummilch (Art. 4 und Art. 5 Abs. 2 VMV) und der Lieferung
von Aushilfsmilch (Art. 6 VMV). Unter Aushilfsmilch im Sinne von
Art. 6 VMV ist jedenfalls in erster Linie die Milch zu verstehen,
die vorübergehend zur Deckung des Bedarfs an Frischmilch, Joghurt und
Milchmischgetränken benötigt wird, normalerweise aber zentrifugiert
oder auf Käse oder Dauermilchwaren verarbeitet wird (vgl. Art. 6 Abs. 4
und Art. 13 VMV). Überschussmilch ist eine Milchmenge, die je nach
den Einlieferungen der Milchproduzenten in geringerem oder grösserem
Masse täglich in der Käserei anfällt. Derartige Milch darf nach Art. 15
VMV an milchverarbeitende Dritte und somit an Fabriken nur geliefert
werden auf Grund eines vom Regionalverband bzw. vom ZVSM abgeschlossenen
bzw. genehmigten Milchkauf- oder Milchlieferungsvertrages. Überschussmilch
ist diesbezüglich nicht anders zu behandeln als andere Milch.

    Die Beschwerdeführerin behauptet freilich, einer seit jeher bestehenden
Praxis zufolge bleibe die Überschussmilch der freien Verfügung der
Käsereien überlassen. Sie unterlässt es aber, diese Praxis nachzuweisen
oder auch nur Beweise für eine derartige Praxis anzubieten. Zudem wäre eine
solche Praxis mit Art. 15 Abs. 2 VMV kaum vereinbar. Der AMV erklärte denn
auch, er habe die Überschussmilch nie freigegeben. Frei sei lediglich
die aus allfälliger Zentrifugierung anfallende Magermilch. Vergebens
führt die Beschwerdeführerin auch an, dass der in Rechtskraft erwachsene
Beschwerdeentscheid der Abteilung für Landwirtschaft vom 12. Mai 1970
sich über die Verwertung der Überschussmilch ausschweigt. Nichts lässt
den Schluss zu, die Abteilung für Landwirtschaft habe in jenem Entscheid
der Beschwerdeführerin die freie Verfügung über ihre Überschussmilch
einräumen wollen, stand doch diese Frage damals gar nicht zur Diskussion.

    Die somit auch für Verträge über die Lieferung von Überschussmilch
erforderliche Genehmigung nach Art. 15 VMV steht im vorliegenden Falle
unbestrittenermassen aus. Der Vertrag zwischen der Beschwerdeführerin
und der SMG ist deshalb ungültig und die in Dispositiv-Ziffer 2 des
angefochtenen Entscheides enthaltene Weisung der Vorinstanz an die
SMG, den Bezug von Überschussmilch der Beschwerdeführerin unverzüglich
einzustellen, begründet.

Erwägung 7

    7.- Darüber, wie die Überschussmilch bis zur Genehmigung eines
entsprechenden Vertrages mit Dritten zu verwerten ist, enthält die
VMV keine Bestimmungen. Doch kann daraus nicht geschlossen werden,
die Milchgenossenschaften seien in dieser Hinsicht frei. Sie haben
sich vielmehr auch darin nach den Weisungen der zuständigen Sektion
des Zentralverbandes zu richten (Art. 7 Abs. 1 VMV). Da im vorliegenden
Fall das Zentrifugieren durch die Beschwerdeführerin selbst nicht zur
Diskussion steht, bleibt als einzige Lösung vorläufig die Ablieferung
der Überschussmilch an den AMV.

    Wie der Verband unter solchen Umständen die abgelieferte Milch
verwertet, ist nicht entscheidend. Es braucht deshalb im vorliegenden
Verfahren auch nicht abgeklärt zu werden, ob er sie tatsächlich - wie er
behauptet, die Beschwerdeführerin aber bestreitet - als Aushilfsmilch
benötigt. Diese Frage wird von der Abteilung für Landwirtschaft und
gegebenenfalls vom Bundesgericht erst zu entscheiden sein, wenn die
Beschwerdeführerin beim ZVSM um die Genehmigung des Vertrages mit der
SMG nachgesucht hat und ihr diese Genehmigung in einer beschwerdefähigen
Verfügung (Art. 35 VwG) vom ZVSM verweigert worden ist.

    Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.