Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 809



97 I 809

116. Auszug aus dem Urteil vom 15. Dezember 1971 i.S.

    Gerber und Wimmer gegen Einwohnergemeinde Muri  und Verwaltungsgericht
des Kantons Bern. Regeste

    Eigentumsgarantie, Art. 4 BV; materielle Enteignung.

    1.  Verhältnis zwischen formeller und materieller Enteignung;
Bemessungszeitpunkt für die Entschädigung bei materieller Enteignung
(Erw. 1).

    2.  Wird die Enteignungsentschädigung nicht im Zeitpunkt der Bemessung
ausbezahlt, so kann das Gemeinwesen verpflichtet werden, diese Leistung
von dem Tage an zu verzinsen, an dem der Entschädigungsanspruch erstmals
in unverkennbarer Weise geltend gemacht wird (Erw. 3 a).

    Willkürliche Anwendung dieser Regel im vorliegenden Falle (Erw. 3 b).

Sachverhalt

                   Auszug aus dem Sachverhalt:

    A.- Die Einwohnergemeinde Muri bei Bern beschloss am 25.  Mai 1956
einen Alignementsplan mit Sonderbauvorschriften, einen neuen Bauzonenplan
und eine Revision des Baureglementes. Durch den am 2. Oktober 1956 vom
Regierungsrat des Kantons Bern genehmigten Alignementsplan "Halden"
mit Sonderbauvorschriften wurden die Parzelle Nr. 56 des Rudolf Gerber
vollständig und die Parzelle Nr. 175 des Wilhelm Wimmer teilweise mit
einem Bauverbot belegt. Im Genehmigungsbeschluss des Regierungsrates wird
festgestellt, die Gemeinde Muri anerkenne, dass es sich um eine Massnahme
der Zwangsenteignung handle, und habe sich zum Ankauf des vom Bauverbot
betroffenen Terrains bereit erklärt. Ein Kaufvertrag kam jedoch in der
Folge nicht zustande.

    B.- Mit Eingabe vom 10. Oktober 1966 ersuchten die
beiden Grundeigentümer Gerber und Wimmer die zuständige
Enteignungs-Schätzungskommission Kreis 2 um Festsetzung der ihnen von der
Gemeinde Muri geschuldeten Enteignungsentschädigungen für die Parzellen Nr.
56 und 175.

    Mit Entscheid vom 15. April 1969 entsprach die Kommission diesem
Begehren. Für die Bewertung teilte sie die in Frage stehenden Grundstücke
in vier verschiedene Zonen ein: Waldabstandszone, Bauzone, Hangzone,
Lischland. Sie zog sodann in Erwägung, dass bei einer Überbauung die
Grundeigentümer zweifellos zur Leistung von Beiträgen an den Ausbau der
Haldenstrasse verpflichtet worden wären und brachte den dafür mutmasslich
geschuldeten Betrag vom Verkehrswert in Abzug. Die Schätzungskommission
kam auf diesem Wege zu folgenden Entschädigungen:

    a) für Rudolf Gerber:

    3350 m2 Waldabstandsland  à Fr. 45.-  FR. 150'750.--

    3810 m2 Bauland  "" 130.--  " 495'300.--

    2660 m2 Hangland  ""  20.-  "  53'200.--

    3247 m2 Lischland  ""   1.-  "   3'247.--
        FR. 702'497.-- abzüglich mutmasslicher Grundeigentümerbeitrag

    an den Ausbau der Erschliessungsstrasse    Fr. 18'000.--
      Total  Fr. 684'497.--

    b) für Wilhelm Wimmer:

    1890 m2 Waldabstandsland  à Fr. 45.-  FR. 85'050.--

    2950 m2 Bauland  "" 130.--  " 383'500.--

    1500 m2 Hangland  ""  20.-  "  30'000.--

    2530 m2 Lischland  ""   1.-  "   2'530.--
        FR. 501'080.--

    abzüglich Grundeigentümerbeitrag

    an den Ausbau der Erschliessungsstrasse    Fr. 12'000.--
      Total = Fr. 489'080.-->

    C.- Den Entscheid der Schätzungskommission zog die Gemeinde
Muri an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern weiter. Dieses ging
davon aus, dass der Einbezug der beiden Parzellen in die Grün- und
Landschaftsschutzzone und ihre Belegung mit einem Bauverbot eine
öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung darstelle, die nach den
Grundsätzen der materiellen Enteignung zu entschädigen sei. Es entschied,
im vorliegenden Falle setze sich die Entschädigung aus dem Verkehrswert
der Parzellen per 2. Oktober 1956 (Genehmigung des Alignementsplanes) und
der Steigerung des Kulturlandwertes vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969
(Entscheid der Schätzungskommission) zusammen.

    Gestützt auf eine gerichtliche Expertise setzte es folgende
Entschädigungen fest:

    R. Gerber:

    Verkehrswert der Parzelle Nr. 56 als Bauland per 2. Oktober 1956: Fr.
509'300.--

    zuzüglich Wertsteigerung des Kulturlandes entsprechend der
Verkehrswertdifferenz vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969 (Fr. 32'700.--
minus Fr. 23'600.--): Fr. 9'100.--

    Enteignungsentschädigung: Fr. 518'400.--

    W. Wimmer:

    Verkehrswert der Parzelle Nr. 175 als Bauland per 2. Oktober 1956: Fr.
303'900.--

    zuzüglich Wertsteigerung des Kulturlandes entsprechend der
Verkehrswertdifferenz vom 2. Oktober 1956 bis 15. April 1969 (Fr. 20'100.--
minus Fr. 14'600.--): Fr. 5'500.--

    Enteignungsentschädigung: Fr. 309'400.--

    Das Verwaltungsgericht bestimmte überdies, dass jener Teil der
Enteignungsentschädigung, der als Schadenersatz für das Bauverbot zu
betrachten sei, von dem Zeitpunkt an zu 5% verzinst werden müsse, in
welchem die Enteigneten ihre Ansprüche gegenüber dem Gemeinwesen erstmals
in aller Form geltend gemacht hätten.>

    D.- Rudolf Gerber und Wilhelm Wimmer reichten gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts wegen Verletzung von Art. 4 und Art. 22 ter BV
staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, die Entschädigungen im
Sinne der in der Beschwerde enthaltenen Erwägungen neu festzusetzen.

    Die Begründung der Beschwerde geht soweit wesentlich aus den
nachfolgenden Erwägungen hervor.

    E.- Die Einwohnergemeinde Muri beantragt die Abweisung der
staatsrechtlichen Beschwerde. In gleichem Sinne liess sich das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern vernehmen, ohne einen ausdrücklichen
Antrag zu stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zwischen den Beschwerdeführern einerseits und der Einwohnergemeinde
Muri anderseits ist in erster Linie der Bemessungszeitpunkt für die
unbestrittenermassen geschuldete Entschädigung streitig. Die These, es
sei auf den Zeitpunkt des Entscheides der Schätzungskommission, nicht auf
den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen,
wird in der Beschwerde alternativ auf zwei Argumente gestützt: Einerseits
wird geltend gemacht, zur Zeit der Beschlussfassung über dieses Bauverbot
(1956) habe man im Kanton Bern zwischen formeller und materieller
Enteignung gar nicht unterschieden und in jedem Fall die Entschädigung
nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Schätzung bemessen. Anderseits
wird für den Fall der Unterscheidung zwischen formeller und materieller
Enteignung die Auffassung vertreten, es handle sich hier um eine formelle,
nicht um eine materielle Enteignung, da die Beschwerdeführer von Anfang
an (gemäss § 13 Abs. 2 Ziff. 2 des Alignementsgesetzes) die Übernahme der
mit Bauverbot belegten Parzellen verlangt hätten und die Einwohnergemeinde
sich zur Übernahme bereit erklärt habe.

    a) Als die hier in Frage stehende Grünzone geschaffen wurde, galt
im Kanton Bern noch das sogenannte Alignementsgesetz von 1894 (Gesetz
betreffend die Aufstellung von Alignementsplänen und von baupolizeilichen
Vorschriften durch die Gemeinden vom 15. Juli 1894). Weder dieses Gesetz
noch das damals geltende Enteignungsgesetz vom 2. September 1868 enthalten
allgemeine Vorschriften über den Tatbestand, der heute als materielle
Enteignung bezeichnet wird. Das alte Enteignungsgesetz geht dort, wo
es von Eigentumsbeschränkungen spricht, davon aus, dass es sich um die
formelle Einräumung von Rechten (Dienstbarkeiten) handelt, nicht um
öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen im heutigen Sinne. In §
13 Abs. 2 Ziff. 3 des Alignementsgesetzes - 1894 - wird ein Sonderfall
der materiellen Enteignung geregelt:

    "Wenn die Gemeinde vorschreibt, dass eine Strasse nur auf einer Seite
bebaut werden dürfe, so können die Eigentümer solcher auf der andern
Seite gelegener Grundstücke, welche sich sonst zum Bauen eignen würden,
von der Gemeinde sofortige Übernahme der Grundstücke gegen Vergütung ihres
Wertes vor der Beschränkung oder Ersatz für den durch die Beschränkung
entstehenden Minderwert verlangen."

    In Abs. 1 von § 13 wird der Grundsatz aufgestellt, dass - abgesehen
von den in Abs. 2 geregelten Ausnahmen - "wegen der in diesem Gesetz
auferlegten Beschränkung der Baufreiheit" eine Entschädigung nicht verlangt
werden könne.

    In Art. 30 des Gesetzes über die Bauvorschriften vom 26. Januar 1958,
welches das Alignementsgesetz von 1894 aufhob, wurde dann die Frage der
Entschädigungspflicht für Grün- oder Freiflächen folgendermassen geregelt:

    "Der Eigentümer kann verlangen, dass die Gemeinde nach ihrer Wahl
entweder das Grundstück sofort erwerbe oder ihm für den Entzug der
Baufreiheit Schadenersatz leiste, wenn das Land für eine Grün- oder
Freifläche (Art. 9) beansprucht wird."

    Weder diesen gesetzlichen Vorschriften noch den von den
Beschwerdeführern zitierten Entscheidungen lässt sich entnehmen,
dass im Kanton Bern 1956 bei materieller Enteignung die Schätzung
als Bemessungszeitpunkt betrachtet worden sei. Soweit eine
Entschädigungspflicht anerkannt wurde, ist von sofortiger Übernahme
bzw. von "Ersatz für den durch die Beschränkung entstehenden Minderwert"
die Rede. Die Frage von Preisschwankungen zwischen dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens einer Beschränkung und der Schätzung ist in diesen
Vorschriften nicht ausdrücklich geregelt; aus dem Wortlaut ist aber doch
eher zu schliessen, dass das Inkrafttreten der Beschränkung massgebend
sein soll. Fehlt für die gegenteilige Ansicht jeder konkrete Anhaltspunkt,
so verstösst die mit der heute herrschenden Auffassung übereinstimmende
Lösung des bernischen Verwaltungsgerichts, wonach grundsätzlich bei
materieller Enteignung - auch wenn sie 1956 erfolgt ist, - für die
Bemessung der Entschädigung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der
Eigentumsbeschränkung abzustellen ist, weder gegen Art. 4 BV noch gegen
die Eigentumsgarantie. Dass das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
der Wahl dieses Bemessungszeitpunktes im Widerspruch zu einer konstanten
Praxis der Berner Enteignungsbehörden stehe und daher gegen den Grundsatz
von Treu und Glauben verstosse, ist in keiner Weise belegt.

    b) Die Beschwerdeführer bestreiten an sich nicht, dass bei materieller
Enteignung heute richtigerweise in der Regel die Verhältnisse im
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung für die Bemessung
der Entschädigung massgebend sind (BGE 93 I 144; bern. Enteignungsgesetz
1965 Art. 21 Abs. 2). Sie vertreten jedoch die Auffassung, diese Regel
komme im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil es sich gar nicht
um eine materielle Enteignung handle.

    Aus den Akten ergibt sich, dass die Gemeinde schon 1956 die
Bereitschaft erklärte, die mit einem Bauverbot belegten Flächen zu
übernehmen. Dieser Umstand macht die materielle Enteignung jedoch nicht
zu einer formellen Enteignung. Das Wesen der sogenannten materiellen
Enteignung besteht darin, dass die Folgen öffentlich-rechtlicher
Eigentumsbeschränkungen nachträglich entschädigt werden, weil sie
als enteignungsähnlich zu qualifizieren sind. Die formelle Enteignung
hingegen schafft die Voraussetzungen für den Übergang von Rechten auf
den Enteigner. Die formelle Enteignung steht nach ihrer Struktur und
Funktion dem Vertrag näher; sie geht grundsätzlich der zwangsweisen
Übertragung des Rechtes voran, während bei der sogenannten materiellen
Enteignung der durch den enteignungsähnlichen Eingriff bewirkte Schaden
hinterher - nach Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung - festgesetzt
und vergütet wird (vgl. hiezu BGE 93 I 143). - Bringt man diese Kriterien
auf den vorliegenden Fall zur Anwendung, so lässt sich nicht bezweifeln,
dass das durch den Alignementsplan geschaffene Bauverbot unter den Begriff
der materiellen Enteignung zu subsumieren ist: Es geht nicht um den Erwerb
eines Rechtes auf dem Wege der formellen Enteignung, sondern um die Frage
der Entschädigung des durch die öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung
bewirkten enteignungsähnlichen Eingriffs. Dass das entschädigungspflichtige
Gemeinwesen und die Grundeigentümer übereingekommen sind, statt der blossen
Entschädigung des Minderwertes solle die Übernahme der Parzellen erfolgen,
ändert an der rechtlichen Natur des die Entschädigungspflicht auslösenden
Eingriffs und an der Bemessung des dadurch bewirkten Schadens nichts
(anderer Auffassung WIEDERKEHR, Expropriationsentschädigung S. 165). Die
materielle Enteignung wird durch die Übernahme des Grundstückes nicht
in eine formelle Enteignung umgewandelt, sondern lediglich allenfalls
durch eine formelle Expropriation ergänzt, soweit es um die Bewertung
und Übernahme des bereits durch die Eigentumsbeschränkung belasteten, auf
den Kulturlandwert reduzierten Grundstückes geht. Das Inkrafttreten der
Eigentumsbeschränkung hat aber in jedem Falle den Minderwert verursacht
und eine nachfolgende Wertsteigerung als Bauland verhindert. Insoweit
ist eine formelle Enteignung weder nötig noch möglich. Die Argumente,
welche bei materieller Enteignung im allgemeinen für die Bemessung
der Entschädigung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beschränkung
sprechen, gelten, inbezug auf die Feststellung des infolge eines
Bauverbotes eingetretenen Minderwertes auch für den Fall der spätern
Übernahme des belasteten Grundstückes durch das entschädigungspflichtige
Gemeinwesen, immer unter der Voraussetzung, dass die enteignungsähnliche
Wirkung der Eigentumsbeschränkung im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens
erkennbar ist und dass der Betroffene seinen Entschädigungsanspruch
sofort geltend machen kann (BGE 93 I 146). Im vorliegenden Fall ist
unbestritten, dass die enteignungsähnliche Wirkung des Bauverbotes
sogleich erkennbar war und dass den Grundeigentümern ein Rechtsweg
zur Geltendmachung ihrer Entschädigungsansprüche offen stand. Da die
enteignungsähnliche Beschränkung unabhängig von der Festsetzung und
Bezahlung einer Entschädigung in Kraft tritt, hat das den Eingriff
bewirkende Gemeinwesen kein Interesse daran, das Entschädigungsverfahren
in Gang zu setzen, sondern wird die Initiative weitgehend dem betroffenen
Grundeigentümer überlassen, der zu beurteilen hat, ob der Eingriff für ihn
enteignungsähnlich wirkt und ob er deshalb eine Entschädigung beanspruchen
will. Bei dieser Situation soll der Betroffene nicht durch spekulatives
Zuwarten die Bemessung der Entschädigung beeinflussen können. Ob
das entschädigungspflichtige Gemeinwesen schliesslich das Grundstück
übernimmt oder ob es nur den durch die Eigentumsbeschränkung verursachten
Minderwert vergütet, vermag die Bemessung des primär verursachten
Minderwertes nicht zu beeinflussen. Aus der dogmatischen Erwägung, dass
die Eigentumsbeschränkung als solche eine gewisse Verwendungsmöglichkeit
eo ipso beseitigt und dass daher spätere Preissteigerungen, welche sich
auf diese bereits beseitigte Verwendungsmöglichkeit beziehen, für die
Entschädigung unbeachtlich sind sowie aus der praktischen Überlegung,
dass der Bemessungszeitpunkt fest und spekulativen Manipulationen entzogen
sein muss, erscheint der Entscheid der Vorinstanz als richtig. Sie hat
den Minderwert nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Inkrafttretens
des Bauverbotes (1956) bemessen und beim verbleibenden Kulturlandwert die
Preissteigerung bis zum Datum der Schätzung berücksichtigt. Dieses Vorgehen
entspricht dem verfassungsmässigen Grundsatz der vollen Entschädigung.

    Eine Einschränkung wäre nur zu machen, sofern die betroffenen
Grundeigentümer nicht von Anfang an die Möglichkeit zur Geltendmachung
ihrer Ansprüche gehabt hätten oder wenn sie vom entschädigungspflichtigen
Gemeinwesen gegen Treu und Glauben von der formellen Einleitung eines
Schätzungsverfahrens abgehalten worden wären. Das wird nun aber im
vorliegenden Verfahren nicht behauptet. Im Beschluss des Regierungsrates
vom 2. Oktober 1956 über die Genehmigung des Alignementsplanes heisst
es ausdrücklich, dass Entschädigungsansprüche von den Einsprechern
gegebenenfalls vor dem Expropriationsrichter geltend zu machen
seien. Dieser Weg wurde trotzdem zunächst nicht eingeschlagen. Es fanden
angeblich mündliche Verhandlungen statt, die aber nicht zu einer Einigung
führten. Erst im Jahre 1963 wandten die Beschwerdeführer sich schriftlich
an die Gemeinde. - Es besteht somit kein Anlass, im vorliegenden Falle von
dem grundsätzlich als zweckmässig und richtig erkannten Bemessungszeitpunkt
bei materieller Enteignung abzuweichen. Ob die Beschwerdeführer tatsächlich
aus spekulativen Gründen zunächst von der formellen Durchsetzung ihrer
Ansprüche absahen oder ob andere Überlegungen zur Verzögerung führten, ist
hier ohne Belang. Auf jeden Fall fehlt der Nachweis einer tatsächlichen
oder rechtlichen Behinderung, welche das Abstellen auf den Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Bauverbotes als unbegründet erscheinen liesse.

    2. -- ...>

Erwägung 3

    3.- Im angefochtenen Entscheid wird festgestellt, dass
die Beschwerdeführer im Rahmen ihres gesetzlichen Anspruchs auf
volle Entschädigung auch Anspruch auf einen Zins auf jenem Teil der
Enteignungsentschädigung haben, der als Schadenersatz für das Bauverbot
zu betrachten ist. Der Zinsanspruch beginnt - nach dem Urteil des
Verwaltungsgerichts - in dem Zeitpunkt, "in welchem der Enteignete seinen
Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen in aller Form geltend
macht". Demgegenüber bringen die Beschwerdeführer vor, richtigerweise
sei der Zins vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung
an zu zahlen. Auf dieses Vorbringen ist einzutreten, obschon die
Beschwerdeführer im Verfahren vor Verwaltungsgericht keinen Zins verlangt
haben; das Verwaltungsgericht hatte das Recht von Amtes wegen anzuwenden
und neue rechtliche Vorbringen sind daher in der staatsrechtlichen
Beschwerde nicht ausgeschlossen (BGE 95 I 132 Erw. 5 und 655 Erw. 5).

    a) Zunächst ist zu prüfen, ob die vom Verwaltungsgericht in Ermangelung
einer gesetzlichen Ordnung aufgestellte Regel mit der Eigentumsgarantie
im Einklang steht. In der Ausgestaltung der Einzelheiten ihres
Enteigungsrechtes sind die Kantone im Rahmen der Eigentumsgarantie
frei. Das Bundesgericht auferlegt sich dementsprechend bei der
Überprüfung kantonaler Entscheide eine gewisse Zurückhaltung, wenn, wie
im vorliegenden Falle inbezug auf die Verzinsung der Entschädigungssumme,
diese Gestaltungsfreiheit der Kantone in Frage steht. Unter dem Aspekt
des Verfassungsrechtes ist bei solchen Fragen nicht eine "allein richtige
Lösung" zu bestimmen, sondern lediglich festzustellen, ob die vom Kanton
gewählte Ordnung mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist.

    Der verfassungsrechtliche Anspruch auf volle Entschädigung darf
nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass das entschädigungspflichtige
Gemeinwesen die Zahlung der Entschädigung verzögert und so den
Anspruchsberechtigten hindert, die ihm zustehende Entschädigungsleistung
zu nutzen. Als Ausgleich eines solchen zusätzlichen Schadens durch
die zeitliche Hinausschiebung der Zahlung kann ein Zins zugesprochen
werden. Der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie könnte auch eine andere
Form des angemessenen Ausgleichs gerecht werden. Mit der Zusprechung
eines Zinses von 5% - analog dem Ansatz in OR Art. 73 und Art. 104
- hat das Verwaltungsgericht eine Lösung getroffen, welche mit der
verfassungsmässigen Eigentumsgarantie vereinbar ist.

    Das gleiche gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, der
Beginn des Zinsenlaufs setze eine gewisse Aktivität des betroffenen
Grundeigentümers voraus. Enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkungen,
die eine Entschädigungspflicht des Gemeinwesens nach sich ziehen,
können nicht ohne weiteres zivilrechtlicher Schadensverursachung oder
dem formellen Entzug einer Eigentümerbefugnis gleichgestellt werden. Die
Eigentumsbeschränkung beeinträchtigt unter Umständen die vom Eigentümer
gewollte Nutzung des Landes nicht und wird von ihm entschädigungslos
akzeptiert. Während im Haftpflichtrecht kurze Verjährungsfristen (Art. 60
OR: 1 Jahr; Art. 83 SVG: 2 Jahre) den Anspruchsberechtigten zwingen,
seine Forderungen geltend zu machen, fehlen inbezug auf die materielle
Enteignung entsprechende Vorschriften; der Eigentümer hat Zeit, um sich
zu überlegen, ob er eine Entschädigung verlangen will. Dass allenfalls
nach zehn Jahren die Verjährung eintritt (vgl. BGE 97 I 624 ff.), ist
hier ohne Belang; die Verjährung des Anspruches wird nicht behauptet. Kann
bei der materiellen Enteignung der Anspruchsberechtigte den Zeitpunkt der
Geltendmachung seiner Forderung in einem weiten Rahmen frei wählen, so muss
die durch sein Abwarten verursachte Verzögerung der Entschädigungszahlung
nicht unbedingt zu einem Anspruch auf Verzinsung führen. Es ist mit der
Eigentumsgarantie vereinbar, dass der Grundeigentümer, solange er sich
mit der verbleibenden (bisherigen) Nutzung seines Landes begnügt und
keine Entschädigungsforderung stellt, auch keine Verzinsung des später
allenfalls eruierten Minderwertes beanspruchen kann, und dass die Pflicht
zur Verzinsung der Entschädigung erst in dem Zeitpunkt beginnt, wo der
Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen in unverkennbarer Weise
geltend gemacht wird.

    b) Erweist sich somit die von der Vorinstanz aufgestellte Regel als
verfassungskonform, so bleibt zu prüfen, ob ihre Anwendung im konkreten
Falle vor dem Willkürverbot standhält. Aus den Akten ergibt sich, dass
offenbar vor der Genehmigung des Alignementsplanes durch den Regierungsrat
von der Entschädigungspflicht der Einwohnergemeinde die Rede war und dass
damals die Gemeinde sich zur Übernahme der mit einem Bauverbot belegten
Grundstücke bereit erklärt hat. Es mag sein, dass in der Folge zwischen
den Organen der Gemeinde und den Beschwerdeführern gewisse mündliche
Verhandlungen stattfanden, ohne dass es zu einer Einigung über den Preis
der Parzellen kam. Die Beschwerdeführer liessen aber dann die Angelegenheit
längere Zeit ruhen. Für die Zeit von 1956 bis Frühling 1963 fehlt jeder
Beleg dafür, dass die Beschwerdeführer eine Entschädigung ernstlich
verlangten. Aus welchen Gründen sie zuwarteten, kann offen bleiben. Sie
behaupten selber nicht, die Einwohnergemeinde habe sie wider Treu und
Glauben von der Geltendmachung der Ansprüche und von der Einleitung
eines richterlichen Schätzungsverfahrens abgehalten. Erst durch Brief
vom 15. März 1963 (Gerber) und 16. Juni 1963 (Wimmer) verlangten sie
formell eine Entschädigung bezw. die Übernahme der Grundstücke. Nach
dem Urteil des Verwaltungsgerichts läuft die Verzinsung ab 9. November
1964; unter diesem Datum wurde der Gemeinde Muri vom Anwalt der
Beschwerdeführer ein Gesuch mit konkreten Angaben über die Höhe der
Ansprüche unterbreitet. Diese Festsetzung des Beginns der Verzinsung
verstösst gegen Art. 4 BV. In seinem Brief vom 15. März 1963 verlangte der
Beschwerdeführer Gerber unmissverständlich, dass ihm ein Vorschlag über
die Höhe der Entschädigung unterbreitet werde; der Beschwerdeführer Wimmer
hat am 14. Juni 1963 sogar ein detailliertes Angebot für die Erledigung
seiner Entschädigungsansprüche unterbreitet. Nach dem Eingang dieser beiden
Schreiben wusste der Gemeinderat, dass die beiden Grundeigentümer Ansprüche
stellten und eine baldige Erledigung der Angelegenheit wünschten. Nachdem
die Gemeinde sich in der Beschwerdeantwort zu diesem Punkte nicht geäussert
hat, ist anzunehmen, dass die erwähnten Briefe der Grundeigentümer - gemäss
der Darstellung in der Beschwerde - tatsächlich unbeantwortet blieben. Ein
Schreiben des Anwaltes der Beschwerdeführer vom 10. Dezember 1963 blieb
ebenfalls unbeantwortet, und auf ein weiteres Schreiben des Anwaltes vom
26. August 1964 erteilte der Gemeinderat Muri am 8. September 1964 eine
ausweichende vorläufige Antwort. Diesen Schriftstücken ist zu entnehmen,
dass die Verzögerung der Erledigung der Entschädigungsfrage spätestens
vom 15. Juni 1963 an auf das Verhalten der Gemeindeorgane zurückzuführen
ist. Dass die Beschwerdeführer nicht sogleich das Schätzungsverfahren
einleiteten, sondern auf dem Verhandlungswege zu einer Einigung zu kommen
suchten, kann ihnen nicht zur Last gelegt werden. Die den Beschwerdeführern
für das Bauverbot zugesprochenen Entschädigungen von Fr. 485'700.--
(Gerber) und Fr. 289'300.-- (Wimmer) sind somit spätestens ab 15.
Juni 1963 zu verzinsen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird bezüglich des Beginns des Zinsenlaufs im Sinne
der Erwägungen teilweise gutgeheissen, im übrigen abgewiesen.