Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 715



97 I 715

103. Auszug aus dem Urteil vom 3. November 1971 i.S. Erben des Josef
Jöri-Annen gegen Regierungsrat des Kantons Obwalden. Regeste

    Nationalstrassenbau; Verhältnis zwischen Landumlegungs- und
Enteignungsverfahren.

    Voraussetzungen zur Durchführung eines nachträglichen
Enteignungsverfahrens im Sinne von Art. 23 der bundesrätlichen
Vollziehungsverordnung zum NSG.

Sachverhalt

    A.- Am 8. Februar 1967 beschloss der Regierungsrat des Kantons
Obwalden, im Gebiet der Gemeinden Alpnach und Sarnen gemäss Art. 31 ff. des
BG über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG) eine Landumlegung
durchzuführen. In den Perimeter fiel auch das landwirtschaftlich
genutzte Grundstück der Erben des Josef Jöri-Annen, Dirnachen, Alpnach. Am
6. Februar 1968 legte die Ausführungskommission eine Bonitierungsbewertung
des alten Besitzstandes auf. Die Erben Jöri-Annen erhoben dagegen im
Sinne eines Wiedererwägungsgesuchs Einsprache und erwirkten auf diese
Weise eine Verfügung, mit welcher ihnen die Ausführungskommission eine
Inkonvenienzenentschädigung von Fr. 18'000.-- zusprach. Auf Rekurs hin
erhöhte der Regierungsrat diesen Betrag auf Fr. 40'000.--.

    Mit Eingabe vom 14. April 1971 ersuchte die Erbengemeinschaft
den Regierungsrat gestützt auf Art. 23 der bundesrätlichen
Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Nationalstrassen vom
23. März 1964 (VV-NSG) um Einleitung des Enteignungsverfahrens. Sie
machte geltend, das Landumlegungsverfahren habe ihren berechtigten
Ersatzansprüchen offensichtlich nicht zu genügen vermocht, weshalb ein
Enteignungsverfahren durchzuführen sei.

    Der Regierungsrat wies dieses Begehren am 11. Mai 1971 ab. Zur
Begründung führte er im wesentlichen folgendes aus: Im Anschluss an
eine Landumlegung dürfe das Enteignungsverfahren nur dann eingeleitet
werden, wenn das Landumlegungsverfahren den berechtigten Ersatzansprüchen
des Grundeigentümers offensichtlich nicht zu genügen vermöge (Art. 23
VV-NSG). Davon könne jedoch im vorliegenden Fall nicht die Rede sein,
denn es habe ein allseits befriedigender Landabtausch stattgefunden,
und es sei nicht dargetan, inwieweit den berechtigten Ansprüchen der
Gesuchsteller nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei. Dass die
im Landumlegungsverfahren zugesprochene Entschädigung von Fr. 40'000.--
den subjektiven Vorstellungen der Gesuchsteller nicht entspreche, vermöge
ihr Begehren allein nicht zu rechtfertigen, denn einem Gesuch um Einleitung
des Enteignungsverfahrens gemäss Art. 23 VV-NSG komme offensichtlich nicht
die Funktion eines zusätzlichen Rechtsmittels im Landumlegungsverfahren zu.

    B.- Die Erben Jöri-Annen führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie
werfen dem Regierungsrat vor, er habe Art. 23 VV-NSG unrichtig angewendet.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    Die Beschwerdeführer bringen vor, ihren berechtigten Ansprüchen sei im
Landumlegungsverfahren nicht hinreichend Rechnung getragen worden, weshalb
ihrem Begehren um Einleitung des Enteignungsverfahrens zur Festsetzung
einer angemessenen Inkonvenienzenentschädigung entsprochen werden müsse.

    Art. 30 Abs. 1 NSG lässt den zur Landbeschaffung verpflichteten
Kantonen grundsätzlich die Wahl zwischen dem Landumlegungs- und dem
Enteignungsverfahren, sofern ein freihändiger Erwerb ausser Betracht
fällt. Gemäss Art. 30 Abs. 2 NSG soll indessen das bundesrechtliche
Enteignungsverfahren (Art. 39 NSG) erst dann eingeleitet werden, wenn die
Bemühungen für einen freihändigen Erwerb oder für eine dem kantonalen
Recht unterstehende Landumlegung (Art. 31 und 32 NSG) nicht zum Ziele
führen. Im übrigen ergibt sich das Verhältnis zwischen Landumlegungs-
und Enteignungsverfahren aus Art. 21 und 23 VV-NSG. Die erstgenannte
Bestimmung ermächtigt die Kantone unter anderem, Inkonvenienzen, die
sich bei der Neuzuteilung nicht abgelten lassen, nach den Grundsätzen
des eidgenössischen Enteignungsrechts zu entschädigen. Sieht das
kantonale Landumlegungsrecht insoweit eine analoge Anwendung des BG
über die Enteignung vor, so bleibt für die Einleitung eines besonderen
Enteignungsverfahrens kein Raum (BGE 97 I 178 ff., insbesondere 183
Erw. 4). Ist es dagegen den Organen der Landumlegung nach dem kantonalen
Recht verwehrt, derartige Entschädigungsansprüche im Landumlegungsverfahren
zu beurteilen, so hat darüber die zuständige Eidg. Schätzungskommission
in einem gestützt auf Art. 23 VV-NSG eingeleiteten Enteignungsverfahren
zu entscheiden. Diese Vorschrift bezweckt nach ihrem Wortlaut und Sinn,
dem betroffenen Grundeigentümer nachträglich das bundesrechtliche
Enteignungsverfahren zu öffnen, wenn ihm ein Schaden erwachsen ist,
der im Landumlegungsverfahren mangels sachlicher Zuständigkeit der
Landumlegungsorgane nicht abgegolten oder der seiner Natur nach nicht
in diesem Verfahren entschädigt werden kann. In diesem Sinn sind die
Ausführungen im Entscheid 92 I 180 Erw. 5 zu verstehen, in welchem sich
das Bundesgericht erstmals über die Tragweite der Art. 21 und 23 VV-NSG
ausgesprochen hat.

    Wird gestützt auf Art. 30 ff. NSG eine Landumlegung durchgeführt
und steht die Entschädigung von Inkonvenienzen in Frage, so beurteilt
sich die Zulässigkeit eines zu diesem Zwecke einzuleitenden
Enteignungsverfahrens nach der Ausgestaltung des kantonalen
Landumlegungsrechts: lässt dieses keine Inkonvenienzenentschädigung
zu, so vermag der betroffene Grundeigentümer seine Ansprüche in einem
bundesrechtlichen Enteignungsverfahren geltend zu machen (Art. 23
VV-NSG); können jedoch derartige Begehren im Landumlegungsverfahren
beurteilt werden, so ist es dem Gesuchsteller verwehrt, im Anschluss
an den Entscheid der Landumlegungsorgane das Enteignungsverfahren
einzuleiten mit der Begründung, die Behörde habe die tatsächlichen
Verhältnisse unrichtig gewürdigt und gestützt darauf eine unzureichende
Entschädigung zugesprochen. Diese Rüge ist vielmehr im kantonalen
Rechtsmittelverfahren zu erheben und kann gegebenenfalls nach Erschöpfung
des Instanzenzugs mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der
Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV) vorgebracht werden. Entgegen der Ansicht
der Beschwerdeführer kommt demnach der Einleitung des Enteignungsverfahrens
gemäss Art. 23 VV-NSG nicht die Funktion eines Rechtsbehelfs zu, mit
welchem die Abänderung des Landumlegungsergebnisses erwirkt werden kann.