Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 619



97 I 619

87. Urteil vom 13. Oktober 1971 i.S. Abegg gegen Leu und Regierungsrat
des Kantons Zürich. Regeste

    Namensänderung, rechtliches Gehör.

    Der unmittelbar aus Art. 4 BV abgeleitete Anspruch des Vaters,
zu einem Gesuch um Änderung des Namens seines bei der Ehescheidung der
Mutter zugeteilten Kindes Stellung nehmen zu können (BGE 83 I 239, 89 I
155), besteht nur bis zur Mündigkeit des Kindes.

Sachverhalt

    A.- Im Dezember 1950 wurde die 1944 geschlossene Ehe des Max Abegg mit
Margrit Kägi durch das Bezirksgericht Bülach geschieden und das einzige,
1945 geborene Kind Hans-Peter der Mutter zugeteilt. Diese ging im Januar
1953 mit Ernst Leu eine neue Ehe ein. Der Knabe Hans-Peter Abegg lebte
seither in der Familie seines Stiefvaters, der in Glattbrugg eine Garage
betreibt.

    Im Jahre 1962 stellte Frau Leu-Kägi beim Regierungsrat des Kantons
Zürich das Gesuch, es sei ihrem Sohn zu gestatten, den Familiennamen in
Leu zu ändern. Das Gesuch wurde dem Vater Max Abegg zur Stellungnahme
unterbreitet. Dieser widersetzte sich der Namensänderung, worauf das
Gesuch zurückgezogen wurde.

    Hans-Peter Abegg arbeitet seit einigen Jahren im Geschäft seines
Stiefvaters Ernst Leu und soll dieses später übernehmen. Unter Hinweis
hierauf sowie darauf, dass er allgemein unter dem Namen "Leu" bekannt sei
und sich im nächsten Jahre verheiraten werde, ersuchte er am 15. Juli 1970
den Regierungsrat des Kantons Zürich, ihm die Änderung des Familiennamens
in "Leu" zu bewilligen. Das Gesuch wurde den Gemeinderäten seiner
beiden Heimatgemeinden sowie der Wohnsitzgemeinde zur Stellungnahme
zugestellt. Alle empfahlen, dem Gesuch zu entsprechen. Am 17. Dezember
1970 beschloss der Regierungsrat, dem Gesuchsteller die Änderung des
Familiennamens in "Leu" zu bewilligen. Diese Namensänderung wurde im
Amtsblatt des Kantons Zürich von 5. Januar 1971 veröffentlicht.

    Am 2. Juli 1971 schrieb Max Abegg an die Direktion des Innern des
Kantons Zürich, er habe von der Namensänderung seines Sohnes Kenntnis
erhalten und ersuche um eine Ausfertigung des regierungsrätlichen
Entscheids. Sie wurde ihm am 5. Juli 1971 zugestellt.

    B.- Mit Eingabe vom 2. August 1971 erhebt Max Abegg staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV mit dem Antrag, der Entscheid des
Regierungsrates des Kantons Zürich vom 17. Dezember 1970 sei aufzuheben. Er
machte geltend, der Regierungsrat habe ihm dadurch das rechtliche
Gehör verweigert, dass er ihm vor seinem Entscheid keine Gelegenheit
gegeben habe, zum Namensänderungsgesuch seines Sohnes Stellung zu nehmen
(BGE 83 I 239, 89 I 155). Der Umstand, dass sein Sohn volljährig sei,
vermöge diese Unterlassung nicht zu rechtfertigen. Das Interesse und das
Recht des Vaters, dass sein Kind seinen Namen behalte und er vor einer
Namensänderung mindestens angehört werde, sei das gleiche, ob das Kind
minderjährig oder volljährig sei.

    C.- Hans-Peter Leu beantragt, auf die Beschwerde wegen Verspätung
nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Der Regierungsrat des Kantons
Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Regierungsrat hat seinen Entscheid dem Beschwerdegegner sowie
den Gemeinderäten seiner Heimatgemeinden und seiner Wohnsitzgemeinde
mitgeteilt und ihn gemäss Art. 30 Abs. 2 ZGB/§ 47 zürch. EG/ZGB im
kantonalen Amtsblatt vom 5. Januar 1971 veröffentlicht. Es fragt sich,
ob die 30-tägige Frist zur staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 89 Abs. 1
OG), für den Beschwerdeführer schon mit dieser Veröffentlichung oder erst
mit der am 5. Juli 1971 erfolgten Zustellung einer Ausfertigung an ihn
zu laufen begann.

    Sofern der Beschwerdeführer, wie er mit der Beschwerde geltend macht,
einen Anspruch auf Anhörung zum Namensänderungsgesuch hatte, hätte ihm auch
der Entscheid über dieses Gesuch persönlich mitgeteilt werden sollen. Die
Veröffentlichung im kantonalen Amtsblatt hätte diese persönliche Eröffnung
oder Mitteilung nicht ersetzt. Es erscheint daher richtig, die Frist zur
staatsrechtlichen Beschwerde nicht schon von der Veröffentlichung des
Entscheids oder der zufälligen Kenntnisnahme des Beschwerdeführers an
beginnen zu lassen, sondern erst von der Zustellung einer Ausfertigung
an ihn am 5. Juli 1971 (vgl. BGE 35 I 105 E. 1; BIRCHMEIER, Handbuch
des OG S. 384 N. 2 b). Die am 2. August 1971 eingereichte Beschwerde ist
somit rechtzeitig.

Erwägung 2

    2.- Im Jahre 1962 hat die Mutter des damals noch unmündigen
Beschwerdegegners für diesen ein Namensänderungsgesuch gestellt, zu dem
der Beschwerdeführer Stellung nehmen konnte und auch nahm. Sofern der
leibliche Vater auch bei Mündigkeit des Kindes einen Anspruch auf Anhörung
zu dessen Gesuch um Namensänderung haben sollte, wäre diesem Anspruch nicht
schon durch seine Anhörung in jenem früheren, durch Rückzug des Gesuchs
dahingefallenen Verfahren Genüge getan. Da das zweite Verfahren nicht
einfach die Fortsetzung des früheren, sondern ein neues selbständiges
Verfahren ist, hätte er vielmehr Anspruch, im neuen Verfahren wiederum
angehört zu werden, wobei er Gründe und Tatsachen vorbringen könnte,
die er im früheren Verfahren nicht geltend machte oder die erst seither
eingetreten sind (BGE 89 I 157/58).

Erwägung 3

    3.- Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat in BGE 76 II 342
E. 2 ausgeführt, es sei nicht nur ein Recht des Kindes, den Namen des
Vaters zu führen, sondern auch ein Recht des Vaters, dass seine Kinder
keinen andern Namen als den seinen erhalten. Daher sei, wenn für ein Kind
ein Namensänderungsgesuch gestellt werde, auch das Interesse des Vaters
zu berücksichtigen und ihm Gelegenheit zu geben, zum Gesuch Stellung zu
nehmen; werde dies unterlassen, so könne der Vater dies freilich nicht
mit der in Art. 30 Abs. 3 ZGB vorgesehenen Klage, sondern "höchstens mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV" rügen.

    Die staatsrechtliche Kammer hat sich dieser Auffassung angeschlossen,
ohne sich mitihr auseinanderzusetzen. Sie hat, obwohl in BGE 76 II 339
E. 1 dem Vater ein klagbarer zivilrechtlicher Anspruch darauf, dass sein
Kind seinen Namen behalte, abgesprochen wurde, in ständiger Rechtsprechung
stillschweigend angenommen, er habe doch ein schutzwürdiges Interesse
hieran, und im Hinblick auf dieses Interesse habe er grundsätzlich einen
unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Anspruch darauf, von dem für das Kind
gestellten Namensänderungsgesuch und seiner Begründung Kenntnis zu erhalten
und dazu im einzelnen Stellung zu nehmen (BGE 83 I 239 und 89 I 155
E. 2 je mit Hinweisen auf weitere, nicht veröffentlichte Urteile). Ferner
betrachtete es, wiederum ohne nähere Begründung, den Vater als legitimiert,
die nach seiner Anhörung bewilligte Namensänderung mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Willkür anzufechten (nicht veröffentl. Urteile vom
17. Juni 1964 i.S. Schwegler, vom 30. Juni 1965 i.S. Roth und vom 4. Mai
1966 i.S. Letter).

    In allen diesen Fällen handelte es sich um die Namensänderung von
Kindern, die noch unmündig waren. Dass der Vater solcher Kinder zu
dem von der Mutter für sie gestellten Namensänderungsgesuch angehört
werden muss, wird weder vom Regierungsrat des Kantons Zürich noch vom
Beschwerdegegner bestritten, so dass kein Anlass besteht, die dahingehende
bisherige Rechtsprechung zu überprüfen; bemerkt sei immerhin, dass der
in BGE 76 II 342 E. 2 geäusserten Auffassung, beim Fehlen der Eltern
müssten die Grosseltern und Geschwister angehört werden, kaum gefolgt
werden könnte. Streitig ist einzig die bisher vom Bundesgericht offenbar
noch nie beurteilte Frage, ob der Vater unmittelbar aufgrund von Art. 4
BV Anspruch darauf hat, zu einem von seinem mündigen Sohn gestellten
Namensänderungsgesuch Stellung nehmen zu können.

Erwägung 4

    4.- Der Entscheid hierüber hängt davon ab, ob zwischen dem Fall
des unmündigen und dem des mündigen Kindes Unterschiede bestehen, im
Hinblick auf die beim mündigen Kind ein Recht des Vaters auf Anhörung zu
verneinen ist.

    a) Das Gesuch um Änderung des Namens des bei der Scheidung der
Mutter zugeteilten Kindes kann von diesem, wenn es urteilsfähig ist,
wohl nur mit Zustimmung der Mutter gestellt werden (EGGER N. 15 zu Art.
19 und N. 9 zu Art. 30 ZGB) und wird in der Regel von der Mutter gestellt.
Obwohl der Regierungsrat, der über das Gesuch entscheidet, von Amtes
wegen zu prüfen hat, ob wichtige Gründe im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB
vorliegen, erscheint es geboten, auch den Vater dazu anzuhören. Dieser
hat - neben der Beitragspflicht nach Art. 156 Abs. 2 ZGB - ein Recht auf
angemessenen persönlichen Verkehr mit dem Kinde (Art. 156 Abs. 3 ZGB),
das ihm nur aus schwerwiegenden Gründen entzogen werden darf (vgl. BGE 89
II 4 ff.). Sodann besteht bis zur Mündigkeit des Kindes die Möglichkeit,
dass die elterliche Gewalt wegen Änderung der Verhältnisse wieder dem
Vater zugeteilt wird (Art. 157 ZGB), so vor allem, wenn die Mutter stirbt
oder ihr die elterliche Gewalt entzogen wird (vgl. BGE 47 II 383 Nr. 64,
82 II 474).

    b) Diese weiterbestehenden Rechtsbeziehungen zwischen dem Vater und
dem der Mutter zugeteilten Kinde fallen mit der Mündigkeit der Kinder
dahin. Die Beitragspflicht hört grundsätzlich auf (vgl. BGE 61 II 216
E. 2), und das Recht des Vaters auf den persönlichen Verkehr wird zum
sittlichen Recht, dem eine sittliche Pflicht des Kindes entspricht (BELZA,
Das Verhältnis zwischen dem Kinde und dem geschiedenen Elternteil, dem das
Kind nicht zugewiesen wurde, Diss. Freiburg 1946 S. 24). Soweit zwischen
dem Vater und dem mündigen Kind rechtliche Beziehungen bestehen bleiben,
sind sie gegenseitig, so die Unterstützungspflicht nach Art. 328 ZGB,
das Erbrecht (Art. 457/58 ZGB) und die Rücksichts- und Beistandspflicht
nach Art. 271 ZGB. Das Kind erlangt mit der Mündigkeit die Fähigkeit,
alle Rechte und namentlich seine Persönlichkeitsrechte, zu denen auch
das Recht auf den Namen gehört, unabhängig von den Eltern auszuüben. Es
kann insbesondere völlig frei wichtige Entscheidungen treffen, die
jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht auch für die Beziehungen zu den
Eltern von grosser Bedeutung sind, wie Heirat, Auswanderung, Erwerb einer
fremden Staatsangehörigkeit, Anerkennung eines ausserehelichen Kindes,
Adoption usw. Es kann sich schliesslich ohne Zustimmung seiner Eltern
selber adoptieren lassen und dadurch einen andern Namen als den seines
Vaters erwerben (Art. 268 Abs. 1 ZGB). Angesichts dieser weitgehenden
Selbständigkeit des mündigen Kindes im Verhältnis zu seinen Eltern
rechtfertigt es sich nicht, dann, wenn es ein Gesuch um Namensänderung
stellt, seinem Vater (und seiner Mutter) ein Mitspracherecht in der Form
eines unmittelbar aus Art. 4 BV abgeleiteten Anspruchs auf Stellungnahme
zum Gesuch und zu den darin als "wichtige Gründe" im Sinne von Art. 30
Abs. 1 ZGB geltend gemachten Umständen einzuräumen. Die vorliegende
Beschwerde, mit der ein solcher Anspruch erhoben wird, ist daher
abzuweisen.