Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 591



97 I 591

80. Auszug aus dem Urteil vom 1. Oktober 1971 i.S. Stadt bernischer
Apothekerverein und Konsorten gegen Generaldirektion SBB und
Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. Regeste

    Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957 (EG)

    Sind Privatpersonen berechtigt, die Einrichtung von Nebenbetrieben
auf Bahngebiet bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde anzufechten? (Art. 40 EG).

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    A.- Die SBB beabsichtigen, im Neubau des Berner Hauptbahnhofs eine
Apotheke einzurichten und zu verpachten. Diese Apotheke soll im Unterschied
zu den anderen Apotheken in Bern werktags und sonntags durchgehend von
6 bis 20 Uhr geöffnet sein.

    Der Stadtbernische Apothekerverein und 23 stadtbernische Apotheker
beantragten in einer als "Einsprache" bezeichneten Eingabe vom 24. August
1970 beim Eidg. Energie- und Verkehrswirtschaftsdepartement (EVED),
den SBB die Einrichtung der Apotheke mangels Bedürfnisses zu untersagen
bzw. nicht zu gestatten. Sie stützten sich dabei auf Art. 10, 39 und 40
des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 (EG).

    Am 11. März 1971 stellte das EVED fest, die Antragsteller seien
nicht legitimiert, bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde einen Entscheid
über das Bedürfnis zur Errichtung von Nebenbetrieben und deren Öffnungs-
und Schliessungszeiten zu erzwingen und trat auf die Eingabe nicht ein.

    B.- Mit der vorliegenden Beschwerde vom 5. April 1971, die sie der
Rechtsmittelbelehrung des EVED gemäss beim Bundesrat einreichten, verlangen
der Stadtbernische Apothekerverein und die 23 stadtbernischen Apotheker,
aufihre Einsprache sei einzutreten und den SBB mangels Bedürfnisses zu
untersagen bzw. nicht zu gestatten, im Hauptbahnhof Bern eine Apotheke
als Nebenbetrieb einzurichten oder betreiben zu lassen und es seien
diesbezüglich bereits getroffene Vereinbarungen aufzuheben. Eventuell
sei dem Begehren von Amtes wegen zu entsprechen.

    C.- In ihren Vernehmlassungen beantragen die SBB und das EVED, auf
die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.

    Die Justizabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, die
sich zuerst mit der Beschwerdeinstruktion befasste, überwies am 13. August
1971 die Akten zuständigkeitshalber dem Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach Art. 103 lit. a OG
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Änderung hat. Dass die
Beschwerdeführer im Verfahren vor der Vorinstanz Parteistellung hatten,
begründet deshalb für sich allein ihre Beschwerdeberechtigung noch
nicht, erfüllt jedoch die Voraussetzung des Berührtseins. Das überdies
erforderliche schutzwürdige Interesse an der Aufhebung oder Änderung
des angefochtenen Entscheides kann rechtlicher oder aber auch bloss
tatsächlicher Natur sein. Es kommt nicht darauf an, ob es durch das
anwendbare materielle Recht geschützt wird; vielmehr genügt, dass es im
Beschwerdeverfahren geprüft zu werden verdient (GRISEL, Droit administratif
suisse, S. 504; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren
im Bund S. 108).

    Durch die Eröffnung einer Apotheke im Bahnhofsareal werden die
Erwerbschancen der bereits in Bern tätigen Apotheker in Mitleidenschaft
gezogen, besonders da vorgesehen ist, die neue Apotheke auch zu Zeiten
offen zu halten, zu denen die übrigen Apotheken in der Regel geschlossen
sein müssen. Die beschwerdeführenden Apotheker haben deshalb ein
Interesse daran, feststellen zu lassen, dass die SBB auf ihrem Areal
keine Apotheke eröffnen dürfen und zu diesem Zwecke den in Art. 40
EG vorgesehenen Rechtsbehelf für sich in Anspruch zu nehmen. Dieses
Feststellungsinteresse ist schutzwürdig. Auf die Beschwerde der Apotheker
ist daher einzutreten. Zur Beschwerde berechtigt ist aber auch der
Beschwerdeführer Nr. l'der Stadtbernische Apothekerverein, der schon am
Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt war, vertritt er doch schutzwürdige
Interessen seiner Mitglieder (vgl. GRISEL, aaO 505, 479, BGE 93 I 127).

Erwägung 3

    3.- Wo die Bedürfnisse des Bahnbetriebes und des Verkehrs es
rechtfertigen, sind die Bahnunternehmungen befugt, auf Bahngebiet
und in Zügen Nebenbetriebe einzurichten. Über die Bedürfnisfrage
entscheiden in erster Linie die Bahnunternehmungen selber. Nötigenfalls
haben die Aufsichtsbehörden von Amtes wegen dafür zu sorgen, dass
sich solche Entscheide im Rahmen des Gesetzes nach pflichtgemässem
Ermessen richten. Der von einer Bahnunternehmung eingerichtete
Nebenbetrieb tritt oft in Konkurrenz mit privaten Betrieben der gleichen
Branche. Die Einrichtung eines solchen Nebenbetriebes kann aber auch
die Verwaltungshoheit des Kantons berühren, so etwa, wenn der Kanton
für die Zulassung der in Frage stehenden Art von Betrieben den Nachweis
eines Bedürfnisses verlangt, das sich nicht mit dem Bedürfnis im Sinne
von Art. 39 EG deckt, vor allem aber, wenn die Bahnunternehmung ihren
Nebenbetrieb von den kantonalen Vorschriften über die Öffnungs- und
Schliessungszeiten ausnehmen will. Die Kantone können deshalb gegen die
Errichtung eines Nebenbetriebes Einsprache erheben und damit das Verfahren
nach Art. 40 EG in Gang setzen.

    Wie weit kantonale Genehmigungen z.B. baulicher oder
gesundheitspolizeilicher Massnahmen die Anerkennung eines Bedürfnisses
nach Art. 39 EG durch die kantonalen Behörden in sich schliessen, muss von
Fall zu Fall gesondert entschieden werden; dies schon deshalb, weil unter
Umständen eine Bewilligungsbehörde sich auf die Prüfung rein technischer
Fragen beschränken muss und ihr eine Bestreitung des Bedürfnisses gar
nicht zusteht. Das Bedürfnis für einen Nebenbetrieb rechtfertigt nicht
ohne weiteres eine Ausnahme von den Öffnungs- und Schliessungszeiten; für
eine solche Ausnahme muss darüber hinaus ein besonderes Bedürfnis bestehen.

Erwägung 4

    4.- Unter Vorbehalt der Beschwerde entscheidet nach Art. 40 Abs. 1
lit. g EG die Aufsichtsbehörde nach Anhörung der beteiligten Behörden und
öffentlichen Transportunternehmungen Anstände über: "das Bedürfnis zur
Einrichtung von Nebenbetrieben und deren Öffnungs- und Schliessungszeiten
(Art. 39)."

    Im vorliegenden Falle stellt sich die Frage, ob auch Private
einen solchen Entscheid herbeiführen und mithin die Einrichtung
eines Nebenbetriebes gestützt auf diese Vorschrift anfechten können,
oder ob ein Anstand im Sinne von Art. 40 EG, wie die Vorinstanz
und die SBB annehmen, nur bei Meinungsverschiedenheiten zwischen der
Bahnunternehmung und den zuständigen kantonalen und eventuell kommunalen
Behörden entsteht. Das EG enthält keine besonderen Vorschriften über das
Verfahren, in welchem ein Entscheid im Sinne von Art. 40 Abs. 1 lit. g
EG herbeizuführen ist. Insbesondere sagt es nicht, ob auch Private
dieses Verfahren einleiten können. Aus Art. 40 EG selbst ergibt sich
lediglich, dass ein solcher Entscheid eine wenn auch nur formlose
Stellungnahme der Bahnunternehmung zur Frage der Einrichtung eines
Nebenbetriebes bzw. der Abweichung von den kantonalen und kommunalen
Vorschriften über die Öffnungs- und Schliessungszeiten voraussetzt und
dass er von der Eisenbahnaufsichtsbehörde gefällt wird. Private sind
somit jedenfalls nicht ausdrücklich von der Einleitung des fraglichen
Verfahrens ausgeschlossen. Weder die Systematik des Gesetzes noch dessen
Zweck zwingen zum Schluss, nur Behörden könnten einen Entscheid der
Eisenbahnaufsichtsbehörde veranlassen. Im Gegenteil erklärt Art. 1
EG ausdrücklich, das Gesetz finde Anwendung auf die Beziehungen
der Eisenbahnen zu anderen öffentlichen Transportunternehmungen, zu
öffentlichen Verwaltungen, aber auch zu Dritten. Auch aus den Materialien
ergibt sich nichts, das gegen die Zulassung Privater in diesem Verfahren
sprechen könnte. Ein Ausschluss Privater vom Verfahren nach Art. 40
EG wäre umso weniger sinnvoll, als diese ja nach dem revidierten
OG vor Bundesgericht, wie gesehen, als Beschwerdeführer zugelassen
sind. Das Verfahren nach Art. 40 EG ist dem Beschwerdeverfahren vor
Bundesverwaltungsbehörden nach Art. 44 ff. VwG ähnlich, ohne ihm allerdings
ganz zu entsprechen. Mit Rücksicht darauf, dass das VwG gleichzeitig und
in inhaltlichem Zusammenhang mit den revidierten Bestimmungen des OG über
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erlassen worden ist, die den Privaten in
dieser Sache den Weg der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht
öffnen, scheint es jedoch richtig, die Lösung der vorliegenden Frage in
Anlehnung an das Verwaltungsbeschwerdeverfahren zu suchen.

    Nach Art. 48 lit. a VwG ist zur Verwaltungsbeschwerde berechtigt,
wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Entschluss der SBB,
im Bahnhofneubau in Bern eine Apotheke einzurichten, ist zwar keine
Verfügung im Sinne von Art. 5 VwG, darf aber im Rahmen der übertragenen
Anwendung von Art. 48 lit. a VwG auf das Verfahren nach Art. 40 EG
einer solchen gleichgesetzt werden. Dass die Beschwerdeführer durch die
Errichtung einer Apotheke im Bahnhofneubau berührt sind, insbesondere weil
vorgesehen ist, die neue Apotheke auch zu Zeiten offen zu halten, da die
übrigen Apotheken in der Regel geschlossen sein müssen, wurde bereits in
Erw. 2 festgestellt. Das Interesse der Beschwerdeführer daran, feststellen
zu lassen, dass die SBB auf ihrem Areal keine Apotheke eröffnen dürfen,
erscheint auch in diesem Zusammenhang schutzwürdig. Aus der Übertragung
der Grundsätze des Verwaltungsbeschwerdeverfahrens auf das Verfahren nach
Art. 40 EG ergibt sich somit, dass die Beschwerdeführer berechtigt sind,
bei der Eisenbahnaufsichtsbehörde zu bestreiten, dass für die Einrichtung
einer Apotheke im Bahnhofneubau in Bern ein Bedürfnis im Sinne von Art. 39
EG besteht und damit einen materiellen Entscheid dieser Behörde im Sinne
von Art. 40 Abs.1 lit. g EG herbeiführen können. Art. 3 Ziff. 3 lit. a
der VV zum BG über die Schweizerischen Bundesbahnen vom 15. Februar
1946 kann jedenfalls heute nicht mehr gegen diese Lösung angeführt
werden. Zu Unrecht ist deshalb die Vorinstanz nicht auf die "Einsprache"
der Beschwerdeführer eingetreten.

    Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.