Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 1



97 I 1

1. Urteil vom 10. Februar 1971 i.S. Internationale Verbandstoff Fabrik
Schaffhausen gegen Mediline A.-G. und Obergericht des Kantons Luzern.
Regeste

    Art. 87 OG. Ablehnung eines Experten im Patentprozess wegen
Befangenheit; der Beschluss, mit dem die Abberufung abgelehnt wird,
ist mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar (Erw. 1).

    Ablehnung des Experten; Verfahren; Willkür der Annahme von
Befangenheit? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Beschwerdegegnerin klagte vor dem Obergericht gegen die
Beschwerdeführerin wegen Verletzung ihres Patentes Nr. 430'057. Die
Beschwerdeführerin erhob Widerklage auf Nichtigerklärung. Das Obergericht
ernannte als Experten Patentanwalt X. und Prof. W.

    Mit Eingabe vom 5. Oktober 1970 beantragte die Beschwerde
führerin, der Experte Prof. W. sei abzuberufen und durch einen andern
Sachverständigen zu ersetzen. Sie machte geltend, die Beschwerdegegnerin
sei die Tochtergesellschaft der Firma G. und Prof. W. dauernd als
deren Beauftragter tätig. Sie beantragte den Experten anzuweisen, seine
Gutachtertätigkeit einzustellen, bis über ihren Antrag entschieden sei. Das
Obergericht gab Prof. W. Gelegenheit, sich über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Beziehungen zur Firma G. zu äussern, und der Gegenpartei,
zum Abberufungsantrag Stellung zu nehmen.

    Mit Beschluss vom 5. November 1970 wies das Obergericht den
Abberufungsantrag ab. Denn dem Experten könne nicht mit Recht vorgehalten
werden, er habe ein unmittelbares und persönliches Interesse am Ausgang
des Rechtsstreites oder sei befangen.

    B.- Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die
Internationale Verbandstoff-Fabrik Schaffhausen, den Beschluss des
Obergerichtes aufzuheben.

    C.- Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die
Beschwerdegegnerin schliesst ebenfalls auf kostenfällige Abweisung.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschluss, mit dem der Richter im Patentprozess den Antrag auf
Abberufung eines Experten ablehnt, ist ein Zwischenentscheid. Gegen einen
Zwischenentscheid ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV zulässig, wenn er für die betroffene Partei einen Rechtsnachteil
zur Folge hätte, der auch durch das nachfolgende Urteil in der Sache
nicht mehr behoben werden könnte (Art. 87 OG).

    a) Die Beschwerdeführerin beruft sich für die Zulässigkeit der
staatsrechtlichen Beschwerde auf die frühere Rechtsprechung bei der
Anfechtung von Beweisverfügungen in berufungsfähigen Streitsachen (BGE
28 I 39, zitiert bei BIRCHMEIER, Organisation der Bundesrechtspflege,
zu Art. 87 S. 356. seither bestätigt in BGE 77 I 225). Das Bundesgericht
ist hierauf in BGE 96 I 462 zurückgekommen. Danach kann eine Partei den
in einer berufungsfähigen Streitsache ergangenen Beweisbeschluss erst
anfechten, wenn die letzte kantonale Instanz den Endentscheid gefällt
hat. Unterliegt dieser der Berufung, so ist die Beschwerde auch dann
zulässig, wenn das Urteil zugunsten des Beschwerdeführers lautet.

    Da der Endentscheid noch nicht vorliegt, fragt es sich daher, ob auf
die Beschwerde deshalb einzutreten ist, weil der angefochtene Entscheid
demjenigen über die Ablehnung einer Gerichtsperson gleichzustellen ist.

    b) Ein Beschluss über die Ablehnung oder den Ausstand von
Gerichtspersonen stellt nach der Rechtsprechung, obwohl er äusserlich
ein Zwischenentscheid ist, keinen solchen im Sinn von Art. 87 OG
dar. Aus prozessökonomischen Gründen soll aber ein Prozessverfahren
nicht weitergeführt werden, bevor die Frage der Bestellung des Gerichtes
endgültig abgeklärt ist (BGE 87 I 177 mit Verweisungen; 94 I 201). In BGE
90 I 285 wurde die Frage aufgeworfen, ob diesen auch andere Entscheide
zuzuzählen sind, wenn die zu beurteilende Frage ihrer Natur nach vorweg
endgültig zu erledigen ist und im Anschluss an den Endentscheid nicht
mehr aufgeworfen werden kann.

    Das führt zur Frage, ob nicht auch der Beschluss über die Ablehnung
oder den Ausstand eines Sachverständigen diesen Zwischenentscheiden
gleichzustellen ist.

    § 186 luz. ZPO bestimmt, dass der Sachverständige die Eigenschaften des
vollgültigen Zeugen besitzen soll. Damit wird auf § 165 f. ZPO verwiesen.
Dass der Zeuge an der Streitsache ein Interesse hat oder dass seine
Befangenheit zu befürchten ist, wäre danach keine Eigenschaft, welche die
Tauglichkeit des Zeugen in Frage stellen würde. Das Obergericht stellt
jedoch fest (Maximen IX Nr. 188), dass der Experte die Stellung eines
Hilfsorgans des Gerichtes einnehme, weshalb nicht zweifelhaft sein könne,
dass § 186 luz. ZPO extensiv auszulegen sei, in dem Sinn nämlich, dass
gegen den Sachverständigen als gerichtliche Hilfsperson keiner der für
den Richter selbst aufgestellten Ausstands-oder Ablehnungsgründe vorliegen
dürfe. Auch später hat es erklärt (Maximen X Nr. 344), der Expertenbeweis
sei weniger ein Beweismittel der Parteien als ein Hilfsmittel des Richters,
weshalb der Sachverständige die Stellung eines Hilfsorgans des Richters
einnehme.

    Wird davon ausgegangen, so erscheint es als gerechtfertigt, den
Entscheid darüber, ob gegen den vorgeschlagenen oder bereits ernannten
Sachverständigen Ausstands- oder Ablehnungsgründe vorliegen, mit Bezug
auf seine Anfechtbarkeit mit staatsrechtlicher Beschwerde gleich zu
behandeln wie denjenigen über den Ausstand oder die Ablehnung des Richters
selbst. Der Prozess soll nicht mit einem Sachverständigen durchgeführt
werden, gegen den das Vorhandensein von Ausstands- oder Ablehnungsgründen
behauptet wird. Die gleichen Gründe, welche für die Zulässigkeit der
Beschwerde gegen den Beschluss über Ausstand oder Ablehnung des Richters
sprechen, gelten auch für den Sachverständigen. In diesem Sinne hat sich
übrigens das Bundesgericht bereits im nicht veröffentlichten Urteil vom
6. Mai 1970 i.S. Christen ausgesprochen.

    Die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb zulässig.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der kantonale Richter
habe ihr das rechtliche Gehör verweigert, weil er den zum Beweisthema
angerufenen Zeugen nicht einvernommen habe. Das Urteil begründet die
Nichtabhörung mit der mangelhaften Umschreibung des Beweisthemas, dem
Verhalten der Parteien im Parallelprozess der Beschwerdeführerin mit der
B. und dem Hinweis auf die Vernehmlassung des Sachverständigen an das
Gericht. Wenn die Erklärungen desselben genügten, um die Nichtabhörung
des Zeugen zu rechtfertigen, braucht nicht geprüft zu werden, wie es sich
mit der Stichhaltigkeit der beiden andern Begründungen verhält.

    a) Nach § 24 luz. ZPO ist der Richter, gegen den ein Ausstands- oder
Ablehnungsgesuch vorgebracht wird, verpflichtet, sich dazu zu äussern
oder von sich aus den Ausstand zu nehmen. Das Gericht entscheidet darüber
nach freiem Ermessen (§ 25 ZPO). Gilt diese Vorschrift entsprechend
für den Experten, so darf sich der Richter darauf beschränken, den
Sachverständigen anzuhören. Dass er zu Protokoll einvernommen werde,
ist nicht vorgeschrieben. Die bezügliche Rüge der Beschwerdeführerin ist
deshalb unbegründet. Das Obergericht durfte sich mit einer schriftlichen
Vernehmlassung des Experten begnügen. Bei der Würdigung derselben kam
ihm freies Ermessen zu. Wenn es damit die ihm zustehende Kognition
nicht missbraucht oder überschritten hat, ist sein Beschluss vor Art. 4
BV haltbar.

    Auf Grund der Auskunft des Sachverständigen und der Vorbringen
der Beschwerdegegnerin steht fest, dass die Firma G. mit dieser
wirtschaftlich eng verbunden ist, dass diese durch den Experten seit
Jahren Tests durchführen lässt und die beiden Laborantinnen des Institutes
durch die Firma G. direkt salariert werden. Die Mitarbeit des Experten
beschränkt sich darauf, bei den Versuchen beratend und interpretierend
mitzuwirken. Ein Angestelltenverhältnis zwischen ihm und der Firma
G. besteht nicht. Ähnliche Beziehungen wie mit ihr bestehen zwischen dem
Institut und andern Firmen der chemischen Industrie.

    Auf Grund dieser Feststellungen ergibt sich, dass der Experte am
Ausgang des Rechtsstreites kein unmittelbares persönliches Interesse
hat, der Tatbestand von § 22 lit. a ZPO also nicht vorliegt. Keinesfalls
verletzt die Verneinung dieses Ausstandsgrundes durch den angefochtenen
Entscheid Art. 4 BV. Das unmittelbare Interesse müsste am Ausgang des
Rechtsstreites bestehen. Das trifft zum Beispiel dann zu, wenn jemand Organ
einer Partei, Intervenient, Mitberechtigter oder Mitverpflichteter, Bürge
einer Partei oder Eigentümer der Sache ist, für welche die Verbindlichkeit
haftet (LEUCH zu Art. 10 bern. ZPO N. 3). Ein derartiges Interesse
wäre selbst dann nicht anzunehmen, wenn der Sachverständige über die
Streitsache einen Test erstattet hätte, was nicht nachgewiesen ist. Dass
zwei Laborantinnen des Institutes durch die Firma G. bezahlt werden,
ist einer Honorierung des Direktors nicht gleichzustellen und vermag
ein unmittelbares Interesse desselben ebenfalls nicht zu begründen.
Wenn Prof. W. aber den Streitgegenstand nicht oder nicht daraufhin
untersucht hat, ob er die Voraussetzungen für eine Patentanmeldung erfüllt,
ist auch nicht ersichtlich, dass der Ausstandsgrund von § 22 lit. e ZPO
gegeben sein soll.

    Ob Befangenheit des Experten zu befürchten sei, ist weitgehend
eine Ermessensfrage. Das Obergericht stellt zwar nicht darauf ab, ob
einer der in § 23 ZPO aufgezählten Befangenheitsgründe vorliege, welche
übrigens nicht zuträfen, sondern darauf, ob ganz allgemein Befangenheit
anzunehmen sei. Ob dem so ist, entscheidet sich nicht nach der subjektiven
Auffassung der Beschwerdeführerin, sondern danach, ob bei objektiver
Betrachtung nicht mit einer unparteiischen Begutachtung der Streitsache
gerechnet werden könne. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass sich
Prof. W. bisher befangen gezeigt habe. Dafür, dass er ein objektives
Gutachten abgeben werde, durfte das Obergericht auch die Stellung des
Experten berücksichtigen und jedenfalls ohne Willkür ausschliessen, dass
die Beziehungen zwischen ihm und der Firma G. Befangenheit befürchten
lassen.