Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 99



97 IV 99

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Mai 1971
i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft und Generalprokurator des Kantons
Bern gegen Marti. Regeste

    Art. 204 Ziff. 3 StGB.

    a)  Die Verpflichtung des Richters zur vorgängigen Einziehung
eines unzüchtigen Gegenstandes ist in dem in Art. 204 Ziff. 3 StGB
ausgesprochenen Gebot der Vernichtung bereits enthalten.

    b)  Der Film "Das geheime Sexleben von Romeo und Julia" in der Fassung,
die in Bern gezeigt wurde, ist unzüchtig.

Sachverhalt

    A.- Marti ist Besitzer des Kinos "Actualis" in Bern. Vom 26. September
1969 bis 27. Januar 1970 zeigte er den amerikanischen Film "Das geheime
Sexleben von Romeo und Julia". Der Film schildert in vielfältiger
Abwandlung die Abenteuer, welche die sich angeblich in gegenseitiger
unerfüllbarer Liebe verzehrenden Romeo und Julia mit andern Ge
schlechtspartnern erlebten, wobei Sippen und Gesinde in ausgiebiger Weise
am ausgelassenen Spiel beteiligt sind. Dieses findet seinen bildlichen
Niederschlag in beinahe pausenlos sich aneinanderreihenden, derben und
an zum Teil ausgefallenen Handlungsorten abrollenden Intimszenen, die
zwischendurch von einer Orgie und einer Darstellung sexueller Abartigkeit
unterbrochen werden. Eine entsprechende Geräuschkulisse und ein Kommentator
begleiten das Geschehen auf der Szene, bis Romeos und Julias Liebeswünsche
schliesslich in der Grab kammer unter dem gemeinsamen Sargdeckel hörbar
in Erfüllung gehen.

    Der Film wurde am 27. Januar 1970 beschlagnahmt.

    B.- Auf Strafanzeige hin sprach der Gerichtspräsident VI von Bern Marti
am 25. September 1970 von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichungen
frei und hob die Beschlagnahme des Films auf.

    Dieser Entscheid wurde am 22. Januar 1971 vom Obergericht des Kantons
Bern bestätigt.

    C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft und der Generalprokurator des
Kantons Bern führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie die Einziehung und Vernichtung des Films "Das geheime Sexleben
von Romeo und Julia" in Anwendung von Art. 204 Ziff. 3 und 58 StGB anordne.

    D.- Marti trägt auf Abweisung der Beschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- Was den Film "Das geheime Sexleben von Romeo und Julia" anbelangt,
so wird von den Beschwerdeführern einzig dessen Einziehung und Vernichtung
gemäss Art. 204 Ziff. 3 und 58 StGB verlangt.

    a) Nach Art. 204 Ziff. 3 StGB hat der Richter unzüchtige Gegenstände,
zu denen gemäss Ziff. 1 der genannten Bestimmung unter anderem unzüchtige
Filme zählen, in jedem Falle zu vernichten, unbekümmert um die Strafbarkeit
einer bestimmten Person (BGE 77 IV 19). Da eine solche Massnahme ohne
vorgängige Einziehung des unzüchtigen Gegenstandes nicht denkbar wäre, ist
die Verpflichtung des Richters zur vorgängigen Einziehung in dem in Art.
204 Ziff. 3 StGB ausgesprochenen Gebot der Vernichtung enthalten, ohne
dass dafür zusätzlich Art. 58 Abs. 1 StGB beigezogen werden müsste.

    b) Voraussetzung für die Einziehung und Vernichtung eines Filmes
ist nach Art. 204 Ziff. 3 StGB der unzüchtige Charakter desselben. Im
vorliegenden Falle hat das Obergericht diesen verneint. Zwar stellt auch
seiner Meinung nach der Film "Das geheime Sexleben von Romeo und Julia"
ein geschmackloses und ordinäres Machwerk dar, das an die niederen
Instinkte des Menschen appelliert. Die Vorinstanz hielt jedoch dafür,
dass im Lichte der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtes (BGE 96 IV
68), welche die unzweifelhaft eingetretenen Wandlungen in den allgemeinen
Anschauungen über Moral und Sitte in der Weise berücksichtigte, dass ausser
in Fällen offensichtlicher Pornographie in der Anwendung von Art. 204 StGB
Zurückhaltung zu üben sei, es sich nicht rechtfertige, den primitiven
Film als unzüchtig zu bezeichnen, zumal der verantwortliche Beamte für
das Lichtspielwesen im Kanton Bern ihn als weniger weitgehend als den
im genannten Entscheid des Bundesgerichtes beurteilten schwedischen Film
gewertet habe.

    In dem von der Vorinstanz angerufenen Entscheid hat der Kassationshof
in der Tat festgestellt, dass die zeitbedingten Anschauungen der
Allgemeinheit über Moral und Sitte sich in der jüngsten Vergangenheit
geändert haben und dass in Sexualfragen eine versachlichte und
natürliche Betrachtungsweise Platz gegriffen hat. Dass diesem Wandel
in der Einstellung zur Sexualität auch vom Strafrichter Rechnung
zu tragen ist, besagt indessen nicht, dass die deswegen gebotene
Zurückhaltung in der Beurteilung geschlechtlicher Darstellungen,
die nicht eigentlich pornographischer Natur sind, soweit gehen muss,
dass in diesem Bereich praktisch überhaupt kein Raum mehr ist für
die Anwendung von Art. 204 StGB. Das war denn auch nicht der Sinn der
zitierten Erwägung des vorgenannten bundesgerichtlichen Urteils. Vielmehr
wurde in diesem ausdrücklich festgehalten, dass eine realistische,
freie und unbeschönigende Darstellung von Beischlafsszenen mit der
vereinzelten Zurschaustellung der nackten Körper der Beteiligten, auch
wenn deren Genitalien nicht sichtbar sind, zumindest höchst gewagt
erscheine. Wenn im damals beurteilten Fall der unzüchtige Charakter
solcher Szenen verneint wurde, so vor allem deswegen, weil einerseits von
keinen raffinierten technischen Kunstgriffen oder anderen die Phantasie
anregenden Andeutungen Gebrauch gemacht wurde, die Darstellung vielmehr
sachlich nüchtern war, und weil sich anderseits aus dem Gesamtzusammenhang
des Filmes ergab, dass jenen verhältnismässig kurzen Bilderfolgen auch
politische oder gesellschaftskritische Bedeutung zukam. Dadurch wurde der
an sich anstössige Charakter jener Szenen derart abgeschwächt, dass eine
aufdringlich erotisierende oder sexuell aufreizende Wirkung auf erwachsene
Beschauer unterblieb (BGE 96 IV 71 E. 4).

    Im vorliegenden Fall wird eine Shakespeare-Aufführung des Dramas "Romeo
und Julia" zum Ausgangspunkt einer praktisch ununterbrochenen Folge von
ungehemmten Darstellungen geschlechtlicher Vorgänge benutzt. Ausgedehnte
Entkleidungsszenen, bei denen die geschlechtlichen Reize der Frau durch
Haltung und Bewegung klar herausgestellt werden und die aufdringliche
Wirkung des Bildes durch entsprechende Texte sowie die Verwendung
bestimmter Gegenstände (z.B. Banane) unterstrichen wird, leiten über
zur offenen Darstellung des Geschlechtsaktes, bei welchem die nackten
Partner stöhnend und sich wälzend bis zur Erschöpfung gezeigt werden. Als
Handlungsort dienen dabei ausser dem Bett u.a. der Küchentisch, der
strohbelegte Pferdestall, eine Schenke und schliesslich der Sarg in
der Grabkammer. Dabei fällt auch die Wahl der jeweils rasch wechselnden
Geschlechtspartner auf; so wenn der ständig seine Liebe zu Julia bekennende
Romeo sich hemmungslos mit deren Zofe oder deren Mutter tröstet, diese
ihrerseits einen Ordensbruder zu gleichem Tun bemüht und einzig mit
einer Maske versehen an einer Massen-Orgie teilnimmt. Oder wenn Julia
sich nicht nur Männern, sondern hemmungslos auch der lesbischen Liebe mit
ihrer Zofe hingibt und ihrer Leidenschaft überdies in sexueller Abartigkeit
Befriedigung verschafft, indem sie sich während ihres nächtlichen Gesprächs
mit Romeo, das über die Gasse stattfindet, auf ihrem Balkon in Leidenschaft
windet, welches auffällige Gebaren schliesslich in einem unter ihren
Rockschössen hervorspringenden Hund seine Erklärung findet. In denselben
Rahmen passt auch die Szene zwischen dem sich noch als keusch ausgebenden
Mädchen aus dem Gesinde der "Capulet", das sich nach einer vorgetäuschten
Auspeitschung als ersten Geschlechtspartner den in seiner Hässlichkeit
abstossenden Henker auswählt. Die Orgie in der Schenke schliesslich zeigt
neben Beischlafsszenen zu zweit sogenannten Gruppensex. Alles in allem
genommen, beherrscht derbe Sexualität die Szene, und ein anderes Motiv ist
nicht ersichtlich. Der weder künstlerische noch wissenschaftliche Zwecke
verfolgende Film erweist sich als ein geschmackloses Machwerk. Damit
unterscheidet er sich wesentlich von dem in BGE 96 IV 68 beurteilten
schwedischen Film. Die in grosser Breite und ungewöhnlicher Fülle
gegebenen Darstellungen geschlechtlicher Vorgänge entbehren denn auch
jener nüchternen Sachlichkeit, wie sie der Kassationshof im genannten Film
festgestellt hat. Zudem wird der einer uneingeschränkten Schaustellung
sexueller Belange anhaftende Makel des Anstössigen durch all die genannten
Umstände nicht etwa abgeschwächt, sondern in solchem Masse verstärkt, dass
ganze Bilderfolgen geradezu ins Pornographische absinken und jedenfalls
den Film in seiner Gesamtheit zu einem unzüchtigen Gegenstand im Sinne
des Art. 204 Ziff. 3 StGB machen. Darüber helfen auch die eingeflochtenen
Witzeleien des Kommentators nicht hinweg, mit welchen von einer Szene
zur andern übergeleitet wird und die ihrem Zwecke entsprechend zumeist
zweideutig sind. Dass der Film nach der Meinung der Vorinstanz primitiv
ist, ändert am Gesagten ebenfalls nichts. Auch primitive Darstellungen
geschlechtlicher Vorgänge können das natürliche Schamgefühl verletzen,
wenn sie in derber Weise den Menschen zum geilen und völlig von seinem
Geschlechtstrieb beherrschten Wesen erniedrigen und damit beim Beschauer
zumindest eine Abscheu und Widerwillen erregende Wirkung erzeugen (vgl. BGE
96 IV 69 oben mit Verweisungen).

    Schliesslich verfängt auch der Hinweis des Beschwerdegegners nicht,
dass angeblich gegen 100'000 Personen den Film in Bern gesehen, jedoch
nur zwei von ihnen Strafanzeige wegen unzüchtiger Veröffentlichung
erstattet hätten. Das Schweigen der Kinobesucher kann verschieden
gedeutet werden. Ein Teil von ihnen mag jene Darbietungen gesucht oder
an diesen jedenfalls keinen Anstoss genommen haben. Andere werden von
der Erstattung einer Strafanzeige abgesehen haben, weil sie die damit
verbundenen Unzukömmlichkeiten scheuten oder befürchteten, sich der
öffentlichen Kritik auszusetzen. So oder anders ändert das Verhalten des
Publikums nichts am genannten Charakter des Films.

    Ist aber der Film "Das geheime Sexleben von Romeo und Julia" nach
dem Gesagten unzüchtig, so ist das angefochtene Urteil in diesem Punkte
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie
gemäss Art. 204 Ziff. 3 StGB verfahre.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Bern vom 22. Januar 1971 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.