Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 52



97 IV 52

15. Entscheid der Anklagekammer vom 22. März 1971 i.S. Bezirksgericht
Zürich gegen Polizeigericht Basel-Stadt. Regeste

    Art. 96 und 97 ZG, Art. 129 ZV. Bestimmung des Gerichtsstandes in
Zollstrafsachen.

    1.  Zuständigkeit der Anklagekammer (Erw. 1).

    2.  Der Gerichtsstand zur Verfolgung und Beurteilung von Zollvergehen
wird dadurch, dass diese mit strafbaren Handlungen anderer Art
zusammentreffen, nicht beeinflusst (Erw. 2).

    3.  Frage offen gelassen, ob die Anklagekammer in Zollstrafsachen
vom Gerichtsstand des Begehungsortes nach Ermessen abweichen darf (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Hans Widmer führte im Mai/Juni 1968 48 nachgeahmte
Hundertfranken-Goldstücke über Basel in die Schweiz ein, ohne sie beim
Grenzübertritt zur Zollbehandlung anzumelden. Er gibt den objektiven
Sachverhalt zu. Gegen die Strafverfügung der Zollkreisdirektion II
vom 14. Mai 1969, die ihn in Anwendung der Art. 74 Ziff. 3 und 91 ZG
sowie Art. 52/53 WUB mit Fr. 390.95 büsste und ihm Fr. 19.- Kosten und
Gebühren auferlegte, erhob er dennoch Einspruch. Das Eidg. Finanz-
und Zolldepartement verfügte daher am 9. Februar 1970, Widmer sei
gemäss Art. 96 Abs. 1 Ziff. 2 ZG dem zuständigen kantonalen Gericht
zur Aburteilung zu überweisen. Die Oberzolldirektion überwies die
Akten am gleichen Tage der Bundesanwaltschaft und stellte zuhanden des
Gerichtes den Antrag, Widmer wegen Zollübertretung und Hinterziehung
der Warenumsatzsteuer zu einer Busse von Fr. 390.95 zu verurteilen
und ihm die Kosten des administrativen Strafverfahrens sowie die
Gerichtskosten aufzuerlegen. Der Bundesanwalt leitete die Akten am
26. Februar 1970 an das Bezirksgericht Zürich weiter und stellte ihm
den gleichen Antrag. Zur Frage des Gerichtsstandes führte er dabei aus,
Begehungsort der Zollübertretung sei Basel, weshalb gemäss Art. 96 Abs. 2
ZG die Behörden dieses Kantons für die Beurteilung zuständig wären. Da
jedoch gegen Widmer in der gleichen Angelegenheit bereits ein Verfahren
wegen gemeinrechtlicher Delikte (Einführen und in Umlauf setzen falschen
Geldes) bei der Bezirksanwaltschaft Zürich hängig sei, scheine es aus
prozessökonomischen Gründen gerechtfertigt, auch die Zollstrafsache
den zürcherischen Behörden zu überweisen. Es bleibe dem Kanton Zürich
überlassen, sich darüber noch mit den Strafbehörden des Kantons Basel-Stadt
zu verständigen, da die Überweisung nur vorläufigen Charakter habe.

    B.- Widmer beantragte dem Bezirksgericht Zürich am 10.  März 1970,
"das Verfahren vorerst zu sistieren und/oder an die Anklagekammer des
Kantons Zürich zu überweisen".

    Das Bezirksgericht Zürich beschloss am 14. April 1970, Überweisung
und Anklage mangels örtlicher Zuständigkeit nicht zuzulassen.

    Dieser Beschluss wurde am 24. September 1970 auf Rekurs der
Bundesanwaltschaft hin vom Obergericht des Kantons Zürich aufgehoben. Die
Rekursbehörde sprach sich über den Gerichtsstand nicht aus. Sie kam nur
zum Schluss, das Bezirksgericht hätte sich nicht unzuständig erklären
dürfen, ohne die Basler Behörden zu befragen und im Falle eines negativen
Kompetenzkonfliktes das Bundesgericht anzurufen.

    Am 23. Oktober 1970 ersuchte das Bezirksgericht Zürich das
Polizeigericht Basel-Stadt, den Fall zuständigkeitshalber zu übernehmen. Es
verwies auf die Begründung seines Beschlusses vom 14. April 1970.

    Der Polizeigerichtspräsident von Basel-Stadt lehnte am14. Dezember
1970 die Übernahme ab. Er führte aus, er teile die Auffassung der
Bundesanwaltschaft, und fügte bei, gemäss Art. 350 Ziff. 1 StGB seien
zweifelsohne die Behörden des Kantons Zürich zuständig, zumal in derselben
Sache dort bereits ein Verfahren wegen gemeinrechtlicher Delikte anhängig
sei.

    Einer Protokollnotiz des Bezirksgerichtes Zürich vom 24. Februar 1971
ist zu entnehmen, dass die Bezirksanwaltschaft Zürich die Untersuchung
gegen Widmer noch nicht abgeschlossen hat.

    C.- Mit Eingabe vom 8./16. März 1971 beantragt das Bezirksgericht
Zürich der Anklagekammer des Bundesgerichts, "den zur Beurteilung
der vorliegenden Fiskalstrafsache berechtigten und verpflichteten
Kanton zu bezeichnen". Es hält die Behörden des Kantons Basel-Stadt für
zuständig. Zur Begründung verweist es im wesentlichen auf seinen Beschluss
vom 14. April 1970.

    Der Polizeigerichtspräsident von Basel-Stadt hält an der am
14. Dezember 1970 vertretenen Auffassung fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wenn die Bundesanwaltschaft die Akten zur gerichtlichen Beurteilung
von Zollvergehen einem Gericht übermittelt (Art. 97 ZG), trifft sie nicht
eine verbindliche Verfügung über den Gerichtsstand. Streitigkeiten über die
interkantonale Zuständigkeit sind in solchen Fällen von der Anklagekammer
des Bundesgerichtes zu beurteilen, obwohl das weder im Zollgesetz noch
in den Bestimmungen über das Verfahren bei Übertretung fiskalischer
Bundesgesetze (Art. 279 ff. BStP) vorgesehen ist (BGE 82 IV 123 Erw. 1,
91 IV 220 Erw. 1).

Erwägung 2

    2.- Der Gerichtsstand zur Verfolgung von Zollvergehen - darunter
sind auch die Zollübertretungen im Sinne des Art. 74 ZG zu verstehen
(Art. 73 ZG) - untersteht nicht dem Art. 283 BStP, sondern Art. 96 ZG und
Art. 129 ZV; denn Art. 279 BStP behält für das Verfahren bei Übertretung
fiskalischer Bundesgesetze die besonderen Bestimmungen der einschlägigen
Bundesgesetze und der darauf beruhenden Ausführungsverordnungen vor
(BGE 82 IV 125, 91 IV 110 Erw. 2, 220 Erw. 2).

    Die Art. 96 ZG und 129 ZV sehen für den Fall des Zusammentreffens von
Zollvergehen mit Widerhandlungen gegen Strafgesetze nichtfiskalischer Natur
keinen besonderen Gerichtsstand vor. Sie bestimmen nicht z.B. nach dem
Vorbild des Art. 350 Ziff. 1 StGB, der Gerichtsstand zur Verfolgung der mit
der schwersten Strafe bedrohten Tat sei auch Gerichtsstand zur Verfolgung
der anderen. Das Fehlen einer solchen Bestimmung im Zollgesetz beruht nicht
auf einem Versehen. Das Problem war beim Erlass des Zollgesetzes bekannt,
enthielt doch schon der Entwurf zum StGB von 1918 in Art. 369 Ziff. 1 eine
dem Art. 350 Ziff. 1 StGB entsprechende Bestimmung. In Art. 96 Abs. 5 ZG
wurde dem Zusammentreffen von Zollvergehen und Handlungen, die durch die
Strafgesetzgebung des Bundes oder der Kantone mit Strafe bedroht sind,
ausdrücklich Rechnung getragen. Nach dieser Bestimmung ist auf die
Zollvergehen stets "das Verfahren" des Zollgesetzes anzuwenden. Unter
dem "Verfahren" sind auch die Regeln über die örtliche Zuständigkeit zu
verstehen, denn der Hauptzweck des Art. 96 ZG besteht, wie sein Randtitel
zeigt, gerade in der Ordnung der Zuständigkeit, unter anderem auch der
örtlichen (Art. 96 Abs. 2 ZG). Der Zollgesetzgeber ging also davon aus,
dass das Zusammentreffen von Zollvergehen mit strafbaren Handlungen anderer
Art den Gerichtsstand zur Verfolgung und Beurteilung der ersteren nicht
beeinflusse. Er verlangte nicht, dass Zollvergehen an ein und demselben
Orte zu beurteilen seien wie die anderen strafbaren Handlungen oder sogar
durch ein und dasselbe Gericht.

    Art. 350 StGB hat daran nichts geändert. Diese Bestimmung steht im
Titel über die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Behörden, "denen
die Verfolgung und Beurteilung der in diesem Gesetze vorgesehenen, der
kantonalen Gerichtsbarkeit unterstellten strafbaren Handlungen obliegt"
(Art. 345 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) (vgl. BGE 69 IV 34). Dass die Art. 346
ff. StGB auch für die Verfolgung von Zollvergehen oder von Widerhandlungen
gegen andere fiskalische Bundesgesetze gelten, ist dem Strafgesetzbuch
nicht zu entnehmen. Art. 96 ZG ist unter den Bestimmungen, die das
Strafgesetzbuch aufgehoben oder abgeändert hat, nicht aufgezählt (Art. 398,
399 StGB). Auch hat das Strafgesetzbuch die im Bundesgesetz über die
Bundesstrafrechtspflege getroffene deutliche Unterscheidung zwischen dem
"Verfahren in Bundesstrafsachen, die von kantonalen Gerichten zu beurteilen
sind" (Art. 247 ff. BStP) und dem "Verfahren bei Übertretung fiskalischer
Bundesgesetze" (Art. 279 ff. BStP) nicht angetastet. Das Strafgesetzbuch
verlangt nicht, dass alle strafbaren Handlungen, die einem Beschuldigten
gleichzeitig vorgeworfen werden, durch den gleichen Richter zu beurteilen
seien. Das ist namentlich nicht der Sinn von Art. 350 Ziff. 1 StGB (BGE
95 IV 35 oben), aber auch nicht der Sinn des Art. 68 StGB (BGE 84 IV 11,
91 IV 59, 95 IV 34 Erw. 2); diese Bestimmung gilt für Zollbussen nicht
(BGE 68 IV 109, 76 IV 296, 78 IV 198, 81 IV 188).

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 96 ZG und Art. 129 ZV sind die in der Schweiz verübten
Zollvergehen von den Gerichten jenes Kantons zu beurteilen, wo sie begangen
wurden. Art. 96 Abs. 2 Satz 1 ZG sagt, diese Gerichte seien "in der Regel"
zuständig. Man kann sich fragen, ob diese Wendung nicht lediglich den Sinn
hat, die in Art. 96 Abs. 2 Satz 1 behandelten Fälle mit einem einzigen
Begehungsort seien die normalen, denen die in den nachfolgenden Sätzen
geregelten Sonderfälle gegenüberständen. Dieser Auffassung war offenbar
der Bundesrat, denn er liess in Art. 129 ZV die Worte "in der Regel"
weg. Wenn diese Auslegung richtig sein sollte, wäre die Anklagekammer
nicht berechtigt, vom Gerichtsstand des Begehungsortes abzuweichen,
es wäre denn in sinngemässer Anwendung der auf das Fiskalstrafverfahren
nicht zutreffenden Art. 262 und 263 BStP.

    Die Frage, ob die Anklagekammer vom Gerichtsstand der Begehung des
Zollvergehens nach Ermessen abweichen darf, kann jedoch wie in BGE 91 IV
222 offen gelassen werden. Denn es besteht kein triftiger Grund, Widmer
für die Zollübertretung und die Hinterziehung der Warenumsatzsteuer
statt am Begehungsorte Basel im Kanton Zürich beurteilen zu lassen. Die
Oberzolldirektion und die Bundesanwaltschaft beantragen für die
Fiskalübertretungen nur die Ausfällung einer Busse im einfachen Betrage
der umgangenen Warenumsatzsteuer. Dass erschwerende Umstände vorlägen,
die gemäss Art. 75 Abs. 2 ZG eine Gefängnisstrafe rechtfertigen
würden, behaupten sie nicht. Für die Zumessung der in Frage kommenden
Strafe ist bedeutungslos, ob Widmer sich ausserdem des Einführens,
Erwerbens und Lagerns falschen Geldes (Art. 244 StGB) und des Betruges
(Art. 148 StGB) schuldig gemacht hat. Fiskalbussen dürfen nicht wegen
Zusammentreffens mehrerer strafbarer Handlungen milder bemessen werden
(BGE 78 IV 198 Erw. 4 am Ende). Die Fiskalübertretungen lassen sich
daher ohne Nachteil für den Beschuldigten getrennt von den Verbrechen
und Vergehen beurteilen. Übrigens ergibt sich aus den Erwägungen des
Bezirksgerichtes Zürich vom 14. April 1970, dass die derzeit von der
Bezirksanwaltschaft Zürich behandelte Strafsache nicht zu einer Überweisung
an das Bezirksgericht führen kann, sondern in die Zuständigkeit des
Geschworenengerichts oder des Obergerichts fällt und dass sehr zweifelhaft
ist, ob das kantonale Recht die Mitbeurteilung der Fiskalübertretungen
durch diese Gerichte zuliesse. Das Bundesrecht verlangt sie jedenfalls
nicht. Die "prozessökonomischen Gründe", die der Bundesanwaltschaft am
26. Februar 1970 vorschwebten, bestehen also voraussichtlich nicht. Es
rechtfertigt sich nicht, bei der Bestimmung des Gerichtsstandes auf sie
Rücksicht zu nehmen. Die Bundesanwaltschaft war sich übrigens des bloss
"vorläufigen Charakters" ihrer "Überweisung" bewusst.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Behörden des Kantons Basel-Stadt werden zuständig erklärt, Hans
Widmer für die ihm zur Last gelegten Fiskalübertretungen zu verfolgen
und zu beurteilen.