Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 238



97 IV 238

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Dezember 1971
i.S. Christen gegen Meier. Regeste

    Art. 29 StGB. Berechnung der Antragsfrist.

    Der Tag, an dem die Antragsfrist zu laufen beginnt, ist nicht
mitzuzählen (Anderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 29 StGB beginnt die Frist von drei Monaten, innert
der Strafantrag gestellt werden kann, mit dem Tag, an welchem dem
Antragsberechtigten der Täter bekannt wird. In BGE 77 IV 208 erklärte der
Kassationshof bei der Auslegung der ähnlich lautenden Fristbestimmung des
Art. 71 StGB, diese könne nach dem Wortlaut nur den Sinn haben, dass der
Tag, an dem die Frist beginnt, mitzuzählen sei, ansonst das Gesetz die
Frist "mit dem folgenden Tag" hätte beginnen lassen. Eine Bestätigung
dieser Auffassung wurde darin gesehen, dass das Strafgesetzbuch im
Unterschied zu andern Bundesgesetzen keine Bestimmung über die Berechnung
der Fristen enthält, die etwas anderes vorschreibt. Im gleichen Entscheid
wurde abschliessend (S. 209) vermerkt, dass dieselben Überlegungen in
Zukunft auch für die Berechnung der Antragsfrist des Art. 29 StGB Geltung
hätten. Dies wurde seither auch befolgt (vgl. BGE 80 IV 213, 83 IV 186).

    An dieser Rechtsprechung ist nicht festzuhalten. Es gibt keinerlei
Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesgesetzgeber bei der Schaffung des StGB
auf den Erlass einer Bestimmung über die Berechnung der Fristen verzichtet
hätte, um eine von den Normen des übrigen Bundesrechts abweichende Ordnung
aufzustellen und zum Ausdruck zu bringen, dass im materiellen Strafrecht
das Gegenteil von dem gelten soll, was bereits auf den Gebieten des SchKG
(Art. 31 Abs. 1), OR (Art. 77 und 132) und ZGB (Art. 7, BGE 42 II 333)
sowie in der Bundesrechtspflege (Art. 32 Abs. 1 OG) gilt, nämlich dass
bei den Verjährungs-, Verwirkungs- und prozessualen Fristen der Tag, an
dem die Frist beginnt, nicht mitzuzählen ist. Auf eine solche Absicht
kann auch nicht aus dem Wortlaut der Art. 29 und 71 StGB geschlossen
werden. Abgesehen davon, dass sich aus der Festsetzung des Tages, an dem
eine Frist zu laufen beginnt, noch nicht schlüssig ergibt, wie der Lauf
der Frist zu berechnen ist, bildet die im StGB gebrauchte Formulierung,
dass die Frist mit dem Tag beginne, an dem das massgebende Ereignis
eintritt, keineswegs eine Besonderheit des Strafgesetzes. Die gleiche
Wendung findet sich z.B. auch in Art. 130 Abs. 2 OR, wo bestimmt wird,
dass die Verjährung einer auf Kündigung gestellten Forderung mit dem
Tag beginnt, auf den die Kündigung zulässig ist; trotzdem ist der Tag
des Fristbeginns nach Art. 132 Abs. 1 OR nicht mitzuzählen. Wirft
das Fehlen einer eigenen Vorschrift im StGB einzig die Frage auf,
nach welcher Regel die strafrechtlichen Fristen zu berechnen sind, so
liegt es nahe, im Interesse einer einheitlichen Fristberechnung die in
den entsprechenden Bestimmungen des übrigen Bundesrechts vorgesehene
Berechnungsart anzuwenden, die zudem auch von den meisten kantonalen
Prozessgesetzen übernommen wurde. Diese Lösung drängt sich umso mehr auf,
als der Kassationshof auch in Fragen der Einhaltung der Antragsfrist
(Postaufgabe am letzten Tag der Frist, Ablauf der Frist an Sonn- und
Feiertagen) entschieden hat, dass aus Gründen der Rechtssicherheit und
des praktischen Bedürfnisses auf die übereinstimmende Regelung im OG,
OR und SchKG abzustellen sei (BGE 81 IV 322, 83 IV 186). Im Falle der
Antragsfrist kommt hinzu, dass es sich um eine Verwirkungsfrist handelt,
die der Wahrung eines Rechts dient. Es wäre daher, wie bereits in BGE 73
IV 8 ausgeführt wurde, auch unbillig, den allgemein anerkannten Grundsatz,
dass Fristen erst von dem auf deren Beginn folgenden Tag an zu rechnen
sind, gegenüber dem Antragsberechtigten ausnahmsweise nicht gelten zu
lassen und ihm damit die zur Stellung des Strafantrages eingeräumte
Frist nicht voll zur Verfügung zu stellen. Wird sie aber nach der in der
schweizerischen Rechtsordnung üblichen Art berechnet, so kann auch nicht
von einem Entgegenkommen gegenüber dem Antragsberechtigten und ebensowenig
von einer entsprechenden Benachteiligung des Beschuldigten die Rede sein,
wie in BGE 77 IV 209 angenommen wurde.

    Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin von den ehrverletzenden
Äusserungen, die der Beschwerdeführer gegenüber Paul Bai getan hat,
nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz frühestens im Verlaufe
des 6. Oktobers 1967 Kenntnis erhalten. Da dieser Tag nicht mitzuzählen
ist, lief die Frist von drei Monaten bis zum 6. Januar 1968. Sie wurde
daher durch die an diesem Tag eingereichte Strafklage gewahrt, selbst
wenn ausser acht gelassen wird, dass der 6. Januar 1968 ein Samstag
war und die Antragsfrist demzufolge bis zum folgenden Montag weiterlief
(Bundesgesetz vom 21. Juni 1963 über den Fristenlauf an Samstagen).