Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 229



97 IV 229

42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Juli 1971
i.S. Monteverdi gegen Flück, Stotz und Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Stadt. Regeste

    1.  Art. 272 Abs. 6 BStP. Diese Bestimmung gibt den Parteien keinen
Anspruch auf eine weitergehende Akteneinsicht, als sie ihnen im kantonalen
Verfahren zustand.

    2.  Art. 249 BStP. Dieser Grundsatz betrifft nicht
Beweisbeschränkungen, die sich daraus ergeben, dass das kantonale Recht
aus anderen Gründen als der Beweiswürdigung gewisse Beweismittel nicht
oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt.

Sachverhalt

    A.- In der Nacht vom 1./2. Juni 1970 führten die Polizeileute Flück
und Brunner um 22.30 Uhr im Schützenmattpark in Basel Personenkontrollen
durch. Dabei fuhren sie mit ihrem Wagen bis auf ungefähr zwei Meter
an Monteverdi heran und forderten ihn auf, sich auszuweisen. Dieser
antwortete mit Schimpfworten und versuchte sich zu entfernen. In der Folge
kam es zwischen Monteverdi und Flück zu einem tätlichen Streit. Auf dem
Polizeiposten verhielt sich Monteverdi erneut widersetzlich und leistete
den Anforderungen des Polizisten Stotz Widerstand.

    Gestützt auf diese Vorkommnisse erhob die Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt am 9. September 1970 gegen Monteverdi Anklage wegen
wiederholter Gewalt gegen Beamte, und Flück reichte Privatklage wegen
Beschimpfung und einfacher Körperverletzung ein, während Monteverdi
seinerseits die Polizeileute Flück und Stotz wegen Tätlichkeiten verzeigte.

    B.- Am 25. November 1970 verurteilte das Strafdreiergericht von
Basel-Stadt Monteverdi wegen wiederholter Gewalt gegen Beamte und
Beschimpfung zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr.
500.--. Es sprach ihn dagegen von der Privatklage der einfachen
Körperverletzung frei, und ebenso wurden Flück und Stotz von der
Privatverzeigung der Tätlichkeit freigesprochen.

    Auf Appellation hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt am 26. März 1971 den erstinstanzlichen Entscheid, nachdem es
verschiedene Beweisanträge Monteverdis abgelehnt hatte.

    C.- Monteverdi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Appellationsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    In prozessualer Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend,
das Appellationsgericht habe ihm die Einsicht in die Personalakten
der Polizeileute Flück und Stotz verweigert; es seien diese Akten vom
Präsidenten des genannten Gerichtes nicht mehr beigezogen, sondern
eliminiert worden, wodurch Art. 272 Abs. 6 BStP und der Grundsatz der
freien Beweiswürdigung verletzt worden sei. Der Nichtbeizug jener Akten
habe es dem Gericht verunmöglicht, Vorleben, Persönlichkeitsadäquanz und
Strafempfindlichkeit der Beteiligten zu beurteilen.

    a) Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoss gegen Art.  272
Abs. 6 BStP durch Verweigerung der Einsicht in die Personalakten der
Beschwerdegegner im kantonalen Verfahren rügt, ist er nicht zu hören. Die
einer Partei in diesem Verfahren zustehenden Verteidigungsrechte werden
durch das kantonale Prozessrecht und letztlich durch Art. 4 BV geordnet,
nicht durch Art. 272 Abs. 6 BStP. Diese letztere Vorschrift gilt nur
für die Offenhaltung der Strafakten zum Zwecke der Begründung einer
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. In dem Masse aber als Monteverdi
rügen will, das Appellationsgericht habe ihm jene Akten auch zu solchem
Behufe nicht geöffnet, könnte von einer Verletzung von Art. 272 Abs. 6
BStP nur die Rede sein, wenn nachgewiesen wäre, dass der Beschwerdeführer
nach Erhalt des angefochtenen Urteils auch tatsächlich Akteneinsicht
verlangt hatte (vgl. das unveröffentlichte Urteil des Kassationshofes
vom 16. Februar 1959 i.S. Wenzin). Das ist jedoch nicht der Fall gewesen.

    Im übrigen könnte der Beschwerdeführer aus Art. 272 Abs. 6 BStP
ohnehin nicht einen Anspruch auf weitere Akteneinsicht ableiten, als
sie ihm von Rechts wegen im kantonalen Verfahren zustand. Kantonale
Verwaltungsakten, die wegen ihres vertraulichen Charakters im Interesse
überwiegender öffentlicher oder schutzwürdiger privater Interessen
schon während dem kantonalen Verfahren nicht zur Einsicht offengehalten
werden konnten, sind dem Beschwerdeführer auch nicht zur Begründung der
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zu öffnen. Im vorliegenden Fall
hätte Monteverdi im Sinne eines sachlichen Ausgleichs der auf dem Spiele
stehenden Interessen (IMBODEN, Verwaltungsrechtssprechung, 3. Aufl., II
Nr. 613 IV) höchstens eine Abschrift oder einen schriftlichen Auszug aus
denjenigen Schriftstücken der fraglichen Personalakten verlangen können,
die in der Hauptverhandlung vor Strafdreiergericht vorgelesen und dem
angefochtenen Urteil zugrunde gelegt worden waren. Dass er indessen ein
dahingehendes Begehren gestellt habe, behauptet er selber nicht.

    b) Inwiefern sodann das Appellationsgericht den in Art.  249 BStP
verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung verletzt haben soll, indem
es die vertraulichen Personalakten der Polizisten Flück und Stotz nicht
erneut beigezogen hat, ist nicht ersichtlich. Art. 249 BStP verbietet es
dem Richter bloss, bei der Durchführung von Beweisen und der Würdigung
erhobener Beweise gesetzlichen Regeln zu folgen, welche die eigene
Prüfung und Bewertung ihrer Überzeugungskraft ausschliessen. Dagegen
betrifft die genannte Verfahrensvorschrift nicht Beweisbeschränkungen,
die sich daraus ergeben, dass das kantonale Recht aus andern Gründen als
der Beweiswürdigung, z.B. zur Wahrung schutzwürdiger öffentlicher oder
privater Interessen gewisse Beweismittel nicht oder nur unter bestimmten
Voraussetzungen zulässt (BGE 84 IV 175). Wenn das Appellationsgericht im
vorliegenden Fall die vertraulichen Personalakten der Beschwerdegegner
aus solchen Gründen nicht mehr beigezogen hat, so hat es damit in keiner
Weise gegen Art. 249 BStP verstossen (vgl. BGE 80 I 5).