Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 111



97 IV 111

25. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 23. April 1971
i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen A. und J. Frauenknecht.
Regeste

    Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG, Art. 273 Abs. 2 und 3 StGB; Verletzung
militärischer Geheimnisse und wirtschaftlicher Nachrichtendienst.

    1.  Begriff des militärischen Geheimnisses; Geheimhaltung mit Rücksicht
auf die Landesverteidigung. Bedeutung des Geheimhaltungswillens (Erw. 2).

    2.  Verletzung militärischer Geheimnisse durch Preisgabe der
Fabrikationsunterlagen für das Mirage-Triebwerk an einen fremden Staat
(Erw. 3).

    3.  Verhältnis zwischen Art. 86 MStG einerseits und Art. 106 MStG,
Art. 274 und 301 StGB anderseits (Erw. 4).

    4.  Wirtschaftlicher Nachrichtendienst durch Verrat von
Fabrikationsunterlagen, die nicht bloss aus militärischen, sondern auch
aus wirtschaftlichen Gründen geheimgehalten werden. Schwerer Fall (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- 1. In den Jahren 1958/1960 hatte sich der Bundesrat mit der Wahl
und Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges zu befassen. Er entschied sich
für das französische Flugzeug Mirage III S, das mit dem Triebwerk ATAR
09C ausgerüstet ist. Das Flugzeug sollte von schweizerischen Unternehmen
in Lizenz hergestellt werden, wobei für den Bau des Triebwerkes die Firma
Sulzer in Winterthur, die bereits vom Lizenzbau der Venom-Düsentriebwerke
her über Erfahrungen und Einrichtungen verfügte, in Aussicht genommen
wurde.

    Durch Vertrag vom 27. Juli 1961 sicherte sich die Kriegstechnische
Abteilung (KTA) von der Société Nationale d'Etude et de Construction de
Moteurs d'Aviation (SNECMA) in Paris das Recht, das von dieser Firma in
15jähriger Entwicklung geschaffene Triebwerk ATAR 09C von schweizerischen
Unternehmen herstellen zu lassen. Die KTA übernahm die Pflicht, die ihr
von der SNECMA überlassenen Unterlagen nur den mit dem Bau des Triebwerkes
beauftragten Unternehmen zugänglich zu machen und diese ihrerseits zur
Geheimhaltung zu verpflichten.

    Am 17. Oktober 1961 erteilte die KTA als Lizenznehmerin und Bestellerin
der Firma Sulzer den Auftrag, eine bestimmte Zahl Düsentriebwerke
ATAR 09C herzustellen und zu liefern. Die KTA hatte ihr dafür alle
notwendigen Lizenzunterlagen und Auskünfte zugänglich zu machen, welche
die Firma Sulzer aber nur für den erteilten Auftrag verwenden und einzig
an schweizerische Unterlieferanten weitergeben durfte. Eine ähnliche
Verpflichtung zur Geheimhaltung hatte die Firma Sulzer für sich und ihr
Personal bereits am 1. März 1961 eingehen müssen, wobei sie insbesondere
darauf aufmerksam gemacht wurde, dass keinerlei Lizenzunterlagen ohne
ausdrückliche Bewilligung der KTA ins Ausland gelangen durften.

    Die Firma Sulzer setzte ihre Angestellten, die in der Abteilung
"Düsentriebwerke" beschäftigt wurden oder sonst Einsicht in die
Lizenzunterlagen erhalten konnten, über diese Geheimhaltungspflichten
namentlich durch Mitteilungen vom 27. März und 30. Oktober/13. November
1961 in Kenntnis. Die Mitteilungen wurden 1963 und 1964 durch Weisungen,
insbesondere über das Aufbewahren und den Versand von Lizenzunterlagen,
sowie durch Richtlinien ergänzt, um eine wirkungsvolle Geheimhaltung
zu gewährleisten.

    2. In den Jahren 1966/1968 organisierte die SNECMA in Paris vier
Arbeitstagungen, um mit den Staaten, welche Mirage-Kampfflugzeuge gekauft
hatten oder in Lizenz herstellten, Erfahrungen mit ATAR-Triebwerken
auszutauschen. Alfred Frauenknecht, der seit 1952 als Maschinentechniker
in der Abteilung "Düsentriebwerke" der Firma Sulzer tätig und seit 1962
technischer Leiter dieser Abteilung war, gehörte jeweils zur Abordnung
der Firma Sulzer. Er lernte an den Tagungen verschiedene Vertreter der
israelischen Luftwaffe und Flugzeugwerke, insbesondere Oberst Shoham und
Ingenieur Segal kennen. Die israelischen Flugzeugwerke hatten bereits nach
dem Waffen- und Flugzeugembargo Frankreichs gegen Israel vom 7. Juni 1967
unter Hinweis auf eine mögliche Zusammenarbeit versucht, mit der Firma
Sulzer ins Gespräch zu kommen und von ihr oder ihren Unterlieferanten
ATAR-Ersatzteile zu erhalten. Am 14. Februar 1968 erkundigte sich Segal von
Paris aus bei der Firma nach der Möglichkeit einer Werkbesichtigung durch
Oberst Shoham und Oberstleutnant Simon. In einem Brief vom folgenden Tage
führte die israelische Einkaufsmission von Paris dazu aus, die Besucher
möchten sich im Hinblick auf allfällige Käufe u.a. über die Herstellung von
Rohrleitungen, Wärmebehandlungs- und Schweissmethoden unterrichten lassen.
Die Bundesbehörden hatten gegen den geplanten Besuch, der am 20./21. Mai
1968 unter der Führung von Alfred Frauenknecht stattfinden sollte,
nichts einzuwenden.

    Am 24. April 1968 schaltete sich Oberst Kain ein, der damals
israelischer Militärattaché in der Schweiz war und der israelischen
Einkaufsmission von Rom angehörte. In einem Telephongespräch berief
er sich auf den vorgesehenen Besuch Shohams bei der Firma Sulzer und
ersuchte deren Direktor Schmid um eine Besprechung. Schmid beauftragte
Alfred Frauenknecht, der noch am gleichen Tage in Zürich mit Kain
zusammentraf. Dieser erschien zusammen mit Schwimmer, dem Generaldirektor
der israelischen Flugzeugwerke, und dessen Assistenten Ariat. Frauenknecht
erkannte bald, dass es den Israeli nicht um den Besuch von Shoham und
Simon ging, sondern dass sie von der Firma Sulzer ATAR-Triebwerke 09C,
zumindest Ersatzteile und Werkzeuge oder die Pläne dafür erhalten
wollten. Frauenknecht vermittelte den beiden Israeli eine Besprechung
mit Direktor Schmid, liess aber auf eine Frage hin durchblicken, dass
er zu einem weitern Treffen bereit sei, falls Direktor Schmid auf ihre
Begehren nicht eingehen sollte. Seinem Vorgesetzten teilte er mit, dass
die Israeli sich für Dieselmotoren und Pumpen interessierten und bat ihn,
nach Zürich zu kommen. Direktor Schmid entsprach diesem Wunsch. Als Kain
ihm dann nach einigen Umschweifen eingestand, dass es Israel vor allem um
ATAR-Ersatzteile aus der Schweiz gehe, wurde Schmid unwillig; gleichwohl
sicherte er Kain zu, sich bei den zuständigen Amtsstellen in Bern zu
erkundigen, ob solche Geschäfte überhaupt möglich wären. Die Bundesbehörden
verneinten dies, was Kain am 29. April 1968 mitgeteilt wurde.

    Am 29. oder 30. April 1968 liess Alfred Frauenknecht sich von
Kain zu einer weitern Besprechung in Zürich bewegen, an der auch
Oberstleutnant Yehuda Giladi, stellvertretender Leiter der israelischen
Einkaufsmission von Rom, teilnahm. Frauenknecht wusste, dass Kain von
Schmid eine endgültige Absage erhalten hatte. Er hatte sich die Sache
inzwischen indes selber überlegt und sagte sich, dass er den Israeli die
Lizenzunterlagen liefern und ihnen damit zum Bau des ATAR-Triebwerkes
09C verhelfen könnte. Er hatte auch schon darüber nachgedacht, wie er die
Unterlagen unter dem Vorwand, sie in die Verbrennungsanstalt zu bringen,
von seinem Arbeitsort wegschaffen, mit fingierten Akten vertauschen und
dann den Israeli zuhalten könnte. Er erörterte seinen Gesprächspartnern
das Vorgehen, legte mit ihnen die Reihenfolge der Übergabe fest und gab
seine Entschädigung, welche er bloss als Risikodeckung beansprucht haben
will, mit 200 000 Dollar oder 860 000 Franken an.

    3. Etwa zwei Wochen später, vermutlich am 13. Mai 1968, kam Alfred
Frauenknecht in Kloten mit Kain zusammen, der ihm einen israelischen
Agenten mit dem Decknamen Oskar vorstellte. Frauenknecht brachte zu
diesem Treffen ein umfassendes Stückverzeichnis der SNECMA mit, das
insbesondere über die Nummer, die Benennung, Materialspezifikation,
Anzahl und Zeichnungen der einzelnen Triebwerkbestandteile Auskunft
gab. Frauenknecht übergab es Oberst Kain und erhielt von ihm bereits
Fr. 55 000.--. Den Rest seiner Entschädigung sollte er in Raten, bei
weiteren Lieferungen von Dokumenten bekommen.

    Für die nächsten Treffen war die Übergabe der Triebwerkzeichnungen
vorgesehen. Frauenknecht liess sich dafür unter dem Vorwand, diese
Pläne für Studien zu benötigen, einen Satz aller Zeichnungen, welche
über die einzelnen Triebwerkteile vorhanden waren, anfertigen. Bei
fünfzehn bis dreissig Treffen, die vom 5. Juni 1968 bis 4. März 1969 in
Zürich oder Umgebung stattfanden, händigte er diese Zeichnungen Giladi,
Kain oder anderen israelischen Agenten aus, die sie kopierten und dann
zurückgaben. Es handelte sich nach seinen eigenen Angaben um etwa 2500
Dokumente, welche alle wesentlichen Teile des Triebwerkes betrafen.

    Die übrigen Lizenzunterlagen bestanden namentlich aus 45 000
Werkzeugzeichnungen sowie aus schriftlichen Arbeitsanweisungen oder
"Operationsplänen", die etwa 120 000 Blätter vom Format A4 umfassten. Dazu
kamen viele tausend überholte Modifikationen, Pläne und Zeichnungen
aller Art. Sie wogen zusammen über 2300 kg. Für ihre Auslieferung an die
Israeli nützte Alfred Frauenknecht den Umstand aus, dass diese Dokumente
nach der Beendigung der Lizenzfabrikation im Frühjahr 1968 unter seiner
Leitung eingezogen, nach Nummern geordnet und, nachdem ihr Inhalt auf
Mikrofilm aufgenommen worden war, in der Kehrrichtverbrennungsanstalt von
Winterthur vernichtet werden sollten. Von Ende September 1968 an liess
er die Zeichnungen in Rollen, die Pläne in Schachteln verpacken und in
Abständen von etwa zwei Monaten eine Ladung bereitstellen, um sie, wie
er vorgab, der Verbrennungsanstalt abzuliefern.

    Für die Lieferungen zog Alfred Frauenknecht seinen Vetter Josef
Frauenknecht bei. Er stellte ihm einen neuen Fiat-Kastenwagen zur
Verfügung. Josef Frauenknecht sollte damit die Pakete jeweils bei
der Firma Sulzer abholen und sie in eine Garage an der Bollstrasse in
Winterthur bringen, wo sie mit einer in Gewicht und Aussehen ungefähr
gleichen Ladung vertauscht wurden. Die fingierten Pakete musste Josef
Frauenknecht herstellen. Er hatte dafür wenn immer möglich Planpapier
zu verwenden, den Packungen oben und unten überflüssige ATAR-Zeichnungen
beizulegen oder sie mit überholten ATAR-Plänen zu umhüllen. Er benötigte
im ganzen etwa 3000 kg Papier und 500 Schachteln.

    Die von ihm selbst hergestellten Pakete brachte Josef Frauenknecht
zwischen dem 30. September 1968 und dem 17. September 1969 in sieben
Malen mit dem Kastenwagen in die Verbrennungsanstalt, wo sie gewogen
und unter der Aufsicht von Alfred Frauenknecht in den Ofen geworfen
wurden. Die Schachteln und Rollen mit den ATAR-Dokumenten dagegen musste
Josef Frauenknecht, nachdem sein Vetter sie in Kisten verpackt hatte,
von der Garage an der Bollstrasse mit dem Kastenwagen nach Rheinfelden
bringen. Er fuhr insgesamt siebenmal, immer an einem Samstag; das erste Mal
am 5. Oktober 1968, das letzte Mal am 20. September 1969. In Rheinfelden
musste er das Fahrzeug jeweils seinem Vetter überlassen und auf dessen
Rückkehr warten. Alfred Frauenknecht fuhr mit dem Wagen nach Möhlin oder
Kaiseraugst weiter, wo er die Kisten dem Agenten Hans Strecker ablieferte,
der die Dokumente nach Deutschland schaffte. Von dort gelangten sie -
mit Ausnahme von vier Kisten, deren Inhalt in Kaiseraugst sichergestellt
werden konnte - nach Israel.

    B.- Alfred Frauenknecht wurde der fortgesetzten Verletzung
militärischer Geheimnisse im Sinne von Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG sowie
des fortgesetzten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne von
Art. 273 Abs. 2 und 3 StGB angeklagt.

    Das Bundesstrafgericht fand ihn im Sinne der Anklage schuldig.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG, der unter dem Randtitel
"Verräterei. Verletzung militärischer Geheimnisse" eingereiht ist, wird mit
Zuchthaus bestraft, wer vorsätzlich Tatsachen, Vorkehren, Verfahren oder
Gegenstände, die mit Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten
werden, einem fremden Staat, dessen Agenten oder der Öffentlichkeit
bekannt oder zugänglich macht.

    Das Strafgesetzbuch und das Militärstrafgesetz kennen keinen
einheitlichen Geheimnisbegriff. Dieser kann je nach den Tatbeständen, in
denen Geheimnisverletzungen mit Strafe bedroht sind, mehr oder weniger
weit sein (vgl. BGE 65 I 49 Erw. 1 und 333 Erw. a). Die Auslegung des
Begriffes hängt insbesondere vom geschützten Rechtsgut und den Wertungen
ab, die den Strafbestimmungen zugrunde liegen. In Fällen nach Art. 86
MStG wird er eher weit ausgelegt, weil das, was als geheim zu gelten hat,
von Fall zu Fall grosse Unterschiede aufweisen, insbesondere der Kreis der
Mitwisser sehr ungleich und die verschiedensten Tatsachen militärisches
Geheimnis sein können. Zur militärischen Geheimsphäre gehören nach der
Lehre und Rechtsprechung nicht nur Tatsachen, die bloss einem kleinen
Kreis eingeweihter Personen bekannt sind und verborgen werden können
(z.B. Einsatzbefehle, unterirdische Anlagen, in Vorbereitung befindliche
Waffen), sondern auch Gegenstände, die von einem weitern Personenkreis
wahrgenommen werden können (z.B. oberirdische Befestigungswerke, in der
Armee benützte Waffen), welche aber dem Ausland gegenüber geheimgehalten
werden und deshalb fremden Staaten nur durch besondere Vorkehren oder
durch Zufall zur Kenntnis gelangen oder zugänglich sind. Auch können
Tatsachen, an deren Geheimhaltung in Friedenszeiten kein Interesse
besteht, in Zeiten des Aktivdienstes oder in Kriegszeiten militärisches
Geheimnis werden (COMTESSE, Das Schweizerische Militärstrafgesetz, N. 1
und 3 zu Art. 86; LOHNER, ZStR S. 55/56 und dort angeführte Entscheide
des Militärkassationsgerichtes [MKGE]).

    Zum Geheimnisbegriff im Sinne von Art. 86 MStG gehört stets, dass die
fragliche Tatsache nicht offenkundig oder allgemein bekannt ist und dass an
ihrer Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse besteht. Dieses Interesse
an der Geheimhaltung muss zudem "mit Rücksicht auf die Landesverteidigung"
bestehen. Das ist dann anzunehmen, wenn die Eidgenossenschaft als Herr
oder Mitinhaber des Geheimnisses auftritt und aus militärischen Gründen
an der Geheimhaltung einer Tatsache interessiert ist. Ob die Behörden
den Geheimhaltungswillen formell bekunden und eine Tatsache z.B. als
"geheim" oder "vertraulich" bezeichnen, ist hingegen nicht entscheidend
für den Geheimnisbegriff (vgl. MKGE 4 Nr. 102, 7 Nr. 49). Tatsachen,
die für die Landesverteidigung nicht von Bedeutung sind und an
deren Geheimhaltung folglich kein schützenswertes Interesse besteht,
erfüllen den Geheimnisbegriff selbst dann nicht, wenn die Behörden sie
geheimhalten wollen, als "geheim" klassifizieren oder mit einer andern
Bezeichnung der militärischen Geheimsphäre zurechnen. Ob eine Tatsache
als geheim zu gelten hat, beurteilt sich vielmehr nach der Natur der
Sache und dem militärischen Interesse, sie der Kenntnis des Auslandes zu
entziehen (MKGE 7 Nr. 34 S. 60). Dabei ist der in der Klassifizierung zum
Ausdruck kommende Geheimhaltungswille freilich ein wichtiges Indiz dafür,
dass an der Geheimhaltung der Tatsache ein schutzwürdiges Interesse
besteht. Trifft dies zu -- was meistens der Fall sein dürfte -, so
entspricht der tatsächliche Geheimhaltungswille dem gesetzlich vermuteten,
der sich mit dem Geheimhaltungsinteresse deckt (vgl. NOLL, Das ärztliche
Berufsgeheimnis, in Schweizerische Beiträge zum fünften internationalen
Kongress für Rechtsvergleichung, Zürich 1958, S. 239).

    Dagegen ist nach Art. 86 Ziff. 1 MStG nicht erforderlich, dass der
schweizerischen Landesverteidigung aus dem Verrat eines militärischen
Geheimnisses ein Schaden entstehe oder drohe. Dies lässt sich entgegen
der Annahme der Verteidigung insbesondere nicht der gesetzlichen
Einschränkung entnehmen, dass die Tatsachen, Vorkehren usw. "mit Rücksicht
auf die Landesverteidigung" ("dans l'intérêt de la défense nationale",
"nell'interesse della difesa nazionale") geheimgehalten werden. Diese
Wendung will bloss klarmachen, worin das Geheimhaltungsinteresse bestehen
muss, nicht aber den Straftatbestand zu einem konkreten Gefährdungs-
oder gar zu einem Erfolgsdelikt machen. Art. 86 MStG fragt auch nicht
danach, wem das Geheimnis preisgegeben wird; nach dem Wortlaut der
Bestimmung genügt sogar, dass der Täter das Geheimnis der Öffentlichkeit
bekannt macht. Der Gefährdung und Störung der Landesverteidigung durch
Verrat in Aktivdienst- oder Kriegszeiten trägt das Gesetz dadurch
Rechnung, dass es in Art. 86 Ziff. 2 MStG für solche Zeiten schärfere
Strafen vorsieht. Daraus erhellt, dass nachteilige Auswirkungen einer
Geheimnisverletzung nicht zum Tatbestand von Ziff. 1 gehören, sondern
bloss für die Strafzumessung von Bedeutung sind.

Erwägung 3

    3.- Der Angeklagte Alfred Frauenknecht hat nach seinen eigenen
Schätzungen rund 200 000 Pläne und Beschreibungen, die er den
Lizenzunterlagen entnahm, Agenten Israels zugänglich gemacht, um den
israelischen Flugzeugwerken die Herstellung des Triebwerkes ATAR 09C zu
ermöglichen. Die Verteidigung glaubt diesen Dokumenten den Charakter eines
militärischen Geheimnisses vor allem damit absprechen zu können, dass bloss
die Lizenzgeberin, nicht aber die Eidgenossenschaft als Geheimnisherr in
Frage komme. Die Eidgenossenschaft habe sich im Vertrag mit der SNECMA auch
keine militärische Geheimhaltung ausbedungen, sich vielmehr verpflichten
müssen, der SNECMA über eigene technische Verbesserungen Auskunft zu geben,
welche die Lizenzgeberin allen Triebwerkhaltern habe mitteilen dürfen.

    a) Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass das Kampfflugzeug Mirage III
S nicht bloss nach seiner Bewaffnung und Ausrüstung, sondern auch nach der
Rolle und den Aufgaben, die ihm im Rahmen der Landesverteidigung zukommen,
zu den wichtigsten und modernsten Waffen der Armee gehört. Schon deshalb
versteht sich, dass Einzelheiten über seine Herstellung mit Rücksicht auf
seine Bedeutung für die Landesverteidigung geheimzuhaltende Tatsachen im
Sinne von Art. 86 MStG sind, folglich unter den Begriff des militärischen
Geheimnisses fallen. Das gilt insbesondere auch von seinem Triebwerk,
das zu den technisch fortgeschrittensten zählt und aus über 20 000 mit
höchster Präzision hergestellten Teilen besteht.

    Dass das ATAR-Triebwerk in Frankreich entwickelt worden ist, mehrere
Staaten mit ATAR-Triebwerken ausgerüstete Mirage-Flugzeuge gekauft haben
und andere es in Lizenz herstellen durften, steht einem selbständigen
Interesse der Schweiz, das Herstellungsverfahren aus militärischen
Gründen geheimzuhalten, nicht entgegen. Die Eidgenossenschaft ist -
ganz abgesehen von der im Interesse der Landesverteidigung übernommenen
Vertragspflicht, die Lizenzunterlagen geheimzuhalten und nur für sich
zu verwenden - selber in hohem Masse daran interessiert, dass der Kreis
der Staaten, welche über die Herstellung des ATAR-Triebwerkes Bescheid
wissen, klein gehalten wird. Dieses Interesse wird dadurch, dass es nicht
um schweizerische, sondern um französische Fabrikationsgeheimnisse geht,
die der Eidgenossenschaft aber von der Entwicklungsfirma anvertraut worden
sind, nicht aufgehoben. Es genügt, dass das Herstellungsverfahren in der
Schweiz mit Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten wird,
hier folglich nicht jedermann zugänglich ist und nicht ohne besondere
Mühe in Erfahrung gebracht werden kann, mag es auch weiteren Staaten,
die übrigens selber Geheimhaltung üben, bekannt sein (vgl. MKGE 7 Nr. 34
S. 62 und dort angeführte Urteile).

    Freilich kann die Eidgenossenschaft nicht verhindern, dass die
SNECMA weiteren Staaten Lizenzrechte einräumt. Umfassende Lizenzen
zur Herstellung von ATAR-Triebwerken gewährte die SNECMA indes, wie
der Hauptangeklagte wusste, einzig Australien und der Schweiz. Israel
und Belgien erhielten Unterlagen für die Herstellung von Ersatzteilen,
d.h. Teillizenzen. Das gesamte Herstellungsverfahren ist somit nur drei
Staaten bekannt, in weitesten Bereichen der Welt, insbesondere auch in
Europa, folglich noch ein Geheimnis. Dass dieses durch den Verkauf von
Mirage-Flugzeugen an insgesamt zwölf Staaten, zu denen auch Israel gehört,
zerstört worden sei, lässt sich entgegen der Annahme der Verteidigung
nicht sagen. Wie das Beweisverfahren ergeben hat, ist es praktisch
unmöglich, ein ATAR-Triebwerk anhand eines vorhandenen nachzubauen,
weil wichtige Einzelheiten sehr schwer zu erfassen sind. Ein derartiger
Versuch wäre ein äusserst kostspieliges und zudem ein fast aussichtsloses
Unternehmen. Nach den Schätzungen von Alfred Frauenknecht hätten die
israelischen Flugzeugwerke allein für die Vorbereitungen und Anlagen
einer solchen Eigenproduktion 700 bis 800 Millionen Franken aufwenden
müssen, wobei dahingestellt bleiben mag, ob Israel vor dem Waffenembargo
Frankreichs vom Juni 1957 noch mit ATAR 09C-Triebwerken ausgerüstete
Mirage-Flugzeuge einführen konnte. Wie sehr das Geheimnis der Herstellung
trotz Verkauf des Flugzeuges an ein Dutzend Staaten gewahrt blieb und
welche Bedeutung ihm die israelischen Fachleute selber beimassen, zeigt
sich gerade darin, dass sie mit allen Mitteln darauf ausgingen, sämtliche
Pläne für die Herstellung des Triebwerkes in die Hände zu bekommen. Die
Verteidigung wagte in der Hauptverhandlung sogar zu behaupten, die
Fabrikationsunterlagen seien den Israeli 100 Millionen Dollar wert gewesen.

    Am schweizerischen Interesse, das Herstellungsverfahren aus
militärischen Gründen geheimzuhalten, ändert schliesslich auch nichts, dass
die Eidgenossenschaft der SNECMA über eigene technische Verbesserungen,
soweit sie auf Lizenzunterlagen zurückgingen, Auskunft geben musste. Die
Lizenzgeberin verpflichtete sich gemäss Art. 19 des Vertrages, technische
Auskünfte über die Herstellung des Triebwerkes in der Schweiz vertraulich
zu behandeln. Das schliesst eine beliebige Weitergabe an Dritte aus. Nach
Vertrag vorbehalten blieben lediglich technische Auskünfte über den
Einsatz und die Wartung von ATAR-Triebwerken (les renseignements techniques
relatifs à l'emploi et à l'entretien des turboréacteurs ATAR), da Auskünfte
dieser Art nach bestehender Übung allen Triebwerkhaltern mitgeteilt wurden.

    b) Alfred Frauenknecht wusste, dass die Lizenzunterlagen nicht nur
nach den Verträgen, welche die Eidgenossenschaft mit der SNECMA und der
Firma Sulzer geschlossen hatte, sondern auch nach zahlreichen Vorschriften
und Weisungen seiner Arbeitgeberin geheimzuhalten waren. Er war sich
nach seinen eigenen Aussagen in der Hauptverhandlung auch im klaren,
dass die Geheimhaltung einen doppelten Sinn hatte: einen kommerziellen
gegenüber der Lizenzgeberin und einen militärischen gegenüber der
Eidgenossenschaft. Gleichwohl entschloss er sich zur Tat. Er verschaffte
sich die Lizenzunterlagen, welche die israelischen Flugzeugwerke seines
Erachtens zur Herstellung des Triebwerkes benötigten, und machte sie
in Kenntnis der Tatsache, dass sie militärische Geheimnisse enthielten,
Agenten Israels zugänglich. Alfred Frauenknecht hat somit den Tatbestand
des Geheimnisverrates im Sinne von Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG auch
in subjektiver Hinsicht erfüllt. Er hat auf Grund eines einheitlichen
Willensentschlusses gehandelt, weshalb ein fortgesetztes Verbrechen
vorliegt (BGE 72 IV 184, 78 IV 154).

    Ob der Angeklagte angenommen hat, der Eidgenossenschaft werde
aus der Preisgabe der Lizenzunterlagen kein Schaden entstehen, ist
unerheblich. Da weder die tatsächliche Schädigung noch die konkrete
Gefährdung Tatbestandsmerkmale des Art. 86 Ziff. 1 MStG sind, braucht
auch der Vorsatz nicht auf eine solche Schädigung oder Gefährdung
gerichtet zu sein. Wenn der Täter weiss, dass ein Herstellungsverfahren aus
militärischen Gründen geheimgehalten wird, und er es trotzdem gewollt einem
fremden Staat oder dessen Agenten preisgibt, handelt er vorsätzlich. Dieses
Wissen und Wollen hat aber Alfred Frauenknecht nach dem Ergebnis des
Beweisverfahrens gehabt. Nach dem Brief an seine Studienkollegen hat er
übrigens eine Benachteiligung der Eidgenossenschaft nur ausgeschlossen,
"wenn es im stillen möglich ist".

Erwägung 4

    4.- Art. 106 MStG, der durch Bundesgesetz vom 5. Oktober 1967 ergänzt
worden ist, setzt nicht voraus, dass der Täter das militärische Geheimnis
einem fremden Staat, dessen Agenten oder der Öffentlichkeit bekannt oder
zugänglich macht; es genügt, dass er den Kreis der Geheimnisträger in
unbefugter Weise erweitert. Art. 106 MStG erfasst zudem die Preisgabe
von Akten usw., die "auf Grund vertraglicher Abmachungen geheimgehalten
werden", ferner das widerrechtliche Aneignen, Abbilden und Vervielfältigen
solcher Akten. Diese Bestimmung geht also in verschiedener Hinsicht
viel weiter als Art. 86 MStG und ist vor allem als dessen Ergänzung
von Bedeutung (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Novelle, BBl 1967 I
S. 593 f.). Sie ist daher nicht anwendbar, wenn wie hier die besonderen
Tatbestandsmerkmale des Art. 86 MStG gegeben sind.

    Auch Art. 274 StGB, der den gegen die Schweiz gerichteten militärischen
Nachrichtendienst mit Strafe bedroht, ergänzt den enger gefassten Art. 86
MStG und ist dieser Bestimmung gegenüber die allgemeine. Er unterscheidet
sich von Art. 86 MStG vor allem dadurch, dass die strafbare Handlung sich
nicht auf militärische Geheimnisse zu beziehen braucht; es genügt, dass der
Nachrichtendienst militärischer Natur ist (BGE 61 I 412; MKGE 4 Nr. 38 Erw.
D'Nr. 85 Erw. A). Dieses Tatbestandsmerkmal ist in der verräterischen
Verletzung militärischer Geheimnisse jedoch notwendig mitenthalten. Ob
es Fälle gibt, in denen der besondere Tatbestand den allgemeinen nicht
in allen Teilen in sich schliesst, kann offen blieben. Im vorliegenden
Fall ist der militärische Nachrichtendienst im Sinne von Art. 274 StGB
schon wertmässig, dem Verschulden und dem Unrecht nach (BGE 91 IV 213),
im Tatbestand des Art. 86 MStG enthalten. Es besteht daher kein Anlass,
neben dieser Bestimmung auch Art. 274 StGB anzuwenden (vgl. MKGE 7 Nr. 34
Erw. III).

    Art. 301 StGB will verhüten, dass im Gebiete der Schweiz zugunsten
eines fremden Staates gegen einen andern fremden Staat militärischer
Nachrichtendienst betrieben und dadurch die Beziehungen der Schweiz zu
diesem letzteren Staate gestört werden. Die Bestimmung setzt voraus, dass
der Nachrichtendienst sich auf militärische Verhältnisse dieses Staates
bezieht und der Täter sich dessen bewusst ist (vgl. BGE 89 IV 207 unten;
Urteil des Bundesstrafgerichts vom 5. November 1953 i.S. Roessler und
Schnieper). Alfred Frauenknecht hat Fabrikationsunterlagen preisgegeben,
die zwar einer französischen Firma gehörten, aber die Herstellung eines
schweizerischen Kampfflugzeuges, also militärische Verhältnisse der Schweiz
betrafen. Ob bei dieser Sachlage noch Raum bleibt für die Anwendung von
Art. 301 StGB, braucht nicht geprüft zu werden, da es jedenfalls an einem
ausreichenden Beweis dafür, dass Alfred Frauenknecht vorsätzlich gegen
einen fremden Staat militärischen Nachrichtendienst betrieben habe, fehlt.

Erwägung 5

    5.- Der Vertreter des Bundesanwalts wirft dem Hauptangeklagten ferner
wirtschaftlichen Nachrichtendienst im Sinne von Art. 273 Abs. 2 und 3
StGB vor. Nach diesen Bestimmungen wird mit Gefängnis, in schweren Fällen
mit Zuchthaus bestraft, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis
einer fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation oder
privaten Unternehmung oder ihren Agenten zugänglich macht.

    Dass die Fabrikationsunterlagen, welche Alfred Frauenknecht den
israelischen Agenten zugänglich gemacht hat, Geheimnisse im Sinne von Art.
273 StGB enthielten, liegt auf der Hand und ist von der Verteidigung denn
auch nicht bestritten worden. Fragen kann sich nur, ob eine Bestrafung
nach Art. 86 MStG auch eine Tat gemäss Art. 273 StGB allseits erfasst
und in vollem Umfang abgilt, wenn eine Handlung zugleich die Tatbestände
beider Bestimmungen erfüllt. Das ist zu verneinen. Wirtschaftlicher
Nachrichtendienst berührt nicht notwendig militärische Belange, die
verräterische Verletzung eines militärischen Geheimnisses nicht notwendig
geheimzuhaltende Tatsachen des Wirtschaftslebens. Art. 86 MStG und Art. 273
StGB schützen zudem verschiedene Rechtsgüter und Interessen. Wer wie Alfred
Frauenknecht zugleich militärische und industrielle Geheimnisse verletzt,
macht aber sowohl unter dem Gesichtspunkt des Erfolges als auch unter dem
der Schuld mehr als jemand, der nur entweder das eine oder das andere
preisgibt; er ist daher nach beiden Bestimmungen strafbar (vgl. BGE 77
IV 92 Erw. 2).

    Alfred Frauenknecht war sich bewusst, dass die Fabrikationsunterlagen
nicht bloss aus militärischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen,
insbesondere mit Rücksicht auf die kommerziellen und industriellen
Interessen der Lizenzgeberin, geheimzuhalten waren und nur zur Herstellung
der von der KTA bestellten Triebwerke verwendet werden durften. Er wusste
auch, dass er mit Agenten eines fremden Staates zu tun und dieser sich
umsonst bemüht hatte, die Pläne zur Herstellung des Triebwerkes ATAR 09C
auf rechtmässigem Wege zu erhalten. Gleichwohl entschloss der Angeklagte
sich ein für allemal, den israelischen Flugzeugwerken zu diesen Plänen
zu verhelfen und sie ihnen durch Agenten zukommen zu lassen. Alfred
Frauenknecht ist daher auch des fortgesetzten wirtschaftlichen
Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 273 Abs. 2 StGB schuldig zu
sprechen.

    Ob ein schwerer Fall im Sinne von Abs. 3 dieser Bestimmung vorliegt,
hängt von den Tatumständen ab, welche bei der Abwägung des Verschuldens
zu berücksichtigen sind. Der dem Hauptangeklagten zur Last gelegte
wirtschaftliche Nachrichtendienst wiegt sowohl nach dem objektiven wie
nach dem subjektiven Sachverhalt schwer und lässt sich entgegen den
Versuchen der Verteidigung schlechterdings nicht verharmlosen. Alfred
Frauenknecht hat seine leitende Stellung in der Firma und das Vertrauen
seiner Vorgesetzten und seiner Arbeitgeberin während siebzehn Monaten
bedenkenlos ausgenützt, sich unbekümmert um Vorschriften und Weisungen
über die Pflicht zur Geheimhaltung hinweggesetzt, um Israel die begehrten
Fabrikationsunterlagen zu verschaffen. Die Schwere des Falles erhellt
ferner aus der Bedeutung, dem industriellen Wert und dem Umfang der
Unterlagen. Diese bezogen sich auf ein technisch hochentwickeltes
Triebwerk, hatten nach den eigenen Schätzungen des Angeklagten einen
Zeichnerwert von ungefähr 50 Millionen Franken und umfassten rund 200
000 Dokumente.