Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 369



97 II 369

52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Dezember 1971
i.S. Bühlmann gegen Bühlmann. Regeste

    Scheidungsprozess. Zeugeneinvernahme eines Arztes. Nur der Patient
ist befugt, den Arzt vom Berufsgeheimnis zu entbinden. Die Befreiung ist
schon in der Anrufung des Arztes als Zeuge enthalten. Vernehmung über
medizinische Befunde und über andere Beobachtungen.

Sachverhalt

    In einem Scheidungsprozess hat die letzte kantonale Instanz die Klage
der Ehefrau abgewiesen, ohne verschiedene von der Klägerin angerufene
Zeugen zu vernehmen. In Gutheissung der Berufung der Klägerin hat
das Bundesgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur
Vornahme der notwendigen Beweisergänzungen und zur neuen Entscheidung an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Klägerin hat ein vom 29. Januar 1969 datiertes Arztzeugnis
von Dr. X. zu den Akten gegeben und dessen Einvernahme als Zeuge
verlangt. Dieser Antrag wurde vom Obergericht abgelehnt mit dem Hinweis,
dass Ärzte über die von ihnen in einem ärztlichen Zeugnis festgehaltenen
medizinischen Befunde nur beim Vorliegen besonderer Gründe als Zeugen
einvernommen würden. Im vorliegenden Fall sei kein solcher Grund
gegeben. Soweit das ärztliche Zeugnis von Dr. X. auch Feststellungen
nichtmedizinischer Art enthalte, beruhe es nicht auf eigenen Wahrnehmungen,
sondern auf Angaben der Klägerin. Hätte der Arzt über die Beziehungen der
Parteien eigene Beobachtungen gemacht, dürfte er übrigens ohne Zustimmung
des Beklagten nicht darüber aussagen, da diese Wahrnehmungen wohl unter
das ärztliche Berufsgeheimnis fallen würden.

    Die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Zustimmung des Ehemannes der
Patientin notwendig wäre, um ihren Arzt vom Berufsgeheimnis zu entbinden,
erscheint indessen als abwegig. Durch das Arztgeheimnis geschützt ist
allein der Patient, hier also die Klägerin. Der Patient ist der Berechtigte
im Sinne von Art. 321 Ziff. 2 StGB, welcher den Arzt vom Berufsgeheimnis
befreien kann (BGE 75 IV 75 Erw. 3; LOGOZ, Commentaire du code pénal
suisse, Bd. II, N. 8 a zu Art. 321 StGB). Das gleiche gilt auch im
Zivilprozess (LEUCH, Kommentar zur Zivilprozessordnung für den Kanton Bern,
3. Aufl., N. 4 zu Art. 246 ZPO; Luzern, Entscheidungen des Obergerichts
oder Maximen, Bd. IX S. 580 f. Nr. 676). Die Befreiung des Arztes vom
Berufsgeheimnis liegt hier schon in seiner Anrufung als Zeuge durch den
Berechtigten (LEUCH, aaO). Der vom Berufsgeheimnis befreite Arzt untersteht
der allgemeinen Zeugnispflicht (Entscheidungen des Luzerner Obergerichts,
aaO). Abwegig ist demnach auch die im angefochtenen Urteil vertretene
Ansicht, wonach Ärzte über die von ihnen in einem Zeugnis festgehaltenen
medizinischen Befunde in der Regel nicht einvernommen werden. Das würde
eine unzulässige Beschränkung der Beweisrechte des Patienten bedeuten.

    In dem bei den Akten liegenden ärztlichen Zeugnis weist Dr. X. darauf
hin, dass er die häuslichen Verhältnisse der Parteien ziemlich gut
kenne. Er betreute die Klägerin während Jahren und musste daher in der
Lage sein, auch eigene Beobachtungen über die gegenseitigen Beziehungen
der Parteien zu machen. Seine Einvernahme als Zeuge drängte sich daher
auf. Die Vorinstanz hat diesem Beweisantrag grundsätzlich Folge zu leisten.