Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 221



97 II 221

32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Juli 1971
i.S. Traber gegen Steckborn Kunstseide AG. Regeste

    Haftung des Geschäftsherrn, Art. 55 OR.

    Anforderungen an den Entlastungsbeweis. Unterbrechung des
Kausalzusammenhanges durch das Verhalten Dritter (Erw. 1-4).

    Keine Herabsetzung der Ersatzpflicht des Geschäftsherrn, wenn sein
Verschulden wegen des Verhaltens eines Dritten oder aus andern Gründen
nur leicht ist (Erw. 5).

    Keine Pflicht des Geschädigten nach Art. 43 und 44 OR, sich gegen
die abstrakte Möglichkeit rechtswidriger Eingriffe in sein Vermögen zu
sichern. (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Baumeister Traber hatte im Auftrage der Ortsgemeinde Steckborn
von der Bächlistrasse aus durch die spitzwinklig davon abzweigende
Eichholzstrasse einen Graben zu erstellen, in den die Bestellerin eine
zum Neubau der Bernina AG führende Wasserleitung legen lassen wollte.

    Vor Beginn der Arbeit will sich Traber bei Seibert, dem Leiter des
Gemeindewasserwerkes, nach Leitungen erkundigt haben, auf die er stossen
könnte. Seibert wandte sich an das Geometerbüro Ringger. Dieses stellte
ihm durch einen Angestellten, den Tiefbautechniker Grimm, drei Exemplare
eines Planes im Massstab 1: 500 zu, der durch pantographische Vergrösserung
eines Originalplanes l: 1000 entstanden war. Es war daraus zu ersehen,
dass in der Eichholzstrasse dem östlichen Rande entlang "2 NOK-Kabel 4500
V" und dem westlichen Rande entlang ein Telephonkabel verliefen und dass
alle drei die Strassengabel in südwestlicher Richtung überquerten.

    Anhand dieses Planes, von dem Traber ein Exemplar erhielt, bestimmte
Grimm am 19. Juni 1968 in Anwesenheit Seiberts und Trabers an Ort
und Stelle die Lage des zu erstellenden Grabens und liess dessen
Achse kennzeichnen und die Ränder ankreiden. Der Graben sollte in
der Strassengabel zwischen den Elektrokabeln und dem Telephonkabel
rechtwinklig zu der in der Bächlistrasse liegenden Hauptwasserleitung
beginnen und dann, nach rechts abbiegend, parallel zu den erwähnten
Kabeln verlaufen. Beim Knie des Grabens wurde festgelegt, wo nach dem Plan
vermutlich die Elektrokabel lagen. Grimm verlangte von Traber, dass er vor
der Erstellung des parallel zu den Kabeln verlaufenden Grabenstückes durch
Sondierschlitze die Lage des Elektrokabels ermittle. Traber versprach,
das zu tun. Seibert seinerseits wies ihn an, beim Knie des Grabens sehr
sorgfältig ohne Maschinen zu arbeiten.

    Traber liess die Grabarbeiten von seinen Handlangern Durtschi und
Castriotto noch am gleichen Tage, den 19. Juni, beginnen und am folgenden
Tage fortsetzen. Er war während ihres Verlaufes grösstenteils persönlich
anwesend.

    Am 20. Juni, etwa um 10.50 Uhr, durchschlug Castriotto mit dem
Presslufthammer im Knie des geplanten Grabens ein Zementrohr und
beschädigte das darin liegende Elektrokabel, das unter 45 000 V Spannung
stand. Dadurch fiel im Betriebe der Steckborn Kunstseide AG während
13 1/2 Stunden der Strom aus und entstand dieser Firma ein Schaden von
Fr. 143 946.50.

    Es stellte sich heraus, dass der Plan, über den Traber verfügte,
insofern ungenau war, als nicht nur zwei, sondern drei Elektrokabel
zur Fabrik der Steckborn Kunstseide AG führten und dass sie in der
Strassengabel etwas weiter westlich lagen, als im erwähnten Plane
angedeutet war. Ihre genaue Lage hätte aus einem anderen Plane 1: 500
ersehen werden können, von dem Traber jedoch keine Kenntnis hatte. Die
Steckborn Kunstseide AG hatte diesen Plan am 25. März 1968 der Bernina
AG mit folgender Mitteilung zugesandt:

    "45 KV-Leitung Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass längs der
Nord-Grenze Ihrer Grundstücke 1022 und 1021 die elektrische Speiseleitung
Hasli-Steckborn für unser Werk als Kabelleitung im Boden verlegt
ist. Die Leitungen durchstossen Ihre Parzelle 1021 im spitzen Winkel. Die
Leitungsführung ist aus dem Plan Sl/5247 rot eingezeichnet ersichtlich. Wir
bitten Sie, bei den Bauarbeiten diese Leitungen zu beachten."

    B.- Die Steckborn Kunstseide AG klagte gegen Traber auf Ersatz des
Schadens. Das Bezirksgericht Steckborn und auf Berufung des Beklagten
auch das Obergericht des Kantons Thurgau, dieses mit Urteil vom 29.
Januar 1971, sprachen ihr Fr. 143 946.50 nebst 5% Zins seit 20. Juni
1968 zu.

    C.- Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt, das Urteil
des Obergerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell den
Ersatzanspruch der Klägerin in Anwendung von Art. 43 und 44 OR auf
die Hälfte, d.h. auf Fr. 71 973.25 herabzusetzen, subeventuell das
Beweisverfahren durch Einholung eines Obergutachtens zu ergänzen oder
die Sache zur Ergänzung des Beweises an das Obergericht zurückzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 55 OR wird der Geschäftsherr für den von seinem
Arbeiter verursachten Schaden ersatzpflichtig, wenn er nicht die nach den
Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art
zu verhüten. Diese Haftung setzt weder ein Verschulden des Arbeiters
voraus, noch verlangt sie, dass der Geschäftsherr die Unterlassung
der nach dem Umständen gebotenen Sorgfalt verschuldet habe; sie ist
Kausalhaftung (BGE 45 II 85 f., 647, 49 II 94, 50 II 493, 56 II 287, 289,
57 II 38, 58 II 34, 72 II 261, 77 II 247, 88 II 135, 90 II 90, 95 II 97,
96 II 31). Sie entfällt jedoch, wenn der Schaden auch bei Anwendung der
erwähnten Sorgfalt eingetreten wäre.

    Der Geschäftsherr trägt die Last des Beweises, dass er alle nach den
Umständen gebotene Sorgfalt zur Verhütung eines Schadens der betreffenden
Art getroffen habe oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt
eingetreten wäre.

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass der Beklagte der Gefahr der Beschädigung
elektrischer Kabel nur dadurch begegnete, dass er sich bei Seibert
nach allfällig vorhandenen Leitungen erkundigte, worauf er die mit
dem Pantographen auf den Massstab 1: 500 vergrösserte Wiedergabe eines
alten Situationsplanes 1: 1000 erhielt und der Tiefbautechniker Grimm vom
Geometerbüro Ringger auf Grund der gleichen Vergrösserung den zur Schonung
der Elektrokabel einerseits und des Telephonkabels anderseits mutmasslich
günstigsten Verlauf des Grabens auf der Strasse kennzeichnen liess. Der
Schaden trat ein, weil die Elektrokabel ein wenig weiter westlich lagen
als der Plan vermuten liess. Frage ist, ob nach den Umständen weitere
Massnahmen geboten waren, um einen Schaden dieser Art zu verhüten.

Erwägung 3

    3.- a) Dem Plane konnte nicht entnommen werden, zwischen dem
geplanten Graben und den Elektrokabeln bleibe ein freier Raum von 1
m, wie der Beklagte geltend macht. Wie der Gutachter Vogler ausführt,
entsprach diese Entfernung dem Abstand zwischen den Achsen der Kabelanlage
einerseits und der Wasserleitung anderseits. Elektrokabel aber pflegen in
Zement- oder anderen Röhren zu liegen. Selbst unter der Voraussetzung,
dass nur zwei solche vorhanden seien, wie der Plan angab, musste daher
mit einer gewissen Breite der Kabelanlage gerechnet werden. Die Breite
des Wasserleitungsgrabens sodann hat der Beklagte im kantonalen Verfahren
mit 80 cm angegeben. Der Rand des Grabens konnte daher selbst unter der
Voraussetzung, dass der Plan genau sei, vom Rande der Kabelanlage nur
wenige Dezimeter entfernt sein.

    Der Aufschluss über die Lage der Kabel, den der Plan gab, durfte nun
aber nicht als genau und zuverlässig gelten. Der Plan enthielt keine Zahlen
über die Entfernung der Kabel von bestimmten im Gelände feststellbaren
Fixpunkten. Diese Entfernungen mussten ausschliesslich auf Grund der
Zeichnung und des Massstabes des Planes errechnet werden. Sie hingen
also von der Genauigkeit der Zeichnung ab. Ein Plan kann umso genauer
sein, je grösser sein Massstab ist. Im vorliegenden Falle war dieser mit
1:500 angegeben. Unter dieser Angabe war aber vermerkt, es handle sich
um eine pantographische Vergrösserung. Daraus musste geschlossen werden,
der Originalplan weise einen kleineren Massstab auf, vielleicht 1:1000
oder noch kleiner. Ein Massstab 1:1000, den er in Wirklichkeit hatte,
liess aber nicht erwarten, dass die Entfernungen bis auf wenige Dezimeter
genau stimmten, entspricht doch 1 m im Gelände 1 mm auf dem Papier,
so dass eine Ungenauigkeit von 1/10 mm in der Zeichnung im Gelände 1 dm
ausmacht. Die pantographische Vergrösserung des Originalplanes sodann
konnte Quelle weiterer Ungenauigkeiten sein. Das ist die Auffassung des
Sachverständigen Vogler und leuchtet ein, wenn man sich die Natur dieses
Vergrösserungsverfahrens vergegenwärtigt. Ein sorgfältiger Baumeister
durfte sich daher nicht auf den Plan verlassen, zumal ohne grossen Aufwand
weitere Massnahmen zur Verhütung eines Schadens möglich waren.

    b) In erster Linie drängte sich die Nachforschung nach einem
zuverlässigeren Plane auf. Dass das Geometerbüro Ringger anscheinend
einen solchen nicht besass, durfte nicht beruhigen. Geometer pflegen die
Grundstücke und die auf ihnen sichtbaren Anlagen zu vermessen und auf
einem Plan festzuhalten, nicht Leitungen in den Boden zu verlegen. Über
die genaue Lage vergrabener Leitungen wissen vorabjene Stellen Bescheid,
die sie errichtet haben oder denen sie dienen. Der Beklagte hätte sich
daher an das Elektrizitätswerk oder an die Klägerin wenden sollen. Er hat
nicht bewiesen, dass dies nutzlos gewesen wäre. Im Gegenteil ist sicher,
dass er jedenfalls durch eine Anfrage bei der Klägerin vom Plane Sl/5247
Kenntnis erhalten hätte, sei es, dass sie ihm eine Kopie davon übergeben
oder ihn an die Bernina AG gewiesen hätte, der sie eine solche hatte
zukommen lassen.

    Im Plane Sl/5247 sind die Elektrokabel in der Gabelung der
Eichholzstrasse und der Bächlistrasse weiter westlich eingezeichnet
als in der pantographischen Vergrösserung des Planes Ringger. Das
springt sogar einem Laien und umso mehr auch einem im Lesen von Plänen
bewanderten Baumeister in die Augen. Auch enthält der Plan Sl/5247 längs
der die Leitung kennzeichnenden roten Linie die Angabe "3 Al. Kabel 45
KV je 95 mm2" und auf der erwähnten Strassengabel die Angabe "3 Zem. R
12 O". Auch einer Aufschrift am Fusse des Planes ist zu entnehmen,
dass drei Einleiter-Kabel verlegt seien. Das hätte wahrscheinlich sogar
mühelos im Gelände festgestellt werden können, dort wo die Kabel in eine
"Freileitung 45 KV" übergehen (s. linke untere Ecke des Planes Sl/5247).

    c) Eine weitere zumutbare Massnahme zur Bestimmung der genauen
Lage der Kabel wäre die Freilegung der im Bereiche der Arbeitsstelle
liegenden Kabelschächte gewesen. Der Besitz des Planes Sl/5247 war dazu
nicht nötig; die Schächte sind auch im Plane Ringger eingezeichnet. Sie
befanden sich unter den Strassenbelägen, der eine unter der Kiesschicht der
Eichholzstrasse, der andere unter der Asphaltdecke der Bächlistrasse. Da
anzunehmen war, die Kabel verliefen geradlinig (sie sind dort in beiden
Plänen durch eine Gerade angegeben), hätte ihre Lage ohne weiteres
ermittelt werden können. Die Abdeckung der Schächte hätte zudem den Vorteil
gehabt, dass auch hätte fetgestellt werden können, wie tief die Kabel
lagen. Die Schächte wurden erst nach dem Eintritt des Schadens freigelegt.

    d) Wer als Bauunternehmer weder sich nach einem genaueren Plane
erkundigen noch die Kabelschächte freilegen wollte, hatte mit aller
Vorsicht, ohne Verwendung eines Presslufthammers, Sondierschlitze erstellen
zu lassen, um die Lage der Kabel zu ermitteln. Das ist die Auffassung
des Sachverständigen Vogler und leuchtet auch einem Laien ein. Grimm
war gleicher Auffassung. Er wies den Beklagten an, beim Knie des Grabens
Sondierschlitze zu machen, was der Beklagte denn auch zu tun versprach. Das
ergibt sich aus den Aussagen Grimms und Seiberts, die vom Obergericht,
für das Bundesgericht verbindlich, als glaubwürdig erachtet werden. Die
Behauptung des Beklagten, der Gutachter Vogler habe die Aussage Grimms
unrichtig ausgelegt, nach der Weisung dieses Zeugen hätten erst nach der
Erstellung des Stichgrabens Sondierschlitze ausgehoben werden müssen,
ist nicht zu hören. Eine solche Empfehlung hätte übrigens den Geboten der
Sorgfalt widersprochen, denn die Lage der Kabel war vernünftigerweise zu
ermitteln, bevor man sich ihnen bei der Aushebung des Stichgrabens mit dem
Presslufthammer zu sehr näherte. Das hätte sich der Beklagte selber sagen
sollen, denn er war der Ersteller des Werkes, nicht Grimm oder Ringger.
Es ist nicht zu verstehen, dass er seinen Arbeitern nicht befohlen hat,
Sondierschlitze zu erstellen.

    e) Beim Fehlen von Sondierschlitzen hätte ein sorgfältiger Unternehmer
seine Arbeiter zum mindesten darauf aufmerksam machen müssen, dass sie
beim Graben möglicherweise auf Elektrokabel stossen würden und daher
sehr vorsichtig vorzugehen hätten, insbesondere den Presslufthammer nur
dort gebrauchen dürften, wo es unumgänglich sei. Der Beklagte hat diese
Instruktion nicht erteilt, obschon ihn Seibert ausdrücklich angewiesen
hatte, beim Knie des Grabens sehr sorgfältig ohne Maschinen zu arbeiten.

    Dass sie den Schaden nicht verhütet hätte, steht nicht fest. Die
Behauptung des Beklagten, Castriotto müsse mit dem Presslufthammer
vom Sandsteinfels auf die tiefer liegende Kabelleitung abgeglitten
sein, findet weder im angefochtenen Urteil noch in den Akten eine
Stütze. Castriotto hat als Zeuge erklärt, er habe das Rohr mit dem Kabel
als ein Stück Fels angesehen. Dieser Irrtum war bei gehöriger Aufklärung
seitens des Beklagten vermeidbar. Der Sandsteinfels, zu dessen Abbau
der Presslufthammer verwendet wurde, hörte am Rande des Kabelbettes auf,
weil er seinerzeit bei der Aushebung des Kabelgrabens notwendigerweise
entfernt worden war. Diese tatsächliche Feststellung des Obergerichtes
kann im Berufungsverfahren nicht angefochten werden. Der Einwand des
Beklagten, das Obergericht berufe sich offensichtlich irrtümlich auf den
Sachverständigen Vogler, hält nicht stand, denn Vogler hat in der Tat
ausgeführt, der Sandstein habe an der Wand des Kabelgrabens aufgehört,
was sofort zur genauen Feststellung der Kabellage geführt hätte, und
aus der Veränderung des Grabenmaterials hätte der Beklagte sogleich die
Lage der Hochspannungsleitung erkannt. Diese Auffassung leuchtet übrigens
ein. Die Rüge, die Klägerin habe im kantonalen Verfahren nicht behauptet,
das Abbaumaterial habe auf die unmittelbare Nähe der Kabel hingewiesen, ist
ebenfalls nicht zulässig. Es ist eine Frage des kantonalen Prozessrechtes,
ob das Obergericht die erwähnte Feststellung von Amtes wegen oder nur
auf Behauptung einer Partei hin treffen durfte (BGE 78 II 97, 87 II 141,
89 II 121). Im übrigen verkennt der Beklagte, dass nicht die Klägerin
die Wirksamkeit der gebotenen Instruktionen zu beweisen hatte, sondern
er selber deren Nutzlosigkeit.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte meint, wegen der Angaben und Weisungen der Bauleitung
hafte er nicht.

    Unter der Bauleitung versteht er Seibert und Grimm. Deren "Angaben
und Weisungen" bestanden in der Übergabe der Vergrösserung des Planes
Ringger, in der Anzeichnung des Grabens auf der Strasse und in den
Geboten, Sondierschlitze zu erstellen und beim Knie des Grabens sehr
sorgfältig ohne Maschinen zu arbeiten. Der Beklagte hat diese Gebote
missachtet, weshalb sie ihn von vornherein nicht entlasten können. Dass
sodann die erwähnten anderen Anordnungen nicht genügten, um den Schaden
zu verhüten, wurde bereits dargetan. Dem Beklagten, dessen Arbeiter ihn
verursacht hat, oblag es, die nötigen weiteren Sorgfaltsmassnahmen zu
treffen. Hiezu verpflichtete ihn im Verhältnis zu der Klägerin Art. 55
OR. Im Verhältnis zur Ortsgemeinde Steckborn als Bestellerin des
Werkes käme Art. 19 der Normen Nr. 118 des Schweizerischen Ingenieur-
und Architekten-Vereins (Normen für die Ausführung von Bauarbeiten)
in Frage, wonach der Unternehmer die zur Sicherung von Sachen Dritter
gebotenen Vorkehrungen zu treffen hat. Ob trotz dieser Bestimmung auch
Seibert und Grimm Sorgfaltspflichten verletzt haben und ob auch sie und
allenfalls die Ortsgemeinde Steckborn der Klägerin Schadenersatz schulden,
ist jedoch nicht zu entscheiden. Der Belangte haftet dem Geschädigten
wegen des Verhaltens Dritter nur dann nicht, wenn es den ursächlichen
Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem Schaden unterbrochen hat
(BGE 41 II 228, 55 II 88, 59 II 369, 60 II 155, 89 II 123, 93 II 322). Dies
trifft im vorliegenden Falle nicht zu.

Erwägung 5

    5.- Das Verhalten Dritter kann unter Umständen ein Grund zur
Herabsetzung der Ersatzpflicht sein, wenn es das Verschulden des
Belangten als nur leicht erscheinen lässt (s. die soeben erwähnte
Rechtsprechung). Voraussetzung ist jedoch, dass der Belangte bloss wegen
seines Verschuldens hafte. Die Ersatzpflicht des kausal Haftenden kann
nie mit der Begründung herabgesetzt werden, sein Verschulden sei wegen
des Verhaltens eines Dritten oder aus anderen Gründen nur leicht (BGE 45
II 85 f., 55 II 88, 60 II 155; vgl. auch 57 II 45).

    Da die Haftung des Beklagten aus Art. 55 OR kein Verschulden
voraussetzt, liegt im Verhalten Seiberts und Grimms kein Grund zur
Herabsetzung der Ersatzpflicht. Der Beklagte macht denn auch nicht mehr
geltend, sie sei wegen Geringfügigkeit seines Verschuldens zu ermässigen.

Erwägung 6

    6.- Der Beklagte beantragt subsidiär, ihn nur für die Hälfte des
Schadens ersatzpflichtig zu erklären, weil die Klägerin den Betrieb trotz
der Beschädigung des Kabels ohne Unterbruch mindestens teilweise hätte
aufrecht halten können, wenn sie von vornherein eine zweite Stromzuleitung
hätte erstellen lassen, um sich gegen einen allfälligen Ausfall der
anderen zu sichern. Von 1942 bis 1952 habe sie einen Notanschluss an das
8-KV-Netz der Gemeinde besessen, doch habe sie ihn bei der Reorganisation
der Stromversorgung der Gemeinde der Kosten wegen den neuen Verhältnissen
nicht angepasst, obwohl sie gewusst habe, dass ein auch nur kurzer
Stromunterbruch sie erheblich schädigen würde. Durch dieses Verhalten habe
die Klägerin die Risiken unvorhergesehener Stromunterbrüche erheblich
vergrössert und den Schaden selber verschuldet. Sie habe gemäss Art. 43
und 44 OR dafür einzustehen.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss sich eine Herabsetzung
der Schadenersatzforderung wegen Handelns auf eigene Gefahr (acceptation
du risque) z.B. gefallen lassen, wer sich im Verkehr mit der Eisenbahn
oder auf einem Strassenfahrzeug unvorsichtig benimmt (BGE 69 II 331,
83 II 31 f. Erw. 3, 85 II 37 f. Erw. 3, 89 II 121 Erw. 3), selber zur
Entstehung eines Werkmangels beiträgt, dem er zum Opfer fällt (BGE 69 II
399), im Umgang mit Maschinen oder Werken bestehende Gefahren erkennt
oder erkennen könnte, ihnen aber nicht Rechnung trägt (BGE 72 II 260,
89 II 228 Erw. 5, 91 II 201 Erw. 5, 212, 95 II 142 Erw. 4), sich in
ein Motorfahrzeug setzt, das, wie er weiss oder wissen muss, von einem
Angetrunkenen geführt wird (BGE 79 II 398, 94 II 297, 91 II 222 Erw. b),
ohne Not an einem Orte stehen bleibt, an dem Skifahrer aus einer Piste
geraten können (BGE 82 II 32). In allen diesen und in weiteren Fällen
aus der Praxis hatte sich der Geschädigte absichtlich oder fahrlässig in
die konkrete Gefahr begeben, die ihm zum Verhängnis wurde, oder er hatte
diese Gefahr durch sein Verhalten absichtlich oder fahrlässig erhöht und
damit den Eintritt des schädigenden Ereignisses gefördert. Im vorliegenden
Falle kann der Klägerin nichts derartiges vorgehalten werden. Sie wusste
nicht und musste nicht wissen, dass der Beklagte in der Nähe der Kabel
Grabarbeiten ausführen lassen werde. Sie hat auch nicht die von ihm durch
Unsorgfalt geschaffene Gefahr erhöht. Der Vorwurf, den ihr der Beklagte
macht, erschöpft sich darin, dass sie sich gegen die abstrakte Möglichkeit
von Stromunterbrüchen hätte sichern sollen, damit ein solcher Unterbruch,
wenn er einmal eintreten sollte, sie nicht oder nur in geringerem Masse
schädige. Niemand ist indessen gehalten, sich gegen bloss abstrakte
Möglichkeiten rechtswidriger Eingriffe in sein Vermögen zu sichern.
Sonst müsste man z.B. dem Fussgänger, der sich in den öffentlichen Verkehr
begibt, vorhalten, er habe die damit verbundenen abstrakten Gefahren
in Kauf genommen und daher einen Teil des Schadens selber zu tragen,
den er im Verkehr durch rechtswidriges Verhalten anderer erleidet. Oder
der Dieb könnte dem Bestohlenen ein Selbstverschulden vorwerfen, weil er
seine Sachen nicht sicher verwahrte.

    Das Fehlen einer zweiten Stromzuleitung ist auch nicht ein Umstand, für
den die Klägerin unabhängig von einem Selbstverschulden einzustehen hätte,
z.B. wie der Halter eines Motorfahrzeuges für dessen Betriebsgefahr (BGE
88 II 134, 460) oder der Besitzer eines Werkes für dessen Mangelhaftigkeit
(BGE 90 II 13 f. Erw. 6). Dass nur eine einzige Stromzuleitung bestand,
war kein Mangel in der Anlage oder im Unterhalt der Fabrik. Der Beklagte
hat daher der Klägerin den ganzen Schaden zu ersetzen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 29. Januar 1971 bestätigt.