Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 185



97 II 185

26. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. September 1971 i.S. AG für
Rechtsschutz in Fusionssachen gegen Ursina-Franck AG. Regeste

    1.  Art. 48 OG. Gegen die richterliche Ablehnung, die
Handelsregistereintragung des Fusionsbeschlusses einer AG vorsorglich zu
untersagen, ist die Berufung nicht zulässig (Erw. I).

    2.  Art. 68 Abs. 1 lit. a OG. Nichtigkeitsbeschwerde gegen eine solche
Ablehnung. Art. 706 OR und Art. 32 Abs. 2 HRegV enthalten keinen Anspruch
auf vorsorgliche Untersagung der Handelsregistereintragung (Erw. II).

Sachverhalt

    A.- Die Generalversammlung der Ursina-Franck AG beschloss am
5. Mai 1971, diese Gesellschaft mit der Nestlé-Alimentana AG zu
fusionieren. Die AG für Rechtsschutz in Fusionssachen (FUSAG) als
Aktionärin und Vertreterin weiterer Aktionäre der Ursina-Franck AG will
sich diesem Beschluss widersetzt haben. Am 17. Mai 1971 beantragte sie dem
Gerichtspräsidenten III von Bern unter Berufung auf Art. 326 Ziff. 3 ZPO
und Art. 32 Abs. 2 HRegV, dem Handelsregisterführer von Bern die Eintragung
des Beschlusses einstweilen zu untersagen, bis die Anfechtungsklage, die
sie gemäss Art. 706 OR einzureichen beabsichtige, beurteilt sein werde.
Gleichzeitig ersuchte sie um Erlass einer gleichlautenden vorläufigen
Massnahme im Sinne des Art. 328 ZPO.

    Der Gerichtspräsident traf am 18. Mai 1971 die vorläufige Massnahme,
indem er dem Handelsregisterführer die Eintragung bis zum Entscheid über
das Gesuch um Erlass einer einstweiligen Verfügung untersagte. Am 12. Juli
1971 wies er dieses Gesuch ab und hob die vorläufige Massnahme auf.

    Auf Appellation der Gesuchstellerin wies am 29. Juli 1971 auch der
Appellationshof des Kantons Bern das Gesuch ab. Er stellte fest, dass
die vorläufige Massnahme vom 18. Mai dahinfalle.

    B.- Die Gesuchstellerin hat gegen den oberinstanzlichen Entscheid
die Berufung erklärt und staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit der
Berufung beantragt sie:

    "1. Es sei dem Handelsregisterführer des Amtsbezirkes von Bern die
Eintragung der eintragungspflichtigen Generalversammlungsbeschlüsse der
Ursina-Franck AG, Bern, vom 5. Mai 1971 bis zur Beurteilung der von der
Berufungsklägerin einzureichenden Anfechtungsklage - unter dem Vorbehalt,
dass diese innert der gesetzlichen Frist eingereicht wird - zu untersagen;

    2. es sei die Vorinstanz i.S. von Art. 58 OG einzuladen, eine geeignete
vorsorgliche Massnahme zu erlassen, um die Eintragung der anzufechtenden
Generalversammlungsbeschlüsse bis zur Rechtskraft des entsprechenden
Urteils im Hauptprozess zu verhindern."

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    I.1. - Nur Endentscheide können mit der Berufung angefochten werden
(Art. 48 OG). Ein solcher liegt unter anderem dann nicht vor, wenn der
Richter nur um vorläufigen Rechtsschutz angegangen wurde, der streitige
Anspruch also zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden kann
(BGE 71 II 250, 72 II 55, 57, 190, 323, 74 II 178, 75 II 95, 77 II 281,
81 II 85, 85 II 195, 88 II 59, 93 II 285, 94 II 59 Erw. 3, 95 II 71,
96 II 427).

Erwägung 2

    I.2.- Die Gesuchstellerin hat den Gerichtspräsidenten III von Bern
nicht ersucht, endgültig darüber zu entscheiden, ob die beschlossene
Fusion der Gesuchsgegnerin mit der Nestlé-Alimentana AG gültig sei und
in das Handelsregister eingetragen werden dürfe oder nicht. Sie hat
das Verbot der Eintragung nur als einstweilige Verfügung im Sinne von
Art. 326 Ziff. 3 bern. ZPO anbegehrt, um vorläufig zu verhindern, dass
ein Zustand geschaffen werde, der, wie sie geltend machte, auch im Falle
ihres Obsiegens mit der in Aussicht gestellten Klage auf Feststellung
der Nichtigkeit oder auf Anfechtung der Generalversammlungsbeschlüsse
vom 5. Mai 1971 nicht rückgängig gemacht werden könnte und diese Klage
angeblich "undurchsetzbar" machen würde. Es besteht denn auch kein Zweifel,
dass mit der Abweisung des Gesuches durch den Gerichtspräsidenten und
durch den Appellationshof der Streit um die Gültigkeit der beschlossenen
Fusion und damit um die Pflicht des Handelsregisterführers, die Auflösung
der Gesuchsgegnerin einzutragen, nicht erledigt ist. Die Gesuchstellerin
ist berechtigt, diesen Streit im ordentlichen Verfahren nach Art. 144
ff. bern. ZPO auszutragen (Art. 330 ZPO; LEUCH N. 3 zu Art. 326 ZPO). Dass
der Appellationshof ein solches nicht ausdrücklich vorbehalten hat, ist
unerheblich, insbesondere weil die beantragte einstweilige Verfügung nicht
getroffen wurde und daher zu einem Vorbehalt des ordentlichen Verfahrens
kein Anlass bestand. Der Hinweis der Gesuchstellerin auf BGE 90 II 463
hilft nicht. Dieses Präjudiz und andere gleiche Entscheide (BGE 82 II 562,
94 II 108) betreffen Befehlsverfahren "zur schnellen Handhabung klaren
Rechts bei nicht streitigen oder sofort herstellbaren tatsächlichen
Verhältnissen" im Sinne des zürcherischen Prozessrechts. In BGE 82 II
562 wurde ausdrücklich auf den Unterschied eines solchen Verfahrens und
desjenigen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Sinne von Art. 326
Ziff. 3 bern. ZPO hingewiesen. Die Auffassung der Gesuchstellerin,
mangels Vorbehaltes des ordentlichen Verfahrens liege ein Endentscheid
vor, ist umso weniger zu verstehen, als sie selber behauptet, sie habe
bereits den - zum ordentlichen Verfahren gehörenden - Aussöhnungsversuch
austragen lassen.

    Nur auf die rechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der
Beurteilung des Streites im ordentlichen Verfahren kommt es an, nicht
darauf, ob die Gesuchstellerin nach der Eintragung des Fusionsbeschlusses
voraussichtlich aus irgendwelchen Gründen von der Einreichung der Klage
in einem solchen Verfahren absehen würde (BGE 86 II 123). Die Auffassung
der Gesuchstellerin, es liege "praktisch" ein Endentscheid vor, weil der
Hauptprozess nach der Eintragung dieses Beschlusses "ins Leere" stiesse,
hilft somit nicht.

    Diese Auffassung hält zudem nicht stand. Eintragungen in das
Handelsregister können rückgängig gemacht werden. Das Bundesgericht hat
denn auch schon mit Entscheid vom 31. Januar 1940 i.S. Zubler c. SA
Macchine addizionatrici e classificatrici Powers die Berufung gegen
die richterliche Ablehnung eines vorsorglichen Verbotes der Eintragung
anfechtbarer Generalversammlungsbeschlüsse als unzulässig erklärt. Der Fall
der Fusion von Aktiengesellschaften rechtfertigt keine Ausnahme von dieser
Rechtsprechung. Auf den Fusionsbeschluss hin kann die Aktiengesellschaft,
deren Aktiven und Passiven übernommen werden, im Handelsregister nicht ohne
weiteres gelöscht werden. Eingetragen wird zunächst nur ihre Auflösung
(Art. 748 Ziff. 7 OR), worauf die übernehmende Gesellschaft nach den für
die Liquidation geltenden Vorschriften einen Schuldenruf zu erlassen und
das Vermögen der aufgelösten Gesellschaft so lange getrennt zu verwalten
hat, bis deren Gläubiger befriedigt oder sichergestellt sind (Art. 748
Ziff. 1 und 2). Für die Dauer der getrennten Vermögensverwaltung bleibt der
bisherige Gerichtsstand der aufgelösten Gesellschaft bestehen (Art. 748
Ziff. 4) und gilt im Verhältnis der Gläubiger der beiden Gesellschaften
das übernommene Vermögen als Vermögen der aufgelösten Gesellschaft
(Art. 748 Ziff. 5). Diese darf erst gelöscht werden, wenn ihre Gläubiger
befriedigt oder sichergestellt sind (Art. 748 Ziff. 7). Erweist sich
die Eintragung der Auflösung nachträglich als ungerechtfertigt, weil
der Richter den Fusionsbeschluss nichtig erklärt oder aufhebt, so lässt
sich diese Eintragung ohne Nachteile für die Gläubiger der aufgelösten
Gesellschaft löschen, gleich wie z.B. auch der Widerruf eines Konkurses
zur Folge hat, dass die Eintragung der durch den Konkurs bewirkten
Auflösung zu löschen ist (Art. 939 Abs. 2 OR). Ist die inkorporierte
Gesellschaft ungerechtfertigterweise gelöscht worden, so kann sie wieder
eingetragen werden, ähnlich wie nach der Rechtsprechung (BGE 78 I 454
und dort zitierte Entscheide, ferner BGE 87 I 303) eine als liquidiert
gelöschte Gesellschaft wieder einzutragen ist, wenn sich die Liquidation
nachträglich als nicht durchgeführt oder nicht beendet erweist. Interessen
von Gläubigern der zu Unrecht als inkorporiert erachteten Gesellschaft
werden durch die Wiedereintragung nicht verletzt. Die Auseinandersetzung
zwischen der übernehmenden und der wiedereingetragenen Gesellschaft sodann
hat nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen und ist nicht schwieriger
als in andern Fällen, in denen zwei Vermögen ohne gültigen Grund oder
aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grunde
verschmolzen wurden. Die Verschmelzung ist zudem nicht die rechtliche Folge
der Eintragung des Fusionsbeschlusses, sondern setzt ein tatsächliches
Verhalten der Organe der fusionierenden Gesellschaften voraus, das durch
die Nichteintragung des Fusionsbeschlusses an sich nicht verunmöglicht
werden kann.

    Der Entscheid des Appellationshofes kann daher nicht mit der Berufung
angefochten werden.

Erwägung 1

    II.1.- Der Appellationshof hat ausgeführt, ausschliesslich das
kantonale Prozessrecht sei entscheidend, und er hat nur unter dem
Gesichtspunkt von Art. 326 Ziff. 3 ZPO geprüft, ob sich die beantragte
einstweilige Verfügung rechtfertige. Die Gesuchstellerin leitet dagegen
den Anspruch auf einstweilige Nichteintragung des Fusionsbeschlusses aus
Art. 706 OR und Art. 32 Abs. 2 HRegV ab und wirft dem Appellationshof
vor, er habe den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts
(Art. 2 UeB BV) verletzt.

    Da die vorliegende Sache nicht der Berufung unterliegt, kann diese
Rüge Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde bilden (Art. 68 Abs. 1
lit. a OG). Das Rechtsmittel der Gesuchstellerin ist deshalb insoweit
als Nichtigkeitsbeschwerde zu behandeln.

Erwägung 2

    II.2.- Art. 706 OR regelt das Recht der Verwaltung und der Aktionäre,
Beschlüsse der Generalversammlung beim Richter mit Klage gegen die
Gesellschaft anzufechten. Von einer Befugnis oder Pflicht des Richters,
vor oder nach Einreichung einer solchen Klage dem Handelsregisterführer
einstweilen die Eintragung des anzufechtenden oder angefochtenen
Beschlusses zu verbieten, ist hier nicht die Rede. Sie ergibt sich
auch nicht durch Auslegung dieser Bestimmung. Die Möglichkeit, nach
Bundeszivilrecht zu klagen, gibt nicht allgemein von Bundesrechts wegen
auch Anspruch darauf, vorsorgliche Massnahmen zum Schutze des geltend
gemachten Anspruches zu verlangen. Das widerspräche dem zugunsten des
kantonalen Verfahrensrechtes bestehenden Vorbehalt des Art. 64 Abs. 3
BV und dem Art. 1 ZGB. Wo das Bundesrecht ausnahmsweise ein Recht
auf solche Massnahmen gewährt, sieht es sie ausdrücklich vor. Mangels
einer bundesrechtlichen Regelung bestimmt ausschliesslich das kantonale
Prozessrecht, ob und unter welchen Voraussetzungen ein einstweiliger
Rechtsschutz möglich ist (BGE 56 II 323, 63 II 400).

    Ein bundesrechtlicher Anspruch auf vorsorgliche richterliche
Untersagung von Handelsregistereinträgen ergibt sich auch nicht aus
Art. 32 Abs. 2 HRegV. Diese Bestimmung, die im Hinblick auf BGE 59 I 239
ff. erlassen wurde, enthält nur eine Anweisung an den Registerführer, wie
er sich verhalten solle, wenn gegen eine noch nicht vollzogene Eintragung
ein privatrechtlicher Einspruch erhoben wird. Er hat vor der Eintragung
dem Einsprechenden durch Ansetzung einer Frist Gelegenheit zu geben,
beim Richter eine vorsorgliche Verfügung zu erwirken. Die Frist muss
"nach dem kantonalen Prozessrecht" genügen. Art. 32 Abs. 2 HRegV geht also
davon aus, dass kantonales Prozessrecht anwendbar sei. Im gleichen Sinne
hat das Bundesgericht schon am 31. Januar 1940 i.S. Zubler c. SA Macchine
additionatrici e classificatrici entschieden, und gleich legt E. STEINER
(Die Schweizerische Aktiengesellschaft, Bd. 13 S. 14 f.) Art. 32 Abs. 2
HRegV aus. Auch F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der
Schweiz, 4. Auflage, S. 208 führt aus, man werde wohl diese Auffassung als
massgebend ansehen müssen. Seine Meinung, die gegenteilige Stellungnahme
des bernischen Appellationshofes in einem Entscheid aus dem Jahre 1938
entspreche mehr den im Rechtsleben tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen,
ändert nichts. Art. 929 und 936 OR, auf die sich die Verordnung über
das Handelsregister stützt, berechtigen denn auch den Bundesrat nicht,
einen bundesrechtlichen Anspruch auf vorsorgliche Untersagung von
Handelsregistereintragungen zu gewähren.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher abzuweisen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1. - Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

    2. - Soweit das Rechtsmittel als Nichtigkeitsbeschwerde zu behandeln
ist, wird es abgewiesen.