Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 136



97 II 136

20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Mai 1971 i.S. Wirz gegen Wirz.
Regeste

    Verjährung.

    1.  Art. 50 OG. Berufung gegen einen Vorentscheid über die Verjährung
(Erw. 1).

    2.  Art. 60 Abs. 2 OR. Beginn, Dauer und Unterbrechung der
strafrechtlichen Verjährung, wenn diese auch für den Zivilanspruch gilt
(Erw. 2 und 3).

Sachverhalt

    A.- Am 14. Januar 1962 kam es im Hotel Metzgern in Sarnen
zwischen Gästen zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die 62jährige
Serviertochter Elise Wirz angeblich wegen eines Schlages zu Boden stürzte
und verletzt wurde. Durch Urteil vom 3. Oktober 1963, das unangefochten
blieb, fand der Kantonsgerichtsausschuss Obwalden den Metzgermeister Arthur
Wirz der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB
schuldig und büsste ihn mit Fr. 40.-. Das Gericht hielt für erwiesen,
dass Wirz der Serviertochter einen Schlag auf den Kopf versetzt und sie
verletzt habe. Die Schadenersatzansprüche der Geschädigten wurden auf
den Zivilweg verwiesen.

    B.- Am 26. April 1968 klagte Elise Wirz gegen Arthur Wirz auf Bezahlung
von Fr. 16 665.55. Sie verlangte Ersatz für Heilungskosten und andere
Auslagen, Erwerbsausfall in den Jahren 1962 bis 1964 und erhob Anspruch
auf Genugtuung. Der Beklagte bestritt die Klage und machte zudem geltend,
die Schadenersatzansprüche seien verjährt.

    Das Kantonsgericht Obwalden, das ein Beweisverfahren durchführte,
verwarf die Verjährungseinrede und hiess die Klage am 16. Juli 1970 im
Teilbetrage von Fr. 2353.-- nebst 5% Zins seit 1. Juli 1962 gut.

    Beide Parteien appellierten an das Obergericht des Kantons Obwalden,
das sich auf Begehren des Beklagten auf die Frage der Verjährung
beschränkte. Mit Vorentscheid vom 11. Dezember 1970 verneinte es, dass
die Verjährung eingetreten sei, und wies die Einrede ab.

    C.- Der Beklagte hat gegen diesen Entscheid die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Er beantragt, ihn aufzuheben und die Klage wegen
Verjährung abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das angefochtene Urteil ist ein selbständiger Vorentscheid. Gegen
einen solchen ist nach Art. 50 OG ausnahmsweise die Berufung zulässig,
wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt werden und ein
so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des
Bundesgerichts als gerechtfertigt erscheint.

    Die erste dieser Voraussetzungen ist hier offensichtlich erfüllt, da
bei Gutheissung der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede sich sofort
ein Endentscheid auf Abweisung der Klage ergäbe. Der Beklagte hält auch
die zweite Voraussetzung für gegeben. Die Klägerin widerspricht dem an sich
nicht, weist aber darauf hin, dass die Frage von Amtes wegen zu prüfen sei.

    Das Kantonsgericht hat die Verjährungseinrede im Einverständnis des
Beklagten nicht zum Gegenstand eines Vorentscheides gemacht; es hat darüber
vielmehr entschieden, als es nach Durchführung eines Beweisverfahrens in
der Sache selber urteilte. In bezug auf die Folgen der Körperverletzung
stellte das Kantonsgericht dabei vor allem auf schriftliche Arztzeugnisse
ab. Die Klägerin rügte dies und beantragte dem Obergericht, zehn bereits
vor erster Instanz angerufene, aber nicht abgehörte Zeugen, die mit
einer Ausnahme Ärzte sind, zur Sache zu vernehmen. Da das Obergericht
sein Urteil ausdrücklich als selbständigen Vorentscheid gemäss Art. 50 OG
bezeichnet, muss angenommen werden, dass es ein weiteres Beweisverfahren
im Sinne der Anträge der Klägerin für erforderlich hält. Dass diese
Anträge unzulässig oder unerheblich wären, kann den Akten nicht
entnommen werden, zumal der Beklagte vor Kantonsgericht die schriftlichen
Arztzeugnisse bestritten und selber beantragt hat, die Ärzte als Zeugen
einzuvernehmen. Von den zehn Zeugen wohnen neun ausserhalb des Kantons
Obwalden und wären voraussichtlich auf dem Rechtshilfeweg zu befragen.
Angesichts solcher Weiterungen, die vermutlich kostspielig und weitläufig
wären, sich aber erübrigen, wenn die Verjährungseinrede begründet ist,
muss auch die in Art. 50 OG genannte zweite Voraussetzung als erfüllt
gelten. Auf die Berufung ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Wenn eine Klage auf Schadenersatz oder Genugtuung aus einer
strafbaren Handlung hergeleitet wird, für die das Strafrecht eine längere
Verjährung vorschreibt als Art. 60 Abs. 1 OR, gilt diese auch für den
Zivilanspruch (Art. 60 Abs. 2 OR).

    Der Beklagte ist wegen des Vorfalles, welcher der Zivilklage zugrunde
liegt, am 3. Oktober 1963 rechtskräftig wegen einfacher Körperverletzung
bestraft worden. Damit steht für den Zivilrichter verbindlich fest, dass
eine strafbare Handlung im Sinne von Art. 60 Abs. 2 OR vorliegt (BGE 93
II 501, 96 II 43). Das Vergehen der einfachen Körperverletzung verjährt
ordentlicherweise in fünf Jahren (Art. 70 und 123 Ziff. 1 StGB). Diese
Frist begann mit dem Tage der Tatbegehung (BGE 96 II 44/45) und lief
am 13. Januar 1967 ab. Sie dauerte länger als die einjährige Frist des
Art. 60 Abs. 1 OR, die im Juni 1964, als die Klägerin sich nach ihren
eigenen Angaben über das Ausmass des Schadens Rechenschaft geben konnte, zu
laufen begann und übrigens unbenützt verstrichen ist. Die Verjährungsfrist
des Strafrechts gilt daher auch für den Zivilanspruch.

    Das Bundesgericht nahm zunächst an, ob die strafrechtliche oder die
zivilrechtliche Verjährung länger sei, beurteile sich nach den beiden
Verjährungen eigenen Regeln; es gehe daher nicht an, die zivilrechtlichen
Unterbrechungs- und Stillstandsgründe anstelle der strafrechtlichen
oder zusammen mit diesen anzuwenden, wenn die Dauer der strafrechtlichen
Verjährung zu ermitteln sei (BGE 77 II 319 f.). Im Jahre 1965 rückte es
unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck des Art. 60
Abs. 2 OR von dieser Auffassung ab und erklärte, die Verjährung des
Zivilanspruches richte sich mit Bezug auf Beginn und Dauer zwar nach
dem Strafrecht, beurteile sich im übrigen aber nach den Vorschriften des
Zivilrechts (Art. 127 ff. OR), da sonst das Schicksal des Zivilanspruches
von Zufälligkeiten des Strafverfahrens abhängig gemacht würde, auf das der
Geschädigte im allgemeinen keinen Einfluss habe. Das gelte insbesondere
für die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung. Wenn der Schaden
auf eine strafbare Handlung zurückzuführen ist, müsse der Geschädigte
daher den Zivilanspruch während der vollen Dauer der strafrechtlichen
Verjährungsfrist geltend machen und die Frist durch Mittel des Zivilrechts
unterbrechen können, unbekümmert darum, ob ein Strafverfahren eingeleitet
werde und, wenn ja, ob die Strafverfolgung mit einer Verurteilung, einem
Freispruch oder mit einer Einstellung des Verfahrens ende (BGE 91 II
434 ff.). Im gleichen Sinn hat das Bundesgericht 1970 im Falle Huwiler
entschieden (BGE 96 II 44 f.). Dass der Beklagte bereits am 3. Oktober
1963 rechtskräftig verurteilt wurde, hinderte die Klägerin somit nicht,
sich bis 13. Januar 1967 auf die ordentliche Verjährungsfrist des
Strafrechts zu berufen. Der Beklagte bestreitet dies nicht; er anerkennt
im Gegenteil, dass die ordentliche Verfolgungsverjährung von fünf Jahren
"durch verschiedene Handlungen" der Klägerin unterbrochen worden ist.

Erwägung 3

    3.- Streitig ist dagegen, welche Bedeutung der absoluten
strafrechtlichen Verjährungsfrist, die für einfache Körperverletzung 7
1/2 Jahre beträgt (Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), nach Art. 60 Abs. 2 OR
zukommt. Das Obergericht nimmt an, die Klägerin habe ihre Zivilansprüche
innert dieser bis zum 13. Juli 1969 dauernden Frist geltend machen
können. Das ist auch die Meinung des Beklagten, der sich jedoch im
Gegensatz zur Vorinstanz auf den Standpunkt stellt, mit dem Ablauf der
absoluten Verfolgungsverjährung seien die Ansprüche der Klägerin, wie sich
aus Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB ergebe, "in jedem Fall" verjährt. Art. 60
Abs. 2 OR bezwecke bloss, die Forderung aus unerlaubter Handlung solange
nicht untergehen zu lassen, als die Strafverfolgung nicht verjährt sei;
ob und um wieviel diese Verjährung länger sei als die des Zivilrechts,
sage das Strafgesetzbuch, das die strafrechtliche Verjährung abschliessend
regle. Die Klägerin vertritt demgegenüber die Ansicht, nach Art. 60 Abs. 2
OR sei einzig die ordentliche Verjährung des Strafrechts massgebend.

    a) Der Auffassung des Beklagten ist vorweg entgegenzuhalten, dass
die Forderung des Geschädigten mit dem Ablauf der Verjährung nicht
untergeht; sie bleibt bestehen, kann aber nicht mehr gegen den Willen
des Schuldners durchgesetzt werden. Dadurch unterscheidet sich die
zivilrechtliche Verjährung denn auch von derjenigen des Strafrechts,
wo der Strafanspruch des Staates mit dem Zeitablauf von Gesetzes wegen
untergeht. Der Strafanspruch verjährt zudem trotz Unterbrechungen, wenn
die ordentliche Verjährungsfrist um die Hälfte, bei Ehrverletzungen und
bei Übertretungen um ihre ganze Dauer überschritten ist (Art. 72 Ziff. 2
Abs. 2 StGB). Das Zivilrecht kennt dagegen keine absolute Verjährung
in diesem Sinne. Bei drohendem Ablauf der Verjährung dürfen nicht
nur die einjährige Frist des Art. 60 Abs. 1, sondern auch die zehn-
und fünfjährigen Fristen der Art. 127 und 128 OR stets von neuem durch
Mittel des Zivilrechts unterbrochen werden, ohne dass der Beklagte sich
auf eine absolute Schranke berufen könnte.

    Die absolute Verjährungsfrist des Strafrechts auf den Zivilanspruch
anzuwenden, wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt. Es wäre insbesondere
stossend, wenn der Anspruch wegen der Dauer des Zivilprozesses verjähren
könnte, obschon der Geschädigte ihn rechtzeitig geltend machte. Diese
Gefahr bestände namentlich dann, wenn die absolute Verjährungsfrist des
Strafrechts wie hier 7 1/2 Jahre beträgt, der Geschädigte mit seinem
Anspruch auf den Zivilweg verwiesen wird und die Klage von mehreren
Instanzen beurteilt werden muss. Dass der Geschädigte diesfalls,
wie der Beklagte behauptet, den Nachteil der Verjährung seiner eigenen
Säumnis zuzuschreiben habe, wenn der Anspruch innert der Frist nicht mehr
rechtskräftig beurteilt werden könne, lässt sich nicht sagen, da die Dauer
des Verfahrens auch von Umständen abhängt, die er nicht zu vertreten hat;
der Geschädigte kann insbesondere nicht verhindern, dass das Verfahren
durch Rechtsmittel des Belangten in die Länge gezogen wird.

    Die vom Beklagten befürwortete Lösung widerspräche zudem nicht nur
dem Zweck des Art. 60 Abs. 2 OR, den Geschädigten besser zu stellen,
sondern auch der 1965 eingeleiteten Rechtsprechung. Dass der Geschädigte
eine allenfalls längere Verjährungsfrist des Strafrechts nur bis
zum Eintritt der absoluten Verfolgungsverjährung unterbrechen könne,
ist dieser Rechtsprechung entgegen der Annahme des Beklagten nicht
zu entnehmen. In BGE 91 II 429 ff. wurde mit einlässlicher Begründung
dargetan, warum der im Falle Perrin (BGE 77 II 314 ff.) aufgestellte
Grundsatz, die zivilrechtliche und die strafrechtliche Verjährung nach
den ihnen eigenen Regeln zu beurteilen, zu Widersprüchen führte und sich
gerade mit Bezug auf die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nicht
aufrechterhalten liess. In BGE 96 II 39 ff. sodann wurde verdeutlicht,
dass die nach Art. 60 Abs. 2 OR auf den Zivilanspruch anwendbare längere
Verjährungsfrist des Strafrechts mit der Tatbegehung beginnt; im übrigen
wurde jedoch bestätigt, dass der Geschädigte diese Frist durch Mittel
des Zivilrechts unterbrechen kann und die Unterbrechung den Vorschriften
der Art. 135 ff. OR untersteht. Nach diesen Bestimmungen bleibt, wenn
der Geschädigte die ordentliche Verfolgungsverjährung rechtzeitig durch
Betreibung oder Klage unterbricht, für eine absolute Verjährung im Sinne
des Strafrechts aber kein Raum mehr; nach Art. 137 Abs. 1 OR beginnt
die Verjährung vielmehr von neuem, und zwar mit ihrer ursprünglichen
Dauer. Gleich verhält es sich gemäss Art. 138 Abs. 1 und 2 OR bei
Unterbrechungen während des Rechtsstreites oder des Betreibungsverfahrens
(BGE 75 II 231 Erw. 3, 85 II 508/9).

    b) Im vorliegenden Fall wurde die ordentliche Strafverfolgungsfrist
von fünf Jahren insbesondere am 13. Januar 1967 durch Betreibung und am
26. April 1968 durch die Klage unterbrochen. Da die Frist jeweils mit
der ursprünglichen Dauer von neuem begann, sind die Zivilansprüche der
Klägerin nicht verjährt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Obwalden vom 11. Dezember 1970 bestätigt.