Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 III 12



97 III 12

4. Auszug aus dem Entscheid vom 22. Februar 1971 i.S. M. Regeste

    Fristwahrung durch Postaufgabe. Art. 32 SchKG stellt die Postaufgabe
einer an eine Amtsstelle gerichteten Sendung, die eine an eine Frist
gebundene Mitteilung (hier: eine Rechtsvorschlagserklärung) enthält,
der Übergabe dieser Mitteilung an die Amtsstelle gleich. Beweis der
rechtzeitigen Postaufgabe einer nicht eingeschriebenen Sendung, die dem
Amt nicht zugegangen ist. Anspruch des Absenders auf Zulassung zum Beweis.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- In den Betreibungen Nr. 2365 und 2373 für Forderungen von Fr. 14
583.55 bzw. Fr. 38 701.65 nahm die Ehefrau des Betriebenen am 11. August
1970 die Zahlungsbefehle entgegen. Vom Betreibungsamt am 25. August 1970
benachrichtigt, ein Rechtsvorschlag sei nicht erfolgt, verlangten die
Gläubiger am 2. September 1970 die Fortsetzung der Betreibung. Hierauf
teilte der Betriebene dem Betreibungsamt am 6. September 1970 unter
Rücksendung der Pfändungsankündigungen mit, er könne beweisen, dass er
gegen beide Betreibungen Rechtsvorschlag erhoben und beide Formulare
(gemeint: die Zahlungsbefehle) am 20. August 1970 der Post übergeben
habe. Er veranlasste bei der Postverwaltung eine Nachforschung nach
dieser Sendung, die er nach seiner Darstellung am 20. August in
Aarau als gewöhnlichen Brief zur Beförderung an das Betreibungsamt
aufgegeben hatte, und legte dem Betreibungsamt am 8. September 1970
eine Photokopie des Zahlungsbefehls Nr. 2373 vor, nach welcher er
auf diesem den von ihm unterzeichneten Vermerk angebracht hatte: "Ich
erhebe Rechtsvorschlag. W..., den 20. August 1970." Daraufhin teilte
das Betreibungsamt, obwohl es eine solche Sendung nicht erhalten hatte,
den Gläubigern am 8. September 1970 mit, es könne die Pfändung nicht
vollziehen.

    B.- Auf Beschwerden der Gläubiger hin ordnete die untere
Aufsichtsbehörde am 25. September 1970 an, die Pfändung sei zu vollziehen.

    Der Betriebene, der im erstinstanzlichen Verfahren nicht angehört
worden war, rekurrierte an die kantonale Aufsichtsbehörde. Er berief
sich dabei auf seine Ehefrau als Zeugin dafür, dass sie den Umschlag
der Sendung vom 20. August 1970 angeschrieben und frankiert und dass
er die Sendung an diesem Tage etwa um 21.15 Uhr vor ihren Augen in den
Briefkasten am Hauptbahnhof Aarau eingeworfen habe.

    Am 18. Dezember 1970 wies die kantonale Aufsichtsbehörde die Rekurse
des Betriebenen ab.

    C.- Den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde hat der Betriebene
rechtzeitig an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag auf Abweisung
der Beschwerden der Gläubiger. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
weist die Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes und zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz fand, es könne dahingestellt bleiben,
ob der Rekurrent die nach seiner Darstellung von ihm abgegebenen
Rechtsvorschlagserklärungen tatsächlich am 20. August 1970 zur Post
gebracht habe. Er habe die Einhaltung der Frist für den Rechtsvorschlag
zu beweisen. Was er vorgebracht habe, genüge dazu nicht. Da er sich nicht
die Mühe genommen habe, die Sendung bei der Post einschreiben zu lassen,
habe er das Risiko auf sich genommen, dass diese bei der Post verloren
gehen konnte. Entscheidend sei demgemäss nur, ob die Rechtsvorschläge beim
Betreibungsamt eintrafen. Das sei nicht geschehen. Die Behauptung, die
Rechtsvorschlagserklärungen seien rechtzeitig der Post übergeben worden,
vermöge "die Rechtsvorschläge nicht zu ersetzen". In diesen Erwägungen
der Vorinstanz, die sich im wesentlichen mit der Auffassung decken,
welche die bernische Aufsichtsbehörde in dem von den Rekursgegnern
angerufenen Entscheide vom 5. August 1931 i.S. Leuenberger (ZBJV 1932
S. 294, zit. bei JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis
I, N. 5 zu Art. 74 SchKG) vertreten hat, liegt unzweifelhaft der Grund
dafür, dass der angefochtene Entscheid den Antrag des Rekurrenten auf
Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin für die rechtzeitige Übergabe der
Rechtsvorschlagserklärungen an die Post überhaupt nicht erwähnt.

    a) Ob der Betriebene, der für die Übermittlung des Rechtsvorschlags
an das Betreibungsamt die Post benützt, die Gefahr des Verlustes seiner
Sendung bei der Post trage, ist eine Frage des Bundesrechts, die das
Bundesgericht im Rekursverfahren nach Art. 19 SchKG frei zu prüfen
hat. Das gleiche gilt auch für die damit zusammenhängende Frage, ob
der Betriebene wenigstens dann, wenn er seine Sendung nicht einschreiben
lässt, den Eingang der Sendung beim Betreibungsamt beweisen müsse, wie die
Vorinstanz dem Sinne nach angenommen hat. Art. 8 ZGB, der die Beweislast,
d.h. die Folgen der Beweislosigkeit und implicite auch das Recht zum
Beweis, nicht aber die Beweiswürdigung regelt (KUMMER N. 20, 33/34,
58 ff. und 74 ff. zu Art. 8 ZGB), gilt zwar nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts unmittelbar nur im Gebiete des Bundesprivatrechts
(BGE 88 I 15 lit. b, 82 II 125 ff. E. 3; vgl. auch BGE 79 II 405
E. 5; KUMMER aaO N. 49/50). Er spricht jedoch einen Grundsatz aus,
der auf rechtlichen Überlegungen allgemeiner Art beruht und daher unter
Vorbehalt bestehender Sondervorschriften samt den in diesem Grundsatz
eingeschlossenen Folgesätzen z.B. auch in rein betreibungsrechtlichen
Prozessen (KUMMER aaO N. 54) und darüber hinaus im betreibungsrechtlichen
Beschwerdeverfahren, soweit hier nicht die Untersuchungsmaxime (Abklärung
des Sachverhalts von Amtes wegen) gilt (vgl. BGE 82 III 106 E. 2),
von Bundesrechts wegen sinngemäss angewendet zu werden verdient. Das
Bundesgericht hat denn auch schon vor dem Inkrafttreten des ZGB angenommen,
es habe im Rekursverfahren nach Art. 19 SchKG gegebenenfalls zu prüfen,
ob die Vorinstanz die Beweislast richtig verteilt habe (BGE 35 I 857 = Sep.
ausg. 12 S. 329; JAEGER N. 6 zu Art. 19 SchKG).

    b) Die Frage, ob der Betriebene die Gefahr des Verlustes der
die Rechtsvorschlagserklärung enthaltenden Postsendung trage und den
Eingang dieser Sendung beim Betreibungsamt beweisen müsse, beurteilt
sich nicht nach den von der bernischen Aufsichtsbehörde im Entscheid
vom 5. August 1931 herangezogenen Regeln des Privatrechts über die
briefliche Übermittlung empfangsbedürftiger Willenserklärungen, sondern
nach Art. 32 SchKG, wonach, falls für eine Mitteilung die Post benützt
wird, die Frist als eingehalten gilt, wenn die Aufgabe zur Post vor
Ablauf der Frist erfolgt ist. Diese Bestimmung stellt die Postaufgabe
einer Sendung, die eine an eine Frist gebundene Mitteilung enthält, der
Übergabe dieser Mitteilung an das Betreibungsamt gleich. Der Rekurrent
hat daher nur zu beweisen, dass er die Rechtsvorschlagserklärungen in
einem an das Betreibungsamt adressierten Umschlag der Post übergeben und
dass er das innert zehn Tagen seit der Zustellung der Zahlungsbefehle
(Art. 74 Abs. 1 SchKG) getan hat (BGE 42 III 182, 82 III 102). Einen
weitern Beweis hat er entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zu
leisten. Ob er die Sendung einschreiben liess oder nicht, ist in diesem
Zusammenhang grundsätzlich ohne Bedeutung. Art. 32 SchKG macht zwischen
diesen beiden Fällen keinen Unterschied. Der Verzicht auf die Einschreibung
hat nur die rein faktische Folge, dass dadurch der Beweis der rechtzeitigen
Postaufgabe erschwert wird (vgl. BGE 82 III 102).

    c) Der vom Rekurrenten angebotene Beweis dafür, dass er die an das Amt
gerichtete Sendung mit den Rechtsvorschlagserklärungen am 20. August 1970
in einen Postbriefkasten eingeworfen habe, betrifft also eine erhebliche
Tatsache. In entsprechender Anwendung der Regeln über die Zulassung
zum Beweis solcher Tatsachen, welche die Rechtsprechung aus Art. 8 ZGB
abgeleitet hat (BGE 88 II 190 mit Hinweisen, 90 II 42, 223 oben und 468
unten, 91 II 162 unten, 95 II 467 E. 3), ist er daher zum Beweis dieser
Tatsache durch hiezu taugliche Beweismittel zuzulassen. Das aargauische
Prozessrecht lässt das Zeugnis eines Ehegatten zu (EICHENBERGER, Beiträge
zum Aarg. Zivilprozessrecht, S. 180 Ziff. 2). Die Anrufung der Ehefrau
des Rekurrenten als Zeugin stellt daher einen tauglichen Beweisantrag
dar. Die Vorinstanz durfte diesen Antrag also nicht übergehen. Sie hat die
Vernehmung der angerufenen Zeugin nachzuholen und hernach zu prüfen, ob
deren Aussagen zusammen mit den geltend gemachten Indizien die rechtzeitige
Postaufgabe beweisen. Bejaht sie diese Frage, so hat sie die Beschwerden
der Gläubiger abzuweisen.