Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 III 113



97 III 113

24. Entscheid vom 19. November 1971 i.S. M. Regeste

    Art. 74 SchKG. Erhebung des Rechtsvorschlags durch einen nicht zur
Vertretung befugten Angestellten einer AG.

    Der von einem (gemäss Handelsregistereintrag) nicht zur Vertretung
befugten Angestellten einer juristischen Person erhobene Rechtsvorschlag
ist nicht zum vornherein ungültig. Auf Ersuchen des Betreibungsgläubigers
hat jedoch das Betreibungsamt bzw. die Aufsichtsbehörde zu prüfen, ob
der Angestellte mit Ermächtigung der Organe handelte oder diese zumindest
nachträglich den Rechtsvorschlag genehmigt haben.

Sachverhalt

    Der auf Begehren des M. gegen die X. AG ausgestellte Zahlungsbefehl
wurde am 30. September 1971 der Schuldnerin zugestellt. Am gleichen Tag
erhob K., einer ihrer Angestellten, namens der X. AG Rechtsvorschlag. Mit
Schreiben vom 15. Oktober 1971 ersuchte M. das Betreibungsamt, diesen
Rechtsvorschlag als ungültig zu erklären und das Gläubigerdoppel
des Zahlungsbefehls entsprechend zu berichtigen, da K. nach dem
Handelsregistereintrag nicht vertretungsberechtigt und demnach nicht zur
Erhebung eines Rechtsvorschlags legitimiert sei.

    Das Betreibungsamt lehnte das Begehren ab. Die von M. dagegen erhobene
Beschwerde an die kantonale Aufsichtsbehörde wurde ebenfalls abgewiesen.

    Mit Rekurs ans Bundesgericht hat der Gläubiger erneut Nichtigerklärung
des Rechtsvorschlags verlangt. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

    Die hier zur Beurteilung stehende Frage, ob ein gewöhnlicher
Angestellter einer Aktiengesellschaft ohne besondere Vertretungsbefugnisse
legitimiert sei, in einer gegen die Gesellschaft gerichteten Betreibung
für diese Rechtsvorschlag zu erheben, wurde bisher vom Bundesgericht noch
nie entschieden. In BGE 65 III 73 f. erklärte das Gericht lediglich,
dass im Falle kollektiver Zeichnungsberechtigung (es handelte sich um
eine GmbH) jeder der Zeichnungsberechtigten einzeln, d.h. ohne Mitwirkung
des andern, gültig Recht vorschlagen könne. Das Luzerner Obergericht ging
später mit Hinweis auf diesen Entscheid etwas weiter und anerkannte auch
den von einem nicht zeichnungsberechtigten Mitglied des Stiftungsrates
namens der Stiftung erhobenen Rechtsvorschlag als gültig (Blätter für
Schuldbetreibung und Konkurs, 1948 S. 177 Nr. 47, 1950 S. 111 Nr. 41). Die
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Graubünden
erklärte ihrerseits, bei einer juristischen Person müsse die Befugnis,
Recht vorzuschlagen, jeder Person zustehen, die gemäss Art. 65 Abs. 1
Ziffer 2 SchKG berechtigt sei, den Zahlungsbefehl entgegenzunehmen
(BlSchK 1961, S. 82 f.). In der Literatur schliesslich herrscht die
Meinung vor, bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft sei
überhaupt jeder Angestellte zur Erhebung des Rechtsvorschlags legitimiert,
gleichgültig, wie die Verwaltung und Vertretung sonst geregelt sei (so
JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, N. 3 zu Art. 74 SchKG; VOEGELI,
Der Rechtsvorschlag, Diss. Bern 1931, S. 36; FAVRE, Cours de droit des
poursuites, 2. Aufl., S. 137 oben; ebenso wohl JOOS, Handbuch für die
Betreibungsbeamten der Schweiz, S. 104, und BRAND, SJK Nr. 979, S. 5).

    Die Befugnis des einfachen Angestellten, Recht vorzuschlagen,
wird von den genannten Autoren im allgemeinen aus Art. 65 Abs. 2
SchKG abgeleitet. Diese Ableitung ist aber nicht über jeden Zweifel
erhaben. Während nämlich die (übrigens bedingte) Zulässigkeit der
Zustellung von Betreibungsurkunden an Angestellte einer juristischen
Person oder Gesellschaft ihre Rechtfertigung schon darin findet, dass
angenommen werden darf, diese Hilfspersonen würden solche Urkunden "an die
zum Handeln berufenen Personen" weiterleiten (BGE 88 III 17), und während
der Angestellte mit der blossen Entgegennahme eines Zahlungsbefehls einem
Entscheid der zur Vertretung befugten Organe in keiner Weise vorgreift,
übt er, wenn er namens seiner Arbeitgeberin Recht vorschlägt, ein dieser
zustehendes Recht aus, wobei jedoch nicht gesagt ist, dass er damit auch
im Sinne der Geschäftsleitung handle.

    Nun hat aber das Bundesgericht schon wiederholt erklärt, dass selbst
ein von einem nicht bevollmächtigten Vertreter des Betriebenen erhobener
Rechtsvorschlag gültig sei, sofern ihn der Betreibungsschuldner
nachträglich genehmige (vgl. BGE 54 III 279, 78 III 157; ferner
BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 271, und die dort zitierten ältern Entscheide,
sowie die bereits früher angeführten Autoren). Das muss natürlich
auch dann gelten, wenn ein nicht zur Vertretung befugter Angestellter
einer juristischen Person in deren Namen Recht vorschlägt. Zwar darf in
solchen Fällen in aller Regel angenommen werden, dass der Angestellte
mit Wissen und Willen der vertretungsberechtigten Personen handle und
somit zur Erhebung des Rechtsvorschlags ermächtigt sei. Macht jedoch
der Betreibungsgläubiger geltend, dass dies nicht zutreffe, so hat
das Betreibungsamt oder die Aufsichtsbehörde zu prüfen, wie es mit
der Vertretungsbefugnis des betreffenden Angestellten bzw. mit der
nachträglichen Genehmigung des Rechtsvorschlags durch die Organe der
Gesellschaft bestellt ist (ähnlich schon BGE 29 I 625 f.; JAEGER, N. 3
zu Art. 74 SchKG).

    Im vorliegenden Falle wird nicht behauptet, die Betreibungsschuldnerin
sei mit dem Rechtsvorschlag nicht einverstanden. Der Rekurrent
sieht dessen Ungültigkeit lediglich darin, dass er von einem gemäss
Handelsregistereintrag nicht zur Vertretung der AG befugten Angestellten
erhoben worden ist. Dass dies die Gültigkeit des Rechtsvorschlags jedoch
nicht ausschliesst, wurde soeben dargetan. Unter diesen Umständen kann
davon abgesehen werden, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit
sie die Frage der Vollmacht bzw. der Genehmigung des Rechtsvorschlags
durch die betriebene AG näher abkläre.