Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 V 99



96 V 99

28. Auszug aus dem Urteil vom 5. September 1970 i.S. Artisana gegen
Fischer und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 12 Abs. 1 KUVG.

    Zur Bestimmung von Art und Umfang ihrer Leistungspflicht kann die Kasse
vom Versicherten als Vorleistung verlangen, dass er sich einer ärztlichen
Konsultation unterzieht. Fraglich ist, ob die Leistungsverweigerung bei
Fehlen der Konsultation als Sanktion bezeichnet werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Es bleibt zu prüfen, ob die dem Vormund am 4. November 1968 mitgeteilte
Leistungsverweigerung ab 14. Oktober 1968 rechtlich begründet war. Die
Vorinstanz hat das verneint, indem sie zugunsten des Versicherten annahm,
diesem hätten die Versicherungsbedingungen nicht in allen Einzelheiten
bekannt sein können; zudem stünden Vorschriften nicht zwingenden
Charakters zur Diskussion, und schliesslich wäre der Leistungsentzug
unangemessen. Mit Recht kritisiert das Bundesamt für Sozialversicherung
diese Betrachtungsweise. In der Tat kann es nicht zweifelhaft sein, dass
der Beschwerdegegner grob pflichtwidrig handelte, wenn er eigenmächtig
das Sanatorium verliess und sich anschliessend einer ärztlichen Kontrolle
entzog. Darüber hatte er sich - da er, wenngleich bevormundet, nicht
urteilsunfähig war - Rechenschaft zu geben. Auf der anderen Seite muss
eine Krankenkasse über Unterlagen verfügen können, die ihr Art und Umfang
ihrer Leistungspflicht zu bestimmen erlauben, ansonst ihr gesetzmässiges
Funktionieren in Frage gestellt wäre. Diese Unterlagen bestehen in der
Regel zur Hauptsache aus ärztlichen Attesten, die über das Ergebnis
einer Untersuchung Auskunft geben. Entsprechende Vorschriften finden
sich denn auch in den Statuten der Artisana (Art. 36). Werden diese vom
Versicherten in schuldhafter Weise nicht innegehalten, so erwirbt er
kein Recht auf Leistungsbezug. Man kann sich fragen, ob man bei diesem
Sachverhalt überhaupt von "Sanktionen" sprechen soll. Da der Versicherte
eine für die Kasse unentbehrliche "Vorleistung", nämlich die Konsultation
beim Arzt als Voraussetzung für dessen Zeugnis zuhanden der Kasse, nicht
erbracht hat, könnte gesagt werden, aus diesem Grunde sei die Kasse
nicht zur Erbringung der statutarischen Leistung gehalten. Bei dieser
Betrachtungsweise wäre dann auch eine Mahnung nicht erforderlich.

    Wie dem auch sei, im vorliegenden Fall war die Kasse berechtigt,
ab 14. Oktober 1968 ihre Leistungen einzustellen (vgl. Art. 6 lit. c
des Reglementes der Artisana über Tuberkulose); sollte eine Mahnung
erforderlich sein, so würde das Schreiben vom 4. November 1968 hierfür
genügen.

    In diesem Schreiben hat die Kasse ihre Leistungen eingestellt "...bis
zu der ersten Konsultation beim nachbehandelnden Arzt". Diese Begrenzung
ist vernünftig und angemessen. Als konkreten Zeitpunkt schlägt das
Bundesamt für Sozialversicherung den 28. November 1968 vor, an welchem
Tag der Beschwerdegegner in die Trinkerheilstätte eingewiesen wurde,
wo er wieder unter ärztlicher Obhut stand. Diese Betrachtungsweise ist
zutreffend.