Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 673



96 I 673

102. Auszug aus dem Urteil vom 16. Dezember 1970 i.S. X. gegen
Eidg. Steuerverwaltung Regeste

    Verrechnungssteuer, Konkurs des Steuerpflichtigen.

    Bedeutung von Art. 46 VStG. Diese Bestimmung ist auch auf
Rückgriffsansprüche anwendbar, die vor dem Inkrafttreten des VStG
entstanden sind (Erw. 2).

    Kann der Bankgläubiger Zinsguthaben mit den Rückgriffsansprüchen
der Bank verrechnen, wenn diese vor der Steuerüberwälzung in Konkurs
gefallen ist? (Erw. 4).

    Verhältnis von Art. 46 Abs. 1 zu Art. 46 Abs. 2 VStG (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Im Verlaufe des Konkursverfahrens über die Bank Y., bei welcher
X. verschiedene Kundenguthaben besass, wurde festgestellt, dass die
entsprechenden Zinsen jeweils ohne Verrechnungssteuerabzug gutgeschrieben
worden waren. Die Konkursverwaltung kürzte deshalb die betreffenden
Konti nachträglich um die verfallenen Verrechnungssteuerbeträge
und kollozierte die Kapital- und Zinsguthaben des X. in der fünften
Klasse. Die Eidg. Steuerverwaltung (EStV) machte in der Folge gestützt
auf Art. 46 Abs. 1 VStG gegen X. eine Steuerforderung von Fr. 136 527.30
geltend. Da X. die Zahlung verweigerte, liess sie dessen Ansprüche auf
die Konkursdividende bis zur Höhe von Fr. 140 000.-- verarrestieren und
leitete Betreibung ein. Da X. gegen den Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag
erhob, fällte die EStV gestützt auf Art. 41 VStG einen formellen Entscheid
und stellte darin fest, X. schulde ihr eine Verrechnungssteuer im Betrage
von Fr. 136 527.30.

    B.- X. erhob dagegen Einsprache, u.a. mit der Begründung,
die Rückgriffsansprüche der Bank seien spätestens im Zeitpunkt der
Konkurseröffnung durch Verrechnung mit seinen Kapital- und Zinsforderungen
gegen die Bank untergegangen, so dass Art. 46 Abs. 1 VStG zum vorneherein
nicht anwendbar sei; im übrigen dürfe sich die EStV für die vor dem
1. Januar 1967 entstandenen Verrechnungssteuerforderungen schon deshalb
nicht auf Art. 46 Abs. 1 VStG stützen, da der bis zum 31. Dezember 1966
anwendbare Verrechnungssteuerbeschluss keine entsprechende Bestimmung
enthalten habe und dem neuen Verrechnungssteuergesetz keine Rückwirkung
zukomme.

    Die EStV wies die Einsprache ab, und zwar im wesentlichen mit folgender
Begründung: Die Zinsforderungen des Einsprechers seien monatlich fällig
geworden. Mit ihnen seien auch die entsprechenden Rückgriffsansprüche
der Bank entstanden. Nach Art. 46 Abs. 1 VStG seien diese mit der
Konkurseröffnung auf den Bund übergegangen. Dass die Konkursverwaltung
in ihrer Kollokationsverfügung die Verrechnungssteuer auf den Einsprecher
überwälzt habe, sei in diesem Zusammenhang unmassgeblich. Es treffe auch
nicht zu, dass die Rückgriffsansprüche mit der Konkurseröffnung durch
Verrechnung mit den Forderungen des Einsprechers gegenüber der Bank
untergegangen seien. Da der Rückgriffsanspruch eine öffentlichrechtliche
Forderung darstelle, könne er nicht gegen den Willen des Berechtigten zur
Verrechnung gebracht werden (Art. 125 Ziff. 3 OR). Der Einsprecher habe
weder vor der Konkurseröffnung eine entsprechende Erklärung abgegeben
noch habe die Bank oder der Bund einer Verrechnung zugestimmt. Auch
die Behauptung, die vor dem Inkrafttreten des VStG entstandenen
Regressansprüche seien mangels einer gleichlautenden Regelung im
Verrechnungssteuerbeschluss und im neuen Gesetz nicht auf den Bund
übergegangen, treffe nicht zu, da für die Verrechnungssteuerforderungen
ab 1. Januar 1967 ausschliesslich das VStG gelte, und zwar unbekümmert
darum, wann die Forderungen entstanden seien. Von einer unzulässigen
Rückwirkung des VStG könne somit nicht die Rede sein.

    C.- X. führt gegen den Einspracheentscheid der EStV
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen,
dass er der EStV nichts schulde und dass deshalb der Arrest und die
Betreibung aufzuheben seien und das Betreibungsamt anzuweisen sei, die in
der Sache hinterlegten Fr. 140 000.-- freizugeben. Die Beschwerdebegründung
ergibt sich, soweit sie für die Entscheidung von Bedeutung ist, aus den
nachfolgenden Erwägungen.

    D.- Die EStV beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 12 Abs. 1 VStG bzw. Art. 6bis VStB entsteht die
Verrechnungssteuerforderung im Zeitpunkt, in dem die steuerbare Leistung
fällig wird. Diese ist nach Massgabe von Art. 14 Abs. 1 VStG bzw. Art.
6quater VStB bei der Auszahlung, Überweisung, Gutschrift oder Verrechnung
ohne Rücksicht auf die Person des Gläubigers um den Steuerbetrag
zu kürzen. Vereinbarungen, die dieser Pflicht widersprechen, sind
nichtig. Solange die Überwälzung nicht stattgefunden hat, besteht für den
Steuerpflichtigen, d.h. für den Schuldner der steuerbaren Leistung, unter
Vorbehalt der Vorschriften über die Verjährung ein Rückgriffsanspruch
gegenüber dem Leistungsgläubiger. Fällt der Steuerpflichtige in
Konkurs, bevor er seiner Pflicht zur Überwälzung nachgekommen ist,
so gehen die ihm zustehenden Rückgriffsrechte bis zur Höhe der noch
nicht bezahlten Steuern auf den Bund über (Art. 46 Abs. 1 VStG). Hat
er indessen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung die Steuer überwälzt,
und ist damit der Rückgriffsanspruch untergegangen, die Steuer jedoch
noch nicht entrichtet, so geniesst die Steuerforderung bis zur Höhe des
überwälzten Betrags im Konkurs ein Vorrecht zweiter Klasse (Art. 46 Abs.
2 VStG). Der Verrechnungssteuerbeschluss vom 1. September 1943 enthielt
keine dem Art. 46 VStG entsprechende Ordnung. Bis zum Inkrafttreten
des neuen Verrechnungssteuergesetzes am 1. Januar 1967 war der Bund
für Verrechnungssteuern, welche eine in Konkurs geratene Bank durch
Kürzung der steuerbaren Leistung auf ihre Gläubiger überwälzt, aber
noch nicht bezahlt hatte, mit einer Forderung in der fünften Klasse
am Erlös der Konkursmasse beteiligt. Das gleiche galt, wenn die Bank
ihre Rückgriffsansprüche im Zeitpunkt der Konkurseröffnung noch nicht
geltend gemacht hatte. Damit bestand für den Bund die Gefahr, dass er dem
Bankgläubiger mehr Verrechnungssteuern zurückerstatten musste, als ihm
selbst als Gläubiger der fünften Klasse aus der Konkursmasse zugekommen
war. Dieser sachwidrige Einbruch ins System der Verrechnungssteuer sollte
mit dem Erlass von Art. 46 VStG beseitigt werden (vgl. die Botschaft zum
Verrechnungssteuergesetz vom 18. Oktober 1963, BBl 1964 II S. 981).

    Dem Beschwerdeführer wurden als Gläubiger der in Konkurs
gefallenen Bank sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des neuen
Verrechnungssteuergesetzes Zinsen gutgeschrieben. Es fragt sich deshalb
zunächst, ob die Ordnung von Art. 46 VStG im vorliegenden Fall auf
sämtliche Zinsgutschriften bzw. die darauf verfallenen Verrechnungssteuern
anzuwenden ist. Dies ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers
zu bejahen. Art. 46 VStG ist zusammen mit den übrigen Vorschriften des
neuen Verrechnungssteuergesetzes am 1. Januar 1967 in Kraft getreten. In
Art. 72 Abs. 1 VStG wird zudem der alte Verrechnungssteuerbeschluss vom
1. September 1943 vorbehaltlos aufgehoben. Der Einwand, die Anwendung des
neuen Rechts auf Steuerforderungen bzw. Rückgriffsansprüche, die vor dem
1. Januar 1967 entstanden sind, stelle eine unzulässige Rückwirkung dar,
ist unbehelflich, denn die Regel, wonach Verwaltungsgesetze grundsätzlich
nicht rückwirkend angewendet werden dürfen, bezieht sich nicht auf den
Fall, wo Verhältnisse, die zwar noch unter der Herrschaft des alten Rechts
entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts noch fortdauern
(A. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 189; vgl. auch BGE 94 I
391 Erw. 5); dies ergibt sich im übrigen auch aus den intertemporalen
Vorschriften des Schlusstitels zum ZGB, die mangels einer besonderen
gesetzlichen Regel auch im öffentlichen Recht gelten (BGE 92 I 238 Erw. 4;
vgl. insbesondere Art. 3 SchlT ZGB und G. BROGGINI, Intertemporales
Privatrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. I, 1969, S. 439
ff.). Was die vor dem Inkrafttreten des neuen Verrechnungssteuergesetzes
fällig gewordenen Zinsen auf den Guthaben des Beschwerdeführers anbelangt,
so bestanden sowohl die Forderungen des Bundes für die darauf verfallenen
Verrechnungssteuern als auch die entsprechenden Rückgriffsansprüche der
Bank gegen den Beschwerdeführer am 1. Januar 1967 immer noch, denn es
wird weder geltend gemacht, die Verrechnungssteuern seien vor diesem
Datum bezahlt worden, noch wird behauptet, die Rückgriffsansprüche der
Bank seien mit Rücksicht auf eine unter der Herrschaft des alten Rechts
erfolgte Steuerüberwälzung vor dem 1. Januar 1967 untergegangen. Der
Anwendung von Art. 46 VStG steht somit im vorliegenden Fall nichts im Wege.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer wendet ein, auch wenn die Belastung mit der
Verrechnungssteuer nicht vor der Konkurseröffnung erfolgt sei, könne er die
gegen ihn geltend gemachte Steuerforderung mit seinen Guthaben gegenüber
der Bank in deren Konkurs verrechnen, zumal die Konkursverwaltung
einer solchen Verrechnung zugestimmt habe. Diese Auffassung geht
fehl. Wohl ist nicht zu bezweifeln, dass ohne die Sonderregelung in
Art. 46 Abs. 1 VStG der Beschwerdeführer den Rückgriffsanspruch der
Konkursmasse ihm gegenüber mit seiner Forderung für Darlehenszinsen
verrechnen könnte (Art. 123 OR). Dieses Recht würde ferner grundsätzlich
auch durch eine Legalzession des Rückgriffsanspruchs nicht geschmälert,
finden doch in einem solchen Fall die Vorschriften des Zessionsrechts,
insbesondere Art. 169 Abs. 1 OR Anwendung, wonach der Schuldner dem neuen
Gläubiger gegenüber Gegenforderungen verrechnen kann, welche er gegen
den früheren Gläubiger hatte (VON TUHR/SIEGWART, II, S. 821; VON BÜREN,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 339). Die in
Art. 46 Abs. 1 VStG vorgesehene Legalzession bewirkt jedoch, dass der
Rückgriffsanspruch der Bank mit der Konkurseröffnung zu einer Forderung
des Bundes aus öffentlichem Recht wird. Art. 125 Ziff. 3 OR schliesst
die Verrechnung einer solchen Forderung gegen den Willen des Gläubigers
aus (IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl., Nr. 124 I b,
S. 34). Eine derartige Zustimmung vonseiten der EStV liegt nicht vor,
weshalb im vorliegenden Fall eine Verrechnungsmöglichkeit entfällt. Dass
die Konkursverwaltung der vom Beschwerdeführer begehrten Verrechnung
zugestimmt hat, ist unbehelflich; die Konkursverwaltung konnte vom
Zeitpunkt der Konkurseröffnung an nicht mehr über den Rückgriffsanspruch
verfügen. Dass vor der Konkurseröffnung eine Verrechnungserklärung
abgegeben worden wäre, behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht.

Erwägung 5

    5.- Der Beschwerdeführer macht hilfsweise geltend, der Bund könne
seine Steuerforderung gegenüber der in Konkurs gefallenen Bank im
Konkursverfahren eingeben und werde zufolge des ihm zustehenden
Konkursprivilegs die ganze Steuerforderung gedeckt erhalten, so
dass es eine unbillige Härte darstelle, die noch nicht bezahlten
Verrechnungssteuern gestützt auf Art. 46 Abs. 1 VStG vom Gläubiger der
steuerbaren Leistung einzufordern. Auch damit dringt der Beschwerdeführer
jedoch nicht durch. Verrechnungssteuerforderungen sind nach dem
klaren Wortlaut von Art. 219 Abs. 4 zweite Klasse lit. m SchKG nur
privilegiert, wenn der Schuldner die Über wälzung vor der Konkurseröffnung
vorgenommen hat. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so besteht kein
Konkursprivileg. Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte von Art. 46
VStG enthalten ferner keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Abs. 1 bloss
dann angewendet werden dürfte, wenn das Verfahren nach Abs. 2 nicht zur
Deckung des Bundes führen würde. Wie der Bund zur Geltendmachung seiner
Verrechnungssteuerforde rungen vorzugehen hat, wenn der Steuerpflichtige
in Konkurs fällt, liegt nicht im Ermessen der Verwaltung, sondern ergibt
sich aus der klaren Regelung des Art. 46 VStG. Sind die Voraussetzungen
zur Anwendung von Abs. 1 dieser Bestimmung er füllt, so fällt Abs. 2
ausser Betracht.