Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 59



96 I 59

10. Auszug aus dem Urteil vom 25. März 1970 i.S. N. gegen Schulgemeinde
Egg und Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Lehrerwahl durch die Gemeindeversammlung.

    Anwendung der Vorschrift, wonach der Stimmberechtigte auf dem
Wahlzettel die zu wählende Person derart zu bezeichnen hat, dass über sie
kein begründeter Zweifel besteht. Zulässigkeit der Abstimmung mit Ja oder
Nein bei Vorhandensein eines einzigen wählbaren Kandidaten.

Sachverhalt

    A. - Das zürch. Gesetz vom 4. Dezember 1955 über die Wahlen und
Abstimmungen (WAG) enthält in den §§ 114 und 115 Vorschriften über
die Neuwahlen der Volksschullehrer. Die Wahl erfolgt aufgrund einer
Ausschreibung und durch die Stimmberechtigten. Die Schulpflege kann
den Stimmberechtigten auch einen Lehrer zur Wahl vorschlagen, der sich
nicht gemeldet hat. Die Stimmberechtigten sind an den Vorschlag der
Schulpflege nicht gebunden, können aber nur solchen Kandidaten stimmen,
die sich gemeldet haben. Über das im vorliegenden Fall anwendbare Verfahren
bestimmt § 76 WAG:

    "Für geheime Wahlen in geschlossener Versammlung gelten folgende
Vorschriften:

    1. Die Wahlen sind bei geschlossenen Türen vorzunehmen; die Zahl der
Anwesenden ist festzustellen.

    2. Für jede einzelne Stelle findet unter dem Vorbehalt der Anordnung
der Listenwahl eine besondere Wahl statt. Der Stimmberechtigte hat auf
seinem Wahlzettel die zu wählenden Personen derart zu bezeichnen, dass über
sie kein begründeter Zweifel besteht. Andernfalls ist die Stimme ungültig.

    3. Nach der Stimmabgabe durch die Anwesenden werden die Stimmzettel von
den Stimmenzählern gesammelt und gezählt. Das Ergebnis wird protokolliert.

    4. Es finden höchstens drei Wahlgänge statt. Im ersten und im zweiten
Wahlgang entscheidet das absolute, im dritten das relative Mehr. Bei
Stimmengleichheit entscheidet das Los.

    5. Die geheime Stimmabgabe ist zu gewährleisten.

    6. Der Präsident der Wahlversammlung stimmt mit."

    B. - Die Stimmberechtigten der Schulgemeinde Egg hatten in der
Gemeindeversammlung vom 24. Februar 1969 fünf Volksschullehrer neu
zu wählen. Ausser den von der Schulpflege vorgeschlagenen waren keine
andern Kandidaten vorhanden. Da der von der Schulpflege zur Wahl als
Sekundarlehrer empfohlene X. wegen seiner politischen Einstellung
umstritten war, beschloss die Gemeindeversammlung auf Vorschlag ihres
Präsidenten, die vorgeschlagenen Lehrer im geheimen Verfahren einzeln
mit Ja und Nein wählen zu lassen. Während die 276 Teilnehmer der
Gemeindeversammlung die übrigen Kandidaten nahezu einstimmig wählten,
lehnten sie die Wahl von X. - bei 5 leeren Stimmzetteln - mit 149 Nein
gegen 122 Ja ab.

    Gegen diese Wahlen rekurrierte der Stimmberechtigte N. mit dem
Antrag, entweder X. aufgrund der erhaltenen 122 Ja-Stimmen als gewählt
zu erklären oder anzuordnen, dass die fraglichen Lehrerwahlen gemäss dem
Wortlaut von § 76 Ziff. 2 WAG nochmals durchgeführt werden. Der Bezirksrat
Uster und der Regierungsrat des Kantons Zürich wiesen den Rekurs ab,
der Regierungsrat im wesentlichen aus folgenden Gründen: Streitig sei
einzig, ob der Wahlmodus mit § 76 Ziff. 2 WAG vereinbar sei. Wenn wie
hier keine andern Anmeldungen vorlägen, sei nach § 115 WAG nur der von
der Schulpflege vorgeschlagene Lehrer wählbar und könne sich daher die
Willensäusserung der Stimmberechtigten nur auf die Frage beziehen, ob
sie diesen einzigen Kandidaten wählen wollen oder nicht. Es liege somit
weit eher eine Abstimmungssituation als eine echte Wahl- (Auswahl-)
Situation vor. Das WAG enthalte keine ausdrückliche Sondervorschrift
für diesen Fall. Wäre nach der allgemeinen Regel von § 76 Ziff. 2 WAG
vorzugehen und der zu wählende Kandidat auf dem Stimmzettel namentlich
zu bezeichnen, so wären die Stimmberechtigten der Möglichkeit beraubt,
ihrem Willen Ausdruck zu geben und die Wahl des ihnen nicht genehmen
einzigen wählbaren Kandidaten zu verhindern. Sie könnten nur entweder
den Namen dieses Kandidaten auf den Wahlzettel setzen oder aber leer oder
ungültig stimmen, was zur Folge hätte, dass der einzige wählbare Kandidat
spätestens im dritten Wahlgang, bei dem das relative Mehr gelte, gewählt
sei, auch wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten ihn nicht wolle und
nur eine Minderheit sich für ihn ausspreche. Ein solches Ergebnis wäre
mit den Grundsätzen einer demokratischen Volkswahl nicht vereinbar und
widerspräche Art. 64 zürch. KV, wonach die Volksschullehrer durch die
Stimmbürger der Schulgemeinde zu wählen sind. Es bleibe daher nichts
anderes übrig als das hier angewandte Wahlverfahren, bei dem sich der
Stimmbürger mit Ja und Nein für oder gegen die Wahl des einzigen wählbaren
Kandidaten aussprechen konnte.

    C. - Gegen diesen Entscheid hat N. staatsrechtliche Beschwerde
erhoben. Er macht insbesondere geltend, der vom Regierungsrat gebilligte
Wahlmodus verstosse offensichtlich gegen klares Recht, da nach § 76 Ziff. 2
WAG der Stimmbürger auf dem Wahlzettel den Namen der zu wählenden Person,
nicht aber Ja oder Nein zu schreiben habe.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Bei Beschwerden gemäss Art. 85 lit a OG überprüft das Bundesgericht
nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht
frei, sondern auch die Auslegung anderer kantonaler Vorschriften, sofern
sie das schon von Bundesrechts wegen gewährleistete Stimmrecht nach
Inhalt und Umfang näher normieren oder damit eng zusammenhängen (BGE 91
I 319, 92 I 355 E. 3, 94 I 531 E. 7). Im vorliegenden Fall ist streitig,
ob ein dem Willen der Mehrheit der Teilnehmer an der Wahl entsprechendes
Wahlergebnis gültig oder aufzuheben sei. Die in der Beschwerde als hiefür
massgebend und als verletzt bezeichnete Bestimmung von § 76 Ziff. 2 WAG
ist nicht eine blosse Verfahrensvorschrift, sondern betrifft den Umfang
des Stimmrechts. Die Auslegung dieser Bestimmung durch den Regierungsrat
ist daher vom Bundesgericht frei zu überprüfen.

Erwägung 4

    4.- Die ganze Argumentation des Beschwerdeführers beruht auf der
Annahme, nach § 76 Ziff. 2 WAG müsse der Stimmberechtigte den Namen der
zu wählenden Person auf den Wahlzettel schreiben und dürfe daher über
einen Kandidaten nicht mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Hieraus leitet
der Beschwerdeführer ab, dass bei Vorhandensein eines einzigen wählbaren
Kandidaten dieser schon gewählt sei, wenn er das relative Mehr erziele.

    a) Damit legt der Beschwerdeführer indes der Bestimmung von §
76 Ziff. 2 WAG eine Tragweite bei, die ihr nicht zukommt. Satz 2 hat
jedenfalls nach seinem Wortlaut nur die Unmissverständlichkeit der
Willenskundgebung des Wählers im Auge und verlangt im Hinblick auf diese,
er habe die zu wählende Person auf dem Wahlzettel derart zu bezeichnen,
dass über sie kein begründeter Zweifel bestehe, ansonst die Stimme -
wie Satz 3 weiter bestimmt - ungültig sei. Die Vorschrift will somit
der Verwechslungsgefahr vorbeugen, die sich z.B. bei der nicht seltenen
Gleichnamigkeit von Kandidaten ergeben kann. Mehr als das besagt die
Bestimmung nicht. Insbesondere schliesst sie nicht aus, dass die danach
erforderliche unmissverständliche Bezeichnung der zu wählenden Person
unter Umständen auch auf andere Weise als durch Angabe ihres Namens
erfolgen kann. Aus § 76 Ziff. 2 WAG lässt sich daher nicht ableiten,
dass es bei Vorhandensein eines einzigen wählbaren Kandidaten unzulässig
sei, mit Ja oder Nein über ihn abzustimmen.

    b) Der Beschwerdeführer behauptet, bei Vorhandensein eines einzigen
wählbaren Kandidaten sei dieser gewählt, wenn er das "relative Mehr"
erreiche, und auch der Regierungsrat nimmt an, dass, wenn man der
Betrachtungsweise des Beschwerdeführers folgte, der einzig wählbare
Kandidat spätestens im dritten Wahlgang gewählt wäre, da alsdann nur noch
das "relative Mehr" entscheide. Wenn indessen, wie es § 66 WAG vorschreibt,
bei der Berechnung des absoluten Mehr die leeren Stimmen von der Zahl der
abgegebenen Stimmen abgezählt werden, so hat es bei Vorhandensein eines
einzigen wählbaren Kandidaten keinen Sinn mehr, vom absoluten und relativen
Mehr zu sprechen, denn dieser einzige Kandidat müsste notwendigerweise
alle gültigen Stimmen auf sich vereinen. Er wäre somit gewählt, wenn er
nur einige wenige Stimmen, ja überhaupt nur eine einzige Stimme erhielte,
und die leeren oder ungültigen Stimmen seiner zahlreichen Gegner hätten
nur noch die Bedeutung einer wirkungslosen Kundgebung. Der Regierungsrat
ist der Auffassung, dass dies keine Volkswahl mehr sei, wie sie die KV für
die Volksschullehrer anordne. Es sei daher nach einer Lösung zu suchen,
die den Gegnern des einzigen wählbaren Kandidaten die Möglichkeit biete,
ihren Willen in rechtlich relevanter Weise auszudrücken, und das sei die
Abstimmung mit Ja oder Nein.

    Dem ist beizupflichten. Dieses Vorgehen ist das einzige,
das die demokratische Willensbildung gewährleistet, die dem
zürcherischen Verfassungsgesetzgeber offenbar vorschwebte, als er
für die Volksschullehrer die Volkswahl einführte (Art. 64 KV). Der vom
Beschwerdeführer befürwortete Wahlmodus würde dazu führen, dass in Fällen,
wo sich auf die Ausschreibung hin nur ein einziger Bewerber anmeldet
und dieser von der Schulpflege vorgeschlagen wird, in Wirklichkeit die
Schulpflege Wahlbehörde wäre und die Schulgemeinde, der die Wahl nach
Art. 64 KV und § 114 WAG zusteht, praktisch ausgeschaltet wäre; denn
ein der überwiegenden Mehrheit der Stimmberechtigten nicht genehmer
Kandidat wäre gewählt, wenn er in der Gemeindeversammlung nur einige
wenige Stimmen, etwa diejenigen der Mehrheit der Schulpflege, ja nur
eine einzige Stimme erhielte. Wenn die Stimmberechtigten, worauf der
Regierungsrat hinweist, bei den Bestätigungswahlen für Lehrer nach § 118
WAG die Möglichkeit haben, durch Durchstreichen des Namens eines Lehrers
gegen dessen Wiederwahl zu stimmen, so muss es ihnen auch ermöglicht
werden, bei der Neuwahl ihrer Ablehnung in rechtlich relevanter Weise
Ausdruck zu geben, und dafür steht, wenn nur ein einziger wählbarer
Kandidat vorhanden ist, offenbar nur die Abstimmung mit Ja oder Nein
zur Verfügung. Der Einwand des Beschwerdeführers, Neuwahlen liessen sich
nicht mit Bestätigungswahlen vergleichen, geht fehl. Bei einer Neuwahl
mit einem einzigen wählbaren Kandidaten steht der Stimmberechtigte gleich
wie bei der Bestätigungswahl vor der Alternative: dieser Lehrer oder
kein Lehrer, und muss ihm Gelegenheit geboten werden, sich im einen
oder im andern Sinne auszusprechen. Bedeutungslos ist schliesslich,
ob im Fall der Neuwahl mit einem einzigen wählbaren Kandidaten, wie
der Regierungsrat annimmt, der Beschwerdeführer aber bestreitet, eine
"durchaus aussergewöhnliche Wahlsituation" vorliege. Die Abstimmung
mit Ja oder Nein drängt sich in diesem Falle nicht deshalb auf, weil
die Wahlsituation ausserergewöhnlich ist, sondern weil auch dann die
Gesamtheit der Stimmberechtigten als Wahlorgan die Möglichkeit haben muss,
einen vom Vorschlag der Schulpflege abweichenden Entscheid zu treffen.