Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 396



96 I 396

61. Auszug aus dem Urteil vom 28. Oktober 1970 i.S. H. gegen M. und
Obergericht des Kantons Zürich. Regeste

    Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete der Unterhaltspflicht
gegenüber Kindern. Vorbehalt der öffentlichen Ordnung des
Vollstreckungsstaates (Art. 2 Ziff. 5 des Übereinkommens).

    Ein deutsches Vaterschaftsurteil, das einen in der Schweiz wohnhaften
Beklagten zu Unterhaltsleistungen verpflichtet, verstösst nicht gegen
die öffentliche Ordnung der Schweiz

    -  weil das Urteil dem Beklagten gemäss § 175 der deutschen ZPO in
Deutschland durch "Aufgabe zur Post" zugestellt wurde, sofern es ihm in
der Schweiz ordnungsgemäss zugekommen ist (Erw. a);.

    - weil das Urteil nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war
(Erw. b);

    - weil im Urteil auf die Einrede des unzüchtigen Lebenswandels der
Mutter nicht eingegangen wurde (Erw. c).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Am 6. April 1967 erhob der Vormund der 1961 geborenen
M. M. beim Amtsgericht Lörrach (Deutsche Bundesrepublik) gegen
den in Zürich wohnhaften H. Vaterschaftsklage auf Bezahlung von
Unterhaltsleistungen. H. war im Prozess zunächst durch einen Rechtsanwalt
vertreten, entzog diesem dann aber das Mandat und erschien in späteren
Verhandlungen persönlich ohne Anwalt vor Gericht. Am 17. April 1968
verurteilte ihn das Amtsgericht Lörrach dazu, dem gesetzlichen Vertreter
der Klägerin DM 4'470.-- sowie ab 19. April 1967 eine monatlich
vorauszahlbare Unterhaltsrente von DM 100.-- bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres zu bezahlen. Gemäss Zustellungsurkunde wurde eine
Ausfertigung dieses Urteils am 25. Juli 1968 mit dem Vermerk "Einschreiben"
versehen der Post in Lörrach mit der Adresse des Beklagten übergeben.

    In der Folge betrieb die Klägerin den Beklagten in Zürich für
Fr. 7'597.30 und verlangte gestützt auf das erwähnte Urteil definitive
Rechtsöffnung. Diese wurde ihr vom Einzelrichter des Bezirksgerichts
Zürich verweigert, vom Obergericht des Kantons Zürich dagegen durch
Urteil vom 18. Dezember 1969 gewährt. Mit der hiegegen erhobenen
staatsrechtlichen Beschwerde macht H. geltend, das Obergericht habe
das Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete der Unterhaltspflicht
gegenüber Kindern (AS 1964 S. 1283 ff.) in mehrfacher Hinsicht verletzt.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen bleibt, ob das Urteil des Amtsgerichtes Lörrach mit der
öffentlichen Ordnung (ordre public) der Schweiz offensichtlich unvereinbar
ist, was nach Art. 2 Ziff. 5 des Abkommens die Anerkennung des Urteils
ausschlösse. Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung greift nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische
Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen
Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde (BGE 93 I 58 mit Hinweis
auf frühere Entscheide; vgl. ferner BGE 93 II 382). Ein Urteil kann
dabei, wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, sowohl wegen seines
materiellen Inhaltes wie wegen des Verfahrens, in welchem es zustande kam,
gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen (BGE 85 I 47 f.,
87 I 78, 93 I 58). Nach der Rechtsprechung sind dabei der Anwendung der
Ordre-public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile
engere Grenzen gezogen als im Gebiet der direkten Gesetzesanwendung (BGE 93
II 383 mit Hinweis auf frühern Entscheid). Es kommt hinzu, dass das Haager
Abkommen den Gebrauch des Vorbehalts einschränkt, indem es bestimmt,
die Vollstreckung sei zu verweigern, wenn die Entscheidung mit der
öffentlichen Ordnung "offensichtlich unvereinbar" ist (BBl 1964 I S. 507).

    a) Es ist zunächst zu untersuchen, ob es. der öffentlichen Ordnung
zuwiderläuft, ein Urteil für rechtskräftig zu halten, das gemäss § 175
DZPO zugestellt wurde. Nach dieser Vorschrift gilt das Urteil mit der
Übergabe an die deutsche Post als zugestellt, unbekümmert darum, ob die
Sendung dem im Ausland wohnenden Beklagten zukommt oder nicht (Kommentar
STEIN-JONAS/POHLE, 19. Aufl., N. III zu § 175 DZPO). Das hat zur Folge,
dass die Rechtsmittelfrist vom Tage der Übergabe an die Post an läuft
und das Urteil rechtskräftig werden kann, ohne dass der Beklagte die
Möglichkeit hat, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Er kann freilich solchen
Folgen entgehen, indem er - wie es ihm § 174 Abs. 2 DZPO zur Pflicht macht
- einen Zustellungsbevollmächtigten in der Bundesrepublik bezeichnet. Ob
der Beschwerdeführer auf diese gesetzliche Pflicht hingewiesen wurde,
nachdem sein Anwalt das Mandat niedergelegt hatte, steht dahin; nötig war
dieser Hinweis nach § 174 Abs. 2 nicht. Die unterstellte oder fingierte
Zustellung, wie sie in § 175 DZPO vorgesehen ist, erklärt sich aus den
praktischen Bedürfnissen des Gerichtsbetriebes in Fällen, in welchen
eine Partei ihren Wohnsitz im Ausland hat. Sie trägt freilich dem
Rechtsschutzinteresse der ausländischen Partei wenig Rechnung. Diese hat
vor allem die Folgen zu tragen, wenn ihr durch ein Versehen der Post die
Sendung nicht zukommt. Ob die Annahme der Rechtskraft des Urteils gegen die
öffentliche Ordnung der Schweiz verstiesse, wenn nach § 175 DZPO zugestellt
wurde und die Sendung die Partei infolge eines Versehens der Postorgane
nicht erreicht hat, kann indessen hier offen bleiben. Der Beschwerdeführer
hat nämlich im kantonalen Verfahren nicht bestritten und bestreitet auch in
der staatsrechtlichen Beschwerde nicht, dass ihm die Urteilsausfertigung
durch die schweizerische Post ausgehändigt wurde. Da es sich um eine
eingeschriebene Sendung handelte, hätte sich das im Falle der Bestreitung
nachweisen lassen. Ist dem Beschwerdeführer aber das Urteil durch die Post
an seinem Domizil in der Schweiz ordnungsgemäss zugekommen, so begegnet
die Annahme der Rechtskraft unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen
Ordnung der Schweiz keinen Bedenken, denn der Beschwerdeführer konnte
das Urteil ganz gleich anfechten, wie wenn es ihm auf dem Rechtshilfeweg
zugestellt worden wäre.

    b) Der Beschwerdeführer behauptet, die Ladung zum Verfahren sei
nicht rechtsgültig erfolgt und es sei im Urteil auf seine Einwendungen
nicht eingegangen worden. Die Akten des Amtsgerichts Lörrach zeigen, dass
die Ladung richtig erfolgte und der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte,
die Vorbringen der Klägerin zu bestreiten. Dass das einer ausländischen
Partei zugestellte Urteil eine Rechtsmittelbelehrung enthielte, mag
wünschbar scheinen, doch bildet das Fehlen eines solchen Hinweises keinen
hinreichenden Grund, das Urteil als offensichtlich der öffentlichen
Ordnung zuwiderlaufend zu betrachten. Es sehen nicht alle kantonalen
Zivilprozessordnungen der Schweiz die Pflicht des erstinstanzlichen
Richters vor, den Streitparteien eine Rechtsmittelbelehrung zu erteilen
(GULDENER, Das schweizerische Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 195),
und das Bundesgericht hat Prozessordnungen, welche diese Pflicht nicht
statuieren, in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht als verfassungswidrig
bezeichnet. Umso weniger kann angenommen werden, das deutsche Urteil
laufe der öffentlichen Ordnung zuwider, weil die Rechtsmittelbelehrung
fehlt. Nachdem das Urteil dem Beschwerdeführer ausgehändigt war, war
es für ihn möglich und geraten, entweder durch Anfrage beim deutschen
Gericht oder mit Hilfe eines Anwaltes abzuklären, auf welche Weise der
Entscheid angefochten werden könne.

    c) Der Beschwerdeführer ist schliesslich der Meinung, das Urteil
laufe auch in materieller Hinsicht der öffentlichen Ordnung zuwider,
weil auf die Einrede des unzüchtigen Lebenswandels nicht eingegangen
worden sei und der Einwand des Art. 315 ZGB nach allgemeiner Lehre
und Praxis zum Vorbehalt des schweizerischen ordre public gehöre. Er
irrt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verträgt sich ein Urteil
mit der öffentlichen Ordnung der Schweiz, das auf Grund eines Gesetzes
ausgesprochen wurde, welches den unzüchtigen Lebenswandel der Kindsmutter
um die Zeit der Empfängnis im Gegensatz zur Regel des Art. 315 ZGB nicht
als Grund für die Klageabweisung gelten lässt (BGE 53 II 94, 96 II 8;
übereinstimmend HEGNAUER, N. 218 zu Art. 314/15 ZGB). Es besteht kein
Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.