Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 24



96 I 24

5. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1970 i.S. von Euw gegen
Staatsanwaltschaft und Obergericht des Kantons Luzern. Regeste

    Kantonales Strafrecht und Strafprozessrecht. Art. 4 BV.

    Bedeutung der Bestimmung, wonach niemand gerichtlich verfolgt werden
darf "ausser in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen" (Erw. 2).

    Nulla poena sine lege:

    -  Strafnormen als zulässiger Inhalt von Verordnungen (Erw. 4a).

    - Zuständigkeit der luzernischen Gemeinden zum Erlass von
Strafbestimmungen, insbesondere auf dem Gebiete der Lärmbekämpfung,
mit der sich auch § 46 des luzern. EGzStGB befasst (Erw. 4b-d).

    Ein kantonales Strafgesetz, das für seinen Bereich die allgemeinen
Bestimmungen des eidg. StGB als anwendbar erklärt, verweist damit, wie ohne
Willkür angenommen werden kann, nicht auf die beim Erlass des kantonalen
Gesetzes bestehenden, sondern auf die jeweils geltenden Bestimmungen des
StGB (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- 1935 trat eine von der Stadtgemeinde Luzern erlassene Verordnung
betreffend die Lärmbekämpfung (LBV) in Kraft. Sie enthält unter anderem
folgende Bestimmungen:

    "Art. 1. Jede übermässige, durch die Umstände nicht gerechtfertigte
Störung der öffentlichen Ruhe ist verboten.

    Art. 13. Die Halter von Tieren haben diese so zu besorgen und zu
verwahren, dass durch sie keine Ruhestörung verursacht werden kann. Tiere,
durch welche die Nachtruhe fortgesetzt gestört wird, können durch die
Polizeiorgane beseitigt werden.

    Das Halten von Hähnen ist in stark bewohnten Gebieten der Stadt
untersagt.

    Art. 15. Von 22.00-7.00 Uhr ist jede Ruhestörung durch Lärmen, Singen,
Johlen, Streiten oder durch andere fahrlässige, mutwillige oder böswillige
Handlungen verboten.

    Art. 18. Verfehlungen gegen diese Verordnung werden nach Massgabe
der Bestimmungen des § 42 des Polizeistrafgesetzes vom 29. November 1915
mit einer Geldbusse bis auf Fr. 200.-- oder mit Gefängnis von 1-20 Tagen
bestraft."

    § 46 des luzernischen Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 18.
Dezember 1940 (EGzStGB) lautet:

    "Wer durch Lärm oder Geschrei oder sonstigen Unfug die Nachtruhe stört
oder wer sich öffentlich in einer Sitte und Anstand grob verletzenden
Weise aufführt, wird mit Haft oder mit Busse bestraft."

    B.- Eduard von Euw ist Eigentümer einer Hausliegenschaft im
Wesemlinquartier in Luzern und hält auf seinem Grundstück mehrere Hunde.
Auf Polizeianzeige hin führte das Amtsstatthalteramt von Luzern-Stadt gegen
ihn eine Strafuntersuchung wegen Lärmbelästigung durch diese Hunde. Das
Amtsgericht Luzern-Stadt erklärte von Euw am 29. Oktober 1968 schuldig
der fortgesetzten Ruhestörung gemäss § 46 EGzStGB und der fortgesetzten
Missachtung von Art. 1 und 13 LBV, begangen vom 25. Mai 1967 bis zum
20. Mai 1968, und büsste ihn mit Fr. 300.--.

    Von Euw appellierte an das Obergericht des Kantons Luzern. Dieses liess
die Untersuchung durch Zeugeneinvernahmen vervollständigen und erklärte
von Euw am 18. Juli 1969 schuldig der wiederholten Ruhestörung im Sinne
von Art. 1, 13 und 15 LBV, begangen in der Zeit vom Januar bis Juni 1968,
bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 200.-- und legte ihm die sämtlichen
Kosten aller Instanzen auf.

    C.- Gegen dieses Urteil hat von Euw staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung des Art. 4 BV und des § 5 luzern. KV erhoben. Die Begründung
der Beschwerde ergibt sich, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden
Erwägungen.

    D.- Obergericht und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragen
die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer ruft ausser dem Art. 4 BV den § 5 Abs. 2
luzern. KV an, der folgenden Wortlaut hat:

    "Niemand darf gerichtlich verfolgt, verhaftet oder in Verhaft gehalten
und keine Hausuntersuchung darf vorgenommen werden ausser in den vom
Gesetze vorgesehenen Fällen und. auf die vom Gesetze vorgeschriebene
Weise."

    Die Vorschrift gewährt dem Bürger Schutz gegen eine gesetzwidrige
Strafverfolgung und vor allem gegen die gesetzwidrige Anordnung
bestimmter prozessualer Zwangsmassnahmen (Verhaftung, Hausdurchsuchung).
Zwangsmassnahmen, wie sie in § 5 Abs. 2 KV genannt sind, wurden gegen
den Beschwerdeführer nicht ergriffen. Es stellt sich deshalb bloss die
Frage, ob er in gesetzwidriger Weise strafrechtlich verfolgt wurde,
sei es, dass überhaupt keine Strafverfolgung zulässig gewesen wäre,
sei es, dass sie nicht "auf die vom Gesetze vorgeschriebene Weise"
durchgeführt worden wäre. Damit jemand gerichtlich verfolgt werden
darf, bedarf es nach allgemeiner Lehre eines gewissen Verdachts, dass
er eine mit Strafe bedrohte Tat begangen habe. Ein solcher Verdacht
bestand im hier zu beurteilenden Fall. Nach der Strafanzeige führte das
Bellen der Hunde des Beschwerdeführers zu einer Ruhestörung. Da § 46 des
luzern. EGzStGB eine Ruhestörung bestimmter Art unter Strafe stellt und
die LBV einen ähnlichen Straftatbestand enthält, bestand ein gewisser
Verdacht, dass sich der Beschwerdeführer strafbar gemacht haben könnte,
weshalb es gesetzlich zulässig war, gegen ihn eine Strafverfolgung
zu eröffnen und durchzuführen. Er stellt sich auf den Standpunkt,
er hätte auf Grund der städtischen Verordnung nicht gerichtlich
verfolgt werden dürfen, da die LBV nicht als Gesetz im Sinne des §
5 Abs. 2 KV angesprochen werden könne. Diese Rüge ist schon deshalb
unbegründet, weil die Strafverfolgung nicht bloss wegen Widerhandlung
gegen die LBV durchgeführt wurde, sondern auch wegen Ruhestörung
gemäss § 46 EGzStGB. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer nach
beiden Erlassen schuldig erklärt. Erst das Obergericht nahm an, der
gesetzliche Tatbestand des § 46 EG sei nicht erfüllt. Dass er von der
Appellationsinstanz in diesem Punkt freigesprochen wurde, besagt nicht,
dass die Strafverfolgung gesetzwidrig gewesen wäre. Wäre es anders,
so müsste in jedem Fall eine Verfassungsverletzung angenommen werden,
wenn sich beim Abschluss des Strafverfahrens ergibt, dass das Verhalten,
das einemBeschuldigten zur Last gelegt wurde, nicht die Merkmale eines
gesetzlichen Straftatbestandes erfüllt. Dass das nicht dem Wortlaut und
Sinn des § 5 Abs. 2 KV entspricht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Wenn
die Verfassungsregel im übrigen von den "vom Gesetze vorgesehenen Fällen"
spricht, nimmt sie nicht Bezug auf das materielle Strafgesetz, sondern
auf das Strafprozessgesetz. Dem Bürger soll gewährleistet sein, dass
er nicht ausserhalb des gesetzlichen Verfahrens verfolgt wird und die
Verfolgung sich im Rahmen dieses Verfahrensrechts hält (sog. Garantie
des richterlichen Verfahrens; vgl. GERMANN, Kommentar zu Art. 1 StGB,
Allgem. Vorbem. N 2/6). Das materielle Strafrecht spielt dabei, wie
ausgeführt, nur insoweit eine Rolle, als eine Strafverfolgung nach dem
Prozessrecht nicht zulässig wäre, wenn von vorneherein ausser jedem
Zweifel stünde, dass das Verhalten des Beschuldigten nicht die Merkmale
eines Straftatbestandes aufwiese, weil es dann an einem die Durchführung
des Verfahrens rechtfertigenden Verdacht mangeln würde. Das war hier nicht
der Fall, weshalb die Rüge der Verletzung des § 5 Abs. 2 KV unbegründet
ist. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass die Strafverfolgung nicht
auf die vom Gesetz vorgeschriebene Weise durchgeführt worden wäre. Die
Rüge der Verletzung des § 5 Abs. 2 KV würde im übrigen, was nicht weiter
ausgeführt werden muss, offenbar mit der Willkürrüge zusammenfallen.

Erwägung 3

    3.- (Abweisung der Rüge willkürlicher Beweiswürdigung).

Erwägung 4

    4.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei bestraft worden, ohne
dass dafür eine gesetzliche Grundlage bestehe, womit das Obergericht den
Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" verletzt habe. Dieser Grundsatz ist
ein Ausfluss des Art. 4 BV. Erist durch den Bundesgesetzgeber in den Art. 1
StGB übernommen worden. Würde es sich um die Anwendung eidgenössischen
Strafrechts handeln, könnte nur noch die Verletzung der genannten Regel des
StGB geltend gemacht werden; denn wenn der Bund ein in der BV garantiertes
Freiheitsrecht durch eidgenössisches Privat- oder Strafrecht umschreibt,
kann eine direkte Berufung auf die Verfassungsvorschrift nicht mehr
in Frage kommen (BGE 80 I 114/5, 75 I 215). Da das Obergericht nicht
eidgenössisches Strafrecht angewendet hat, kann sich der Beschwerdeführer
auf Art. 4 BV berufen mit der Behauptung, das angefochtene Urteil verletze
den Satz "Keine Strafe ohne Gesetz". Daran ändert nichts, dass nach §
1 des luzernischen EGzStGB die allgemeinen Bestimmungen des StGB (unter
hier nicht zutreffendem Vorbehalt) auch auf die nach dem kantonalen
Strafrecht strafbaren Tatbestände Anwendung finden. Die Regel des Art. 1
StGB wird damit zu einer kantonalen Vorschrift, soweit sie auf die
Anwendung kantonalen Strafrechts ausgedehnt wurde.

    Der genannte Grundsatz besagt, dass nur strafbar ist, wer eine Tat
begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht. Die Vorschrift,
auf Grund welcher der Beschwerdeführer mit einer Busse belegt wurde,
findet sich nicht in einem Gesetz im formellen Sinn, sondern in einer
Verordnung. Nach der ständiden Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt
eine Verordnung, die sich im Rahmen von Verfassung und Gesetz hält, als
Grundlage für eine Bestrafung (BGE 64 I 375, 63 I 329). Das Bundesgericht
hat darauf hingewiesen, dass der Erlass polizeistrafrechtlicher
Bestimmungen in Verordnungsform in der Schweiz eine verbreitete Erscheinung
sei (BGE 64 I 330), und in § 7 des luzernischen EGzStGB wird denn auch auf
die in den kantonalen Gesetzen, Verordnungen und Reglementen aufgestellten
Strafbestimmungen hingewiesen. Der Beschwerdeführer behauptet seinerseits
mit Recht nicht, dass es an sich dem Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz"
zuwiderlaufe, wenn jemand auf Grund einer in einer Verordnung enthaltenen
Norm bestraft wird. Er macht indessen geltend, die Strafbestimmung der
städtischen LBV habe nach dem kantonalen Recht keinen Bestand. Ob das
zutrifft, ist nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu
prüfen, da der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang keine Verletzung
kantonalen Verfassungsrechts rügt (BGE 80 I 115).

    b) Der Beschwerdeführer behauptet, der Kanton Luzern kenne
kein Gemeindestrafrecht. Er schliesst das zunächst aus verschiedenen
Vorschriften der StPO und des EGzStGB, in denen wohl von eidgenössischem
und kantonalem, nicht aber von kommunalem Strafrecht die Rede ist (§§
1, 8, 193 StPO, 1-3, 7, 60, 113 EGzStGB). Es lassen sich indes diese
Vorschriften ohne Willkür dahin auslegen, dass das kantonale Recht
gegenüber dem eidgenössischen abgegrenzt werden soll und in jenem auch
das kommunale eingeschlossen ist. Vom Bundesrecht her gesehen gehört
auch Gemeindestrafrecht zum kantonalen Recht. Art. 335 StGB überlässt
in geringem Umfang "den Kantonen" die Gesetzgebung auf dem Gebiet des
Strafrechts, was ohne Zweifel nicht ausschliesst, dass die Gemeinden
in diesem Bereich strafrechtliche Vorschriften erlassen, soweit sie
nach kantonalem Recht dazu befugt sind. Dieses kommunale Strafrecht ist
ebenfalls kantonales Strafrecht im Sinne des Art. 335 StGB. Wenn in der
schweizerischen Rechtssprache der Ausdruck "Bundesrecht und kantonales
Recht" verwendet wird, ist unter dem kantonalen Recht regelmässig auch
das kommunale verstanden. Soweit in den erwähnten Regeln der StPO und des
EG von kantonalem Recht die Rede ist, ist es in gleichem Sinn zulässig,
auf jeden Fall nicht willkürlich, darunter auch das kommunale Recht zu
verstehen. Für diese Auslegung spricht überdies der Umstand, dass in
§ 7 EGzStGB von den "in den kantonalen Gesetzen, in Verordnungen und
Reglementen aufgestellten" Strafbestimmungen die Rede ist. Kantonale
Erlasse, welche Strafnormen enthalten, werden in der Regel nicht
als Reglemente bezeichnet. Diese Bezeichnung ist im allgemeinen
den entsprechenden Gemeindeerlassen vorbehalten. Können die genannten
Vorschriften der StPO und des EG füglich in der Weise ausgelegt werden,
wie es das Obergericht getan hat, so ist die auf Art. 4 BV gestützte
Rüge unbegründet, sie schlössen den Bestand kommunalen Strafrechts
klarerweise aus.

    c) Der Beschwerdeführer stellt sich weiterhin auf den Standpunkt,
die Lärmbekämpfung gehöre in der heutigen Zeit nicht mehr dem autonomen
Wirkungskreis der Gemeinde an; sie sei eine allgemein staatliche,
ja nationale Aufgabe geworden. Eine Lärmbekämpfungsverordnung müsste
sich deshalb auf eine gesetzliche Delegationsnorm stützen können, und
diese fehle im Kanton Luzern. Nach § 87 der luzernischen KV hat jede
Gemeinde das Recht, ihre Angelegenheiten innert den verfassungsmässigen
und gesetzlichen Schranken selbständig zu besorgen. Die gesetzgeberische
Umschreibung der Sachgebiete der Gemeindeautonomie kann eine ausdrückliche
oder stillschweigende sein. Eine Gemeinde darf auch solche lokale
Angelegenheiten besorgen, die der Kanton nicht oder nicht umfassend
geordnet hat und deren Regelung durch die Gemeinden er zulässt (GIACOMETTI,
Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 76; vgl. BGE 93 I 159). Es
ist nicht unhaltbar, wenn das Obergericht annahm, die Lärmbekämpfung sei
eine durch Herkommen und Sachzusammenhang als örtlich gekennzeichnete
Aufgabe der lokalen Polizei (vgl. dazu DUSS, Die luzernische Gemeinde,
Diss. 1951, S. 60). Der Umstand, dass die Lärmbekämpfung heutzutage
ein nationales Anliegen geworden ist, lässt diese Betrachtungsweise
nicht als verfehlt erscheinen. Der Beschwerdeführer tut nicht dar,
dass der Kanton ein Lärmbekämpfungsgesetz erlassen oder sonstwie durch
besondere Vorschriften die Rechtsetzung auf diesem Gebiet für sich in
Anspruch genommen hätte (auf § 46 EGzStGB ist zurückzukommen). Es lässt
sich deshalb mit Grund die Ansicht vertreten, auch ohne ausdrückliche
gesetzliche Delegation stehe es den luzernischen Gemeinden zu, für ihr
Gebiet Vorschriften gegen übermässigen Lärm zu erlassen. Steht ihnen
diese Befugnis zu, so dürfen sie die Übertretung der Vorschriften
auch mit Strafe bedrohen. Nach der ständigen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ist nämlich in der Befugnis zum Aufstellen polizeilicher
Gebote und Verbote beim Fehlen einer abweichenden positiven Anordnung die
Kompetenz eingeschlossen, auf die Übertretung dieser Vorschriften Strafe
anzudrohen (BGE 63 I 330 mit Hinweis auf frühere Entscheide). Hätte der
zum Erlass von Verordnungen Berechtigte nicht die Möglichkeit, für den
Fall der Übertretung Strafe anzudrohen, könnten sich die Verordnungen
vielfach praktisch nicht auswirken (GIACOMETTI, Staatsrecht der Kantone,
S. 490). Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat sich freilich auf
den Standpunkt gestellt, die Gemeinden seien nach luzernischem Recht
nicht zum Erlass von Strafbestimmungen zuständig (vgl. ZBl 48/1947,
S. 559 f.; im gleichen Sinn DUSS, aaO, S. 38 f.; vgl. auch das nicht
veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 11. Juli 1951 i.S. Tschan
und Kons. gegen Luzern). Die Gründe, welche das Obergericht gegen diese
Ansicht vorbringt, sind nicht von vorneherein von der Hand zu weisen,
vor allem dann nicht, wenn berücksichtigt wird, dass der Regierungsrat
seinerzeit die LBV der Stadt Luzern genehmigt und damit die Stadtgemeinde
als zum Erlass von Strafnormen befugt erachtet hat. Der Regierungsrat
stützte sich bei seiner Argumentation vor allem auf den aufgehobenen §
194 des kantonalen Organisationsgesetzes von 1899, der nach der haltbaren
Auffassung des Obergerichts nicht die Kompetenz zum Erlass von Strafnormen
durch die Gemeinden regelte. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint
das angefochtene Urteil jedenfalls nicht als schlechthin unhaltbar.

    d) Der Beschwerdeführer macht geltend, der Kanton habe mit § 46 EGzStGB
über die Strafbarkeit der Ruhestörung abschliessend legiferiert, so dass
für Gemeindestrafrecht in diesem Bereich kein Raum bleibe. Erfasst §
46 EG alle strafbaren Angriffe auf das Rechtsgut der öffentlichen Ruhe,
so hat daneben in der Tat in diesem Bereich Gemeindestrafrecht keinen
Bestand. Dass die LBV vor Inkrafttreten des EG erlassen wurde, ist dabei
ohne Bedeutung. Soweit die LBV mit dem EG in Widerspruch steht, ist sie
aufgehoben (§§ 7 und 200 EG). Es fragt sich demnach, ob in § 46 EG die
strafbaren Ruhestörungshandlungen abschliessend umschrieben sind oder ob
der kantonale Gesetzgeber nur einen Teil dieser Handlungen unter Strafe
stellen und es den Gemeinden überlassen wollte, je nach ihren besondern
Bedürfnissen weitergehende Ruhestörungen mit Strafe zu bedrohen. Das
Problem ist das gleiche, wie es sich in Anwendung des Art. 335 StGB
bisweilen bei der Abgrenzung zwischen eidgenössischem und kantonalem
Strafrecht stellt (vgl. BGE 68 IV 42, 74 IV 109, 81 IV 126 und 165,
89 IV 96). Es ist mithin zu prüfen, ob der § 46 EG seinem Sinn nach alle
gegen die öffentliche Ruhe gerichteten Straftaten erfasst. Wenn darin als
strafbar erklärt wird, "wer durch Lärm, Geschrei oder sonstigen Unfug die
Nachtruhe stört", so mag es zunächst durchaus scheinen, die Vorschrift
sei als abschliessend gedacht, da der Ausdruck "Lärm" ganz allgemein
jedes Erzeugen lauter Geräusche erfasst, ob es sich um Bau-, Motoren-,
Wirtschafts-, Radio- oder andern Lärm handle. Da in der Vorschrift
indessen von "sonstigem" Unfug die Rede ist, hat das Obergericht in
restriktiver Auslegung der Regel geschlossen, dass mit ihr nur Lärm erfasst
werde, der Äusserung des Mutwillens, des Übermuts oder der Frevellust sei
(vgl. Maximen des Obergerichts und der Anwaltskammer XI/1967 Nr. 585
S. 603 f.). Wird in zulässiger Auslegung der Anwendungsbereich des §
46 EG derart stark eingeengt, erscheint es nicht als unhaltbar, darin
keine abschliessende strafrechtliche Regelung der Ruhestörung durch
den Kanton zu erblicken. Vielmehr liegt bei solcher Interpretation die
Annahme nahe, der kantonale Gesetzgeber habe es den Gemeinden überlassen
wollen, je nach ihren besondern Bedürfnissen gegen eine Lärmerzeugung,
die in ihrer Intensität erheblich grösser sein kann als "Lärmunfug",
mit strafrechtlichen Normen einzuschreiten. Diese Auffassung lässt sich
umso eher vertreten, als die Lärmquellen, die zu einer Belästigung führen
können, in Stadt und Land, in einer Industrie- und Bauerngemeinde durchaus
verschiedenartige sein können. Steht den Gemeinden die genannte Befugnis
zu, so können sie Ruhestörungen, die sich nicht als "Lärm, Geschrei
oder sonstigen Unfug" qualifizieren, mit Strafe bedrohen, und zwar, wie
wiederum mit Fug angenommen werden kann, auch andere als in § 46 genannte
Ruhestörungen zur Nachtzeit, weshalb die Rechtsanwendung des Obergerichts
entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht zu einem widersinnigen
Resultat führen muss. Es lässt sich demnach ohne Willkür annehmen, §
46 EG schliesse die Geltung der LBV nicht aus. Würde man übrigens §
46 EG nicht so eng auslegen, wie es das Obergericht tat, sondern der
Vorschrift eine umfassende Bedeutung beilegen in dem Sinn, dass sie jeden
(vermeidbaren, übermässigen) Nachtlärm erfasst, würde jedenfalls auch
der das zulässige Mass überschreitende Hundelärm darunter fallen, so dass
bei solcher Betrachtung der Mangel des obergerichtlichen Urteils einzig
darin läge, dass das Gericht den Beschwerdeführer nach der LBV statt nach
der strengern Vorschrift des § 46 EG bestrafte. Dass in Art. 18 LBV auf §
42 des Polizeistrafgesetzes hingewiesen wird, ändert nichts daran, dass es
sich bei der Regel der LBV um eine solche des Gemeindestrafrechts handelt,
und wenn sie nicht durch § 46 EG aufgehoben wurde, steht sie nach §§
7 und 200 EG weiterhin in Geltung.

Erwägung 5

    5.- (Abweisung der Rüge, die LBV sei nicht rechtsgültig
zustandegekommen, weil sie vom Grossen Stadtrat nicht erlassen, sondern
bloss genehmigt worden sei.)

Erwägung 6

    6.- Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht schliesslich vor, es
habe es unterlassen, die Verjährungsvorschrift des Art. 109 StGB in der
ursprünglichen Fassung anzuwenden. Nach dem ursprünglichen Art. 109 StGB
seien Übertretungen in sechs Monaten verjährt. Als das EGzStGB geschaffen
worden sei, habe man die damals geltenden allgemeinen Vorschriften des StGB
in das kantonale Strafrecht übernommen. Wenn durch § 1 EG die allgemeinen
Bestimmungen des StGB für das kantonale Strafrecht übernommen wurden,
hat der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht, dass im eidgenössischen
und kantonalen Strafrecht eine einheitliche Ordnung bestehen soll, soweit
die allgemeinen Regeln in Frage sind. Es lässt sich ohne Willkür die
Auffassung vertreten, unter den "allgemeinen Bestimmungen des StGB" seien
die jeweils geltenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes zu verstehen. Wäre
dem nicht so, so würde bei jeder Änderung der allgemeinen Bestimmungen des
StGB die angestrebte Einheit von eidgenössischer und kantonaler Ordnung
durchbrochen, was Unzukömmlichkeiten mit sich brächte. Freilich zieht bei
solcher Betrachtung jede Änderung der allgemeinen Bestimmungen des StGB
eine entsprechende Änderung des materiellen Gehalts des kantonalen Rechts
nach sich, ohne dass sich der luzernische Souverän darüber auszusprechen
hat, weshalb die Ansicht des Beschwerdeführers nicht von vorneherein als
verfehlt erscheint. Es lässt sich indessen, wie ausgeführt, § 1 EG mit
vertretbaren Gründen in dem Sinn auslegen, dass die jeweils geltenden
allgemeinen Bestimmungen des StGB auch im Bereich des kantonalen Rechts
anwendbar sind, da das ein nach dem Willen des Gesetzgebers unerwünschtes
Auseinanderklaffen von eidgenössischem und kantonalem Recht verhindert.