Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 99



96 IV 99

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Juli 1970 i.S. Würsch
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden. Regeste

    Art. 18 Abs. 2 StGB. Klarstellung des Begriffs des Eventualvorsatzes.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Was den Tötungsvorsatz anbelangt, so stellt die Vorinstanz
fest, dass der Beschwerdeführer auf die von ihm verletzten Personen
gezielt habe. Das ist eine Feststellung tatsächlicher Art, die mit der
Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann (Art. 273 Abs. 1
lit. b BStP). Verbindlich für das Bundesgericht ist weiter die Annahme,
Würsch habe als Militärdienstpflichtiger gewusst, dass das Sturmgewehr
ein gefährliches Tötungsinstrument sei und dass er mit den gezielten
Schüssen auch aus einer Entfernung von mehr als 300 m freistehende
Personen tödlich treffen "könnte". Daraus folgert das Obergericht,
dass der Beschwerdeführer mit einfachem Vorsatz gehandelt habe. Er habe
gewollt, dass "etwas passiere", weil er aus seiner finanziellen und
seelischen Bedrängnis keinen andern Ausweg mehr gewusst habe. Das sei
der von ihm verfolgte Zweck gewesen. Um diesen zu erreichen, habe er auf
Leute schiessen wollen, obwohl er gewusst habe, dass er auf diese Weise
Menschen hätte töten können. Die Schiesserei sei somit ein Mittel zur
Erreichung des verfolgten Zweckes gewesen.

    Damit kann jedoch der einfache Vorsatz nicht begründet werden. Dieser
setzt das sichere Wissen um den Eintritt des deliktischen Erfolges
voraus. Wie aber die Vorinstanz feststellt, wusste Würsch bloss, dass
er mit den gezielten Schüssen den ungeschützten Personen tödliche
Verletzungen beibringen könnte. Darin liegt indessen einzig das
Bewusstsein um die Möglichkeit des Erfolgseintritts. Die Tötung war
somit nach seiner Vorstellung nicht notwendige, sondern bloss mögliche
Begleiterscheinung des von ihm erstrebten Zweckes (SCHWANDER, Das
schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, S. 93, Nr. 190). War aber
sein Wissen nicht auf den bestimmten Eintritt der Tötungsfolge gerichtet,
so entfällt die Annahme eines direkten Tötungsvorsatzes.

    Dagegen genügt ein solches Wissen für den Eventualvorsatz, der von
der Vorinstanz subsidiär ebenfalls bejaht wurde. Zu diesem Wissen um die
Möglichkeit des Erfolgseintritts muss indessen der Wille treten, die Tat
zu begehen; denn die Unsicherheit berührt bei dieser Vorsatzform nur das
Wissens-, nicht auch das Willenselement (SCHULTZ, Die strafrechtliche
Rechtsprechung des Bundesgerichtes im Jahre 1966, ZBJV 1967, S. 419 f.;
BGE 86 IV 11). Während die frühere Rechtsprechung dieses Erfordernis in
unterschiedlicher Weise umschrieben und unter anderem ein Sich-Abfinden
mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts, ein Inkaufnehmen des Erfolgs
hat genügen lassen (BGE 73 IV 103: "Einverstanden sein"; BGE 72 IV 125,
74 IV 47 und 83, 92 IV 68: "Billigen"; BGE 69 IV 80, 79 IV 34, 80 IV
191, unveröffentlichtes Urteil vom 12. Oktober 1962 i.S. Kraft, S. 3/4:
"Einverstanden sein" und "billigen"; unveröffentlichte Urteile vom
3. Februar 1967 i.S. Ulmann, S. 5, und vom 29. Mai 1964 i.S. Baumgartner,
S. 7: "Billigen" und "sich abfinden"; BGE 81 IV 202: "Sich innerlich
abfinden" und "einverstanden sein" und "billigen"; unveröffentlichtes
Urteil vom 14. Juni 1965 i.S. Basilicata, S. 3/4: "Inkaufnehmen" und
"billigen" und "sich abfinden"; unveröffentlichtes Urteil vom 12. Oktober
1962 i.S. Kraft/Brodmann: "Inkaufnehmen" als "billigen" ausgelegt; BGE
75 IV 5: "Gleichgültig gewesen"; BGE 85 IV 126: "Accepter"; BGE 87 IV 72:
"Consentir"; BGE 86 IV 17: "Consentir" und "s'en moquer"; BGE 84 IV 128:
"S'accommoder" und "accepter" und "admettre le résultat"), wurde in
BGE 86 IV 17 und 92 IV 67 entschieden, dass der Täter den Erfolg für
den Fall seines Eintritts "billigen" müsse. Der Kassationshof hat sich
dabei von der Überlegung leiten lassen, dass auch der bewusst fahrlässig
handelnde Täter sich mit dem als möglich vorausgesehenen Erfolg abfinde,
und dass deshalb einzig das Moment der "Billigung" eine zureichende
Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit
gewährleiste. Demgegenüber wurde von der Lehre (GERMANN, Schweizerische
Zeitschrift für Strafrecht, Band 77, 1961, S. 378 ff., und SCHULTZ,
aaO; SCHWANDER, aaO, S. 97, Nr. 199 a) geltend gemacht, die Formel des
Inkaufnehmens oder Sich-Abfindens verdiene vor jener des Billigens den
Vorzug, weil der mögliche Nebenerfolg dem Täter sehr unerwünscht oder
zumindest nicht genehm sein könne, welche Möglichkeit in den beiden
letztgenannten Entscheidungen übrigens ebenfalls bejaht wurde. Hat aber
das Bundesgericht damit den Begriff des Billigens selber nicht notwendig
im Sinne einer eigentlichen Zustimmung des Täters verstanden, so ist nicht
ersichtlich, inwiefern er sich von demjenigen des Sich-Abfindens oder des
Inkaufnehmens unterscheidet. Auch hat der deutsche Bundesgerichtshof, auf
dessen Rechtsprechung in BGE 92 IV 69 verwiesen wurde, den Begriff der
"Billigung" in keinem andern Sinne verstanden, hat er doch im gleichen
Entscheid die Ausdrücke "billigen", "sich abfinden" und "inkaufnehmen"
als gleichwertig verwendet. Abgesehen davon aber erfordert auch die
Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung zwischen Eventualvorsatz und
bewusster Fahrlässigkeit keine gegenüber der frühern Rechtsprechung
einschränkende Umschreibung des Willensmomentes. Beim Eventualvorsatz
wie bei der bewussten Fahrlässigkeit weiss der Täter um die Möglichkeit
des Erfolgseintritts. Beim Eventualvorsatz will er diesen Erfolg für
den Fall seines Eintritts, indem er sich, namentlich auch dann, wenn
er ihm nicht genehm ist, damit abfindet oder ihn in Kauf nimmt. Bei der
bewussten Fahrlässigkeit dagegen vertraut der Täter aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit darauf, dass der als möglich vorausgesehene Erfolg
nicht eintreten werde. Insofern lässt sich bewusste Fahrlässigkeit im
Gegensatz zum Eventualvorsatz als bewusste Verneinung des Erfolgseintrittes
bezeichnen (SCHWANDER, aaO, S. 95, Nr. 197). Diese Abgrenzung der beiden
Schuldformen wurde bereits in BGE 69 IV 80 mit aller Deutlichkeit
vollzogen. Eine erneute Prüfung der Frage ergibt demnach, dass an
der einschränkenden Rechtsprechung, wie sie in BGE 86 IV 17 und 92 IV
67 veröffentlicht wurde, nicht festgehalten werden kann. Zur Annahme
des Eventualvorsatzes genügt, wenn der Täter sich mit dem als möglich
vorausgesehenen Erfolg für den Fall seines Eintritts abfindet oder ihn
in Kauf nimmt.

    Mit der tatsächlichen Feststellung, der Beschwerdeführer habe im
vorliegenden Fall eine Tötung der ungeschützten Personen, auf welche
er gezielte Schüsse abgab, in Kauf genommen, hat somit die Vorinstanz
auch das Willenselement des Eventualvorsatzes für den Kassationshof
verbindlich bejaht.