Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 58



96 IV 58

15. Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1970 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Stadt gegen Dr. X. Regeste

    Art. 181 StGB, Nötigung

    1.  Eine solche kann auch durch Androhung einer Unterlassung begangen
werden (Erw. 2).

    2.  In der Drohung, der Strafantrag werde in einem bereits angehobenen
Strafprozess nicht zurückgezogen, liegt die Androhung eines ernstlichen
Nachteils (Erw. 3).

    3.  Wer zum Zwecke der Nötigung zwei an und für sich rechtmässige
Handlungen miteinander verknüpft, ohne dass zwischen den beiden ein
innerer Zusammenhang (Konnexität) besteht, handelt rechtswidrig (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- In einem Schiedsgerichtsverfahren vertrat Rechtsanwalt Dr. A. den
Kläger Paul B. Dr. A. bezeichnete in einer Eingabe vom 2. Mai 1967 den
Beklagten Eduard H. als "querulatorisch veranlagt".

    Am 15. Mai 1967 forderte darum der Anwalt des Beklagten, Dr. X.,
Dr. A. auf, sich zu entschuldigen. Der letztere reagierte auf diese
Aufforderung nicht.

    Darauf reichte Dr. X. im Namen von Eduard H. am 30. Mai 1967 beim
Strafgericht Basel-Stadt Privatklage wegen Ehrverletzung gegen Dr. A. ein.
Mit Schreiben vom 14. November 1967 an Dr. X. erklärte sich dieser
nunmehr bereit, sich bei Eduard H. zu entschuldigen und ihm Satisfaktion
zu erteilen.

    Mit Brief vom 23. November 1967 stellte Dr. X. Dr. A. einen
Vergleichsentwurf zu und stellte ihm in Aussicht, er werde die
Ehrverletzungsklage nach Unterzeichnung des Vergleichs zurückziehen. Der
Entwurf hatte den folgenden Wortlaut:

    "1. Herr Dr. A. zieht seine Behauptung, Herr Eduard H. sei ein
Querulant, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und erteilt Herrn
H. volle Satisfaktion.

    2. Herr E. H. zieht mit der beidseitigen Unterzeichnung dieses
Vergleichs die gegen Herrn Dr. A. eingereichte Ehrverletzungsklage zurück.

    Herr Dr. A. übernimmt die Abstandsgebühr sowie eine Parteientschädigung
von Fr. 200.--.

    3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien,
Herrn und Frau Paul B./Dr. A. einerseits und Herrn E. H. anderseits bis
zu diesem Datum bestehenden gegenseitigen Ansprüche vollständig saldiert
sind, und dass sämtliche aus dem Umbau der Liegenschaften ... entstandenen
Streitigkeiten nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören.

    Basel, den ..."

    Die in Ziff. 3 des Vergleichsentwurfs verlangte Saldoquittung hatte
Forderungen von B. an H. im Ausmass von Fr. 1213.25 zum Gegenstand.

    Dr. A. erklärte im Antwortschreiben vom 28. November 1967, er könne
lediglich einen Vergleich für diejenigen Punkte abschliessen, die ihn
selber beträfen. Er sei nicht befugt, namens des von ihm vertretenen Paul
B. eine verbindliche Saldoerklärung abzugeben. Nachdem er dementsprechend
Ziff. 3 des Vergleiches wie folgt abgeändert hatte:

    "3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien,
Dr. A. und Herrn E. H. entstandenen Streitigkeiten nunmehr endgültig der
Vergangenheit angehören."

    sandte Dr. A. diesen unterzeichnet an Dr. X. zurück.

    Mit einem Brief an Dr. A. bestätigte Dr. X. am 14. Dezember 1967, dass
sein Klient grundsätzlich bereit sei, den Streit mit Dr. A. vergleichsweise
zu erledigen, aber nur unter der Voraussetzung, dass damit auch die
Streitigkeiten mit Paul B. endgültig erledigt würden. Dr. A. solle sich
daher für die Erteilung der verlangten Saldoquittung von seinem Klienten
Vollmacht geben lassen.

    Mit Schreiben vom 20. Dezember 1967 lehnte es Dr. A. aus prinzipiellen
Gründen erneut ab, den Ehrverletzungsprozess zwischen ihm und Eduard
H. mit allenfalls noch bestehenden Differenzen zwischen seinem Klienten
Paul B. und Eduard H. zu verquicken. Das Ansinnen, er solle seinen Klienten
Paul B. im Zusammenhang mit einer Sache, die diesen nur am Rande berühre,
veranlassen, eine Saldoquittung zu erteilen, hielt er in jeder Hinsicht
für unkorrekt.

    Da Dr. X. im Ehrverletzungsprozess gegen Dr. A. auf einen Vergleich
ohne die verlangte Saldoquittung für die Streitigkeiten zwischen Paul
B. und Eduard H. nicht eintrat, kam der Vergleich nicht zustande.

    B.- Mit Urteil vom 27. Februar 1970 sprach der Ausschuss des
Appellationsgerichts Basel-Stadt Dr. X. von der Anklage der versuchten
Nötigung frei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichts Basel-Stadt
sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von Dr. X. wegen versuchter
Nötigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Dr. X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 181 StGB macht sich strafbar, wer sein Opfer durch
Gewalt oder durch Androhung ernstlicher Nachteile oder durch eine andere
Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen
oder zu dulden. Im Falle der Androhung ernstlicher Nachteile liegt die
Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit darin, dass das Opfer durch die
Aussicht, solche Nachteile zu erleiden, zu einem Tun oder Unterlassen
bestimmt wird, zu welchem es sich ohne die Androhung nicht entschlösse
(BGE 81 IV 104). Wie der Kassationshof in konstanter Praxis entschieden
hat, ist Nötigung als Vergehen gegen die Willensfreiheit nur strafbar,
wenn sie rechtswidrig ist oder gegen die guten Sitten verstösst. Wer einen
erlaubten Zweck mit an sich erlaubten Mitteln verfolgt und dabei auf die
Willensbildung des anderen nicht weiter einwirkt, als zur Erreichung
des Zweckes erforderlich ist, macht sich selbst dann nicht strafbar,
wenn er ihn mit den in der Strafbestimmung erwähnten Zwangsmitteln
veranlasst, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Wegen Nötigung
bestraft wird hingegen, wer mit rechts- oder sittenwidrigen Mitteln
oder zu einem unerlaubten Zweck auf das freie Selbstbestimmungsrecht
eines anderen einwirkt (BGE 87 IV 14; 94 IV 114 mit Verweisungen). Als
rechtsmissbräuchlich und daher rechtswidrig hat der Kassationshof von
jeher die Androhung einer Strafanzeige dann betrachtet, wenn zwischen
dem Straftatbestand, der angezeigt werden soll, und dem Gegenstand
des gestellten Begehrens jeder sachliche Zusammenhang fehlt (BGE 87
IV 14). Besonders verwerflich handelt sodann, wer einen anderen durch
Androhung von ernstlichen Nachteilen zur Verletzung seiner Pflichten
veranlasst (BGE 81 IV 104 Erw. 1).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz geht davon aus, dass Dr. X. den Dr. A. nicht durch
die Androhung einer Strafanzeige zu einem bestimmten Verhalten genötigt
habe, sondern diesem den Rückzug der bereits erhobenen Strafklage für den
Fall in Aussicht gestellt hat, dass die Saldoquittung erteilt werde. Im
Inaussichtstellen einer Unterlassung könne aber keine Nötigung erblickt
werden, wenn die Unterlassung im freien Belieben des diese Ankündigenden
stehe.

    Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Ist nämlich in der
Ankündigung, die Strafklage werde nur dann nicht erhoben, wenn das
Opfer für eine Saldoquittung sorge, eine Nötigung zu erblicken, so liegt
eine solche auch vor, wenn das Strafverfahren bereits angehoben ist und
bloss dessen Fortsetzung oder gütlicher Abschluss durch Vergleich von der
Erteilung der Saldoquittung abhängig gemacht wird. Denn die Androhung, ein
Prozess werde angehoben, läuft in gleicher Weise auf die Einschüchterung
des Opfers hinaus wie die Drohung, der Prozess werde fortgesetzt. In beiden
Fällen wird das Opfer mit der Aussicht gefügig zu machen gesucht, es müsse
ein Strafverfahren über sich ergehen lassen und werde möglicherweise
zu einer Strafe verurteilt. Massgeblich ist also, dass der Drohende
ankündigt, er werde sich in einer bestimmten Weise verhalten, und dass
sich dieses Verhalten für den Bedrohten nachteilig auswirkt. Ob es sich
um ein Tun oder um ein Unterlassen handelt, ist unerheblich (Walter KERN,
Die Nötigung nach Art. 181 des Schweizerischen Strafgesetzbuches S. 53;
für das deutsche Recht: SCHÖNKE-SCHRÖDER, Kommentar zum Strafgesetzbuch,
12. Auflage, S. 1016).

Erwägung 3

    3.- Art. 181 StGB verlangt, dass der angedrohte Nachteil "ernstlich"
sei. Damit wird nicht vorausgesetzt, dass er so schwer sei, dass der
Betroffene wegen der Androhung in Angst oder Schrecken geraten könnte. Es
genügt, wenn der Nachteil erheblich genug ist, um den Betroffenen in seiner
Handlungsfreiheit wesentlich zu beeinträchtigen. Die Ernstlichkeit des
Nachteils hängt dabei nicht vom tatsächlichen Erfolg der Androhung auf
das Opfer ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs
(BGE 81 IV 106).

    In der Drohung, dass ein Strafprozess, statt gütlich beigelegt,
fortgesetzt werde, liegt objektiv für jedermann ein ernstlicher Nachteil.
Auch wenn der Angeklagte schliesslich freigesprochen wird, bringt jedes
Strafverfahren Umtriebe und eine erhebliche psychische Belastung mit
sich. Um diesen Nachteilen zu entgehen, ist der Angeklagte oft bereit,
andere Nachteile in Kauf zu nehmen, die er sonst einem Dritten gegenüber
nicht auf sich nehmen würde.

Erwägung 4

    4.- Dr. X. wäre nicht verwehrt gewesen, in Wahrung der Interessen
seines Klienten über einen allfälligen Rückzug des Strafantrages mit
Dr. A. zu verhandeln und diesen von einer Satisfaktionserklärung sowie
von der Bezahlung der Gerichts- und Parteikosten abhängig zu machen,
welche durch das zwischen Dr. A. und dem Klienten von Dr. X. hängige
Verfahren verursacht worden waren. An und für sich wäre Dr. X. auch
berechtigt gewesen, im Streite zwischen Eduard H. und dem Kläger Paul
B. eine Saldoquittung zu verlangen.

    Die Rechtswidrigkeit im Tun von Dr. X. liegt indessen darin, dass
dieser die beiden Prozesse zu verquicken versuchte, wiewohl weder die
Prozessparteien identisch waren, noch die Streitobjekte in einem inneren
Zusammenhang zueinander standen. Sein Wille war in Wirklichkeit darauf
gerichtet, Dr. A. zur Verletzung seiner Berufspflichten als Anwalt zu
veranlassen. Dieser hätte zu seinem eigenen Vorteil, nämlich damit
der Strafantrag gegen ihn zurückgezogen würde, auf eine Forderung
seiner Klientschaft gegenüber seinem eigenen Prozessgegner verzichten
oder seine Klientschaft zum Verzicht bestimmen sollen. Das Mittel, das
Dr. X. zur Erreichung seines Zieles (der Saldoquittung) anwendete, war
mithin widerrechtlich. Darum lag im Vorgehen von Dr. X. eine Nötigung im
Sinne von Art. 181 StGB. Unerheblich war dabei die Höhe der Forderungen,
deren Untergang durch die Saldoquittung angestrebt wurde.

    Hätte Dr. X. durch seine nötigende Handlung die gewünschte
Saldoquittung tatsächlich erwirken können, so läge in objektiver Hinsicht
vollendete Nötigung vor. Da er mit seinem Ansinnen an der ablehnenden
Haltung von Dr. A. aber scheiterte, trat der Erfolg des von ihm bis zu Ende
geführten Vergehens nicht ein. Seine Handlung ist daher als vollendeter
Nötigungsversuch (Art. 22 Abs. 1 StGB) zu qualifizieren.

Erwägung 5

    5.- Wer einen anderen im Sinne von Art. 181 StBG nötigt, kann nur
bestraft werden, wenn er vorsätzlich, das heisst mit Wissen und Willen
handelt (Art. 18 Abs. 1 und 2 StGB). Die Vorinstanz verneint den Vorsatz
mit der Begründung, Dr. X. habe Dr. A. vor der Erhebung der Strafklage
Gelegenheit gegeben, sich zu entschuldigen, und ihm in Aussicht gestellt,
auf eine Strafklage zu verzichten, wenn er, Dr. A., sich entschuldige. Dies
zeige, dass Dr. X. nicht beabsichtigt habe, in rechtswidriger oder
gegen die guten Sitten verstossender Weise Vermögensvorteile für Eduard
H. herauszuholen.

    Hierin kann indessen nur die Feststellung liegen, dass Dr. X.
vor Anhebung der Strafklage keinen Nötigungsvorsatz gehabt habe. Die
Vorinstanz übersieht, dass ihm für dieses Stadium kein Nötigungsversuch
vorgeworfen wird. Sein rechtsbrecherisches Verhalten beginnt erst nach
Anhebung des Strafprozesses zwischen E. H. und Dr. A., nämlich mit der
Bekanntgabe der Bedingungen für den Rückzug des Strafantrages. An einer
tatsächlichen Feststellung darüber aber, ob Dr. X. die ihm objektiv
zur Last gelegten Handlungen mit Wissen und Willen begangen habe (BGE
90 IV 48 E. 3, 90 IV 78 E. 3, 90 IV 120 E. 4), hat es die Vorinstanz
fehlen lassen. Sie wird darum zu untersuchen haben, ob Dr. X. den
Vergleichsentwurf am 23. November 1967 Dr. A. mit Wissen und Willen
unterbreitet habe. Wollte man Dr. X. zubilligen, er sei sich, als er am 23.
November 1967 den Rückzug des Strafantrages von einer Saldoquittung
abhängig machte, der mangelnden Konnexität beider in Frage stehender
Prozesse und der Unzulässigkeit, auf Dr. A. zum Erhalt einer Saldoquittung
einen Druck auszuüben, noch nicht bewusst gewesen, so könnte dies doch für
sein späteres Beharren auf einer Saldoquittung schwerlich mehr gelten,
nachdem Dr. A. ihn mit Briefen vom 28. November 1967 und 20. Dezember
1967 auf das Verwerfliche seines Ansinnens noch ausdrücklich hingewiesen
hatte. Bei der nachzuholenden Prüfung wird auch nicht ausser acht zu lassen
sein, dass Dr. X. rechtskundig war und den Beruf eines Anwalts ausübte,
so dass von ihm mehr Einsicht als von einem Laien vorauszusetzen war.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil
des Ausschusses des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom
27. Februar 1970 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne
der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.