Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 16



96 IV 16

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1970 i.S. Hefti
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Der Gummiknüppel ist eine Waffe im
Sinne dieser Bestimmung.

Sachverhalt

    A.- In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1968 leistete Hans Hefti
während der sog. Globus-Krawalle in Zürich als Polizeimann Dienst. Er hatte
westlich des Globus-Provisoriums hinter der polizeilichen Abschrankung
mit anderen Polizeimännern dafür zu sorgen, dass keine Demonstranten die
Abschrankung überstiegen und in das Globus-Gebäude eindrangen. Hefti
war mit Helm, einem Schild aus Weidengeflecht und Gummiknüppel
ausgerüstet. Während längerer Zeit war es in seinem Abschnitt ruhig. Hefti
wurde weder angepöbelt noch mit Wurfgeschossen oder tätlich angegriffen.

    Nachdem die Demonstranten von der Hauptwache weggetrieben waren, begab
sich eine Gruppe von Nachzüglern gegen die Westseite des Globus. Einige
Journalisten folgten ihnen, darunter der Pressefotograf Adolf Preisig,
der zwei Kameras umgehängt hatte. Nach einigem Hin und Her forderte Hefti
Preisig auf, über die Abschrankung zu kommen und ihn ins Globus-Gebäude
zu begleiten. Preisig kam der Aufforderung willig nach, wobei Hefti beim
Übersteigen der Abschrankung mit Hand anlegte. Hefti und ein anderer
Polizist führten Preisig ca. 50 Meter weit zum Globus-Gebäude. Auch
hier verhielt sich Preisig völlig korrekt und ruhig. Er folgte dem
Polizisten ohne Widerspruch. Auf dem Weg soll Hefti ihm einen Schlag
mit dem Gummiknüppel über den Kopf erteilt haben. Im Globus-Gebäude
führte er Preisig in einen halbdunklen Raum, auf dessen nassem Boden
Feuerwehrschläuche lagen. Preisig kam zu Fall, wobei nicht feststeht,
ob er über die Schläuche stolperte oder von Hefti zu Fall gebracht wurde.

    Hefti versetzte dem am Boden liegenden Preisig, der sich in keiner
Weise wehrte, sondern nur seinen Kopf mit den Händen zu schützen suchte,
ungefähr zehn Schläge mit dem Gummiknüppel vorwiegend auf den Kopf,
aber auch auf die Hände, Arme und den Körper. Als Folge dieser Hiebe
wies Preisig an beiden Vorderarmen dorsal und am Rücken Hämatome und
oberflächliche längliche Schürfungen auf. Er hatte druckempfindliche
und geschwollene Schläfen. Über dem linken Auge und auf der rechten
Brustseite erlitt er Verletzungen. Seine Armbanduhr wurde von den Schlägen
zertrümmert. Am folgenden Tag litt Preisig an Übelkeit mit wiederholtem
Erbrechen.

    Nach Kontrolle der Ausweise schickte Hefti Preisig weg. Hefti
rapportierte nicht über den Vorfall.

    In der Strafuntersuchung stellte Hefti zunächst alles in Abrede
und wollte sich an nichts erinnern. Erst als er auf einer von einem
Berufskollegen Preisigs aufgenommenen Fotografie eindeutig als der Polizist
identifiziert werden konnte, der Preisig abgeführt hatte, gestand Hefti. Er
behauptete aber, Preisig sei nach seinem Fall über die Feuerwehrschläuche
wie ein Wilder aufgesprungen und drohend auf ihn losgegangen, worauf er
mit dem Knüppel Abwehrbewegungen gemacht habe. Das Obergericht hat diese
Darstellung abgelehnt und das Vorliegen von Umständen, die in Hefti den
Eindruck einer Notwehrsituation hätten erwecken können, verneint.

    Zwischen Hefti und Preisig kam es zu einem Vergleich; Hefti leistete
auf Kosten einer Polizeikasse volle Entschädigung, worauf Preisig seine
Anträge im Straf- und Zivilpunkt zurückzog.

    B.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Hefti am 14.  Mai 1969
wegen einfacher Körperverletzung zu einer bedingten Haftstrafe von sieben
Tagen. Von der Anklage der Nötigung und des Amtsmissbrauchs sprach es
ihn frei. Auf die Anklage wegen Tätlichkeiten und Sachbeschädigung wurde
wegen Rückzugs des Strafantrages nicht eingetreten.

    Das Obergericht, an das der Verurteilte appellierte, verneinte im
Gegensatz zum Bezirksgericht die Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 1
und 33 Abs. 2 Satz 1 StGB. Mangels Berufung des Staatsanwaltes konnte
es keine schärfere Strafe aussprechen. Mit Urteil vom 14. November 1969
bestätigte es die Verurteilung Heftis wegen einfacher Körperverletzung
zu der siebentägigen Haftstrafe.

    C.- Hefti führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit diese auf die Anklage
wegen Körperverletzung infolge Rückzuges des Strafantrages nicht eintrete,
eventuell die Untersuchung durch Einvernahme zweier Zeugen ergänze.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Mit dem Hauptantrag macht der Beschwerdeführer geltend, auf die
Anklage wegen einfacher Körperverletzung hätte nicht eingetreten werden
dürfen, weil der Strafantrag vor Verkündung des erstinstanzlichen Urteils
zurückgezogen worden sei (Art. 31 Abs. 1 StGB).

    Es ist nicht streitig, dass gemäss dem zwischen Preisig und Hefti
abgeschlossenen Vergleich der Geschädigte seinen Strafantrag zurückgezogen
hat.

    An der Verhandlung vor Bezirksgericht hat indessen der Bezirksanwalt
die Anklage dahin berichtigt, dass Hefti sich im Sinne von Art. 123
Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig gemacht habe, der erfüllt ist, wenn
der Täter Gift, eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gebraucht
oder einen Wehrlosen verletzt hat. Der Gummiknüppel sei eine Waffe,
zumindest aber ein gefährliches Werkzeug. Hefti sei daher von Amtes
wegen zu verfolgen. Sofern diese Würdigung des Sachverbaltes zutrifft,
kommt dem Rückzug des Strafantrages keine Bedeutung zu.

Erwägung 3

    3.- Eine Waffe ist ein Gegenstand, der nach seiner Bestimmung zu
Angriff oder Verteidigung dient. Der Beschwerdeführer anerkennt, dass dies
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auf den Gummiknüppel zutrifft. Doch
macht er geltend, in Art. 123 StGB komme dem Wort Waffe nicht diese
Bedeutung zu.

    a) Seine Auffassung, wonach qualifizierte Tatbestände, wie
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2, einschränkend zu interpretieren seien, ist
abwegig. Strafnormen sind stets nach ihrem wahren Sinn auszulegen (BGE
78 IV 40, 87 IV 118). Etwas anderes hat das Bundesgericht entgegen
der Meinung des Beschwerdeführers auch in BGE 80 IV 108 nicht getan,
als es beiläufig erwähnte, das Züchtigungsrecht des Täters schliesse
die Wehrlosigkeit des Opfers im Sinne des Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 aus;
dieser Entscheid ist übrigens durch BGE 85 IV 127 f. überholt.

    b) Der Beschwerdeführer glaubt, der Begriff der Waffe sei zu bestimmen,
indem untersucht werde, ob die in Frage stehende Waffe einem gefährlichen
Werkzeug gleichzusetzen sei. Waffe und Werkzeug unterscheiden sich im
vorliegenden Zusammenhang dadurch, dass jene für Angriff und Verteidigung
bestimmt ist, während dieses hiefür verwendet wird, jedoch eine andere
Zweckbestimmung hat. Die Doktrin zur Art. 101 des französischen Code
pénal stellt den Unterschied anschaulich dar, indem sie von "armes par
leur nature" und "armes par l'usage qui en est fait" spricht (GARÇON,
Code pénal annoté S. 440, GOYET, Précis de droit pénal spécial S. 362). In
gleicher Weise setzt Art. 123 StGB das Werkzeug der Waffe gleich, nicht
umgekehrt die Waffe dem Werkzeug. Ein Werkzeug ist gefährlich, wenn es
so beschaffen ist, dass es, als Waffe verwendet, ähnliche Schädigungen
hervorrufen kann wie eine Waffe bei bestimmungsgemässem Gebrauch.

    Nicht erforderlich ist eine besondere Gefährlichkeit. Der
Beschwerdeführer bestreitet dies mit dem Einwand, die Gleichstellung mit
gefährlichen Werkzeugen ergebe, dass der Gesetzgeber auch unter Waffen
nur solche verstehe, die bei ihrer Einwirkung auf den menschlichen Körper
immer zu einer Verletzung führen und die Gefahr einer schweren Schädigung
bergen. Abgesehen davon, dass Wortlaut und Systematik des Gesetzes gegen
diese Auffassung sprechen, wären, falls sie zuträfe, jedenfalls bei einem
waffenkundigen Polizisten kaum mehr Fälle denkbar, in denen die schweren
Folgen, wenn nicht vom Täter im Sinne des Eventualvorsatzes gewollt, für
ihn nicht zumindest voraussehbar waren, womit Ziff. 2 ev. 3 des Art. 123
erfüllt wäre (vgl. GERMANN, Verbrechen S. 241).

    Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das interkantonale Konkordat über
den Waffenhandel und die zürcherische Waffenverordnung ist müssig. Dem
Gummiknüppel geht der Charakter der Waffe nicht ab, weil er ohne
Waffenschein erworben werden kann.

    Richtig ist, dass eine Waffe zu geringeren Schädigungen führen
kann als ein Werkzeug. Ein Mensch kann mit Faustschlägen gefährlicher
verletzt werden, als wenn ihm mit einer Flobert-Pistole ins Bein geschossen
wird. Der Einwand geht aber an der Sache vorbei. Das Gesetz stellt nicht
in erster Linie auf den Erfolg ab. Es will, dass der Täter, der eine
einfache Körperverletzung begangen hat, von Amtes wegen verfolgt werde,
weil er an sich infolge der Verwendung von Waffen, Gift oder gefährlichen
Werkzeugen als gefährlicher erscheint, selbst wenn er im Einzelfall durch
den Gebrauch der Waffe keine schweren Folgen herbeigeführt hat.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer hält es für richtig, dass ein Polizist von
Amtes wegen in Untersuchung gezogen wird, wenn er mit der Schusswaffe
jemanden auch nur leicht verletzt. Es könne aber nicht der Wille des
Gesetzes sein, den Gebrauch des Gummiknüppels gleich zu behandeln. Man
dürfe der Polizei keine unnötigen und unverhältnismässigen Fesseln
anlegen. Es sei für den Polizeibeamten unangenehm, in Strafuntersuchung
gezogen zu werden, selbst wenn er einen Rechtfertigungsgrund habe. Man
dürfe die Polizei nicht bei jedem handfesten Eingreifen der Gefahr einer
Strafuntersuchung aussetzen.

    Die Polizei hat bei allen Zwangsmassnahmen gegenüber Privaten nach
den Grundsätzen der Gesetzmässigkeit und der Verhältnismässigkeit zu
verfahren (BGE 94 IV 8). Das gilt ganz besonders beim Gebrauch jeder Art
von Waffe und bei der Verletzung der körperlichen Integrität. Die Polizei
besitzt keinen Freibrief zum Gebrauch des Gummiknüppels. Anderseits wird
ein Polizist, der in Erfüllung seiner Pflicht aus zureichenden Gründen
zur Waffe greift, auch beim Strafrichter Schutz und bei unbedeutenden
Überschreitungen Verständnis finden (BGE 94 IV 7 f.). Ein Schläger aber,
der unbeteiligte, sich in keiner Weise zur Wehr setzende Personen mit
dem Gummiknüppel traktiert und verletzt, verdient weder Verständnis noch
Schutz. Gegen solches Tun ist im wohlverstandenen Interesse der Polizei
selbst von Amtes wegen strafrechtlich einzuschreiten.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.