Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 115



96 IV 115

30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1970
i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen. Regeste

    Art. 25 in Verbindung mit 191 Ziff. 1 Abs. 1 oder 200 StGB.

    Verhältnis der beiden Bestimmungen zueinander.

Sachverhalt

    A.- Durch Rekursentscheid des Regierungsrates des Kantons
Schaffhausen vom 20. Juni 1969 wurde A. die elterliche Gewalt über
seine am 19. Oktober 1954 geborene Tochter X. entzogen und diese unter
Vormundschaft gestellt. Ferner wurde beschlossen, das Kind auf unbestimmte
Zeit in ein Mädchenheim einzuweisen. Da A. sich mit diesen Massnahmen nicht
abfinden konnte, vereinbarte er am 31. Juli 1969 mit dem 1950 geborenen
Freund seiner Tochter, Y., dass dieser mit seinem Auto X. ins Ausland
fahren solle. A. sagte jede mögliche Unterstützung zu. Am 1. August
1969 fuhr Y. mit X. für einige Wochen nach Frankreich. A. unterhielt
mit ihnen regelmässigen brieflichen und telefonischen Kontakt und
liess ihnen wiederholt Bargeld, insgesamt etwa Fr. 1'100.--, zukommen;
er sandte ihnen auf ihr Begehren auch gewisse Ersatzteile für das defekt
gewordene Auto. Am 19. September 1969 traten Y. und X. die Heimreise an. Am
7. Oktober 1969 wurden sie in Locarno von der Polizei festgenommen. Nach
ihren übereinstimmenden Aussagen war es während der gemeinsamen Flucht
zwischen ihnen wiederholt zum Geschlechtsverkehr gekommen.

    B.- Mit Entscheid vom 11. Februar 1970 erklärte das Kantonsgericht
Schaffhausen A. schuldig des Entziehens und Vorenthaltens einer
Unmündigen, der Anstiftung dazu sowie der Gehilfenschaft zur Unzucht
mit einem Kinde und bestrafte ihn mit 75 Tagen Gefängnis. Es billigte
dem Verurteilten den bedingten Strafvollzug zu, unter Ansetzung einer
Probezeit von zwei Jahren. In teilweiser Gutheissung der von A. gegen
dieses Urteil eingelegten Berufung erklärte das Obergericht des Kantons
Schaffhausen diesen am 15. Mai 1970 nur des Entziehens und Vorenthaltens
einer Unmündigen, der Anstiftung dazu und der Begünstigung der Unzucht
gemäss Art. 200 StGB schuldig und ermässigte die Gefängnisstrafe auf
40 Tage, für welche ihm auf eine Probezeit von zwei Jahren der bedingte
Strafvollzug zugebilligt wurde.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt die Staatsanwaltschaft
Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Begehren, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie A. nicht der Begünstigung der Unzucht, sondern
der Gehilfenschaft zur Unzucht mit einem Kinde gemäss Art. 25 und 191
Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig erkläre und die Strafe neu festsetze.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Um entscheiden zu können, ob das von der Vorinstanz verbindlich
festgestellte Verhalten von A. als Gehilfenschaft zur Unzucht mit einem
Kinde gemäss Art. 25 und 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB oder aber als Begünstigung
der Unzucht gemäss Art. 200 StGB zu qualifizieren sei, ist der Gehalt der
beiden in Frage kommenden Strafbestimmungen und ihr Verhältnis zueinander
klarzustellen.

    Die Auffassung der Vorinstanz ist zutreffend, wonach zwischen der
Hilfeleistung i.S. des Art. 25 und der Vorschubleistung gemäss Art. 200
StGB zur Unzucht insofern kein Unterschied gemacht werden kann, als
in beiden Fällen jeder irgendwie geartete kausale Tatbeitrag gemeint
ist. Aber auch in subjektiver Hinsicht besteht bei der Gehilfenschaft
- entgegen der Meinung des Obergerichts - keineswegs "eine direktere
psychische Beziehung zur konkreten Deliktshandlung des Haupttäters" als
bei der Begünstigung der Unzucht. Wieso im letztern Fall bloss eine relativ
unbestimmte Vorstellung des Täters über die von ihm begünstigten Handlungen
bestehen soll, ist nicht einzusehen. Sowohl bei der Gehilfenschaft nach
Art. 25 und 191 StGB als auch bei der Begünstigung nach Art. 200 StGB
wird übereinstimmend vorausgesetzt, dass der Täter auf irgendeine Weise
fremde Unzucht unterstütze und fördere.

    Ein Unterschied zwischen der Gehilfenschaft zur Unzucht mit einem
Kinde im Sinne von Art. 25 und 191 StGB und der Begünstigung der Unzucht
mit einem Kinde gemäss Art. 200 StGB besteht hingegen darin, dass eine
Hilfeleistung nach Art. 25 StGB nur dort vorliegt, wo die Unzucht ein
Verbrechen oder ein Vergehen darstellt, während nach Art. 200 StGB eine
Begünstigung auch dort gegeben ist, wo die Unzucht an sich bloss als
Übertretung oder überhaupt nicht unter Strafe steht.

    Im vorliegenden Fall stellt die Unzucht mit einem Kind im Sinne
von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, deren Förderung und Unterstützung
A. von der Vorinstanz vorgeworfen wird, ein Verbrechen dar. Daher ist
Art. 25 in Verbindung mit Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB anwendbar, wie das
Kantonsgericht im Einklang mit der herrschenden Lehre richtig angenommen
hatte (SCHWANDER; Das schweiz. Strafgesetzbuch, 2. Auflage, S. 421 Nr. 646
Ziff. 2; HAFTER, bes. Teil, S. 145 N. 5; THORMANN/VON OVERBECK, N. 3
zu Art. 200 StGB). Daneben erfüllen die von A. begangenen Handlungen
gleichzeitig aber auch den Tatbestand des Art. 200 StGB. Zwischen den
genannten Bestimmungen besteht Gesetzeskonkurrenz, weil die erstere der
beiden Strafnormen den Unrechts- und Schuldgehalt der von A. verübten Tat
wertmässig nach allen Richtungen erfasst (SCHWANDER, aaO S. 150 Nr. 315,
S. 151 Nr. 317). Der Straftatbestand des Art. 200 StGB wird durch den
weit schwereren Tatbestand der Art. 25 und 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB also
konsumiert.

    In Gutheissung der Beschwerde ist das angefochtene Urteil daher
aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit
es A. ausser wegen Entziehens und Vorenthaltens einer Unmündigen und
Anstiftung dazu gemäss Art. 24 Abs. 1 und 200 StGB auch wegen Beihilfe
zur Unzucht mit Kindern gemäss Art. 25 und 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (BGE
87 IV 54) schuldig erkläre und die Strafe dementsprechend neu festsetze.