Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 II 52



96 II 52

11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. April 1970
i.S. Meco Mechanical Corporation gegen Leitenmaier. Regeste

    1.  Art. 347 Abs. 3 OR. Voraussetzungen, unter denen ein bedingtes
Kündigungsrecht und eine bedingte automatische Beendigung des
Dienstverhältnisses vereinbart werden dürfen (Erw. 2 a).

    2.  Art. 101 Abs. 3 OR. Haftung des Dienstherrn für die sofortige
Entlassung eines Dienstpflichtigen durch eine Hilfsperson (Erw.2b).

    3.  Art. 8 ZGB und Art. 332 OR. Der Beweis dafür, dass die
Voraussetzungen für die Herabsetzung des Lohnanspruches vorliegen,
obliegt grundsätzlich dem Dienstherrn (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Durch Vertrag M 2300 verpflichtete sich die in Zürich
niedergelassene Meco Mechanical Corporation (MMC) gegenüber dem
Kriegsministerium der Vereinigten Arabischen Republik (VAR), in Aegypten
ein Flugzeug herzustellen. Das europäische Fachpersonal wurde von der
MMC angestellt und in Aegypten eingesetzt. Die MMC schloss mit dem
Kriegsministerium über jeden "Experten" einen "individual contract",
der vom Angestellten mitzuunterzeichnen war und in Art. VIII (aus dem
Englischen übersetzt) unter anderem bestimmt:

    "Dieser Vertrag wird am Tage ablaufen, an dem die Arbeitszeit
des Experten gemäss den im gleichen Vertrag festgesetzten Bedingungen
abgelaufen ist. Es ist jedoch vereinbart, dass die Gültigkeit dieses
Vertrages - irgendwann während seiner Ausführung - automatisch am Tage
aufhören wird, an dem die durch die MMC dem Ministerium gewährte technische
Hilfe gemäss den in Art. 1 Abs. 1V des Vertrages M 2300 beendet sein wird."

    Die MMC schloss zudem mit jedem Angestellten einen Dienstvertrag, der
unter Ziff. V über die Beendigung des Vertragsverhältnisses insbesondere
folgende Bestimmung enthält:

    "Für den Fall, dass die Tätigkeit des Angestellten in Ägypten aus
einem nicht von ihm selbst zu vertretenden Grund vor dem ... beendet
werden sollte, erklärt sich der Angestellte einverstanden, aus dem
Vertragsverhältnis zur Firma vorzeitig - und zwar zu dem Zeitpunkt,
zu welchem seitens der VAR-Regierung sein "individual contract" gelöst
oder nicht mehr erfüllt wurde - auszuscheiden, und dies unter Verzicht
auf weitere Ansprüche aus welchem Rechtsgrunde auch immer gegenüber der
Firma und/oder Dritten aus dem vorliegenden Dienstvertrag einschliesslich
Anhang über Einsatz in VAR (individual contract)."

    B.- Durch Dienstvertrag vom 16. September 1960 stellte die MMC Karl
Leitenmaier an, um ihn gegen ein monatliches Grundgehalt von Fr. 1080.--
als Vorarbeiter in Aegypten einzusetzen. Leitenmaier hatte zudem monatlich
einen Bonus für Auslandeinsatz von Fr. 162.-- sowie in ägyptischer Währung
einen Unterhaltsbeitrag von LE 90.- und eine Familienzulage von LE 20.-
zugute. Der dazu gehörende individuelle Vertrag sollte für die Zeit
vom 1. April 1961 bis 30. Juni 1963 gelten, sofern er nicht vorzeitig,
insbesondere gemäss den Bestimmungen von Art. VIII des Vertrages,
gekündigt würde.

    Am 28. November 1961 erklärte die MMC das Dienstverhältnis mit
Leitenmaier auf den 31. Dezember 1961 als beendet. Sie bezahlte ihm das
gesamte Gehalt für Dezember sowie das Grundgehalt für Januar und Februar
1962. Leitenmaier musste daraufhin Aegypten verlassen und sich in Europa
eine neue Arbeitsstelle suchen.

    C.- Mit Klage vom 28. Februar 1968 verlangte Leitenmaier unter
Berücksichtigung seines Ersatzeinkommens von der MMC Bezahlung des
vertraglichen Gehalts für die Zeit vom 1. März 1962 bis 30. Juni 1963 im
Betrage von Fr. 15 613.40 nebst Zins und Betreibungskosten.

    Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 11. Juli 1969 auch
das Obergericht des Kantons Zürich verurteilten die MMC zur Bezahlung des
eingeklagten Betrages nebst 5% Zins seit 28. Oktober 1966 und Fr. 19.20
Betreibungsspesen.

    D.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung
erklärt mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 1X des Dienstvertrages untersteht das Rechtsverhältnis
der Parteien schweizerischem Recht, soweit durch den Vertrag nichts
anderes bestimmt worden ist.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht führt aus, der Dienstvertrag sei auf eine
bestimmte Zeit abgeschlossen worden, da der individuelle Vertrag,
der einen Bestandteil des Anstellungsvertrages bilde, die Dauer des
Dienstverhältnisses genau angebe. Mit der Möglichkeit einer vorzeitigen
Auflösung des individuellen Vertrages durch die Regierung der VAR habe
die Beklagte gerechnet und sich für diesen Fall das Einverständnis des
Klägers mit der vorzeitigen Entlassung ausbedungen. Die Vereinbarung
einer solchen Beendigung des Dienstverhältnisses erscheine nach Art. 347
Abs. 3 OR aber jedenfalls dann als unzulässig, wenn die Herbeiführung
der Bedingung ins Belieben eines Dritten gestellt werde.

    Die Beklagte hält dem entgegen, der in Ziff. V des Anstellungsvertrages
vorgesehene Fall der sofortigen und entschädigungslosen Entlassung des
Angestellten auf Verlangen der ägyptischen Regierung sei im November 1961
eingetreten, was dem Kläger mitgeteilt worden sei. Eine solche Beendigung
des Dienstverhältnisses stütze sich nicht auf eine ordentliche Kündigung,
sondern sei einer Auflösung aus wichtigem Grunde gleichzustellen. Es
stehe den Parteien frei, einzelne Tatsachen, die nicht wichtige Gründe im
Sinne von Art. 352 OR seien, in einem Vertrag als solche zu bezeichnen und
für den Fall, dass sie vorlägen, eine vorzeitige und entschädigungslose
Auflösung des Vertrages vorzusehen. Darin sei entgegen der Annahme der
Vorinstanz nicht eine Vereinbarung zu erblicken, die den Beschränkungen
des Art. 347 Abs. 3 OR unterliege.

    a) Wie das Bundesgericht am 8. März 1967 in einem ähnlichen Fall i.S.
Eglauf ausgeführt hat, dürfen das Kündigungsrecht und der automatische
Hinfall des Dienstvertrages nur innerhalb der zwingenden Schranken des
Gesetzes geregelt werden. Eine solche Schranke bildet insbesondere Art. 347
Abs. 3 OR, der die Vereinbarung verschiedener Kündigungsfristen für den
Dienstherrn und den Dienstpflichtigen verbietet. Dieses Verbot kann nicht
dadurch umgangen werden, dass das Kündigungsrecht oder die automatische
Beendigung des Dienstverhältnisses von einer Bedingung abhängig gemacht
wird, deren Eintritt einseitig vom Willen des Dienstherrn abhinge. Eine
solche Bedingung würde es dem Dienstherrn erlauben, den Vertrag schon
auf einen Zeitpunkt zu beenden, auf den der Dienstpflichtige das nicht
tun könnte. Ein bedingtes Kündigungsrecht und eine bedingte automatische
Beendigung des Dienstverhältnisses dürfen nur vereinbart werden, wenn und
soweit der Eintritt der Bedingung vom Willen der Parteien nicht abhängt
oder beide Parteien ihn in gleicher Weise herbeiführen können.

    Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt. Der Kläger konnte eine
vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses nicht verlangen, und was die
Beklagte anbetrifft, so steht nach unwiderlegt gebliebenen Zeugenaussagen
fest, dass sie andere Facharbeiter aus Europa zur Ablösung bereithielt, als
der Kläger zusammen mit weiteren vierzehn Angestellten entlassen wurde. Das
war aber nur durch eine Absprache mit den ägyptischen Stellen möglich
und setzte das Einverständnis der MMC voraus. Diese wendet freilich ein,
die ägyptische Regierung habe die sofortige Entlassung des Klägers und
seiner Mitarbeiter verlangt und dagegen habe sie, die Beklagte, nichts
unternehmen können. Die Vorinstanz hielt diese Behauptung jedoch nicht
für erwiesen, weil die Beklagte es unterliess, hiefür Beweise anzugeben
und insbesondere nicht sagte, welches ägyptische Organ die Entlassung
verlangt habe, wann und wie das Begehren gestellt worden sei.

    Der Einwand geht übrigens fehl. Nach Art. 1V des individuellen
Vertrages konnte die ägyptische Fabrikleitung die sofortige Entlassung
eines Dienstpflichtigen nur verlangen, wenn erwiesen war, dass sich dieser
schlecht aufgeführt, unerlaubt politisch betätigt oder seine Pflichten
ernsthaft vernachlässigt hatte. Die Beklagte behauptet nicht, der Kläger
sei wegen solchen Verhaltens entlassen worden. Sie beruft sich vielmehr auf
die in Ziff. V des Anstellungsvertrages enthaltene Auflösungsklausel, in
der aber nur von einem sofortigen Ausscheiden des Angestellten "aus einem
nicht von ihm selbst zu vertretenden Grund" die Rede ist. Aus dem ebenfalls
angerufenen Art. VIII des individuellen Vertrages kann die Beklagte nichts
zu ihren Gunsten ableiten. Diese Bestimmung sah einen automatischen
Hinfall des Vertrages nur für den Fall vor, dass die MMC die der VAR
versprochene technische Hilfe vor Ablauf der im Vertrag angegebenen Dauer
des Dienstverhältnisses beendete. Das traf 1961 jedenfalls noch nicht zu.

    b) Die Vereinbarung der Parteien, das Dienstverhältnis auf Veranlassung
der ägyptischen Regierung vorzeitig und ohne Entschädigung zu beenden,
verstösst nicht nur gegen Art. 347 Abs. 3, sondern hält auch vor Art. 101
Abs. 3 OR nicht stand. Dienstherr war nicht die VAR, das sie vertretende
Kriegsministerium oder eine andere ägyptische Stelle, sondern die MMC, die
den Kläger durch die ägyptische Fabrikleitung vorzeitig entlassen hat. Die
Fabrikleitung war somit ihre Hilfsperson, für deren absichtliche Weigerung,
die Dienste des Klägers weiterhin anzunehmen, die Beklagte nach Art. 101 OR
einstehen muss. Dass es sich um die Organe eines staatlich kontrollierten
Unternehmens handelte, ändert nichts; es genügt, dass die Beklagte sich
ihrer zur Entlassung des Klägers bediente, die Fabrikleitung und die sie
beherrschenden staatlichen Organe zumindest mit Wissen gewähren liess
(vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 5 zu Art. 101 OR). Art. 101 Abs. 3 OR lässt
die Wegbedingung der Haftung für solches Verhalten der Hilfsperson nicht
zu, wenn der Verzichtende im Dienste der andern Vertragspartei steht.

    Der Beklagten wäre daher selbst dann nicht geholfen, wenn die
ägyptischen Behörden den individuellen Vertrag nicht nur jederzeit, sondern
entgegen dessen Wortlaut auch aus irgendeinem Grunde lösen durften oder,
wie in der Berufung ausgeführt wird, nicht mehr weiter erfüllten. Der
Einwand sodann, der Kläger habe jeweils einen Sechstel seines monatlichen
Grundgehalts als Ausgleich für das Risiko einer vorzeitigen Auflösung des
Dienstverhältnisses zurücklegen müssen, hilft über die Unzulässigkeit der
Vereinbarung nicht hinweg, ganz abgesehen davon, dass nicht zu ersehen ist,
wieso eine solche Rücklage ein (echter) Ausgleich für eine sofortige und
entschädigungslose Entlassung sein soll.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte macht ferner geltend, das Obergericht habe jedenfalls
Art. 8 ZGB verletzt, weil es über die Verdienstmöglichkeiten, die der
Kläger nach seiner Rückkehr von Aegypten gehabt habe, kein Beweisverfahren
durchführen liess; der Kläger hätte in Europa bedeutend mehr verdienen
können, als er im Verfahren angegeben habe. Entgegen der Annahme der
Vorinstanz sei zudem nicht die Beklagte, sondern der Kläger dafür
beweispflichtig, dass er angeblich keine besser bezahlte Stelle habe
finden können.

    Nach Art. 332 OR hat der zu Unrecht entlassene Dienstpflichtige einen
Lohnanspruch; er muss sich jedoch anrechnen lassen, was er an Auslagen
erspart, durch anderweitige Arbeit erworben oder zu erwerben absichtlich
unterlassen hat. Wie das Bundesgericht in BGE 78 II 444 ausgeführt hat,
ist es grundsätzlich Sache des Dienstherrn, die Voraussetzungen für eine
solche Herabsetzung des Lohnanspruches nachzuweisen. Er genügt in der
Regel aber dieser Pflicht, wenn er dartut, dass im betreffenden Beruf
allgemein Nachfrage nach Arbeitskräften bestand, der Entlassene folglich
bei gutem Willen sehr wahrscheinlich eine andere, ungefähr gleichwertige
Stelle hätte finden können.

    Einen solchen Nachweis hat die Beklagte nicht erbracht. Nach dem
angefochtenen Urteil hat sie sich vielmehr - unter Hinweis auf die von
der Gegenpartei vorgelegten Lohnausweise - mit der Behauptung begnügt,
dass der Kläger eine besser bezahlte Stelle hätte finden können. Sie will
freilich für ihre Behauptung vorsorglich auch Beweisanträge, insbesondere
auf Einholung einer Expertise, gestellt haben. Die Vorinstanz hielt ein
Gutachten aber offensichtlich für überflüssig, da der Kläger sich nicht
darauf habe verlassen können, den Minderverdienst von der Beklagten ersetzt
zu erhalten, folglich auch nicht das geringste Interesse daran gehabt
habe, sich mit einer schlechter entlöhnten Stelle zufrieden zu geben. Eine
so begründete Ablehnung von Beweisanträgen beruht auf vorweggenommener
Beweiswürdigung, die durch Art. 8 ZGB nicht ausgeschlossen wird (BGE 84
II 537, 90 II 309 lit. c).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (II.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 11. Juli 1969 bestätigt.