Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 II 314



96 II 314

43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1970
i.S. M. gegen Q. Regeste

    Vaterschaftsklage. Positiver und negativer Abstammungsbeweis (Art.
307 und 314 ZGB).

    Ergibt ein serologisches oder serostatisches Gutachten für oder gegen
die Vaterschaft Wahrscheinlichkeitswerte von 99,8 und mehr Prozent, dann
kann die Vaterschaft allein schon aufgrund dieses Gutachtens als mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen bzw. ausgeschlossen
gelten. Weitere Beweismittel, insbesondere die Einholung eines
anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens (AEG), erübrigen sich in
diesem Falle - es sei denn, dass aus ganz besondern Gründen Zweifel an der
Richtigkeit des Gutachtens angebracht sind; Mehrverkehr der Kindsmutter
ist jedoch kein besonderer Grund.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die am 16. November 1948 geborene Q. gebar am 15.  Dezember 1967
ausserehelich die Tochter A. Die gesetzliche Empfängniszeit dauerte vom
18. Februar bis 18. Juni 1967. In dieser Zeit hat M. der Kindsmutter
zweimal, nämlich am 23. und 25. März 1967, beigewohnt.

    B.- Am 29. Februar 1968 leitete die durch einen Beistand vertretene
A. beim Bezirksgericht Zürich gegen M. Klage ein und beantragte, der
Beklagte sei als ihr ausserehelicher Vater zu verpflichten, ihr bis zum
zurückgelegten 18. Altersjahr monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 120.--,
zuzüglich gesetzlicher oder vertraglicher Kinderzulagen, zu zahlen. Das
Bezirksgericht Zürich hiess die Klage gut, und das Obergericht schützte
dieses Urteil.

    Zur Begründung führte die Vorinstanz aus, der Beklagte habe der
Kindsmutter am 23. und 25. März 1967 beigewohnt. Demgemäss bestehe die
Vaterschaftsvermutung nach Art. 314 Abs. 1 ZGB. Unzüchtiger Lebenswandel
oder Mehrverkehr der Kindsmutter seien nicht nachgewiesen. Aufgrund des
Reifegrades (sowohl nach den Labhardtschen wie nach den Hosemann'schen
Tabellen) sei eine Empfängnis am 23. oder 25. März 1967 durchaus möglich
und halte sich im Rahmen einer vom Durchschnitt nur wenig abweichenden
Wahrscheinlichkeit. Die serologische Untersuchung habe die Vaterschaft
des Beklagten ebenfalls nicht ausgeschlossen. Die serostatistische
Wahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft nach Essen-Möller betrage 99,8
- 99,85%, die serologische Ausschlusswahrscheinlichkeit nach Riedwyl
99,3%. Bei dieser Sachlage habe der Beklagte keinen Anspruch auf die
Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens (AEG), denn
die Aussichten, damit in Einmann-Fällen und bei Fehlen von Anhaltspunkten
für Mehrverkehr den Beweis der Nichtvaterschaft zu erbringen, seien
ausserordentlich gering.

    C.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung an das Bundesgericht
eingelegt und beantragt, der Prozess sei zur Durchführung eines AEG
und zur nachherigen Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen,
eventuell seien die sich stellenden wissenschaftlichen Fragen durch eine
Oberexpertise abzuklären.

    Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte macht geltend, die Weigerung der Vorinstanz, ein
anthropologisch-erbbiologisches Gutachten (AEG) einzuholen, verstosse
gegen Bundesrecht, insbesondere gegen den Bundesgerichtsentscheid 91 II
159 ff., wonach ein Vaterschaftsbeklagter nach Erschöpfung aller andern
Beweismittel (insbesondere der Blutgruppen- und Tragzeitgutachten) zur
Erbringung des negativen Abstammungsbeweises ein AEG verlangen dürfe,
und zwar auch dann, wenn keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter
in der kritischen Zeit bestünden.

    Der heutige Fall unterscheidet sich aber von jenem, der BGE 91 II 159
zugrunde lag, in einem wesentlichen Punkte: Während damals die kantonalen
Gerichte lediglich ein Blutgruppen- und ein Tragzeitgutachten eingeholt
hatten, die beide den Beklagten nicht auszuschliessen vermochten,
stützte sich im vorliegenden Falle die Vorinstanz nicht nur auf die -
ebenfalls ergebnislosen - Blutgruppen- und Tragzeitbefunde, sondern
vor allem auch auf eine serostatistische Expertise nach ESSEN-MÖLLER,
die den Beklagten mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8 - 99,85% positiv
als Vater bezeichnete, sowie auf ein serologisches Gutachten nach RIEDWYL,
das eine Ausschlusswahrscheinlichkeit von 99,3% ergab (was besagt, dass in
99,3 von 100 gleichgelagerten Fällen ein Nichtvater durch die angeordnete
Blutgruppenuntersuchung ausgeschlossen worden wäre).

    Es ist somit zu prüfen, ob auf diese Wahrscheinlichkeitsrechnungen
abgestellt werden kann, d.h. ob serologische Befunde in Verbindung mit
entsprechend hohen serostatistischen Wahrscheinlichkeitswerten für sich
allein den Ausschluss oder die Bejahung der Vaterschaft rechtfertigen,
und ob in solchen Fällen von einem AEG abgesehen werden darf.

Erwägung 4

    4.- a) Die statistische Auswertung der Blut- und Serumgruppenbefunde
geht von der Verteilung der verschiedenen Blutmerkmale in der Bevölkerung
und den zu untersuchenden Personen aus und errechnet daraus die
Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft eines Mannes (HEGNAUER in Festgabe
Schwarz S. 58). Das Verfahren ergibt einen Hinweis auf die Vaterschaft,
wenn der Eventual-Vater ein Merkmal besitzt, welches auch beim Kinde
nachzuweisen ist. Der Hinweis wird erhöht, wenn die Mutter das Merkmal
nicht besitzt, und weiter erhöht, wenn die Anlage beim Eventual-Vater
reinerbig ist. Je seltener sich das Merkmal in der Bevölkerung findet,
umso höher werden die Hinweiswerte (PONSOLD, Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin, 1967 S. 551).

    Statistische Auswertungen werden heute vorwiegend nach der Methode
Essen-Möller durchgeführt (HEGNAUER, Kommentar, N 157 zu Art. 314/15
ZGB), die allerdings nicht unbestritten ist. Während HUMMEL sie als das
bestgeeignete Verfahren bezeichnet (Neue juristische Wochenschrift, 1964 S.
2192), stehen ihr andere Autoren eher skeptisch gegenüber (so z.B. VOGEL
in Neue juristische Wochenschrift, 1965 S. 1993, und SIEG in SJZ 1970
S. 217; vgl. auch HUMMEL, Die medizinische Vaterschaftsbegutachtung mit
biostatistischem Beweis, 1961 S. 46, und STAUDINGER, Kommentar zum BGB,
N 122 und 123 zu § 1717). Trotzdem wird in der Gerichtspraxis schon
seit längerer Zeit mit solchen Wahrscheinlichkeitswerten gearbeitet. In
Deutschland gilt heute folgende, nach Essen-Möller anhand der Tabellen von
HUMMEL und IHM berechnete Abstufung (vgl. PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 557,
und HEGNAUER, Kommentar, N 158 zu Art. 314/15 ZGB):

    Wahrscheinlichkeit: Vaterschaft:

    weniger als 0,2% = praktisch ausgeschlossen

    0,2 - 1% = höchst unwahrscheinlich

    1 - 5% = sehr unwahrscheinlich

    5 - 10% = unwahrscheinlich

    10 - 90% = unentschieden

    90 - 95% = wahrscheinlich

    95 - 99% = sehr wahrscheinlich

    99 - 99,8% = höchst wahrscheinlich

    mehr als 99,8% = praktisch erwiesen

    Namhafte deutsche Serologen vertreten die Ansicht, dass eine
Vaterschaft schon bei statistisch belegten Ausschlusswahrscheinlichkeiten
ab 95% (d.h. bei Fehlermöglichkeiten bis zu 5%) als praktisch unmöglich
bezeichnet werden könne (PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 575; dazu auch HUMMEL,
Die medizinische Vaterschaftsbegutachtung, 1961 S. 37). Das scheint
allerdings etwas weit zu gehen und kann jedenfalls für die Rechtsprechung
nicht als allgemeine Regel gelten (vgl. dazu auch HARRASSER in Neue
juristische Wochenschrift 1962 S. 661); doch braucht die Frage hier
nicht weiter geprüft zu werden.>

    b) Auch das Bundesgericht hat in Vaterschaftssachen wiederholt auf
Wahrscheinlichkeitswerte abgestellt, denn ein absolut sicherer Beweis ist
auf diesem Gebiet der Natur der Sache nach nicht möglich. Es muss daher
genügen, wenn die Vaterschaft bzw. der Ausschluss der Vaterschaft mit
praktischer Sicherheit, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
dargetan ist (BGE 87 II 70 und 94 II 80, beide mit Verweisungen). So
hat das Bundesgericht beim Vaterschaftsausschluss, d.h. beim negativen
Vaterschaftsbeweis, hinsichtlich der von ihm anerkannten serologischen
Ausschlussmethoden schon folgende Fehlermöglichkeiten in Kauf genommen:
System ABO: Fehlermöglichkeit weit unter 1:1000 (unter 0,1%); MN:
höchstens 1:500-1000 (0,1-0,2%); Rhesus: erheblich unter 1:1000 (0,1%);
Kell: wesentlich unter l:1000 (0,1%); Hp 1 und Hp2: Sicherheit in der
Grössenordnung von 99,9%; Duffy a: Sicherheit in der Grössenordnung
von 999é (vgl. die Zusammenstellung in BGE 94 II 85 mit den einzelnen
Verweisungen). Dass diese Fehlermöglichkeiten nicht theoretisch blieben,
zeigt ein Fall, wo ein serologisches Gutachten nicht nur den Vater,
sondern (wahrscheinlich infolge einer Genmutation) auch die Mutter
ausschloss (GERHARDT in SJZ 1965 S. 236). Fehler können sich auch in
Laboruntersuchungen ergeben, und zwar selbst dann, wenn das Blut zur
Kontrolle in zwei verschiedenen Instituten untersucht wird (dazu SIEG
in SJZ 1970 S. 219). Trotzdem hat das Bundesgericht jeweils gestützt
auf eine sehr hohe Ausschlusswahrscheinlichkeit die Vaterschaft des
Beklagten verneint.

    Zu beachten ist, dass sich die erwähnten, vom Bundesgericht
hingenommenen Fehlermöglichkeiten durchwegs auf Fälle bezogen, in denen
der Ausschluss nur mit einem Blutmerkmal bewiesen wurde. Die sog. sero-
oder biostatistische Methode dagegen erfasst verschiedene Blutfaktoren,
wodurch sich die Fehlermöglichkeiten erheblich vermindern.

Erwägung 5

    5.- Im vorliegenden Falle ist nun zu prüfen, ob durch ein serologisches
und serostatistisches Gutachten mit hinreichender Sicherheit auch ein
   positiver Vaterschaftsbeweis erbracht werden könne.

    a) Seit den sechziger Jahren wird versucht, aus den Blutgruppenbefunden
mit Hilfe des serostatistischen Verfahrens einen solchen Nachweis
abzuleiten (HUMMEL in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
1969 S. 20). Dies wurde ermöglicht durch die Entdeckung immer neuer
Blutmerkmale, die neben die klassischen Blutgruppen traten. So kann
im Einzelfall aufgrund der festgestellten Merkmalkonstellationen und
der statistischen Häufigkeit der einzelnen Merkmale in der Bevölkerung
unter Umständen eine so hohe Wahrscheinlichkeit der Erzeugerschaft eines
bestimmten Mannes ermittelt werden, dass der positive Vaterschaftsnachweis
als erbracht angesehen werden muss (ERMANN, Kommentar zum BGB, N 4 a zu §
1717; STAUDINGER, Kommentar zum BGB, N 109 zu § 1717; PONSOLD, Lehrbuch,
1967 S. 582/83).

    Obschon auch hier der Praxis Enttäuschungen nicht erspart blieben (vgl.
SIEG in SJZ 1970 S. 216), wird heute das serostatistische Gutachten in
Deutschland als taugliches Mittel für den positiven Vaterschaftsbeweis
anerkannt. Während beim serologischen Vaterschaftsbeweis die Vererbung
als gesichert gilt, wenn sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8%
(genauer 99,73) erwiesen ist (PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 583; vgl. dazu
auch die Besprechung des Buches von GRUMBRECHT, Der Beweis der offenbaren
Unmöglichkeit der Vaterschaft, in Deutsche Juristenzeitung 1968 S. 607),
wird für die Schlüssigkeit des serostatistischen Gutachtens in der Regel
eine Wahrscheinlichkeit von 99% verlangt: Nach HUMMEL kann der Richter
bei solchen Werten von der Vaterschaft des Beklagten überzeugt sein
(Neue juristische Wochenschrift 1964 S. 2194), und nach GRUMBRECHT
(aaO) ist bei dieser Wahrscheinlichkeit praktisch jeder andere Mann
von der Vaterschaft ausgeschlossen (vgl. auch PONSOLD, Lehrbuch, 1967
S. 583). Verschiedene deutsche Gerichte haben sich dieser Auffassung
angeschlossen und angenommen, dass bei einer serostatistisch ermittelten
Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99% und mehr die Vaterschaft als
praktisch gesichert gelte, selbst wenn Mehrverkehr der Kindsmutter
nachgewiesen ist und die Mehrverkehrer nicht in die Begutachtung einbezogen
werden können (dazu HUMMEL in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
1969 S. 21 und 22, mit Hinweis auf die deutsche Judikatur).

    b) Wie für den Beweis der Nicht-Vaterschaft, so muss auch für
den positiven Vaterschaftsnachweis eine an Sicherheit grenzende
Wahrscheinlichkeit genügen. Welchen Grad der Zuverlässigkeit die
Ergebnisse einer naturwissenschaftlichen Untersuchung aufweisen können
und welcher Grad im konkreten Fall erreicht wird, ist eine Frage, die
der Sachverständige zu beantworten hat. Der kantonale Richter prüft die
Expertise auf ihre Schlüssigkeit, soweit er dazu in der Lage ist. Findet
der Sachverständige, der zu beweisende Sachverhalt sei mit an Sicherheit
grenzender Wahrschemlichkeit dargetan, und übernimmt der kantonale Richter
diese Schlussfolgerung, so prüft das Bundesgericht auf Berufung hin nur,
ob es angesichts der Grundlagen, auf welche sich der Schluss stützt,
vertretbar sei, eine derartige Wahrscheinlichkeit anzunehmen, oder ob die
Vorinstanz den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
und damit die bundesrechtlichen Anforderungen an den zu leistenden Beweis
verkannt habe (BGE 94 II 80-82 mit Verweisungen; vgl. dazu auch PONSOLD,
Lehrbuch, 1967 S. 568/69).

    Im vorliegenden Fall wurde für den Beklagten die
Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach Essen-Möller mit 99,8-99,85% errechnet.
Nach dem Gutachten des gerichtlich-medizinischen Instituts der Universität
Zürich besagt dieser Wert, dass der Beklagte "höchst wahrscheinlich" der
Vater der Klägerin ist, dass die Vaterschaft "als praktisch erwiesen
betrachtet werden" kann. Angesichts der fachlichen Qualitäten des
Sachverständigen und der Tatsache, dass der nach Essen-Möller ermittelte
Wahrscheinlichkeitsgrad durch eine serologische Berechnung nach Riedwyl
weitgehend bestätigt wurde, durfte die Vorinstanz auf dieses Gutachten
abstellen. Wenn sie auf dieser Grundlage die Vaterschaft des Beklagten
(sinngemäss) als praktisch, d.h. als mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit erwiesen annahm, so ist darin nach dem Gesagten keine
Verletzung von Bundesrecht zu erblicken.

    Dabei kann offen bleiben, ob beim positiven serostatistischen
Vaterschaftsnachweis schon Wahrscheinlichkeitswerte von 99% oder erst
solche von 99,8% und mehr das Prädikat der "an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit" verdienen, denn im vorliegenden Fall ist ohnehin der
höhere Wert erreicht.

Erwägung 6

    6.- Zu prüfen bleibt, ob der Beklagte trotz des erbrachten positiven
Vaterschaftsnachweises noch berechtigt sei, zum Gegenbeweis ein AEG zu
verlangen. Die Beantwortung dieser Frage hängt vom allgemeinen Beweiswert
des AEG und von dessen Beweiskraft im Verhältnis zum serologischen und
serostatistischen Gutachten ab.

    a) Das AEG schliesst aus Zahl und Bedeutung der morphologischen
Merkmale, in denen das Kind, von der Mutter abweichend, dem Vater ähnlich
oder unähnlich ist, mit einer graduell bewertbaren Wahrscheinlichkeit
auf die Vaterschaft oder Nicht- Vaterschaft eines bestimmten Mannes. Die
meisten Merkmale, mit denen der Gutachter arbeitet, sind deskriptiv,
metrisch nicht erfassbar, alters-, umwelts- und geschlechtsabhängig,
in der Ausprägung unterschiedlich und im Erbgang oft unabgeklärt. Die
Einzelwertung und die gesamte Beurteilung sind deshalb wesentlich
gefühlsmässig (HEGNAUER in Festgabe Schwarz S. 58 und in ZSR 1965 II S. 83;
auch HUMMEL in Neue juristische Wochenschrift 1964 S. 2192; PONSOLD,
Lehrbuch, 1967 S. 564 und 584).

    Je nachdem ob das Kind mehr Ähnlichkeiten mit der Mutter oder dem
Vater aufweist, sind verschieden sichere Entscheidungen möglich; je mehr
es seiner Mutter ähnelt, desto schmaler wird die Basis der Beweiskraft
für die Vaterschaftsermittlung (SIEG in SJZ 1970 S. 241 und SJZ 1967
S. 53). Da die Beurteilungskriterien schwanken, kommt es nicht selten zu
unterschiedlichen Aussagen verschiedener Sachverständiger (HEGNAUER in
ZSR 1965 II S. 83). Als z.B. das Oberlandesgericht Köln einmal von vier
verschiedenen Professoren über denselben Fall ein AEG einholte, wurde der
Beklagte vom einen Experten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
und vom zweiten mit grosser Wahrscheinlichkeit als Vater bezeichnet,
während die übrigen beiden Experten seine Vaterschaft als in hohem
Grade unwahrscheinlich erklärten (Monatsschrift für deutsches Recht 1964
S. 466). In Deutschland wurden auch schon wiederholt durch serologische
Befunde Männer als Erzeuger ausgeschlossen, die früher aufgrund eines
AEG in positivem Sinne als Erzeuger bezeichnet worden waren (HUMMEL in
Neue juristische Wochenschrift 1964 S. 2192). All das hatte zur Folge,
dass das AEG etwas an Kredit verlor - in Ostdeutschland sogar so viel,
dass es dort nicht mehr als alleiniges Beweismittel gewertet wird. Die
Rechtsprechung Westdeutschlands scheint sich die bisherige Wertschätzung
indessen noch weitgehend bewahrt zu haben (HUMMEL, aaO). Auch das
Bundesgericht hat im Entscheid 91 II 164 dem AEG noch den Rang eines
vollwertigen Beweismittels zuerkannt und ausgeführt, es sei geeignet,
"in Einzelfällen" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also
mit einem rechtsgenügenden Grad der Sicherheit, den negativen Beweis der
Nichtabstammung oder auch den positiven Beweis der Abstammung des Kindes
vom betreffenden Manne zu erbringen; die wissenschaftliche Tauglichkeit
der Methode stehe heute fest.

    Es besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, auf diese Rechtsprechung
zurückzukommen. In der Tat kann das AEG wertvolle Dienste leisten,
vor allem wenn Merkmale mit dominantmendelndem Erbgang zu untersuchen
sind (PFANNENSTIEL in SJZ 1953 S. 103). Anderseits ist aber nicht
zu übersehen, dass es weitgehend auf subjektiven Wertungen basiert -
(es "steht und fällt mit der Person des Sachverständigen"; vgl. PONSOLD,
Lehrbuch, 1967 S. 565) - und dass die schweizerischen Gerichte sich bisher
(anders als bei den Blut- und Serumgruppengutachten) jeweils mit einem AEG
begnügten, so dass eine Kontrollmöglichkeit fehlte. Dies berechtigt doch zu
einer gewissen Zurückhaltung gegenüber dem AEG; seine Tauglichkeit dürfte
sich auch fernerhin "auf Einzelfälle" beschränken. Insbesondere kommt dem
Einmann-Gutachten, bei dessen Erstattung kein Mehrverkehrszeuge beigezogen
werden kann, nur begrenzter Beweiswert zu (STAUDINGER, Kommentar zum BGB, N
135 zu § 1717 mit Verweisungen; Urteil des Bundesgerichtshofes, zitiert in
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1964 S. 153). Nur ausnahmsweise
erreicht es derartige Beweiskraft, dass seine Bedeutung durch kein anderes
Beweismittel in Frage gestellt werden kann (OEPEN in Neue juristische
Wochenschrift 1970 S. 501). Ein kategorischer Vaterschaftsausschluss, wie
ihn das ABO-System und die Blut- und Rhesusfaktoren in bestimmten Fällen
erlauben, ist mit den anthropologischen Merkmalen sehr selten (PFANNENSTIEL
in SJZ 1953 S. 105; BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, Vaterschaftgutachten
für die gerichtliche Praxis, 1956 S. 127).

    b) Dem serologischen Gutachten wird in der Regel eine höhere
Beweiskraft zugemessen als dem AEG. SIEG scheint gegenüber dieser
Regel allerdings Bedenken zu haben. Er meint, einem serologischen
Vaterschaftsausschluss dürfe im Falle einer gegensätzlichen
Schlussfolgerung des AEG nicht unbedingt ein grösseres Beweisgewicht
beigemessen werden (SJZ 1970 S. 219). Auch BAITSCH vertritt die Ansicht,
dass erbbiologische Gutachten nicht grundsätzlich einen geringeren
Beweiswert besitzen (PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 565). Die herrschende Lehre
und Rechtsprechung aber schätzt ganz allgemein die Beweiskraft des AEG
geringer ein als die des serologischen Gutachtens (Für die schweizerische
Rechtsprechung und Lehre: BGE 94 II 81, 91 II 164; HEGNAUER in Festgabe
Schwarz S. 59. Für die deutsche Lehre: BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE,
Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, 1956 S. 15 und 137;
STAUDINGER, Kommentar zum BGB, N 106 zu § 1717; PONSOLD, Lehrbuch der
gerichtlichen Medizin, 1967 S. 584. Für die deutsche Rechtsprechung:
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1965 S. 452; Neue juristische
Wochenschrift 1965 S. 351. Für die österreichische Rechtsprechung:
Neue juristische Wochenschrift 1966 S. 991). Angesichts der erwähnten
Unsicherheitsfaktoren des AEG ist dieser Meinung beizutreten. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung soll denn auch in Fällen, in denen
ein serologischer Befund den Beklagten mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit als Vater ausschliesst, kein AEG mehr eingeholt werden
(BGE 88 II 397 ff.). In der Literatur wird diese Auffassung mehrheitlich
geteilt (HEGNAUER in Festgabe Schwarz S. 61; HUMMEL, Die medizinische
Vaterschaftsbegutachtung..., 1961 S. 36; derselbe in Zeitschrift für das
gesamte Familienrecht 1969 S. 20; BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, aaO S.
133; PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 587 und 559).

    c) Was für das serologische (sich oft nur auf einen einzelnen
Blutfaktor stützende) Gutachten gilt, muss sinngemäss auch für das
   serostatistische Gutachten Geltung haben, das sich in der
Regel auf mehrere Blutfaktoren bezieht. Einem serostatistischen
Ausschlussbefund ist demnach höhere Beweiskraft zuzuerkennen als einem
entgegenstehenden AEG. Ebenso muss einem serostatistischen Gutachten,
das die Vaterschaft des Beklagten mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8
oder mehr Prozent bejaht, der Vorrang eingeräumt werden gegenüber einem
gegenteilig lautenden AEG gleichen Wahrscheinlichkeitsgrades. Ob auf
die Einholung eines AEG auch schon dann verzichtet werden kann, wenn die
serostatistische Wahrscheinlichkeit bloss 99% beträgt (so die deutsche
Lehre und Rechtsprechung; vgl. HEGNAUER, Kommentar N 202 zu Art. 314/15
ZGB; HUMMEL in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1969 S. 21; Neue
juristische Wochenschrift 1965 S. 351; PONSOLD, Lehrbuch, 1967 S. 559
und 583), braucht hier nicht entschieden zu werden.

    d) Zusammenfassung: Ergibt demnach ein serologisches oder
serostatistisches Gutachten für oder gegen die Vaterschaft
Wahrscheinlichkeitswerte von 99,8 und mehr Prozent, dann kann die
Vaterschaft allein schon aufgrund dieses Gutachtens als praktisch, d.h. mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen bzw. ausgeschlossen
betrachtet werden. Weitere Beweismittel, insbesondere die Einholung
eines AEG, erübrigen sich in diesem Falle - es sei denn, dass aus ganz
besonderen Gründen (z.B. ungewöhnliche Umstände bei der Blutentnahme,
unterschiedliche Laborbefunde bei der Untersuchung des Blutes in
verschiedenen Instituten oder offensichtliche Rassenmerkmale) Zweifel an
der Richtigkeit des Gutachtens angebracht sind. Mehrverkehr der Kindsmutter
in der gesetzlichen Empfängniszeit ist jedoch kein besonderer Grund und
kann gegenüber einem Gutachten mit so hohem Wahrscheinlichkeitsgrad nicht
zu Zweifeln Anlass geben. Anthropologisch-erbbiologische Gutachten sind
also grundsätzlich erst einzuholen, wenn die verfügbaren Beweismittel
erschöpft sind, ohne zu einwandfreien Feststellungen geführt zu haben,
und wenn vom AEG weitere Aufklärung zu erwarten ist (vgl. auch PONSOLD,
Lehrbuch, 1967 S. 587; BEITZKE/HOSENMANN/DAHR/SCHADE, Vaterschaftsgutachten
für die gerichtliche Praxis, 1956 S. 20; PFANNENSTIEL in SJZ 1953 S. 105
und SJZ 1954 S. 220 mit Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes;
HEGNAUER in Festgabe Schwarz S. 61).

Erwägung 7

    7.- Im vorliegenden Prozess hat das serostatistische Gutachten, an
dessen Richtigkeit nicht zu zweifeln ist, zu einem für die Gerichtspraxis
genügend sicheren Ergebnis geführt und die Vaterschaft des Beklagten
mit einem so hohen Wahrscheinlichkeitsgrad bejaht, dass ein AEG keinen
schlüssigen Gegenbeweis mehr erbringen könnte. Anders als im Falle des
BGE 91 II 159, wo mangels eines schlüssigen serologischen Befundes ein
AEG - je nachdem wie es ausfiel - den Prozessausgang noch entscheidend
zu beeinflussen vermochte, muss hier angenommen werden, dass ein solches
Gutachten an der Beweislage nichts mehr ändern könnte. Wenn deshalb die
Vorinstanz durch antizipierte Beweiswürdigung die Einholung eines AEG
als überflüssig ablehnte, so hat sie damit nicht Bundesrecht verletzt.

    Selbst wenn man dem AEG gleich starke Beweiskraft beimessen würde wie
einem serologischen oder serostatistischen Gutachten, könnte dies dem
Beklagten nicht helfen. Denn das AEG könnte in dem für ihn günstigsten
Falle seine Vaterschaft nur mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit
ausschliessen, mit der das serostatistische Gutachten sie bejaht hat
(ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit als 99,8 - 99,85% ist hier für
das AEG praktisch nicht denkbar). In diesem Falle müsste das Gericht
zu einem "non liquet" gelangen und davon ausgehen, dass ein sehr hoher
Wahrscheinlichkeitsbeweis weder in der einen noch in der andern Richtung
zu führen sei (SIEG in SJZ 1970 S. 219). Damit bliebe es aber bei der
allgemeinen Vaterschaftsvermutung des Art. 314 ZGB, was ebenfalls zur
Gutheissung der Klage führen müsste. Es rechtfertigte sich deshalb auch
unter diesem Gesichtspunkt, von der Einholung eines AEG abzusehen.

    Die Einholung einer Expertise über die Beweiskraft des AEG im
Verhältnis zum serostatistischen Gutachten kann unterbleiben, da
eine solche nach dem Gesagten am Ausgang des Verfahrens selbst dann
nichts ändern könnte, wenn sie dem AEG die gleiche Beweiskraft wie dem
serostatistischen Gutachten beimessen würde.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (II.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 26. Mai 1970 bestätigt.