Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 III 83



96 III 83

14. Entscheid vom 9. Oktober 1970 i.S. Spar- und Leihkasse Schmerikon in
Liq. und Oettli. Regeste

    Verwertung eines Grundstücks im Konkurs vor Erledigung der Prozesse
über die Kollokation von Grundpfandforderungen (Art. 128 Abs. 2
VZG). Voraussetzungen, unter denen die Aufsichtsbehörde eine solche
vorzeitige Verwertung bewilligen darf. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
Fall, dass der auf dem Grundstück geführte Geschäftsbetrieb mangels
Deckung der Grundpfandzinsen durch das Betriebsergebnis vor der Verwertung
geschlossen werden müsste, wenn mit der Verwertung bis zur Erledigung
der Kollokationsprozesse zugewartet würde. Einfluss der Verwertung auf
den Zinsenlauf.

Sachverhalt

    In dem am 1. Dezember 1969 eröffneten Konkurse über die Hobet AG in
Herisau bewilligte die kantonale Aufsichtsbehörde am 11. September 1970
auf Gesuch des Konkursverwalters in Anwendung von Art. 128 Abs. 2 VZG
die vorzeitige Verwertung der im Eigentum der Gemeinschuldnerin stehenden
Liegenschaft Bad Horn in Horn TG.

    Die Spar- und Leihkasse Schmerikon in Liq. und Willy Oettli, über
deren Grundpfandforderungen im 7. und 10. bezw. 8., 9., 11. und 13. Rang
Kollokationsprozesse schweben, haben diesen Entscheid an das Bundesgericht
weitergezogen mit dem Antrag, er sei aufzuheben.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist die Rekurse ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Werden an einem im Konkurs zu verwertenden Grundstück
Pfandrechte oder andere beschränkte dingliche Rechte geltend gemacht,
so darf die Verwertung nach Art. 128 Abs. 1 VZG selbst im Falle der
Dringlichkeit erst stattfinden, nachdem das Kollokationsverfahren über
diese Rechte durchgeführt ist und allfällige Kollokationsprozesse erledigt
sind. Ausnahmsweise können nach Art. 128 Abs. 2 VZG die Aufsichtsbehörden
die Versteigerung schon vorher bewilligen, wenn keine berechtigten
Interessen verletzt werden.

    Ein Ausnahmefall im Sinne von Art. 128 Abs. 2 VZG ist nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich dann gegeben, wenn ganz
besondere Umstände eine unverzügliche Verwertung fordern, die Verwertung
als "überdringlich" erscheinen lassen (BGE 72 III 29, 75 III 102, 78
III 79, 80 III 80, 88 III 25 E. 2, 37 E. 4). Ist diese Voraussetzung
erfüllt, so können nur besonders wichtige Interessen die Verweigerung
der Bewilligung zur vorzeitigen Verwertung rechtfertigen. Der Entscheid
darüber, ob die vorzeitige Verwertung nach diesen Grundsätzen im einzelnen
Falle gerechtfertigt sei, liegt weitgehend im Ermessen der kantonalen
Aufsichtsbehörden. Das Bundesgericht kann in diesem Punkte nur eingreifen,
wenn die kantonalen Behörden die erwähnten Grundsätze verkannt oder bei
ihrer Anwendung das ihnen zustehende Ermessen überschritten haben (BGE
88 III 25 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz die für die Anwendung von
Art. 128 Abs. 2 VZG massgebenden Grundsätze nicht verkannt, sondern sich
von diesen Grundsätzen leiten lassen. Sie hat das ihr zustehende Ermessen
nicht überschritten, indem sie fand, die Gefahr einer Schliessung des auf
dem Grundstück geführten Betriebs könne wegen der durch diese Massnahme
bedingten Werteinbusse einen Grund für die vorzeitige Verwertung bilden
(vgl. BGE 80 III 81), und es ist auch nicht zu beanstanden, dass sie
annahm, diese Gefahr bestehe im vorliegenden Falle, wenn der Betrieb nur
mit Verlust fortgeführt werden könne; denn nach den in diesem Punkte nicht
bestrittenen Angaben des Konkursverwalters verfügt die Masse nicht über
die Mittel, die zur Deckung solcher Verluste nötig wären.

    Die Führung des Hotels Bad Horn verursachte in der Zeit vom
1. November 1969 bis 31. Juli 1970 ohne Berücksichtigung der in dieser
Zeit aufgelaufenen Grundpfandzinsen einen Verlust von Fr. 6257.70. Dem
Rekurrenten Oettli kann nicht zugegeben werden, dass ein Verlust in dieser
Grössenordnung die Schliessung des Betriebs nicht zu rechtfertigen
vermöchte, weil er in einem Grossbetrieb mit entsprechend grossem
Umsatz entstanden sei und "in gar keinem Verhältnis" zu den von der
Konkursverwaltung zu erhaltenden Werten stehe. Beim Fehlen finanzieller
Reserven kann die Konkursverwaltung zur Schliessung des Betriebs gezwungen
sein, auch wenn der eingetretene Verlust im Verhältnis zum Umsatz nicht
hoch und - wie Oettli weiter behauptet - "eher zufällig bedingt" ist.

    Grösseres Gewicht haben an sich der Einwand Oettlis, eine
Renditenberechnung sollte auf ein ganzes Jahr abstellen und dürfe beim
in Frage stehenden Betrieb namentlich den Monat August und den Frühherbst
nicht ausser Betracht lassen, sowie der Hinweis Oettlis auf das nach seiner
Darstellung von ihm am Tage der II. Gläubigerversammlung (31. August 1970)
dem Konkursverwalter unterbreitete Angebot, das Hotel auf den 1. Dezember
1970 zu einem angemessenen Zins zu pachten und durch einen Geranten auf
eigene Rechnung betreiben zu lassen. (Dieser Hinweis ist nach Art. 79
Abs. 1 Satz 2 OG zu hören, da sich die Grundpfandgläubiger im kantonalen
Verfahren zum Gesuch des Konkursverwalters um Bewilligung der vorzeitigen
Verwertung nicht äussern konnten.) Könnte erwartet werden, dass die
Betriebsergebnisse des Monats August und der darauf folgenden Monate
den bis Ende Juli 1970 eingetretenen Verlust ausgleichen, und liessen
sich neue Rückschläge durch eine Verpachtung des Betriebs vermeiden, so
könnte sich die Schliessung des Betriebs erübrigen und liesse sich die
vorzeitige Verwertung des Grundstücks nicht mit der Gefahr einer durch
die Schliessung des Betriebs verursachten Werteinbusse begründen.

    Die Vorbringen Oettlis schlagen jedoch deshalb nicht durch, weil sie
die Grundpfandzinsen ausser Betracht lassen. Dass sich aus dem Ertrag
des für Rechnung der Konkursmasse geführten Hotelbetriebs oder aus dem
in Aussicht gestellten Pachtzins neben den laufenden Unkosten auch die
Grundpfandzinsen bestreiten liessen, behauptet Oettli selbst nicht und
kann nicht angenommen werden. Die Grundpfandzinsen müssen aber bei einer
normalen Geschäftsführung aus dem Betrieb herausgewirtschaftet werden. Weil
das hier nicht möglich ist und der Betrieb deshalb vor Erledigung der
- wahrscheinlich noch längere Zeit dauernden - Kollokationsprozesse
geschlossen werden müsste, drängt sich die vorzeitige Verwertung auf.

    Die Vorinstanz ist freilich der Ansicht, das Weiterlaufen der
Grundpfandzinsen lasse sich durch die vorzeitige Verwertung nicht
verhindern. Sie übersieht dabei, dass bei pfandgesicherten Forderungen
zwar nicht die Konkurseröffnung (Art. 209 SchKG), wohl aber die Verwertung
den Zinsenlauf gegenüber dem Gemeinschuldner unterbricht (JAEGER N. 6 zu
Art. 219 SchKG). Die fälligen Grundpfandzinsen sind (soweit nach Art. 818
Abs. 1 Ziff. 3 ZGB pfandgesichert) aus dem Verwertungserlös vorweg zu
decken (Art. 135 Abs. 1 a.E. und Art. 259 SchKG, Art. 46 und 130 Abs. 1
VZG). Die vom letzten Zinstermin bis zum Steigerungstag laufenden Zinsen
der überbundenen Pfandforderungen werden dem Ersteigerer auf Abrechnung
am Zuschlagspreis überbunden, sofern die Steigerungsbedingungen nicht
ausdrücklich etwas anderes bestimmen (Art. 48 Abs. 1 und 130 Abs. 1
VZG; vgl. hiezu Ziff. 9 der vorgedruckten Steigerungsbedingungen im
Formular VZG Nr. 13 K, Protokoll der Grundstücksteigerung). Von der
Versteigerung an hat der Erwerber die ihm überbundenen Kapitalschulden
zu verzinsen. Soweit die grundpfandgesicherten Kapitalschulden dem
Erwerber nicht überbunden, sondern durch Zahlung aus dem Verwertungserlös
getilgt werden, laufen von der Versteigerung an keine Zinsen mehr. Auch
grundpfandgesicherte Kapitalschulden oder Teile von solchen, die durch
den Verwertungserlös nicht gedeckt werden, so dass das dafür bestehende
Grundpfandrecht untergeht (Art. 74 KV, Art. 68 lit. b und 130 Abs. 1
VZG), sind von der Versteigerung an nicht mehr zu verzinsen, da sie
nun eben nicht mehr pfandgesichert sind. Soweit das Kapital und die bis
zur Versteigerung aufgelaufenen Zinsen einer Grundpfandschuld durch den
Verwertungserlös nicht gedeckt werden, sind sie, wenn der Gemeinschuldner
dafür persönlich haftet, in 5. Klasse zu kollozieren (Art. 219 Abs. 4
SchKG). Alle diese Regeln gelten im Falle der vorzeitigen Verwertung auch
für die Forderungen, die erst nach der Verwertung zugelassen werden. Die
vorzeitige Verwertung verhindert also die Belastung der Konkursmasse mit
weitern Grundpfandzinsen.

    Ist die Verwertung der streitigen Liegenschaft aus den dargelegten
Gründen im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 128 VZG besonders dringlich,
so vermag das von den Rekurrenten geltend gemachte Interesse daran,
als allfällige Bieter vor der Steigerung über den Bestand ihrer eigenen
und der diesen vorgehenden dinglichen Rechte orientiert zu sein, die
Verweigerung der vorzeitigen Verwertung nicht zu rechtfertigen (BGE 68
III 113 E. 1, 72 III 31, 75 III 103 E. 1, 78 III 79/80 E. 1). Dass durch
diese Massnahme nicht bloss das erwähnte Interesse, sondern Interessen
von besonderer Bedeutung verletzt würden, wird nicht behauptet und ist auf
Grund der vorliegenden Akten auch nicht anzunehmen. Insbesondere sind keine
Tatsachen ersichtlich, "die eine ordnungsgemässe Verwertung vor Beendigung
des Kollokationsstreites überhaupt unmöglich machen oder doch die Erzielung
eines sachentsprechenden Erlöses in Frage stellen" könnten (BGE 78 III 80).

    Mit der Bewilligung der vorzeitigen Verwertung hat demnach die
Vorinstanz das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten.