Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 I 451



95 I 451

65. Auszug aus dem Urteil vom 1. Oktober 1969 i.S. X. und Bank
Y. gegen Vereinigte Staaten von Amerika, Bezirksanwaltschaft Zürich und
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Akteneinsichtsrecht des Geschädigten im Strafverfahren. Art. 4 BV.

    Rechtliches Interesse als Voraussetzung des Akteneinsichtsrechts
(Erw. 3 b).

    Verhältnis des Akteneinsichtsrechts zum Bankgeheimnis (Erw. 3 c).

Sachverhalt

    Gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom
31. Juli 1969, gegen den sich die im Urteil Nr. 64 (S. 439 ff.) beurteilte
staatsrechtliche Beschwerde des N. richtete, haben auch X. und die Bank Y.
mit zum Teil abweichender Begründung eine staatsrechtliche Beschwerde
eingereicht, die vom Bundesgericht ebenfalls abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) ...

    b) Die Beschwerdeführer behaupten, die USA hätten kein rechtliches
Interesse an der Akteneinsicht. In der Tat kann Akteneinsicht
nur verlangen, wer ein rechtliches Interesse daran hat, die Akten
einzusehen. Da das Einsichtsrecht eines Prozessbeteiligten mit dem
Anspruch auf rechtliches Gehör im Zusammenhang ist (BGE 83 I 155) und
der richtigen Ausübung des Äusserungsrechts dient, ist ein Interesse
zu bejahen, wenn die Prozesspartei berechtigt ist, sich gegenüber der
Behörde zu äussern (TINNER, aaO S. 349). Es ist ausser Frage, dass den
USA als einem Geschädigten dieses Äusserungsrecht zusteht; das ergibt
sich aus verschiedenen Vorschriften der StPO (vgl. §§ 10, 192, 280,
395, 423, 425). Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet kann deshalb nicht
behauptet werden, es fehle ein rechtliches Interesse der USA. Dass die
Akteneinsicht für die Abklärung der allenfalls in den USA begangenen
Straftaten nicht notwendig sein soll. wie es die Beschwerdeführer
behaupten, ist unerheblich. Nicht deshalb wird dem Rechtsvertreter der
USA Akteneinsicht gewährt, damit er für einen amerikanischen Strafprozess
Beweismaterial sammeln kann, sondern damit er sich als Vertreter des
Geschädigten ein Bild machen kann über die Aktenlage des schweizerischen
Prozesses und gestützt darauf seine Parteirechte wirksam zu wahren in
der Lage ist. Es ist deshalb auch unwesentlich, ob die amerikanischen
Gerichte das Beweismaterial, das ihnen auf Grund der Akteneinsicht
vermutlich zugänglich gemacht wird, "formgerecht" verwenden könnten,
wie sich die Beschwerdeführer ausdrücken. Die Rüge, die kantonalen
Instanzen hätten mit der Gewährung der Akteneinsicht zumindest bis zur
Anklageerhebung zuwarten müssen, ist unbegründet. Die StPO beschränkt
das Recht auf Akteneinsicht in zeitlicher Hinsicht nicht, und im übrigen
kann es für den Geschädigten gerade im Stadium vor dem Entscheid über
Einstellung oder Anklageerhebung wichtig sein, sich über das Beweismaterial
orientieren zu können, um seine Rechte wirksam zur Geltung zu bringen.

    c) Die Beschwerdeführer behaupten, die amerikanischen Behörden
wollten in Wirklichkeit bloss erfahren, ob und wenn ja wohin gewisse
Gelder aus amerikanischen Firmen abgeflossen seien, und erkunden, ob eine
Durchlöcherung des Bankgeheimnisses auf diesem Weg möglich sei. Es ist in
der Tat denkbar, dass jemand das Bankgeheimnis zu umgehen sucht, indem er
gegen eine bestimmte Person grundlos Strafanzeige einreicht und sich auf
dem Weg über die Akteneinsicht die Kenntnisse zu verschaffen sucht, die
zu erlangen ihn sonst das Bankgeheimnis hindern würde. Auf diese Gefahr
wurde in Publikationen mit Recht hingewiesen. Die Strafgerichtsbehörden
haben deshalb im Einzelfall mit aller Sorgfalt zu prüfen, ob mit einer
Strafanzeige eine Umgehung bezweckt wird und gegebenenfalls Missbräuchen
den Riegel zu schieben. Indessen hat die Staatsanwaltschaft mit Grund
ausgeführt, der Einwand des X., das vorliegende Strafverfahren sei von den
amerikanischen Behörden nur vom Zaun gerissen worden, um an Bankdokumente
heranzukommen, die sonst nicht eingesehen werden könnten, sei nachgerade
leichtfertig. Es ergibt sich in der Tat mit genügender Deutlichkeit aus den
Untersuchungsakten, dass die Strafanzeige von den USA nicht missbräuchlich
eingereicht wurde, wobei durchaus offen bleibt, wie das durch die Anzeige
eingeleitete Strafverfahren letztlich ausgehen wird. Die Behauptung der
Beschwerdeführer, den USA werde es auf Grund der angefochtenen Verfügung
leicht gemacht, das Bankgeheimnis auf dem Umweg über eine Strafanzeige zu
lüften, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführer übersehen, dass es
sich um den Sonderfall handelt, in dem ein fremder Staat, wie behauptet
wird, durch eine dem gemeinen Strafrecht unterstehende Tat unmittelbar
geschädigt wurde (vgl. S. 449 hievor).