Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 I 356



95 I 356

53. Auszug aus dem Urteil vom 17. September 1969 i.S. Achermann gegen
Kriminalgericht und Obergericht des Kantons Luzern Regeste

    Kantonaler Strafprozess, notwendige Verteidigung, Öffentlichkeit
der Verhandlung.

    § 33 Abs. 3 Ziff. 1 luzern. StPO, wonach der Angeklagte in
Kriminalfällen vor Kriminalgericht und Obergericht durch einen gewählten
oder amtlichen Verteidiger verteidigt werden muss,

    -  verstösst nicht gegen die persönliche Freiheit (Erw. I 1 und 2);

    - ist vereinbar mit § 20 Abs. 1 KV, wonach es jedem Bürger freigestellt
ist, seine Rechtssachen persönlich zu verfechten (Erw. I 3).

    Aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung (§ 168 StPO)
folgt, wie ohne Willkür angenommen werden kann, kein Recht der Zuhörer,
an der Verhandlung Bild- oder Tonaufnahmen zu machen (Erw. II).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- § 20 Abs. 1 der luzern. KV lautet:

    "Jedem Bürger ist freigestellt, seine Rechtssachen entweder persönlich
zu verfechten oder deren Verfechtung nach Massgabe eidgenössischer oder
kantonaler Gesetze andern zu übertragen".

    Die luzern. StPO vom 3. Juni 1957 enthält im Unterabschnitt über die
"Parteien" u.a. folgende Bestimmungen (Fassung vom 26. Januar 1965):

    "§ 33. Verteidiger.

    1 Die Verteidigung wird besorgt durch die im Kanton Luzern zur
Berufsausübung zugelassenen Anwälte und die amtlichen Verteidiger.

    2 Der Angeschuldigte muss verteidigt werden:

    1.  in Kriminalfällen vor Kriminalgericht und Obergericht;

    2.  in den übrigen Strafsachen vor Amtsgericht und Obergericht,
wenn der Gerichtspräsident die Verteidigung als notwendig erachtet;

    3.  im Untersuchungsverfahren nach gewährter Akteneinsicht, wenn der
Amtsstatthalter die Verteidigung als notwendig erachtet.

    § 34. Amtliche Verteidigung.

    1 Beauftragt der Angeschuldigte in den Fällen von § 33 Abs. 3 nicht
selber einen Verteidiger oder lehnt der von ihm bezeichnete Anwalt die
Verteidigung ab, so bestellt der Amtsstatthalter oder der Präsident des
Gerichts, bei dem die Sache hängig ist, einen amtlichen Verteidiger.

    ...

    4 Dem Wunsch des Angeschuldigten auf einen bestimmten amtlichen
Verteidiger ist stattzugeben, wenn keine wichtigen Gründe dagegen sprechen.
Lehnt der Angeschuldigte die Verteidigung durch einen gewählten amtlichen
Verteidiger aus wichtigen Gründen ab, so kann ihm ein amtlicher Verteidiger
aus dem Kreis der Anwälte bestellt werden.

    Ferner bestimmt die StPO im Unterabschnitt über die
"Gerichtsverhandlung" in

    "§ 168. Öffentlichkeit.

    1 Die Verhandlung ist öffentlich.

    2 Das Gericht schliesst die Öffentlichkeit aus, soweit eine Gefährdung
der öffentlichen Ordnung, der Sittlichkeit oder der Staatssicherheit zu
befürchten ist. Es kann auch in diesem Falle Angehörigen des Angeklagten
den Zutritt gestatten".

    B.- Der Beschwerdeführer Anton Achermann ist Inhaber der "Hofgalerie"
in Luzern. Im Sommer 1967 stellte er diese einem Jelle de Boer zur
Ausstellung von van Gogh-Bildern zur Verfügung, deren Echtheit in der Folge
bezweifelt wurde. Dies führte zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen
Achermann. Nachdem er unter der Anklage des gewerbsmässigen Betruges dem
Kriminalgericht des Kantons Luzern überwiesen worden war, fasste dieses
am 18. April 1969 einen Beschluss, durch den es die Verhandlung auf den 3.
Oktober 1969 festsetzte und u.a. bestimmte:

    "3. Es wird davon Kenntnis genommen, dass sich der Angeklagte selber
verteidigen will, indem er sich auf § 20 der Staatsverfassung beruft.

    5. Das Gesuch des Angeklagten um Zulassung des Fernsehens anlässlich
der Kriminalgerichtsverhandlung wird abgewiesen. Das Photographieren im
Gerichtsgebäude ist verboten".

    Achermann führte gegen diesen Beschluss Beschwerde mit dem Antrag,
Ziffer 5 dahin abzuändern, dass die Beteiligung des Fernsehens sowie der
Photoreporter innerhalb des Gerichtsgebäudes zuzulassen sei.

    Das Obergericht des Kantons Luzern wies die Beschwerde am 6. Mai 1969
ab; ferner hob es Ziffer 3 des Beschlusses von Amtes wegen auf und wies
den Kriminalgerichtspräsidenten an, dem Beschwerdeführer einen amtlichen
Verteidiger zu bestimmen, sofern er innert einer ihm zu setzenden Frist
keinen Verteidiger beauftrage. Zur Begründung dieses Entscheids führte
es im wesentlichen aus:

    a) Das Obergericht habe in einem Beschluss vom 31.  Oktober 1963
das Photographieren im kantonalen Gerichtsgebäude sowie in den Räumen
der Amtsgerichte an Sitzungstagen gestützt auf §§ 10 GOG, 32 ZPO und 38
StPO in der Erwägung untersagt, dass es den Gerichtsbetrieb störe und
zudem Persönlichkeitsrechte der am Prozess beteiligten oder beim Gericht
tätigen Personen verletzen könne. Hieran habe sich das Kriminalgericht
mit seinem Entscheid gehalten. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der
Gerichtsverhandlung habe seinen Grund und Zweck in der Kontrolle der
Rechtspflege durch die Öffentlichkeit, und den gleichen Sinn habe das
Recht der Tagespresse auf Gerichtsberichterstattung. Weit darüber hinaus
ginge die Zulassung von Radio und Fernsehen zur Gerichtsverhandlung; diese
erhielte dadurch einen Grad der Publizität, der mit der Kontrolle der
Justiz durch die Öffentlichkeit nicht mehr zu rechtfertigen sei, sondern
primär dem Sensationsbedürfnis der Menge diene. Photoreportagen hätten
mit der öffentlichen Verfahrenskontrolle überhaupt nichts zu tun.

    b) Dagegen verstosse Ziffer 3 des Beschlusses des Kriminalgerichts
gegen § 33 Abs. 3 Ziff. 1 StPO, wonach der Angeklagte in Kriminalfällen
vor Kriminalgericht und Obergericht verteidigt werden müsse. Die Berufung
des Beschwerdeführers auf § 20 Abs. 1 KV gehe fehl. Dass die Bestellung
eines Offizialverteidigers mit § 20 KV vereinbar sei, entspreche einer
seit über hundert Jahren vertretenen Auffassung. Die notwendige formelle
Verteidigung gelte im modernen Strafprozessrecht geradezu als unerlässlich.

    C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Anton Achermann,
der Entscheid des Obergerichts vom 6. Mai 1969 sei aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    I. - Der Beschwerdeführer beanstandet in erster Linie, dass
ihm das Obergericht das Recht abspricht, sich an der Verhandlung vor
Kriminalgericht selber zu verteidigen. Er erblickt hierin eine Verletzung
der in § 5 KV gewährleisteten persönlichen Freiheit sowie des § 20 KV.

Erwägung 1

    I.1.- Die Garantie der persönlichen Freiheit gehört nach heute
herrschender Auffassung dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an
(BGE 89 I 98 E. 3, 90 I 34 E. 3). Die entsprechenden Garantien in den
kantonalen Verfassungen haben keine selbständige Bedeutung, sofern sie
nicht weiter gehen als die bundesrechtliche Gewährleistung. Dass dies
für § 5 KV zutreffe, behauptet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. In
BGE 90 I 34 E. 3 a hat das Bundesgericht unter Hinweis auf seine frühere
Rechtsprechung die grundlegende Bedeutung der persönlichen Freiheit für
die Ausübung der andern Freiheitsrechte betont. Aus dieser zentralen
Stellung und der Tatsache, dass die andern Freiheitsrechte nicht nur
den menschlichen Körper, sondern auch ideale Werte schützen, hat das
Bundesgericht abgeleitet, die persönliche Freiheit gewährleiste ausser
der körperlichen Integrität und der Bewegungsfreiheit auch die dem Bürger
eigene Fähigkeit, eine bestimmte Lage zu würdigen und danach zu handeln
(BGE 90 I 36). Ob und inwieweit die persönliche Freiheit auch das Recht
des Angeklagten, sich im Strafprozess selbst zu verteidigen, umfasse,
kann dahingestellt bleiben, da im vorliegenden Falle die persönliche
Freiheit selbst dann nicht verletzt ist, wenn ein solches aus dieser
Freiheit folgendes Recht des Angeklagten anzuerkennen ist.

Erwägung 2

    I.2.- Die persönliche Freiheit ist kein unbeschränktes Recht. Ein
Eingriffin sie ist zulässig, wenn er aufgesetzlicher Grundlage beruht,
im öffentlichen Interesse liegt und die persönliche Freiheit weder völlig
unterdrückt noch ihres Gehaltes entleert (BGE 90 I 36/37, 91 I 34 E. 2).

    a) Das Obergericht stützt sich auf § 33 Abs. 3 Ziff. 1 StPO, wonach
der Angeschuldigte in Kriminalfällen vor Kriminal- und Obergericht
"verteidigt werden muss". Aus dieser Vorschrift und aus § 34 Abs. 1, der
in den Fällen von § 33 Abs. 3 die Bestellung eines amtlichen Verteidigers
vorschreibt, sofern der Angeschuldigte nicht selber einen Verteidiger
beauftragt, ergibt sich klar, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung
vor Kriminalgericht durch einen gewählten oder amtlichen Verteidiger
verteidigt werden muss. Sein Einwand, § 33 Abs. 3 Ziff. 1 beziehe sich
nur auf das Untersuchungsverfahren, keinesfalls auf die Verteidigung vor
Gericht, geht offensichtlich fehl. § 33 steht entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers nicht im Abschnitt über das "Untersuchungsverfahren" (§§
49-157), sondern im "Allgemeinen Teil" (§§ 1-48), dessen Vorschriften,
soweit es ihr Wortlaut und Sinn zulässt, im ganzen Bereich der StPO
anzuwenden sind, also auch auf das "Gerichtsverfahren" (§§ 158-192). Wenn
§ 33 Abs. 3 Ziff. 1 ausdrücklich die Verteidigung "in Kriminalfällen
vor Kriminalgericht" vorschreibt, so kann dies übrigens nicht anders
verstanden werden, als dass der Angeschuldigte an der Verhandlung vor
diesem Gericht verteidigt sein muss.

    b) Hieran besteht auch ein hinreichendes öffentliches Interesse. Nach
der heute herrschenden Rechtsauffassung liegt in der Bestellung eines
besondern, von der Person des Angeklagten verschiedenen Verteidigers in
wichtigen Kriminalfällen nicht bloss eine Rechtswohltat zugunsten des
Angeklagten, auf die er verzichten kann; vielmehr ist diese Verteidigung
im öffentlichen Interesse geboten, und zwar nicht nur, um einen geordneten
Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten, sondern vor allem zur Erreichung
des Zwecks des Verfahrens, d.h. um es dem Gericht zu ermöglichen, die
Wahrheit zu finden und ein gerechtes Urteil zu fällen (THORMANN, Über
die amtliche Verteidigung, ZBJV 40/1904 S. 257 ff.; PFENNINGER, Probleme
des schweiz. Strafprozessrechtes, 1966, S. 147 ff.; LÖWE-ROSENFELD,
Kommentar der deutschen StPO, 21. Aufl. 1963 N. I/1 zu § 140). Der
moderne Anklageprozess verlangt grundsätzlich einen dem Staatsanwalt
gleichgestellten Verteidiger, der alles vorbringt, was zugunsten des
Angeklagten vorzubringen ist.

    Der Beschwerdeführer wendet zu Unrecht ein, er verfüge über die
nötigen Rechtskenntnisse, um sich selber zu verteidigen. Eine gute
und richtige Verteidigung setzt die Unbefangenheit des Verteidigers
voraus. Diese Unbefangenheit aber geht dem Angeklagten, der sich
selber verteidigt, in der Regel ab, und zwar erfahrungsgemäss auch
dann, wenn er rechtskundig ist. Denn es besteht auch dann die Gefahr,
dass er wesentliche Entlastungsmomente übersieht oder unterschätzt und
dafür andere, denen in Wirklichkeit nur geringe oder überhaupt keine
Bedeutung zukommt, überschätzt. Wohl sollen die Untersuchungsbehörden
und Strafgerichte alles, was zur Entlastung des Angeschuldigten dient,
von Amtes wegen abklären und berücksichtigen. Allein dieses Gebot genügt
oft nicht, um alles, was zu seinen Gunsten spricht, beizuziehen und dem
Gericht bewusst zu machen und damit ein richtiges und gerechtes Urteil zu
gewährleisten. An den Vorschriften moderner Strafprozessordnungen, nach
welchen dem Angeklagten in schweren Straffällen auch gegen seinen Willen
ein Verteidiger zu geben ist, bestehen daher hinreichende öffentliche
Interessen, die schwerer wiegen als das Interesse, das der Angeschuldigte
an einer selbständigen Verteidigung haben kann.

    c) Schliesslich kann auch nicht gesagt werden, dass das System der
notwendigen Verteidigung die Freiheit des Angeklagten völlig unterdrücke
oder ihres Gehaltes entleere.

    Sollte der Beschwerdeführer, wie er andeutet, im Falle der Abweisung
der staatsrechtlichen Beschwerde einen privaten Verteidiger beauftragen,
so kann er sich mit diesem über die Wahrung seiner prozessualen
Rechte verständigen und ist eine Verletzung der persönlichen Freiheit
ausgeschlossen. Eine solche Verletzung kann nicht etwa darin erblickt
werden, dass dem Beschwerdeführer aus der Bestellung eines privaten
Verteidigers Kosten erwachsen.

    Sollte der Beschwerdeführer dagegen nicht selber einen Anwalt
beauftragen oder der von ihm gewünschte amtliche Verteidiger das Amt
ablehnen, so könnte es dazu kommen, dass ein ihm nicht genehmer Anwalt
als amtlicher Verteidiger ernannt würde (vgl. § 34 StPO). Allein auch
dadurch würde die persönliche Freiheit nicht verletzt. Selbst wenn
sich der Beschwerdeführer weigern sollte, mit dem amtlichen Verteidiger
zusammenzuarbeiten, hat dieser die Möglichkeit, ihn richtig und wirksam
zu verteidigen, während es anderseits dem Beschwerdeführer unbenommen
bleibt, durch eigene Vorkehren und Vorbringen diejenigen des amtlichen
Verteidigers, der mehr als Beistand denn als Vertreter zu betrachten ist,
zu ergänzen. Welches das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und einem
ihm gegen seinen Willen bestellten Verteidiger im Strafverfahren ist,
braucht auch abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer im Falle der
Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde einen privaten Verteidiger zu
beauftragen gedenkt, hier nicht näher untersucht zu werden. Bemerkt sei
lediglich, dass § 66 StPO den "Parteien", also auch dem Angeklagten
selber, das Recht gibt, die Akten einzusehen und Anträge zu stellen,
und dass der Angeklagte nach § 179 Abs. 4 StPO "das letzte Wort"
hat. Wenn § 179 Abs. 1 StPO bestimmt, dass das Wort an dritter Stelle
"dem Verteidiger oder dem Angeklagten, wenn er sich selbst verteidigt",
zu erteilen ist, so bezieht sich die Alternative des Selbstverteidigung
wohl auf das Verfahren vor dem Amtsgericht, wo (ausser im Falle von §
33 Abs. 3 Ziff. 2) kein Verteidiger bestellt werden muss und oft auch
vom Angeklagten kein solcher beigezogen wird. Doch gewährleistet der
gesetzliche Anspruch auf das letzte Wort dem Angeklagten durchaus das
Recht, alles vorzubringen, was nach seiner Auffassung erforderlich ist,
um das Plädoyer und die allfällige Duplik des Verteidigers durch Darlegung
seines eigenen Standpunktes zu ergänzen. Dem Beschwerdeführer bleiben
somit seine Verteidigungsrechte in allen wesentlichen Punkten auch dann
gewahrt, wenn ihm ein amtlicher Verteidiger bestellt werden sollte.
Sollten seine Verteidigungsrechte im Laufe des Gerichtsverfahrens wider
Erwarten verletzt werden, so hat er sich dannzumal mit den dafür zur
Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu wehren. Der Nachteil der Bestellung
eines amtlichen Verteidigers besteht für den Angeklagten im wesentlichen
darin, dass er gegebenenfalls selbst im Falle des Freispruchs für dessen
Kosten aufzukommen hat (§ 277 in Verbindung mit § 270 Abs. 2 StPO). Darin
liegt jedoch keine Verletzung der persönlichen Freiheit.

Erwägung 3

    I.3.- Zu prüfen bleibt, ob die notwendige formelle Verteidigung,
wie sie § 33 Abs. 3 StPO vorsieht, vereinbar ist mit § 20 KV, der in
Abs. 1 bestimmt, es sei jedem Bürger freigestellt, seine Rechtssachen
entweder persönlich zu verfechten oder deren Verfechtung nach Massgabe
eidgenössischer oder kantonaler Gesetze andern zu übertragen. Das
Obergericht bejaht dies unter Hinweis auf die StPO von 1865 und eine über
100 Jahre alte Praxis. Der Beschwerdeführer bestreitet eine solche Praxis
und behauptet, die StPO von 1865 habe das Recht auf Selbstverteidigung
anerkannt.

    § 20 Abs. 1 KV geht zurück auf die KV von 1841, deren § 20 (wie dann
auch § 21 der KV von 1848) in Abs. 1 und 2 bestimmte:

    "Jedem Bürger ist freigestellt, seine Rechtssachen entweder persönlich
zu verfechten oder deren Verfechtung Andern zu übertragen.

    Allfällige Beschränkungen hinsichtlich der Übertragung von
Rechtsgeschäften an Andere, welche Beschränkungen das öffentliche Wohl
fordern sollte, wird das Gesetz aufstellen".

    Aus den vom Bundesgericht beigezogenen Materialien zur KV von 1841
ergibt sich, dass es beim Erlass dieser Bestimmungen nicht so sehr um
den Verzicht auf den "Anwaltszwang" ging, als um die Ablehnung der von
verschiedener Seite verlangten "Freigabe der Advokatur". Der Bericht der
vom Verfassungsrat eingesetzten Siebzehner-Kommission zur Vorberatung
des Verfassungsentwurfs enthält dazu folgende Erläuterung:

    "Das Institut eines ausschliesslichen Advokatenstandes ist erst
eine Erfindung neuerer Zeit. Es lassen sich Gründe dafür und Gründe
dagegen angeben; aber das Volk will auch hier mehr Freiheit und klagt
über bittere Erfahrung. Der Gesetzgebung bleibt es aber anheimgestellt,
diese Freiheit der Verteidigung in Rechtssachen gehörig einzuschränken,
wenn das öffentliche Wohl dies erfordern sollte. Die Erfahrung wird
hierüber die Lehrmeisterin sein".

    Es sollte somit in Abs. 1 festgehalten werden, dass niemand
verpflichtet sei, sich vor Gericht eines Advokaten zu bedienen,
während Abs. 2 zum Ausdruck bringt, dass der Gesetzgeber diesen
Grundsatz einschränken könne. Dagegen findet sich weder in den
erwähnten Erläuterungen noch im Protokoll der Verhandlungen des
Verfassungsrates ein Anhaltspunkt dafür, dass mit § 20 ein absolutes
Recht zur Selbstverteidigung in Strafsachen in der Verfassung verankert
werden sollte.

    Der Gesetzgeber hat denn auch in der StPO von 1865 nicht nur das
Amt des öffentlichen Verteidigers geschaffen (§ 7), sondern gleichzeitig
bestimmt, dass dieser (in Kriminalfällen) dem Angeklagten angewiesen werde,
wenn er keinen Verteidiger bezeichne oder kein von ihm Bezeichneter die
Verteidigung übernehme (§ 174)... Die Auffassung des Beschwerdeführers,
die StPO von 1865 habe die notwendige Verteidigung noch nicht gekannt
bzw. dem Angeklagten die Möglichkeit eingeräumt, sich ausschliesslich
selbst, ohne Beizug eines öffentlichen oder gewählten Verteidigers zu
verteidigen, ist angesichts der klaren Ordnung der StPO von 1865 als
unhaltbar zu bezeichnen.

    Bei der Revision der KV im Jahre 1875 ist Abs. 2 des § 21 der KV von
1848 freilich gestrichen worden. Der Beschwerdeführer behauptet aber
selbst nicht, dass mit dieser Streichung eine materielle Änderung des
damaligen Rechtszustandes beabsichtigt war. Es ist deshalb anzunehmen,
dass auch unter der KV von 1875 der Gesetzgeber die Freiheit behielt, das
Recht der Bürger zur ausschliesslichen Selbstverteidigung in Strafsachen
einzuschränken. Die §§ 33 und 34 der StPO von 1957 sind etwas weniger
kategorisch formuliert als der § 174 der StPO von 1865 und als die 1965
revidierten §§ 33 und 34 StPO, doch ist die KV seit 1875 die gleiche
geblieben. Das erlaubt den Schluss, dass § 20 KV den kantonalen Gesetzgeber
nicht hindert, in Kriminalfällen eine Verbeiständung des Angeklagten
durch einen gewählten oder einen amtlichen Verteidiger vorzuschreiben,
auf die der Angeklagte nicht verzichten kann.

Erwägung 3

    II.- Der Beschwerdeführer hat unter Berufung auf den in § 168 StPO
aufgestellten Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung verlangt, das
Fernsehen sowie Photoreporter seien zur Gerichtsverhandlung zuzulassen. Das
Obergericht hat dieses Begehren in Übereinstimmung mit dem Kriminalgericht
abgewiesen. Das Bundesgericht kann die Auslegung des § 168 StPO nur
unter dem beschränkten Gesichtswinkel des vom Beschwerdeführer denn auch
angerufenen Art. 4 BV überprüfen, also nur daraufhin, ob die Auffassung
des Obergerichts gegen den klaren Wortlaut und Sinn verstosse oder eine
rechtsungleiche Behandlung darstelle.

Erwägung 1

    II.1.- § 168 StPO, wonach die Verhandlung öffentlich ist, bezieht sich,
wie ohne jede Willkür angenommen werden kann, nur auf die unmittelbare
Öffentlichkeit und bedeutet, dass zur Gerichtsverhandlung jedermann Zutritt
hat, soweit in dem für Zuhörer bestimmten Teil des Gerichtssaals Platz
vorhanden ist. Dagegen begründet § 168 StPO kein Recht der Zuhörer,
an der Gerichtsverhandlung Bild- oder Tonaufnahmen zu machen. Das
Gericht verfügt aufgrund der Gerichtspolizei über die Gerichtsräume
und kann, mangels besonderer Vorschrift, allgemein oder im Einzelfall
bestimmen, ob und wieweit Photographieren sowie Ton- und Filmaufnahmen
im Gerichtsgebäude zugelassen oder verboten sind. In diesem Sinne wird
der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung auch von der deutschen
Rechtsprechung und herrschenden Lehre verstanden (BGHSt 10, 202 und 16,
112; LÖWE-ROSENFELD aaO Einleitung S. 139 und Anm. 4 i vor § 226 StPO,
die Bemerkungen zu § 169 GVG sowie Anm. 4 zu § 176 GVG); bei der Revision
des deutschen GVG am 19. Dezember 1964 erhielt § 169 sogar einen Zusatz,
der Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum
Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts
ausdrücklich verbietet. Ein entsprechendes, auch das blosse Photographieren
umfassendes Verbot enthält der französische Code de procédure pénale in
den Art. 308, 403 und 535.

    Weder der Beschwerdeführer als zukünftiger Angeklagter noch die Zuhörer
selbst können daher aus § 168 StPO ein Recht auf Ton- oder Bildaufnahmen
an der Gerichtsverhandlung ableiten. Erst recht besteht kein Anspruch der
"Öffentlichkeit", d.h. eines weiteren Publikums, durch Bildreportagen in
der Presse oder im Fernsehen über den Verlauf der Gerichtsverhandlung
unterrichtet zu werden. Mit Recht betont PFENNINGER (aaO S. 41), dass
Bildberichterstattung, Rundfunk und Fernsehen mit der Kontrolle der
Strafrechtspflege, die durch die Öffentlichkeit der Verhandlung gesichert
werden soll, nichts zu tun haben und deshalb abzulehnen sind.

    Die Abweisung des Begehrens des Beschwerdeführers ist daher
jedenfalls aus dem Gesichtspunkt der Willkür nicht zu beanstanden. Von
rechtsungleicher Behandlung könnte nur die Rede sein, wenn das
Obergericht in andern Fällen Bild- oder Tonaufnahmen gestattet
hätte. Das hat der Beschwerdeführer aber nicht behauptet und noch
weniger darzutun versucht. Der blosse Umstand, dass die Presse die
Verhaftung des Beschwerdeführers u.a. aufgrund einer Pressekonferenz
des Untersuchungsbeamten bekannt gemacht hat, bildet keinen Grund, den
§ 168 StPO im Falle des Beschwerdeführers weiter als in andern Fällen
auszulegen. Wird der Beschwerdeführer freigesprochen, so kann er wegen der
durch die Strafuntersuchung erlittenen Unbill gegebenenfalls Entschädigung
oder Genugtuung nach § 280 StPO verlangen.....