Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 84



95 IV 84

22. Urteil des Kassationshofes vom 18. August 1969 i.S Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen Huber. Regeste

    Überholen.

    1.  Art. 35 Abs. 1 und 2 SVG. Im Sinne des Gesetzes überholt ein
Fahrer, wenn er einem andern Fahrzeug, das sich vor ihm in gleicher
Richtung, aber langsamer bewegt, links oder rechts vorfährt (Erw. 1).

    2.  Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VR V. Auf der Autobahn ist das
Rechtsüberholen auch dann verboten, wenn der Vorausfahrende den linken
Fahrstreifen nicht freigibt (Erw. 2).

    3.  Art. 90Ziff. 2 SVG. Fall einer groben Missachtung des Verbotes,
rechts zu überholen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Der 30jährige Peter Huber fuhr am 13. Februar 1968 bei
einbrechender Dämmerung mit seinem Personenwagen "Volvo" auf der Autobahn
N 3 von Horgen Richtung Zürich. Er schloss rasch zu einem "Peugeot"-
Personenwagen auf, der, vom 64jährigen Jakob Siegwart geführt, zum
Überholen eines Lastzuges ansetzte. Huber folgte ihm in der Absicht,
beide Fahrzeuge in einem Zuge zu überholen. Auf der Höhe des Lastzuges
gab er Siegwart mit den Scheinwerfern Lichtsignale, um ihn zur Freigabe
des linken Fahrstreifens zu veranlassen; er will die Signale noch
zwei- oder dreimal wiederholt haben, ohne dass Siegwart die linke Spur
verliess. Huber bog daraufhin vor dem Lastzug auf die rechte Spur ein und
fuhr dem "Peugeot"-Wagen im Augenblick, als Siegwart wieder einschwenken
wollte, rechts vor.

    Siegwart erstattete gegen Huber Strafanzeige. Er erklärte, er sei
schon vor Horgen mit der dort signalisierten Höchstgeschwindigkeit von
100 km/Std gefahren und habe diese auch beim Überholen des Lastzuges
beibehalten. Huber bestritt, vor oder während des Überholmanövers eine
höhere Geschwindigkeit gehabt zu haben; er hielt der Anzeige zudem
entgegen, Siegwart sei hartnäckig links gefahren und habe ihm die linke
Spur nicht freigegeben. Laut seinen ersten Aussagen war Huber zwischen
100 und 150, nach den spätern Angaben zwischen 100 und 250 m vom Lastwagen
entfernt, als er dem "Peugeot"-Wagen rechts vorfuhr.

    B.- Beide Personenwagenführer wurden der groben Verletzung von
Verkehrsregeln angeklagt, Huber weil er den "Peugeot" rechts überholt,
Siegwart weil er die Fahrt trotz dem unmittelbar folgenden "Volvo" mit
links gestelltem Blinker auf der linken Spur fortgesetzt habe.

    Das Bezirksgericht Horgen erklärte Huber am 18. September 1968 im Sinne
der Anklage schuldig und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2
SVG zu 600 Franken Busse. Siegwart sprach es frei. Das Bezirksgericht
nahm an, Siegwart habe beim Überholen des Lastzuges wohl übervorsichtig
gehandelt; es sei aber in keiner Weise erwiesen, dass er den Angeklagten
Huber vor dem Wiedereinbiegen habe behindern wollen.

    C.- Auf Berufung des Verurteilten sprach das Obergericht des Kantons
Zürich Huber am 27. März 1969 ebenfalls frei.

    Das Obergericht begründet den Freispruch vor allem damit, Überholen
im Sinne des SVG bedeute stets ein Ausschwenken und Wiedereinbiegen
in der Absicht, ein auf gleicher Fahrbahn langsamer fahrendes Fahrzeug
hinter sich zu lassen; dadurch unterscheide sich das Überholen vom blossen
Vorbeifahren. Der Angeklagte Huber sei vor dem "Peugeot" nicht wieder auf
die linke Spur eingeschwenkt; er habe somit nicht überholt, sondern sei
bloss im Sinne von Art. 8 Abs. 3 VRV, der auch für den Verkehr auf der
Autobahn gelte, an einem andern Fahrzeug vorbeigefahren. Die Anwendung
dieser Bestimmung auf den Autobahnverkehr habe keine besonderen Gefahren
zur Folge, da der Führer gemäss Art. 44 Abs. 1 SVG den Fahrstreifen nur
wechseln dürfe, wenn er dadurch den übrigen Verkehr nicht gefährde. Das
Vorbeifahren rechts an einem andern Fahrzeuge müsse daher auf Strassen
mit mehreren Fahrstreifen immer dann gestattet sein, wenn es zu keiner
Störung des Verkehrs Anlass gebe. Einzig diese Auslegung werde dem Art. 8
Abs. 3 VRV für den Verkehr auf Autobahnen gerecht.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts
aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten Huber nach Art. 90
Ziff. 2 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    E.- Huber beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Überholen im Sinne des Strassenverkehrsrechtes setzt entgegen
der Auffassung des Obergerichts nicht voraus, dass der Führer vor
dem Vorfahren ausbiege und nachher wieder einschwenke. Gewiss beginnt
der Überholvorgang in der Regel mit dem Ausbiegen und endet mit dem
Wiedereinschwenken; diese Bewegungen gehören jedoch nicht notwendig zum
Begriff des Überholens. Das Überholen besteht darin, dass ein Fahrzeug
einem andern, das sich vor ihm in gleicher Richtung, aber langsamer bewegt,
links oder rechts vorfährt. Ein Überholen liegt daher z.B. schon vor,
wenn ein Fahrzeug einem andern, das nach links eingespurt hat, rechts
vorfährt, also weder auszubiegen noch wieder einzuschwenken braucht. Das
Gesetz spricht diesfalls denn auch selber von Überholen (Art. 35 Abs. 6
SVG). Ebenso überholt, wer von links her auf eine Strasse einbiegt und
dort einem andern vorfährt, ohne vorher hinter ihm angeschlossen zu haben,
oder wer nach dem Vorfahren vorschriftswidrig links bleibt.

    Dieser Begriff des Überholens lag schon dem alten Recht zugrunde,
und das neue hat daran nichts geändert (s. Komm. STREBEL, N. 21 zu Art. 26
MFG; Komm.

BADERTSCHER/SCHLEGEL zum SVG, 2. Auflage, S. 103). Eine Änderung ist
insbesondere nicht darin zu erblicken, dass in Art. 8 Abs. 3 VRV bloss
von Vorbeifahren die Rede ist. Diesem Ausdruck, den das neue Recht
sonst vor allem für das Umfahren von Hindernissen verwendet (Art. 35
Abs. 2 SVG, Art. 7 Abs. 3, 19 Abs. 3 und 37 Abs. 2 VRV), kommt neben
dem Begriff Überholen keine selbständige Bedeutung zu; das erhellt am
besten aus den romanischen Texten, wo er sehr verschieden wiedergegeben
wird. Übrigens galten die Regeln über das Überholen unter der Herrschaft
des MFG sinngemäss auch für das Vorbeifahren an Hindernissen (BGE 76 IV 132
Erw. 2), und das neue Recht macht in Art. 35 Abs. 2 SVG die Zulässigkeit
dieser beiden Verkehrsvorgänge von den gleichen Voraussetzungen abhängig.

    Indem Huber dem "Peugeot"-Wagen rechts vorfuhr, hat er daher ein
anderes Fahrzeug im Sinne des Gesetzes überholt.

Erwägung 2

    2.- Die Verkehrsordnung beruht insbesondere auf den Geboten, dass
rechts zu fahren und links zu überholen ist (Art. 34 Abs. 1 und 35
Abs. 1 SVG). Diesen beiden Grundregeln entspricht, dass der Führer auf
Strassen mit mehreren Fahrstreifen, ausser beim Überholen, Einspuren
und beim Fahren in parallelen Kolonnen, den äussersten Streifen rechts
benützen muss (Art. 8 Abs. 1 VRV) und dass er nach dem Überholen wieder
einzubiegen hat, sobald für den überholten Strassenbenützer keine
Gefahr mehr besteht (Art. 10 Abs. 2 VRV). Diese Ordnung gilt auch auf
Autobahnen und Autostrassen, soweit der Bundesrat für sie nicht gestützt
auf Art. 43 Abs. 3 SVG besondere Regeln erlassen hat. Die Vorinstanz ist
nicht der Meinung, der Bundesrat habe für das Überholen auf Autobahnen
besondere Bestimmungen aufgestellt; sie glaubt den Art. 8 Abs. 3 und 36
Abs. 5 VRV aber gleichwohl entnehmen zu können, dass das Rechtsüberholen
(ohne Ausschwenken und Wiedereinbiegen) auf Autobahnen grundsätzlich
gestattet sei.

    a) Nach Art. 36 Abs. 5 Satz 2 VRV ist auf Autobahnen und Autostrassen
das Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen verboten. Der
Umkehrschluss aus dieser Bestimmung würde in der Tat ergeben, dass
auf Autobahnen und Autostrassen das ohne Spurwechsel vollzogene
Rechtsüberholen erlaubt sei. Eine derart verkappte Regelung einer so
wichtigen Frage widerspräche indes schon den Anforderungen, die an
eine klare Verkehrsordnung gestellt werden müssen. Wie in BGE 93 IV 121
ausgeführt worden ist, war nach der Entstehungsgeschichte der Verordnung
eine so einschneidende Abweichung von der gesetzlichen Regelung zudem
gar nicht beabsichtigt, da man in Art. 36 Abs. 5 VRV bloss allgemeine
Regeln wiederholen wollte. Diesfalls hätte man auf die Wiederholung
freilich besser verzichtet, erwecken Satz 2 und 3 der Bestimmung doch
eher den Eindruck einer Sonderregelung. Entscheidend ist indes, dass sie
in Wirklichkeit nicht als solche erlassen wurden, sondern nur allgemein
geltende Vorschriften noch besonders hervorheben sollten.

    Art. 8 Abs. 3 VRV sodann hat keineswegs den allgemeinen Sinn, auf den
sein Wortlaut schliessen liesse (BGE 94 IV 126). Gewiss sind Autobahnen
"Strassen mit mehreren Fahrstreifen". Sie weisen für jede der beiden
Richtungen getrennte Fahrbahnen auf, die in der Regel, wie das bei der
Autobahn N 3 der Fall ist, in zwei Fahrstreifen unterteilt sind. Auch
sind unter Fahrstreifen entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft
markierte Fahrspuren überhaupt, nicht nur Einspurstrecken zu verstehen,
die als solche gekennzeichnet sind. Der Begriff der Fahrspur ist lediglich
weiter als derjenige des Fahrstreifens, was in den Verordnungen freilich
nicht klar zum Ausdruck kommt (vgl. insbes. Art. 1 Abs 5, 11 Abs. 1 und
13 Abs. 2 VRV, Art. 52 Abs. 2 und 3 sowie Art. 53 Abs. 1 SSV).

    Das blosse Vorhandensein mehrerer Fahrstreifen berechtigt einen Fahrer
jedoch nicht, ein auf dem linken Streifen in gleicher Richtung verkehrendes
Fahrzeug rechtsseits zu überholen. Wollte man der gegenteiligen Auffassung
des Obergerichts folgen, so müsste auf Strassen mit mehreren Fahrstreifen
das Linksfahren ebenso allgemein erlaubt sein. Damit aber würde die
gesetzliche Ordnung, wonach Fahrzeuge grundsätzlich rechts fahren
müssen und nur links überholen dürfen, in ihr Gegenteil verkehrt. Das
widerspräche zudem dem Sinn und Zweck der in Art. 8 Abs. 1 und 3 VRV
enthaltenen Ausführungsvorschriften. Aus dem Vergleich dieser Vorschriften
erhellt, dass das Rechtsüberholen nur erlaubt sein kann, wo gleichzeitig
dem zu Überholenden das Linksfahren gestattet oder vorgeschrieben ist,
der Rechtsüberholende also annehmen kann, der Linksfahrende werde seine
Fahrtrichtung beibehalten. Das ist insbesondere der Fall beim Fahren in
parallelen Kolonnen. Doppelkolonnen können und dürfen sich bei dichtem
Verkehr und genügendem Raum (Art. 8 Abs. 2 VRV) vor allem in Städten
bilden. Diesfalls darf die rechte Kolonne an der linken vorbeifahren,
wenn diese vorübergehend langsamer fährt oder ins Stocken gerät. Das
liegt im Interesse des Verkehrsabflusses und bedeutet bei dem naturgemäss
eher langsamen Kolonnenverkehr keine besondere Gefahr. Zulässig ist das
Rechtsüberholen ferner, wenn das langsamere Fahrzeug oder die langsamere
Kolonne zum Abbiegen nach links eingespurt hat (Art. 35 Abs. 6 SVG). Andere
Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung können den Abs. 1 und 3 von Art. 8
VRV vernünftigerweise nicht entnommen werden.

    b) Auf Autobahnen das Gebot des Linksüberholens zu lockern, wäre
entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch nicht zu verantworten. Mit
Rücksicht auf die hohen Geschwindigkeiten, mit denen Autobahnen befahren
werden, ist auf solchen Strassen schon das Wechseln des Fahrstreifens
zum Linksüberholen mit erheblichen Gefahren verbunden, zumal oft
unvorsichtig ausgeschwenkt und unnütz überholt wird. Diese Gefahren
würden aber in nicht zu rechtfertigender Weise erhöht, wenn ein Fahrer
ein langsameres Fahrzeug auf dem rechten Streifen links und ein solches
auf dem linken Streifen rechts überholen dürfte, wie das hier geschehen
ist. Wieso solche Schlängelfahrten dem Verkehr auf Autobahnen gerecht
werden sollen, ist nicht zu verstehen, sind sie doch sehr geeignet,
Unsicherheit und Verwirrung zu schaffen. Der Linksüberholende müsste
jederzeit damit rechnen, beim Wiedereinschwenken gestört zu werden, und
der Rechtsüberholende hätte keine Gewähr dafür, dass der Linksfahrende
nicht plötzlich wieder vor ihm nach rechts einbiegen werde.

    Die Vorinstanz meint freilich, die besondere Vorsichtspflicht treffe
in solchen Fällen den Führer, der den Streifen wechseln wolle, also den
Vordermann. Gewiss muss auch der Fahrer, der nach dem Überholen wieder nach
rechts einschwenken will, auf nachfolgende Fahrzeuge Rücksicht nehmen. Die
Beobachtung nach hinten ist ihm aber nur beschränkt möglich. Um ihm das
Wiedereinbiegen zu erleichtern, darf der Überholte die Geschwindigkeit
denn auch nicht erhöhen (Art. 35 Abs. 7 Satz 2 SVG). Umso unverständlicher
wäre es, wenn einem andern Fahrer gestattet würde, sich vor den Überholten
zu setzen, um das zu tun, was diesem ausdrücklich verboten ist.

    Zu bedenken ist ferner, dass der Verkehr in hohem Masse an klaren und
einfachen Regeln interessiert ist, die Beachtung wichtiger Grundregeln
aber ins freie Ermessen des einzelnen Fahrers gestellt würde, wenn
auf Autobahnen nicht nur links, sondern auch rechts überholt werden
dürfte. Auch liegt auf der Hand, dass von dieser Möglichkeit vor allem
verwegene Fahrer Gebrauch machen würden. Ein pflichtbewusster Fahrer
sieht davon schon aus eigenem Interesse ab. Die allgemeinen Gebote,
rechts zu fahren und nur links zu überholen, müssen auf Autobahnen umso
strenger gelten, als hier Umstände, die auf andern Strassen Ausnahmen
rechtfertigen, weitgehend entfallen. Wenn ein Fahrer, wie das Obergericht
einwendet, mit seinem Wagen auf der Überholspur stecken bleibt und ein
anderer, der sich plötzlich in eine gefährliche Lage versetzt sieht,
zur Vermeidung eines Unfalles auf die rechte Spur ausweicht, so kann sich
dieser zu seiner Rechtfertigung auf Notstand (Art. 34 StGB) berufen. Es
verhält sich hier nicht anders als bei Übertretung anderer Verkehrsregeln
(vgl. BGE 61 I 432, 63 I 59, 83 IV 84; ferner NOLL, ZStR 1964 S. 179/180).
Dagegen berechtigt der Umstand, dass ein Fahrer mit dem Wiedereinschwenken
zögert oder übermässig lange auf der Überholspur verbleibt, einen andern
Führer nicht, sich seinerseits über die Verkehrsordnung hinwegzusetzen. Das
Rechtsüberholen ist auch dann verboten, wenn der Vordermann nicht
ausweicht, sondern im gleichen Zuge noch weitere Fahrzeuge überholen
will (vgl. das vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement herausgegebene
Handbuch der Verkehrsregeln, R. 106 am Ende sowie die Abbildung zu R. 105).
Schlängelfahrten unter solchen Umständen wären besonders gefährlich.

    c) Die Schweiz stünde übrigens mit der vom Obergericht befürworteten
Regelung offensichtlich allein da, was für den internationalen
Verkehr höchst unerwünscht wäre. In der Deutschen Bundesrepublik,
die auf diesem Gebiet viel Erfahrung hat, ist das Rechtsüberholen
auf der Autobahn grundsätzlich verboten. Das gilt auch für den Fall,
dass auf der Überholspur eine Kolonne und rechts nur einzelne Fahrzeuge
verkehren. Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn auf beiden Fahrstreifen
Kolonnenverkehr herrscht und selbst dann ist das Rechtsüberholen
nur innerhalb eng gezogener Grenzen gestattet (Entscheidungen des
Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 12 S. 258, sowie dessen Beschluss
vom 3. Mai 1968, abgedruckt in der Zeitschrift "Deutsches Autorecht"
1968 S. 248).

    Die belgische, französische und italienische Strassenverkehrsordnung
nehmen Autobahnen und Autostrassen vom Gebot des Linksüberholens ebenfalls
nicht aus (Belgien: VAN ROYE, Le code de la circulation, Nr. 906, 917,
920 und 921; Frankreich: BEDOUR, Précis des accidents d'automobile,
S. 21, 22 und 90; Italien: CIGOLINI, La responsabilità dalla circolazione
stradale, S. 466, 467, 468 und 490). Auch der Entwurf einer europäischen
Strassenverkehrsordnung enthält unter den Sonderregeln, die für den Verkehr
auf Autobahnen gelten (Art. 42 ff.) keine vom Gebot des Linksüberholens
(Art. 21) abweichende Sonderbestimmung.

Erwägung 3

    3.- Auf welche Entfernung vom überholten Fahrzeug ein Fahrer wieder
nach rechts einzubiegen hat, ist eine Rechtsfrage, deren Beurteilung vor
allem von den Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge abhängt. Je
grösser der Unterschied dieser Geschwindigkeiten ist, desto kleiner der
Überholweg, und umgekehrt. Das angefochtene Urteil enthält keine Angaben
über die Geschwindigkeit des Lastzuges und des "Peugeot". Siegwart,
der angeblich mit 100 km/Std überholte, erklärte seine Fahrweise damit,
dass er bloss solange auf dem linken Streifen habe bleiben wollen, bis
die beiden Lichter des Lastzuges im Rückspiegel seines Wagens auftauchten;
als er dann zum Wiedereinbiegen angesetzt habe, sei plötzlich der "Volvo"
rechts an ihm vorbeigefahren. Die Vorinstanz hält gleichwohl dafür,
dass Siegwart viel zu lange auf der Überholspur geblieben sei.

    Wie es sich damit genau verhält, kann indes offen bleiben, da dem
Angeklagten Huber der Vorwurf der groben Verletzung einer wichtigen
Verkehrsregel selbst dann nicht erspart bleibt, wenn Siegwart die
Überholspur zu lange für sich beansprucht haben sollte. Huber hat
spätestens auf der Höhe des Lastzuges damit begonnen, Siegwart mit
den Scheinwerfern zur Freigabe der linken Spur zu veranlassen. Schon
das zeigt, wie sehr er nach vorne drängte. In 100 m Entfernung
vom Lastwagen wechselte er sodann die Spur, aber nicht, wie das
Obergericht ihm zugute hält, weil er pflichtgemäss einbiegen wollte,
sondern um die Geschwindigkeit weiter zu erhöhen und den "Peugeot"
rechts zu überholen. Solches Gebaren verdient keine Nachsicht. Huber
hatte keinerlei Gewähr dafür, dass Siegwart ihn durchlassen werde; er
musste im Gegenteil jederzeit mit dessen Wiedereinbiegen rechnen. Dies
gilt umsomehr, als er ihn dazu aufforderte und ihm durch das wiederholte
Blinken die Beobachtung nach hinten erschwerte. Dass der "Peugeot" immer
noch mit links gestelltem Blinker fuhr, änderte an der Gefahr, die Huber
heraufbeschwor, nichts. Das konnte nur heissen, Siegwart betrachte das
Überholen noch nicht als abgeschlossen, nicht aber, er werde Huber die
rechte Spur zur Durchfahrt freihalten. Durch seine verwegene Fahrweise
hat er Siegwart in hohem Masse gefährdet und die Gefährdung zumindest
eventualvorsätzlich herbeigeführt.

    Sein Verschulden lässt sich ebenfalls nicht verharmlosen. Huber
hat nach eigenen Aussagen in der Untersuchung genau gewusst, dass das
Rechtsüberholen auf Autobahnen verboten ist. Er hat somit nicht bloss
rücksichtslos und verwegen vorwärtsgedrängt, sondern sich über die wichtige
Verkehrsverpflichtung, nur links zu überholen, auch bewusst hinweggesetzt.
Für solches Verhalten ist eine Bestrafung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG die
einzig richtige Sühne.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Zürich vom 27. März 1969 aufgehoben und die
Sache zur Bestrafung Hubers nach Art. 90 Ziff. 2 SVG an die Vorinstanz
zurückgewiesen.