Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 75



95 IV 75

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Februar 1969 i.S. Frau
X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug. Regeste

    Art. 306 StGB. Falsche Beweisaussage der Partei.

    1.  Eine Beweisaussage liegt nur vor, wenn die Aussage sich
grundsätzlich eignet, Beweis zugunsten der aussagenden Partei zu bilden
(Erw. 1).

    2.  Die Strafhandlung der falschen Beweisaussage ist erst dann
vollendet, wenn die Aussage nach Massgabe des kantonalen Prozessrechts
abgeschlossen ist (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Im Oktober 1964 erhob Frau X. beim Kantonsgericht Zug
Ehescheidungsklage. Der Ehemann widersetzte sich der Scheidung.

    Am 14. September 1965 wurden die Parteien vom referieren den
Vorsitzenden persönlich befragt. Einleitend ermahnte er sie zur Wahrheit
und verwies auf die Straffolgen bei falscher Beweisaussage gemäss Art. 306
StGB sowie auf das Zeugnis verweigerungsrecht nach § 168 Abs. 1 Ziff. 3
ZPO. Frau X. bestritt im Verlaufe ihrer Einvernahme die vom Ehemann
behaupteten Ehebrüche mit den Herren A. und B. Nachdem der Vorsitzende
nochmals mit Nachdruck auf die Folgen der falschen Beweisaussage des
Art. 306 StGB und das Zeugnisverweigerungsrecht verwiesen hatte, erklärte
Frau X:

    "Ich bestreite nach wie vor die Ausführungen der Herren A. und B. Ich
habe mit keinem der beiden Herren ehewidrige Beziehungen unterhalten."

    Diese Aussagen wurden der Klägerin unmittelbar anschliessend an ihre
Einvernahme vorgelesen und von ihr als richtig bestätigt. Der Vorsitzende
hörte darauf abwechslungsweise den Beklagten und die Klägerin ab, bis er
schliesslich Frau X. wieder zu den behaupteten Ehebrüchen mit A. und B.
befragte, nachdem er erneut auf das Aussageverweigerungsrecht und die
Folgen einer falschen Beweisaussage nach Art. 306 StGB aufmerksam gemacht
hatte. Die Klägerin sagte aus:

    "Ich hatte weder mit Herrn A. noch mit Herrn B. ehewidrige Beziehungen.
Die Aussagen dieser beiden Herren sind falsch. Ich hatte mit keinem dieser
beiden Herren Geschlechtsverkehr."

    Darauf unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung und liess
A. telefonisch zur Zeugeneinvernahme vorladen. Als Frau X. dies erfuhr,
wünschte sie ihre Aussagen zu korrigieren. Sie gab u.a. folgendes zu
Protokoll:

    "Ich habe zum Teil gelogen. Ein richtiger Geschlechtsverkehr mit diesen
beiden Herren hat aber nicht stattgefunden. Ich habe es den beiden Herren
mit der Hand gemacht..."

    Die Ehe der Klägerin wurde am 1. März 1967 auf Begehren beider Parteien
gestützt auf Art. 142 ZGB geschieden.

    B.- Mit Urteil vom 22. Dezember 1967 sprach das Strafgericht Zug Frau
X. hinsichtlich ihrer Aussagen, sie habe keine ehewidrigen Beziehungen zu
den Zeugen A. und B. unterhalten, der fortgesetzten falschen Beweisaussage
gemäss Art. 306 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt
vollziehbaren Gefängnisstrafe von acht Wochen.

    Das Strafobergericht von Zug, bei dem die Angeklagte und die
Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatten, bestätigte am 18. Juni 1968
das erstinstanzliche Urteil.

    C.- Frau X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Strafobergerichtes aufzuheben und die Sache zur Freisprechung,
eventuell zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug beantragt in ihrer
Vernehmlassung Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, eine falsche
Beweisaussage im Sinne von Art. 306 StGB könne nur dann vorliegen, wenn die
Aussage sich grundsätzlich eigne, Beweis zugunsten der befragten Partei
zu bilden. Dagegen falle der genannte Straftatbestand ausser Betracht,
wenn sich die Befragung auf Tatsachen beziehe, die zuungunsten der
aussagenden Partei sprechen. Da es in der Verhandlung vom 14. September
1965 um ehewidrige Beziehungen zu andern Männern, also um eine für die
Beschwerdeführerin ungünstige Tatsache gegangen sei, liege eine falsche
Parteiaussage gemäss Art. 306 StGB nicht vor. Demgegenüber führt die
Vorinstanz im angefochtenen Urteil aus, die Bestreitung eines ehewidrigen
Verhaltens habe sich zugunsten der Beschwerdeführerin ausgewirkt.

    Käme es für die Anwendbarkeit des Art. 306 StGB nur darauf an, ob eine
konkrete Aussage zugunsten oder zum Nachteil der befragten Partei wirke,
so wäre immerhin mit der Vorinstanz festzustellen, dass die Behauptung
der Beschwerdeführerin, sie habe sich keines ehewidrigen Verhaltens
schuldig gemacht, geeignet war, sich zu ihren Gunsten auszuwirken. Ohne
Ehebruch und ehewidriges Verhalten erschien ihr eigenes Verschulden an
der ehelichen Zerrüttung nämlich geringer, was sich zunächst in der Frage
des Scheidungsanspruchs und später allenfalls auf die Nebenfolgen der
Ehescheidung auswirken konnte.

    Die Betrachtungsweise sowohl der Beschwerdeführerin als
auch der Vorinstanz zu diesem Punkt geht indessen an der Sache
vorbei. Richtigerweise bezieht sich die Unterscheidung zwischen einer
Aussage zugunsten und einer solchen zuungunsten der Partei nicht
bloss auf die konkrete Einvernahme, sondern auf die Ausgestaltung der
Parteibefragung als Beweismittel durch das kantonale Prozessrecht. Denn
eine Beweisaussage im Sinne von Art. 306 StGB liegt nur vor, wenn die
Aussage sich grundsätzlich eignet - wenn auch unter Vorbehalt der freien
Beweiswürdigung durch den Richter - Beweis zugunsten der aussagenden
Partei zu bilden (BGE 76 IV 280).

    Demgegenüber stellt eine Aussage, die den Prozessausgang unmittelbar
nur beeinflussen kann, wenn sie den Verhörten belastet (Geständnis),
kein Beweismittel im erwähnten Sinne dar; sie schafft Recht nur, weil
die zugestandene Tatsache nicht mehr streitig ist.

    Sodann kommt es - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin -
für die Anwendung von Art. 306 StGB nicht darauf an, ob die kantonale
Prozessordnung ausdrücklich auf diese Bestimmung verweist. Ebensowenig ist
dafür massgebend, ob und welche Straffolgen das kantonale Recht selbst
auf die falsche Parteiaussage androht. Entscheidend ist allein, dass
die Aussage ein Beweismittel darstellt. Freilich vermag der Hinweis des
Richters auf die Wahrheitspflicht und auf die Straffolgen bei falscher
Aussage einer Parteieinvernahme noch nicht die Eigenschaften einer
Beweisaussage im Sinne von Art. 306 StGB zu verleihen. Nur wenn die
kantonale Prozessordnung selbst die Parteibefragung zu einem eigentlichen
Beweismittel erhebt, gelangt Art. 306 StGB zur Anwendung (BGE 72 IV 37;
LOGOZ, N. 3a zu Art. 306 StGB; SCHWANDER, Das Schweiz. Strafgesetzbuch,
2. Aufl., Nr. 766).

    Nach den Ausführungen im Urteil des Strafgerichtes, auf die das
Obergericht verweist, entspricht es im Kanton Zug ständiger Gerichtspraxis,
dass die persönliche Befragung einer Partei gemäss § 155 und 187
ff. ZPO als Beweismittel zur Feststellung bestrittener und erheblicher
tatsächlicher Verhältnisse und damit, wie ausdrücklich erklärt wird,
auch zugunsten der aussagenden Partei gilt. Diese Erwägungen betreffen
kantonales Prozessrecht, das der Kassationshof nicht auszulegen hat
(Art. 269 Abs. 1 und 273 Abs. 1 lit. b BStP). Soweit die Beschwerdeführerin
darzutun versucht, dass eine Bestrafung nach Art. 306 StGB nur dann
statthaft sei, wenn das kantonale Zivilprozessrecht ausdrücklich auf diese
Bestimmung verweist, und soweit sie aus § 189 ZPO andere Schlüsse zieht
als das Obergericht, ist deshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten.

    Im übrigen bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass das im Kanton
Zug für die formelle Parteibefragung vorgeschriebene Verfahren sowie die
in Art. 306 StGB aufgestellten Vorschriften hinsichtlich Ermahnung der
Partei zur Wahrheit vor der Aussage und Hinweis auf die Straffolgen der
falschen Aussage beachtet wurden.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe ihre Aussage vor
Abschluss der Einvernahme berichtigt. Nach ständiger Rechtsprechung werde
ein Zeuge, der von seiner Lüge vor Beendigung des Verhörs abkomme, weder
wegen vollendeten noch wegen versuchten falschen Zeugnisses bestraft. Was
für den Zeugen gelte, treffe erst recht auf die befragte Partei zu.

    In diesem Punkte ist der Beschwerdeführerin insoweit zuzustimmen,
als die für den Tatbestand des falschen Zeugnisses in BGE 85 IV 33
ff. und 80 IV 123 ff. entwickelten Grundsätze auch für die falsche
Beweisaussage der Partei gemäss Art. 306 StGB gelten. Nach BGE 80 IV 123
ff. ist das Verbrechen des falschen Zeugnisses erst dann vollendet, wenn
die Einvernahme nach Massgabe des kantonalen Prozessrechts abgeschlossen
ist. Im vorliegenden Fall stellt die Vorinstanz verbindlich fest, die
beiden in Frage stehenden Aussagen seien protokolliert, der Klägerin
vorgelesen und von ihr bestätigt worden. Nach zugerischem Prozessrecht sei
die Einvernahme mit dem Verlesen des Protokolls und der anschliessenden
Bestätigung beendet. Da die Beschwerdeführerin ihre Aussagen bestätigte
und erst nachher berichtigte, liegt somit eine vollendete falsche
Beweisaussage vor.

    Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nicht, auch wenn man mit
der Beschwerdeführerin und mit PFÄFFLI, Das falsche Zeugnis, S. 65
ff., davon ausgehen wollte, die Beantwortung der Frage, in welchem
Zeitpunkt die Einvernahme abgeschlossen sei, hänge nicht so sehr von
äusserlichen Anhaltspunkten wie Verlesen des Protokolls und anschliessende
Bestätigung durch Unterzeichnung ab, als vielmehr von der Bedeutung,
die die Beteiligten den betreffenden Formen beilegten; demnach sei die
Einvernahme erst beendet, wenn der Verhörende wie die befragte Partei sie
als abgeschlossen betrachteten. In der Einvernahme vom 14. September 1965
wurde die Beschwerdeführerin nach einer allgemeinen Befragung über ihre
Beziehungen zu den Zeugen A. und B. verhört. Darüber wurde das Protokoll
gesondert verlesen und von der Beschwerdeführerin bestätigt. Bereits
in diesem Zeitpunkt musste Frau X. annehmen, ihre Einvernahme sei
beendigt. Nach der Wiederholung ihrer Aussagen konnte sie erst recht
nicht mehr mit der Wiedereröffnung desselben Beweisthemas rechnen.
Daran ändert nichts, dass die Verhandlungen mit der Abhörung von Zeugen
weitergeführt wurden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.