Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 45



95 IV 45

13. Entscheid der Anklagekammer vom 17. Mai 1969 i.S. Gelbert gegen
Schweiz. Bundesanwaltschaft und eidg. Untersuchungsrichter. Regeste

    1.  Art. 118 Satz 1 BStP. Sinn und Tragweite dieser Bestimmung
(Erw. 1 und 3).

    2.  Art. 214 ff. BStP. Prüfungsbefugnis der Anklagekammer bei
Beschwerden gegen Amtshandlungen des Untersuchungsrichters (Erw. 2 und 4).

Sachverhalt

    A.- Dr. Alexandre Gelbert, der in der eidgenössischen Voruntersuchung
gegen Dr. Dieter Bührle und weitere Personen insbesondere wegen
Widerhandlung gegen den BRB über das Kriegsmaterial mitbeschuldigt ist,
wurde vom Untersuchungsrichter auf den 12. Mai 1969 zur Einvernahme
vorgeladen. Am 30. April 1969 ersuchte sein bevollmächtigter Verteidiger
den Untersuchungsrichter, ihm gemäss Art. 118 BStP zu gestatten, "an
dieser Verhandlung teilzunehmen" und ihm eine Vorladung zukommen zu lassen.

    Der Untersuchungsrichter wies das Gesuch am 5. Mai 1969 ab.

    B.- Mit Eingaben vom 5. und 6. Mai 1969 führt der Verteidiger
namens des Dr. Gelbert gegen diese Verfügung Beschwerde. Er beantragt,
es sei ihm zu gestatten, der Einvernahme des Beschuldigten durch den
Untersuchungsrichter beizuwohnen.

    C.- Der Untersuchungsrichter und die Bundesanwaltschaft beantragen,
die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 118 Satz 1 BStP "kann" der Untersuchungsrichter dem
Verteidiger gestatten, bei der Einvernahme des Beschuldigten anwesend
zu sein, sofern dadurch die Untersuchung nicht beeinträchtigt wird. Der
Entscheid darüber, ob der Verteidiger der Einvernahme beiwohnen dürfe,
liegt also im Ermessen des Untersuchungsrichters. Sein Ermessen ist
freilich kein völlig freies, ungebundenes. Das heisst insbesondere, dass
der Untersuchungsrichter das Begehren des Beschuldigten, in Anwesenheit
des Verteidigers verhört zu werden, nicht abweisen darf, wenn der
Teilnahme des Verteidigers sachlich nichts entgegensteht. Ob letzteres
zutreffe oder nicht, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Der
Untersuchungsrichter hat sie nach pflichtgemässem Ermessen zu würdigen. An
irgendwelche Grundsätze der europäischen Menschenrechtskonvention,
aus welcher der Beschwerdeführer "allgemeine rechtsstaatliche Gedanken"
ableiten will, ist er nicht gebunden, da die Schweiz dieser Konvention
noch nicht beigetreten ist.

    Die Berufung auf die Konvention geht übrigens fehl. Die Vorschriften
des Bundesstrafprozesses über die Verteidigung halten sich durchaus im
Rahmen der entsprechenden Konventionsbestimmungen, die dem Beschuldigten
nicht das Recht gewährleisten, nur in Anwesenheit des Verteidigers verhört
zu werden (vgl. Bericht des Bundesrates vom 9. Dezember 1968 und Art. 6
Ziff. 3 der Konvention, BBl 1968 II 1109 und 1150).

Erwägung 2

    2.- Art. 214 ff. BStP, die den Parteien "gegen Amtshandlungen und
wegen Säumnis des Untersuchungsrichters" ein Beschwerderecht geben,
nennen die Beschwerdegründe nicht abschliessend. Ausser im Falle der
Säumnis ist die Beschwerde begründet, wenn die angefochtene Verfügung
das Gesetz verletzt. Dagegen haben die Art. 214 ff. BStP nicht den
Sinn, dass die Anklagekammer auf Beschwerde gegen eine im Ermessen des
Untersuchungsrichters liegende Amtshandlung hin nach eigenem freiem
Ermessen zu prüfen habe, ob sich diese Handlung rechtfertige oder
nicht. Es ist nicht die Aufgabe der Anklagekammer, in das Ermessen des
Untersuchungsrichters einzugreifen und ihm damit die Verantwortung
für die Führung der Untersuchung abzunehmen. Bei Beschwerden gegen
seine Amtshandlungen hat die Anklagekammer nur zu entscheiden, ob der
Untersuchungsrichter die Grenze zulässigen Ermessens offensichtlich
überschritten habe (BGE 77 IV 56, 83 IV 182, 90 IV 240 Erw. 2).

Erwägung 3

    3.- Der Untersuchungsrichter hat im vorliegenden Falle das Gesuch
des Verteidigers um Teilnahme an der Einvernahme unter anderem mit
der Begründung abgewiesen, der Abschluss der Untersuchung würde eine
wesentliche Verzögerung erfahren, wenn jedesmal darauf Rücksicht genommen
werden müsste, dass nicht nur der Beschuldigte, sondern auch dessen
Verteidiger zur Verfügung stehe.

    Dass der Untersuchungsrichter zu solcher Rücksicht verpflichtet sei,
ist Art. 118 BStP indes nicht zu entnehmen. Diese Bestimmung berechtigt
den Verteidiger unter der darin genannten Voraussetzung bloss, bei der
Einvernahme des Beschuldigten anwesend zu sein, der Vernehmung also
zuzuhören. Dagegen gibt sie ihm nicht das Recht, sich in das Verhör
des Beschuldigten einzumischen oder eine Verschiebung der Einvernahme zu
verlangen, wenn er daran aus irgendeinem Grunde nicht teilnehmen kann. Ist
dem Verteidiger die Teilnahme nicht möglich, so kann die Einvernahme
gleichwohl stattfinden oder fortgesetzt werden, zumal die Voruntersuchung
möglichst rasch durchzuführen und abzuschliessen ist.

Erwägung 4

    4.- Der Untersuchungsrichter befürchtet ferner, die Anwesenheit des
Verteidigers könnte zu Kollusionen führen. Er hat den bestimmten Eindruck,
die Aussagen der schon verhörten Beschuldigten seien weitgehend aufeinander
abgestimmt worden, und er glaubt, dass durch die Zulassung der Verteidiger
weitere Kollusionsmöglichkeiten entstehen würden, denen er im Interesse
einer möglichst objektiven Abklärung des Sachverhaltes vorbeugen wolle.

    Diese Überlegung ist nicht willkürlich, sondern hält sich im Rahmen des
Ermessens, das dem Untersuchungsrichter nach Art. 118 BStP zusteht. Der
Beschwerdeführer bemüht sich denn auch nicht, die Kollusionsmöglichkeit
zu widerlegen, noch versucht er sonstwie darzutun, dass und inwiefern die
Annahme des Untersuchungsrichters unhaltbar sei. Dass die Beschuldigten
schon im polizeilichen Ermittlungsverfahren einvernommen worden sind,
heisst natürlich nicht, sie könnten vor dem Untersuchungsrichter die
Wahrheit nicht entstellen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.