Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 172



95 IV 172

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1969
i.S. Hänsli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 32 SVG bietet keine Rechtsgrundlage für polizeiliche Eingriffe
in verfassungsmässige Rechte.

Sachverhalt

    A.- Robert Hänsli ist Teilhaber und Geschäftsführer der
Baugesellschaft Moosacker mbH in Zürich, Eigentümerin der Liegenschaft
Zürichstrasse 233-237 in Affoltern a.A. Zu dieser Liegenschaft gehört ein
Mehrfamilienhaus mit einem Abstellplatz, der bis an die Strasse reicht
und das Trottoir mitumfasst.

    Am 28. Juli 1968 führten zwei Funktionäre der kantonalen
Verkehrspolizei von 17 Uhr an mittels eines Radargerätes auf dem
Grundstück der Gesellschaft Geschwindigkeitsmessungen durch. Sie
hatten zu diesem Zwecke den VW-Bus, in dem das Radargerät untergebracht
war, auf dem Abstellplatz am Rand der Strasse aufgestellt. Um 19 Uhr
erschien Hänsli mit seinem Personenwagen Oldsmobile auf dem Platze, um
Farbkannen ins Haus zu bringen, und stellte seinen Wagen einige Meter
vom Polizeifahrzeug entfernt auf. Das hatte zur Folge, dass das Messgerät
nicht mehr funktionierte. Einer der Polizisten forderte deshalb Hänsli auf,
seinen Wagen wegzustellen. Hänsli leistete der Aufforderung keine Folge,
sondern brachte die Kannen ins Haus und entfernte sich mit seinem Wagen
erst, als er dieses Geschäft beendigt hatte.

    B.- Das Bezirksgericht Affoltern verurteilte Hänsli am 26. März 1969
wegen Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) zu einer Busse von
Fr. 500.--.

    Das Obergericht des Kantons Zürich, an welches der Angeklagte Berufung
einlegte mit dem Antrag auf Freisprechung, eventuell Herabsetzung der
Busse, bestätigte am 17. Juni 1969 das erstinstanzliche Urteil.

    C.- Gegen das Urteil des Obergerichtes erhob der Angeklagte
Nichtigkeits- und staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht.

    Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt er Aufhebung des Urteils
und Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.

    Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist die staatsrechtliche Kammer
des Bundesgerichts mit Urteil vom 26. November 1969 nicht eingetreten.

    Gegen das Urteil des Obergerichts hatte der Angeklagte auch die
Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich
angemeldet, ohne dann innert der Frist eine Begründung einzureichen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat die Amtshandlung, deren Hinderung dem
Beschwerdeführer im angefochtenen Urteil zur Last gelegt wird, als
rechtmässig bezeichnet und sich dabei auf Art. 32 SVG und auf die
polizeiliche Generalklausel bezogen. Wenn Art. 286 StGB die materielle
Rechtmässigkeit der gehinderten Amtshandlung voraussetzte, was nicht der
Fall ist (s. unten, Ziff. 3), wäre hierzu folgendes zu bemerken.

    a) Art. 32 Abs. 2-5 SVG schreibt Höchstgeschwindigkeiten vor und
ermöglicht weitere Geschwindigkeitsbeschränkungen. Den Kantonen ist
es anheimgestellt, ob und mit welchen Mitteln sie die Einhaltung
dieser Geschwindigkeiten kontrollieren. Hingegen enthält Art. 32
weder nach dem Wortlaut noch nach Entstehungsgeschichte, angestrebtem
Zweck oder seinem wirklichen Sinn auch die Ermächtigung an kantonale
Subalternbeamte, ohne weitere gesetzliche Erlasse direkt in geschützte
Persönlichkeitsrechte einzugreifen. Das SVG gibt keine Rechtsgrundlage
für eine solche Polizeiherrschaft. Bei dessen Schaffung ist denn auch
für einen allgemein als nötig erachteten Eingriff in die persönliche
Integrität, für die Blutprobe beim Verdacht der Angetrunkenheit eines
Motorfahrzeugführers, bewusst eine besondere Bestimmung aufgestellt
worden. Nach der Argumentation der Vorinstanz wäre dies völlig überflüssig,
denn wenn die Polizei darüber zu wachen hat, dass keine Betrunkenen
ihren Wagen herumführen, so wäre sie implicite auch berechtigt,die
hiefür erforderlichen Kontrollmassnahmen ohne Respektierung der
verfassungsmässigen Rechte zu treffen.

    b) Die Frage der polizeilichen Generalklausel ist hier nicht
eine bundesrechtliche im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP. Die mit
der Radarkontrolle beauftragten Kantonspolizisten handelten nicht
als Hilfsorgane der Bundespolizei oder einer anderen Bundesbehörde,
sondern im Rahmen der gemäss Art. 106 Abs. 2 SVG (unter dem hier nicht
zutreffenden Vorbehalt von Abs. 1) kantonalrechtlichen Durchführung des
Strassenverkehrsgesetzes. Insoweit wäre also gemäss Art. 269 Abs. 2
BStP und Art. 84 Abs. 1 lit. a OG nicht der Kassationshof, sondern
die staatsrechtliche Kammer des Bundesgerichts (nach Ausschöpfung der
kantonalen Rechtsmittel) zuständig.

Erwägung 3

    3.- Die Frage der materiellen Rechtmässigkeit der Amtshandlung stellt
sich aber nach der Rechtsprechung des Kassationshofes bei der Anwendung
von Art. 286 StGB überhaupt nicht. Nach Art. 286 wird bestraft, wer eine
Behörde oder einen Beamten an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer
Amtsbefugnisse liegt. Innerhalb der Amtsbefugnisse liegt die Handlung nach
dieser wie nach der insoweit gleichlautenden Bestimmung des Art. 285 dann,
wenn die Behörde oder der Beamte zu ihrer Vornahme zuständig ist (BGE 74
IV 61 Erw. 3, 78 IV 118 und seitherige Rechtsprechung). Ist das der Fall,
hat sich der Betroffene ihr zu unterziehen, jedenfalls dann, wenn ihre
Rechtswidrigkeit nicht ganz offensichtlich ist, was im vorliegenden Fall
nicht zutrifft. Vorbehalten bleiben ihm die gesetzlichen Rechtsmittel,
insbesondere die Beschwerde, zur Anfechtung ihrer Rechtmässigkeit, ferner
allenfalls die Verantwortlichkeitsklage gegen den Beamten und den Staat.
Dagegen steht es ihm nach der angeführten Rechtsprechung nicht zu, sich
der von einer zuständigen Amtsstelle vorgenommenen Handlung durch Gewalt
oder durch Drohung zu widersetzen oder sie sonstwie zu hindern.

    Im vorliegenden Fall waren die beiden Polizeibeamten zur durchgeführten
Geschwindigkeitskontrolle zuständig und sie haben unbestrittenermassen
auch im Rahmen der Verfahrensvorschriften gehandelt, waren sie doch
vom Polizeikommando mit der Massnahme beauftragt. Auf die Frage, ob die
Polizisten berechtigt waren, für die Geschwindigkeitsmessungen den Boden
der Baugesellschaft Moosacker in Anspruch zu nehmen, ist deshalb nicht
einzutreten.