Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 144



95 IV 144

36. Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1969 i.S. Hammel gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG; Vereitelung der Blutprobe.

    Entscheidend ist, ob der Täter mit einer Blutprobe oder anderen
Massnahmen rechnete oder rechnen musste.

Sachverhalt

    A.- Der Holzhändler Josef Hammel fuhr am Morgen des 3.  Oktober
1968 von seinem Wohnort Kleinlützel ins Elsass, wo er den ganzen Tag
an einer Holzsteigerung teilnahm. Etwa um Mitternacht machte er sich
in Moosch auf den Heimweg. Kurz nach 01.00 Uhr wurde er am Zollamt
Basel-Burgfelderstrasse abgefertigt. Bei der Passkontrolle bemerkte
Gefreiter Estoppey starken Alkoholgeruch. Er forderte Hammel auf, den
Autokoffer zu öffnen. Hammel ging unsicheren Schrittes vom Führersitz
zum Kofferraum, wobei er sich am Wagen festhalten musste. Trotzdem er den
richtigen Schlüssel in der Hand hielt und Estoppey ihm mit der Taschenlampe
leuchtete, fand er zunächst das Schlüsselloch nicht. Estoppey eröffnete
Hammel, er sei betrunken und dürfe so nicht weiterfahren. Entweder lasse er
den Wagen freiwillig beim Zollamt und hole ihn ab, wenn er wieder nüchtern
sei, oder dann lasse Estoppey die Polizei kommen, damit diese über die
Zulässigkeit einer Weiterfahrt entscheide. Hammel steckte den Vorwurf ohne
Widerrede ein und liess es auch nicht auf eine Polizeikontrolle ankommen.
Er stellte den Wagen weisungsgemäss auf den Parkplatz. Als Estoppey wenige
Minuten später durch die Abfertigung eines andern Personenwagens abgelenkt
wurde, fuhr Hammel mit seinem Wagen davon. Er liess dabei seinen Pass in
der Hand des Zollbeamten zurück.

    Estoppey avisierte unverzüglich die Polizei. Da bekannt war,
dass Hammel in Kleinlützel SO und in Laufen BE je eine Gastwirtschaft
besitzt, passte die Polizei an beiden Orten auf, ohne jedoch Hammel oder
seinen Wagen zu entdecken. Hammel war bereits vor der Polizei in Laufen
eingetroffen, hatte das Auto entgegen seiner Gewohnheit nicht bei seinem
Gasthof Rathausstübli, sondern ausser Sicht einige Häuserblocks entfernt
parkiert. Er hatte seine Gerantin herausgeläutet und sich von ihr hinter
verschlossenen Läden eine Mahlzeit servieren lassen. Möglichkerweise
trank er dazu Wein.

    Am 4. Oktober 1968 um ca. 6.00 Uhr wurde Hammel beim Verlassen des
Rathausstübli von der Polizei gestellt und zur Blutentnahme geführt. Auf
den Zeitpunkt der kritischen Fahrt zurückgerechnet, ergab sich bei Annahme
eines mittleren Abbaukoeffizienten ein Blutalkoholgehalt von 1,15 Promille,
bei Annahme eines extremen niedrigen Abbaukoeffizienten ein solcher von 0,8
Promille, wobei der angeblich im Rathausstübli konsumierte Zweier nicht
berücksichtigt ist. Nimmt man an, Hammels Aussage darüber sei richtig,
so würden sich die Alkoholwerte für den kritischen Zeitpunkt um ca. 0,25
Promille reduzieren.

    B.- Der Polizeigerichtspräsident von Basel verurteilte Hammel am
10. März 1969 wegen Trunkenheit am Steuer und Vereitelung der Blutprobe
zu 20 Tagen Gefängnis mit bedingtem Vollzug sowie zu einer Busse von
Fr. 2000.--.

    Das Appellationsgericht wies mit Urteil vom 11. Juli 1969 die Berufung
des Verurteilten ab.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof verlangt der
Verurteilte die Aufhebung des Urteils des Appellationsgerichts und die
Rückweisung der Sache zur Freisprechung. Er rügt eine Verletzung von
Art. 91 Abs. 3 SVG; in seinem Verhalten liege keine Vereitelung der
Blutprobe.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Rechtsbegehren und Schlusssatz der Beschwerdebegründung verlangen
die Rückweisung zur Freisprechung des Beschwerdeführers. Nach Ziffer
I der Beschwerdebegründung und deren übrigem Inhalt bezieht sich die
Nichtigkeitsbeschwerde jedoch ausschliesslich auf die Verurteilung wegen
Vereitelung der Blutprobe.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 91 Abs. 3 SVG wird bestraft, wer sich vorsätzlich
einer amtlich angeordneten Blutprobe oder einer zusätzlichen ärztlichen
Untersuchung widersetzt oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahme
vereitelt. In BGE 90 IV 96 f. wurde entschieden, dass entgegen dem
Wortlaut der Bestimmung die bereits erfolgte amtliche Anordnung der
Blutprobe nicht Tatbestandserfordernis ist. Auch der Fahrer, der sich
einer drohenden Blutprobe entzieht, z.B. indem er nach einem Unfall
vor Eintreffen der Polizei die Flucht ergreift, ist nach Art. 91 Abs. 3
SVG zu bestrafen. Es genügt, dass sein Verhalten darauf angelegt ist,
den Nachweis seiner Trunkenheit am Steuer zu vereiteln. Die Vorinstanz
hat den Beschwerdeführer gestützt auf diese Praxis verurteilt.

    a) Der Beschwerdeführer beruft sich auf die in der Literatur
erschienene Kritik am zitierten Urteil. SCHULTZ (ZBJV 1966 S. 93 f.,
Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht
S. 241 f.) macht geltend, Art. 91 Abs. 3 SVG betreffe ein Erfolgsdelikt,
die Vereitelung der bereits angeordneten Blutprobe. BGE 90 IV 94 mache
daraus ein Absichtsdelikt; es sei aber nicht dasselbe, ob nur eine
möglicherweise in Aussicht stehende oder eine bereits beschlossene
Amtshandlung durchkreuzt werde. Die Bestrafung wegen vollendeter
Vereitelung der Blutprobe im ersten Fall widerspreche möglicherweise
dem Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 1 StGB). TRECHSEL (ZStR 1968
S. 174 f.) schliesst aus den Materialien, mit Art. 91 Abs. 3 SVG habe
der Bundesgesetzgeber lediglich die Kantone verpflichten wollen, die
Blutprobe als Beweismittel anzuwenden. Auch der Wortlaut spreche nicht
eindeutig für die Auffassung des Bundesgerichts. Ordne man Art. 91 Abs.
3 systematisch der Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) und dem
Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen (Art. 292 StGB) zu, betrachte man ihn
als Selbstbegünstigung oder als subsidiären Tatbestand zu Art. 91 Abs. 1
und 2 SVG, so ergebe sich, dass nicht jeder angetrunkene Fahrer, der sich
einer eventuell möglichen Blutprobe entziehe, bestraft werden könne.

    b) Art. 91 Abs. 3 SVG spricht von der amtlich angeordneten
Blutprobe. Daraus könnte in der Tat der Schluss gezogen werden, der
Tatbestand sei nicht verwirklicht, solange die Blutprobe noch nicht
angeordnet sei. In solchen Fällen wäre nur eine Bestrafung wegen Versuchs
möglich. Allein, auch diese Auslegung löst die Probleme nicht, sondern
schafft neue: Ist die Anordnung der Blutprobe eine vom Vorsatz nicht
erfasste objektive Strafbarkeitsbedingung oder ein Tatbestandsmerkmal? Im
ersten Fall ist auch die Bestrafung wegen Versuchs ausgeschlossen. Im
zweiten Fall müsste umgekehrt strafbarer Versuch immer angenommen werden,
wenn ein Fahrzeugführer damit rechnet, nicht mehr nüchtern zu sein, und
möglichst unauffällig nach Hause fährt, um nicht der Polizei Anlass zur
Blutprobe zu geben. In Wirklichkeit lässt der Wortlaut beide Auslegungen
zu. Er bedroht neben demjenigen, der sich einer amtlich angeordneten
Blutprobe oder anderen Massnahme widersetzt oder entzieht, auch den Täter,
der den Zweck dieser Massnahme vereitelt. Da hier allgemein vom Zweck der
Massnahme gesprochen wird, nicht nur von einer angeordneten Massnahme,
lässt sich grammatikalisch der Text auch so auslegen, dass jede Vereitelung
des Zweckes strafbar sein soll, selbst wenn die Blutprobe noch nicht
angeordnet wurde.

    Die historische Auslegung widerlegt den zitierten Entscheid
ebensowenig. In der Botschaft des Bundesrates zum SVG wird ausdrücklich
auf den Fall verwiesen, wo jemand "den Zweck der Blutprobe vereitelt,
indem er z.B. nach einem Unfall weiteren Alkohol zu sich nimmt, bevor
Polizei und Arzt eintreffen" (BBl 1955 II 63, BGE 90 IV 96). Das ist ein
erheblicher Hinweis darauf, dass die effektive Anordnung der Blutprobe
nicht Voraussetzung einer Bestrafung nach Art. 91 Abs. 3 sein sollte.

    Was die systematischen Argumente betrifft, besteht zwar eine
Verwandtschaft zwischen Art. 91 Abs. 3 und den Delikten der Hinderung einer
Amtshandlung, des Ungehorsams und des Handelns gegen die Rechtspflege. Doch
geht Art. 91 Abs. 3 in keinem dieser Tatbestände auf, sondern bildet
eine Sondernorm für das Gebiet des Strassenverkehrsrechts. Die richtige
Interpretation ist daher auch nicht aus der Abstimmung auf verwandte
Tatbestände zu gewinnen.

    Bleibt die vom Bundesgericht stets als zutreffend anerkannte
(neuerdings in BGE 95 IV 73), in der Anwendung freilich mitunter nicht
leichte Auslegung der Bestimmung nach ihrem wirklichen Sinn und Zweck. Es
ist unzweifelhaft, dass nicht nur die Fälle erfasst werden sollen, in
denen die Blutprobe oder eine weitere Massnahme bereits amtlich angeordnet
waren. Art. 91 Abs. 3 will auch denjenigen bestrafen, der sich nach
einem Unfall durch Flucht der drohenden Blutprobe entzieht oder ihren
Zweck durch das sog. "Kognak-Alibi" zu vereiteln trachtet. Anderseits
bedroht Art. 91 Abs. 3 nicht jeden angetrunkenen Fahrzeugführer, der in
Kenntnis seines Zustandes weitergefahren ist, wobei theoretisch immer
die Möglichkeit bestand, dass er in eine Polizeikontrolle geraten und
einer Blutprobe unterzogen werde. Entscheidend ist, ob der Täter im
konkreten Fall mit einer Blutprobe oder anderen Massnahmen als reale
Wahrscheinlichkeit rechnete oder rechnen musste. Trifft dies zu, so darf
er nichts unternehmen, was die Vornahme einer unverfälschten Untersuchung
stören könnte. Entzieht sich der Täter dieser Pflicht mit der Absicht,
die als wahrscheinlich erkannte Massnahme zu durchkreuzen, oder billigt er
diesen Erfolg für den Fall des Eintrittes, so ist er nach Art. 91 Abs. 3
SVG zu bestrafen.

Erwägung 3

    3.- Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein; im vorliegenden
Beschwerdefall ist sie es nicht.

    Hammel macht freilich geltend, er habe mit einer Blutprobe weder
gerechnet noch rechnen müssen. Er habe keinen Unfall herbeigeführt und
die Äusserung des Grenzwächters bedeute eine ausdrückliche Nichtanordnung
einer Blutprobe. Er habe ein gutes Gewissen gehabt, was sich schon daraus
ergebe, dass er seinen Pass im Besitz des Grenzwächters zurückliess. Es
sei auch nichts Ungewöhnliches, dass er sich nicht an seinen Wohnort,
sondern nach Laufen begab. Seinen Wagen habe er nicht bei der Wirtschaft
parkiert, um sich und seine Pächterin nicht ins Gerede zu bringen.

    Alle diese Einwände sind haltlos. Gefreiter Estoppey war als
Grenzwächter weder zur Anordnung der Blutprobe befugt noch konnte er darauf
verzichten. Er stellte Hammel vor die Wahl, entweder den Wagen stehen zu
lassen oder sich dem Entscheid der Polizei über seine Fahrtüchtigkeit zu
unterziehen. Hammel wusste genauestens, dass im letztern Fall eine Prüfung
durch das Atemgerät und bei positivem Ergebnis die Blutprobe drohte. Hätte
er ein gutes Gewissen gehabt, so würde er sich für diese Alternative
entschieden haben. Stattdessen gab er vor, den Wagen zurückzulassen,
weil er es ganz offensichtlich nicht auf eine Blutprobe ankommen lassen
durfte. Dadurch, dass er dann hinter dem Rücken des Grenzwächters davon
fuhr, versuchte er, diesem ein Schnippchen zu schlagen: Weder wollte er
den Wagen zurücklassen, noch sich vor der Weiterfahrt einer polizeilichen
Kontrolle samt Blutprobe unterwerfen. Um seinen Zweck zu erreichen, liess
er sogar seinen Pass zurück, wohl wissend, dass er die Aufmerksamkeit des
Grenzwächters auf sich und sein Verhalten gezogen hätte, wenn er den Pass
zurückverlangt hätte. Auch über die Reaktion des Grenzwächters bei seiner
fluchtartigen Abfahrt konnte Hammel nicht im Zweifel sein. Angesichts der
vorausgehenden kategorischen Erklärung war mit Sicherheit voraussehbar,
dass Estoppey sofort die Polizei avisieren und diese versuchen werde, den
Beschwerdeführer bei der Ankunft zu Hause abzufangen und die Blutprobe
zu erheben. Die Vorinstanz hat durchaus zutreffend aus dem verbindlich
festgestellten weiteren Verhalten des Beschwerdeführers (Fahrt nach Laufen
statt nach Kleinlützel, Abstellen des Autos bei der Kirche statt vor dem
Hotel, Abdichten der Fenster des Nebenzimmers während der nächtlichen
Mahlzeit) den Schluss gezogen, der Beschwerdeführer sei vorsätzlich darauf
ausgegangen, sich der Blutprobe zu entziehen.

    Art. 91 Abs. 3 SVG ist hier entgegen der Annahme des Beschwerdeführers
noch viel eindeutiger erfüllt als bei der Flucht des Täters nach einem
Unfall. Unfallflucht kann die Folge eines Schockes oder auf Angst vor
Bestrafung oder Schadenersatzansprüchen zurückzuführen sein, ohne dass der
Täter sich - zu Recht oder zu Unrecht - für angetrunken hält oder überhaupt
an eine Blutprobe denkt. Hammel dagegen hatte keinen Unfall herbeigeführt
und auch sonst keine Vorschriften verletzt. Bei ihm ging es ausschliesslich
darum, ob er in seinem alkoholisierten Zustand noch fahrtüchtig sei oder
nicht. Er hatte im Gegensatz zu einem früher beurteilten Fall auch nicht
wegen einer Begleiterin Anlass, eine amtliche Kontrolle zu vermeiden. Sein
Verhalten lässt überhaupt keine andere Deutung zu, als dass er sich mit
voller Absicht der drohenden Blutprobe zu entziehen suchte.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.