Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 II 617



95 II 617

83. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. November 1969 i.S. Grunda AG
gegen Immo-Primo AG. Regeste

    Aberkennungsklage. Zulässigkeit der Rückzession einer Forderung nach
Erlass des Zahlungsbefehls (Erw. 1).

    Vertragsschliessen mit sich selbst. Ein Rechtsgeschäft ist
grundsätzlich ungültig, wenn der Vertreter einer Partei gleichzeitig
Vertreter, Organ oder gemeinsamer Vertreter der Gegenpartei ist (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Aktien der Immo-Primo AG, für die von 1961/1962 bis
anfangs 1968 gemeinsam Erhard Loosli und Alfred Roth zeichneten,
gehören zum Anlagefonds Hisa-National. Die Leitung des Fonds lag bei der
Hisa-Verwaltungs AG von Anlagefonds, deren Verwaltungsratspräsident und
Alleinaktionär Alfred Roth war. Treuhandstelle und Depotbank war die Firma
Burckhardt & Co., Zürich. Am 14. März 1968 entzog die Eidgenössische
Bankenkommission der Hisa-Verwaltungs AG die Bewilligung zur Führung
der Geschäfte von Anlagefonds, da sie ihre vertraglichen und gesetzlichen
Verpflichtungen fortgesetzt grob verletzt hatte. An ihrer Stelle wurde René
Hatt für den Anlagefonds Hisa-National als Sachwalter eingesetzt. In der
Folge wurde über das Vermögen der Hisa-Verwaltungs AG der Konkurs eröffnet.

    Mit Vertrag und Zusatzvereinbarung vom 31. Oktober 1963 beauftragte die
Immo-Primo AG als Bauherrin die Grunda AG, deren alleiniger Verwaltungsrat
Alfred Roth war, als Generalunternehmerin mit dem Bau eines Wohnhochhauses
und Bürogebäudes in St. Margrethen. Im Hauptvertrag war der feste Werklohn
auf Fr. 4'537,000.-- festgesetzt; § 6 des Zusatzvertrages enthielt
folgende Bestimmung:

    "Baukostenverteuerungen ab 1. Januar 1964, infolge Lohn- und
Materialpreisaufschlägen, bis zur Fertigstellung resp. Übernahme des
Werkes werden dem Generalunternehmer Grunda AG... vergütet, insofern
die... vorgesehenen Mietzinse entsprechend erhöht werden können und die
Bruttorendite nicht reduziert wird. Dieselbe soll 5,40% betragen."

    Werkvertrag und Zusatzvereinbarung sind namens der Immo-Primo AG von
Roth und Loosli, namens der Grunda AG von Roth unterzeichnet.

    Die Grunda AG trat am 23. Januar 1967 der Bank Fellinger AG eine
Forderung von Fr. 250'000.-- gegen die Immo-Primo AG ab, worauf diese
am 24. Januar 1967 folgende von Roth und Loosli unterzeichnete Erklärung
abgab:

    "Von obiger Zession haben wir Kenntnis genommen und verpflichten uns,
die vorerwähnten Zahlungen nur direkt an die Bank Fellinger AG Zürich
zu leisten."

    Gemäss Verhandlungsprotokoll befasste sich der Verwaltungsrat der
Hisa-Verwaltungs AG in seiner Sitzung vom 14. Dezember 1967, an der neben
Roth und Loosli unter anderen Dr. Kummer als Präsident, ein Vertreter
der Kontrollstelle und zwei Vertreter der Treuhandstelle teilnahmen,
mit dieser Abtretungserklärung. Er hielt wörtlich fest:

    "Diese Bestätigung wurde ohne Wissen des Verwaltungsrates der
Hisa-Verwaltungs AG abgegeben. Der Verwaltungsrat hätte dieser Bestätigung
nie zugestimmt. Immerhin ist es so, dass diese Bestätigung den Bestand
der Forderung nicht anerkennt."

    Am 21. März 1968 trat die Bank Fellinger AG der Grunda AG die Forderung
von Fr. 250'000.-- wieder ab.

    Am 17. Januar 1968 berichtigte der Verwaltungsrat der Hisa-Verwaltungs
AG, der sich nunmehr aus Roth, Loosli und der Tochter Roths
zusammensetzte, das Protokoll der Sitzung vom 14. Dezember 1967 dahin,
dass die Erklärung der Immo-Primo AG gegenüber der Bank Fellinger AG vom
24. Januar 1967 anlässlich jener Sitzung nicht zur Diskussion gestanden
habe. Ferner beschloss er, der Grunda AG zu Lasten der Immo-Primo AG
an die Werklohnforderung eine weitere Anzahlung von Fr. 250'000.--
zu leisten. Diesem Beschluss lag eine Abrechnung der Grunda AG vom
22. September 1967 an die Treuhandstelle zugrunde: die Abrechnung wies
zugunsten der Grunda AG einen Saldo von Fr. 338'258.50 aus.

    Am 23. Januar 1968 richtete Roth namens der Grunda AG folgendes
Schreiben an die Immo-Primo AG, das Roth und Loosli namens derselben am
gleichen Tag unterzeichneten:

    "Aus Werkvertrag vom 31. Oktober 1963 und gemäss Zwischenabrechnung
vom 22. September 1967 beträgt unser Guthaben rund Fr. 330'000.--. Durch
Verwaltungsratsbeschluss der Hisa-Verwaltungs AG, welche die Immo-Primo-AG
verwaltet, vom 17. Januar 1968, ist beschlossen worden, uns eine
Akonto-Zahlung von Fr. 250'000.-- auszuzahlen. Der Ordnung halber bitten
wir Sie, durch rechtsgültige Unterzeichnung des beiliegenden Doppels zu
bestätigen, dass die Forderung von rund Fr. 330'000.-- zu Recht besteht
(Pos. von ca. Fr. 600'000.-- für Finanzierungskommission, Verzugszinsen und
Arbeiten infolge Stillstand ist noch auszuweisen) und dass die beschlossene
AkontoZahlung von Fr. 250'000.-- uns unverzüglich auszubezahlen ist."

    Am 24. Januar 1968 ersuchte die Grunda AG die Treuhandstelle, die
"im Interesse des Baufortschrittes liegende" Auszahlung beförderlich zu
veranlassen. Die Treuhandstelle lehnte dieses Ansinnen mit Brief vom 25.
Januar 1968 ab.

    Am 18. März 1968 betrieb die Grunda AG die Immo-Primo AG für
Fr. 325'000.-- und erlangte am 10. Oktober 1968 provisorische Rechtsöffnung
für Fr. 250'000.--.

    B.- Die Immo-Primo AG klagte beim Handelsgericht des Kantons Zürich
gegen die Grunda AG auf Aberkennung.

    Das Handelsgericht hiess am 27. Juni 1969 die Aberkennungsklage gut.

    C.- Die Beklagte beantragt mit der Berufung, das vorinstanzliche
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat die Aberkennungsklage in erster Linie deshalb
gutgeheissen, weil die Beklagte im Zeitpunkt der Betreibung, d.h. am
18. März 1968, nicht Gläubigerin der streitigen Forderung war, sondern
diese Eigenschaft erst auf Grund der Rückzession vom 21. März 1968 durch
die Bank Fellinger AG wieder erlangte.

    Nach der Rechtsprechung bezweckt die Aberkennungsklage nicht,
den Rechtsöffnungsentscheid überprüfen zu lassen, sondern stellt als
negative Feststellungsklage die Frage zur Beurteilung, ob bei Erlass des
Zahlungsbefehls die Forderung bestand und fällig war (vgl. BGE 41 III
312, 57 II 326, 68 III 85, 72 III 56, 78 II 160, 91 II 111 Erw. 2 b). Das
setzt aber nicht voraus, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Betreibung
Gläubigerin der streitigen Forderung gewesen sei, sondern es genügt, wenn
sie es nach Erlass des Zahlungsbefehls durch Rückzession wurde (vgl. BGE
83 II 214, 91 II 111 Erw. 2 b). Hiegegen bestehen keine Bedenken, weil
die Klägerin sämtliche Einreden aus ihrem Verhältnis zur Beklagten wieder
erlangte, ihre Rechtsstellung somit nicht verschlechtert wurde.

Erwägung 2

    2.- Da die Aberkennungsklage nach Art. 83 Abs. 2 SchKG sich von der
Anerkennungsklage nach Art. 79 SchKG nur durch den Wechsel der Parteirollen
unterscheidet, die Beweislast dagegen nicht anders verteilt (vgl. BGE
41 III 312, 50 II 341, 91 II 111 Erw. 2 b), hatte die Beklagte darzutun,
dass die Betreibungsforderung von Fr. 250'000.-- am 18. März 1968 bestand
und fällig war.

    Die Beklagte behauptet nicht, dass ihr auf Grund des Werkvertrages und
der Zusatzvereinbarung der Parteien eine fällige Forderung in dieser Höhe
zustand. Sie beruft sich nur darauf, dass die Hisa-Verwaltungs AG am 17.
Januar 1968 eine Anzahlung von Fr. 250'000.-- beschlossen und die Klägerin
am 23. Januar 1968 eine Schuld von Fr. 330'000.-- anerkannt sowie eine
sofortige Anzahlung von Fr. 250'000.-- veranlasst habe.

    a) In erster Linie ist zu prüfen, ob sich die Klägerin durch die
Schuldanerkennung vom 23. Januar 1968 gültig verpflichtet hat.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das Vertragschliessen
des Stellvertreters mit sich selbst unzulässig und macht das Rechtsgeschäft
ungültig, wenn nicht dessen Natur die Gefahr der Benachteiligung des
Vertretenen ausschliesst oder dieser den Vertreter zum Geschäftsabschluss
besonders ermächtigt oder ihn nachträglich genehmigt hat. Das gleiche
gilt, wenn jemand ein Rechtsgeschäft als Organ oder Stellvertreter
beider Parteien abschliesst (vgl. BGE 39 II 561, 50 II 168, 57 II 560,
63 II 174/75, 82 II 393, 89 II 321, 93 II 481, 95 II 453). Folgerichtig
gilt auch für die Kollektivvertretung der in der deutschen Lehre und
Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass der einzelne Vertreter
nicht gleichzeitig als Vertreter, Organ oder gemeinsamer Vertreter der
Gegenpartei mitwirken darf (vgl. STAUDINGER, Kommentar 11. Aufl., N. 23
a zu § 181 BGB; ENNECCERUS/NIPPERDEY, 14. Aufl., I 2 § 181 N. 19; Das
Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar herausgegeben von Reichsgerichtsräten
und Bundesrichtern, 11. Aufl., N. 3 zu § 181 BGB; RGZ 89 S. 373, RG,
in Leipziger Zeitschrift 1926 S. 438 N. 3).

    Roth war nicht nur einziger Verwaltungsrat der Beklagten, sondern
auch Alleinaktionär und seit dem Ausscheiden von Dr. Kummer Präsident
des Verwaltungsrates der Hisa-Verwaltungs AG, die nach verbindlicher
Feststellung der Vorinstanz alle die Klägerin betreffende Beschlüsse
fasste. Der von Roth und Loosli namens der Klägerin unterzeichneten
Schuldanerkennung vom 23. Januar 1968 lag ein schriftlicher von Roth
unterschriebener Antrag der Beklagten zugrunde, der auf den Beschluss der
Hisa-Verwaltungs AG vom 17. Januar 1968 und die von Roth selber für die
Beklagte erstellte und der Treuhandstelle vorgelegte Zwischenabrechnung vom
22. Dezember 1967 Bezug nahm. Es steht somit fest, dass Roth als Organ und
in Doppelvertretung von zwei juristischen Personen handelte, weshalb nach
den dargelegten Regeln die Schuldanerkennung der Klägerin grundsätzlich
unwirksam ist. Dieser Mangel wurde durch die Mitwirkung Looslis nicht
geheilt, da die Klägerin nur durch die gemeinsame Unterschrift beider
Verwaltungsratsmitglieder verpflichtet werden konnte.

    Die Klägerin wäre an die Schuldanerkennung nur gebunden, wenn
sie nicht der Gefahr der Benachteiligung ausgesetzt wäre. Das trifft
indessen nicht zu. Denn es steht fest, dass Roth unter dem Deckmantel
der von ihm beherrschten und verwalteten Gesellschaften gleichzeitig
Beauftragter der Anleger, Verwalter der mit den Mitteln des Anlagefonds
erworbenen Liegenschaften und Generalunternehmer war. Die Bemessung des
Werklohnes in zwei verschiedenen zum voraus abgefassten, mit dem gleichen
Datum versehenen Verträgen - der Hauptvertrag nennt eine Pauschale, die
Zusatzvereinbarung erklärt unter bestimmten Bedingungen den zukünftigen
Mietzins als Berechnungsgrundlage -, womit offensichtlich je nach
Wirtschaftslage die eine oder andere Berechnungsart herangezogen werden
sollte, macht den Interessengegensatz offensichtlich. Aus dem Bericht der
Eidgenössischen Bankenkommission geht denn auch hervor, dass Roth seine
Stellung zum Nachteil der Anleger missbraucht hat.

    Auf die Jahreswende 1967/1968 spitzte sich die Lage der von Roth
beherrschten Gesellschaften zu. So lehnte es der Verwaltungsrat der
Hisa-Verwaltungs AG in seiner Sitzung vom 14. Dezember 1967, an der unter
anderen Dr. Kummer als Präsident, ein Vertreter der Kontrollstelle und
zwei Vertreter der Treuhandstelle teilnahmen, ab, die von der Klägerin
ohne sein Wissen gegenüber der Bank Fellinger AG am 24. Januar 1967
abgegebene Erklärung zu bestätigen. Ende Dezember 1967 trat Kummer aus
dem Verwaltungsrat der Hisa-Verwaltungs AG zurück und wurde durch die
Tochter Roths ersetzt. Im Jahre 1967 wurden sowohl die Fondsleitung
und die Immobiliengesellschaften laufend betrieben, und zwar einmal
für eine Wechselforderung von Fr. 150'000.--. Gegen die Beklagte wurde
seit längerer Zeit durchschnittlich jeden Monat ein Konkursbegehren
gestellt. Es ist somit offensichtlich, dass Roth seine beherrschende
Stellung in den verschiedenen Gesellschaften auszunutzen trachtete, um der
ihm wirtschaftlich allein gehörenden Beklagten eine festgestelltermassen
nicht ausgewiesene Forderung zu verschaffen.

    b) Der Beschluss der Hisa-Verwaltungs AG vom 17. Januar 1968, die
Klägerin habe der Beklagten Fr. 250'000.-- zu bezahlen, verpflichtete die
Klägerin schon deshalb nicht, weil sie am Beschluss nicht teilnahm. Läge
im Beschluss ein Zahlungsversprechen, so wäre es - von der fehlenden
Legitimation der Hisa-Verwaltungs AG abgesehen - aus den gleichen
Gründen wie die Schuldanerkennung der Klägerin vom 23. Januar 1968
unverbindlich. Der Beschluss hat somit nur noch interne Bedeutung, d.h. im
Sinne eines Indizes für den Bestand einer Forderung, die die Fondsleitung
als Verwalterin des der Klägerin gehörenden Vermögens anerkannte. Wie die
Vorinstanz verbindlich feststellt, stand der Beklagten gegen die Klägerin
weder im Zeitpunkt des Beschlusses noch bei Erlass des Zahlungsbefehls
eine ausgewiesene Forderung zu. Daraus folgerte sie mit Recht, dass
die Fondsleitung durch den Beschluss den Interessen der Anleger und der
Klägerin zuwiderhandelte.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 27. Juni 1969 bestätigt.