Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 II 394



95 II 394

55. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Mai 1969
i.S. Meyer gegen Dätwyler und Mitbeteiligte Regeste

    Erbteilung. Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes.

    Das Begehren um Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art.
620 ZGB ist abzulehnen, wenn der Bewerber das Heimwesen in einem den
Zwecken des bäuerlichen Erbrechtes zuwiderlaufenden Sinne zu verwenden
beabsichtigt.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Im Nachlass der am 17. März 1965 verstorbenen Maria Meyer
geb. Kleinjenni befinden sich zwei landwirtschaftliche Grundstücke. Das
eine liegt in Aeschi, umfasst 366,12 Aren und enthält ein Wohnhaus, eine
Scheune, einen Speicher, einen Holz- und einen Wagenschopf. Das andere,
in Kandergrund liegende Grundstück im Halte von 117, 27 Aren weist ein
Wohnhaus und eine Scheune auf; dazu gehören noch zwei Bäuertrechte. Beide
Grundstücke sind seit vielen Jahren ver pachtet.

    Der älteste Sohn der Erblasserin, Walter Meyer, geb. 1909, Gefreiter
bei der Kantonspolizei, beansprucht für sich die ungeteilte Zuweisung
der beiden Grundstücke samt den Gerätschaften zum Ertragswert. Die
übrigen Erben, drei verheiratete Töchter der Erblasserin und die beiden
minderjährigen Kinder eines vorverstorbenen Sohnes, widersetzen sich
diesem Begehren.

    Während das Amtsgericht Frutigen das Zuweisungsbegehren des Walter
Meyer guthiess, wies der Appellationshof des Kantons Bern die Klage ab.

    Das Bundesgericht bestätigt dieses Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten sind die subjektiven Voraussetzungen zur
Zuweisung der beiden Grundstücke an den Kläger nach bäuerlichem Erbrecht
erfüllt. Ob auch die objektiven Voraussetzungen hiezu vorliegen,
insbesondere, ob das Heimwesen eine ausreichende landwirtschaftliche
Existenz bietet, braucht nicht abgeklärt zu werden. Aus den
tatbeständlichen Feststellungen des Appellationshofes ist nämlich
zu schliessen, der Kläger beabsichtige gar nicht, die wirtschaftliche
Einheit des Bergbauernbetriebes, bestehend aus den Grundstücken Zilmatte in
Aeschi und der Weide "Salomons" in Kandergrund, zu erhalten und für seine
Familie als Existenzgrundlage sicherzustellen. In Wirklichkeit möchte
er sich für die Zeit nach seinem Rücktritt aus dem Polizeidienst einen
Alterssitz sichern, auf dem er sich nebenbei etwas der Landwirtschaft
widmen könnte. Er denkt nicht daran, den Betrieb in Zukunft als Einheit
führen zu lassen, sondern will den heutigen Stand der Dinge bis zum
Jahre 1974 beibehalten, d.h. die Liegenschaften getrennt verpachten.
Demzufolge würde bei der Übernahme der Grundstücke durch den Kläger
gar nicht ein Betrieb entstehen, der eine wirtschaftliche Einheit
bildete und dem Bearbeiter und seiner Familie eine knapp ausreichende
landwirtschaftliche Existenz ermöglichte, sondern es wären weiterhin
ein Kleinbetrieb in Aeschi und ein Zwergbetrieb in Kandergrund gegeben,
deren eigenständige Bewirtschaftung sich nicht lohnte. Die beiden Betriebe
könnten nur inVerbindung mit weitern landwirtschaftlichen Grundstücken
geführt werden, falls die jeweiligen Pächter hauptberufliche Landwirte
wären. Träfe dies nicht zu, so diente der Ertrag dieser Grundstücke dem in
einem andern Berufe tätigen Bewirtschafter nur als zusätzliches Einkommen.

    Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die vom Kläger verlangte
Integralzuweisung der beiden Heimwesen den Zwecken des bäuerlichen
Erbrechtes, namentlich der Art. 620 ff. ZGB, stracks zuwiderliefe. Diese
Bestimmungen sollen in erster Linie dazu dienen, einen gesunden
und leistungsfähigen Bauernstand zu erhalten und bestehende
landwirtschaftliche Betriebe vor der Zersplitterung zu bewahren
(BGE 92 II 224 mit Verweisungen; TUOR/PICENONI, Kommentar, N. 12 der
Vorbem. zu Art. 620 ff. ZGB). Die gleichen Ziele werden auch in Art. 1
des EGG umschrieben. Wenn in dieser Bestimmung noch weiter gesagt wird,
das Gesetz bezwecke auch, die Bindung zwischen Familie und Heimwesen zu
festigen, so bezieht sich dies in erster Linie auf das im EGG vorgesehene
Vorkaufsrecht zugunsten der Verwandten. Die Art. 620 ff. ZGB hingegen
verfolgten nicht das Ziel, den Besitz landwirtschaftlichen Bodens möglichst
lange der gleichen Familie zu erhalten, sondern schützen mittelbar nur
die Bindung zwischen einer den Beruf ausübenden Bauernfamilie und ihrem
landwirtschaftlichen Gewerbe. Diesen Schutz kann der Kläger nicht für sich
in Anspruch nehmen. Weder sein Sohn, der Pfarrer in Wengen ist, noch seine
Tochter, die mit einem Instruktions-Unteroffizier verheiratet ist, kommen
für die spätere Übernahme eines Bergbauernbetriebes in Frage. Der Kläger
macht allerdings geltend, eines seiner Grosskinder könne dereinst das
Gewerbe übernehmen. Diese Kinder stehen aber erst im Alter von anderthalb
bis fünf Jahren, so dass - wie der Appellationshof richtig bemerkt hat -
auf alle Fälle eine zeitliche Nachfolgelücke entstehen würde. Zudem ist
die Wahrscheinlichkeit, dass sich je einer dieser Nachkommen entschliessen
könnte, zwei getrennt bewirtschaftete Kleinheimwesen zu einem kärglichen
Bergbauernbetrieb zu vereinigen und sich so seinen Lebensunterhalt zu
verschaffen, äusserst gering.

    Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Begehren des
Klägers um ungeteilte Zuweisung der beiden Grundstücke in Aeschi und
Kandergrund nicht geschützt werden kann, weil es im Widerspruch steht zu
dem durch Auslegung ermittelten objektiven Zweckgedanken des bäuerlichen
Erbrechts. Da es sich in erster Linie um eine Auslegungsfrage handelt,
erübrigt sich ein Hinweis auf Art. 2 Abs. 1 ZGB, wonach jedermann
in der Ausübung seiner Rechte nach Treu und Glauben zu handeln hat
(vgl. TUOR/PICENONI, aaO, N. 14 der Vorbem. zu Art. 620 ff. ZGB; MERZ,
Kommentar, N. 285 ff. zu Art. 2 ZGB). Das bäuerliche Erbrecht ist
als Sonderrecht nicht ausdehnend auszulegen (BGE 92 II 320). Es geht
dem gemeinenErbrecht nur vor, wenn seine Voraussetzungen klar gegeben
sind. Nachdem dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, hat die Teilung
des Nachlasses der Maria Meyer nach den gewöhnlichen erbrechtlichen Regeln
zu erfolgen, und das Begehren des Klägers ist abzuweisen.