Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 II 363



95 II 363

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. September 1969
i.S. Kaiser, Holstein & Kappert gegen Maschinenfabrik Carl Cron GmbH.
Regeste

    Erfindungspatent.

    Stand der Technik. Massgebend sind objektive Gesichtspunkte, nicht das
Wissen einer bestimmten Person. Bestimmung der zeitlichen und räumlichen
Kriterien (Erw. 5).

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Eine Erfindung setzt ferner sog. Erfindungshöhe voraus, d.h. die
patentierte Lösung muss auf einer schöpferischen Leistung beruhen,
die nicht ohne weiteres schon von durchschnittlich gut ausgebildeten
Fachleuten in normaler Fortentwicklung der Technik erbracht werden konnte
(BGE 74 II 140, 81 II 298, 82 II 251, 85 II 138, 513, 89 II 109, 167,
92 II 51, 93 II 512 Erw. 4).

    a) Welchen Stand die Technik hatte, die durch die patentierte Lösung
angeblich bereichert wurde, beurteilt sich nach objektiven Gesichtspunkten,
nicht nach dem Wissen einer bestimmten Person (BGE 89 II 111 f.). In
zeitlicher Hinsicht ist vom Stande auszugehen, den die Technik am Tage
der inländischen oder der das Prioritätsrecht begründenden ausländischen
Patentanmeldung erreicht hatte. In sachlicher Hinsicht ist massgebend die
Technik, die bis zum Stichtage im Inland offenkundig geworden oder im In-
oder Auslande durch veröffentlichte Schrift- oder Bildwerke in einer für
den Fachmann verständlichen Weise dargelegt worden war. Ob durchschnittlich
gut ausgebildete Fachleute die offenkundig gewordene oder veröffentlichte
Technik tatsächlich kannten oder hätten kennen sollen, ist unerheblich,
denn was am Stichtage im Inland offenkundig oder im In- oder Ausland
in der erwähnten Weise veröffentlicht war, gilt als Gemeingut (Art. 7
Abs. 1 PatG) und kann von niemandem mehr auf dem Wege der Patentierung
als eigene schöpferische Leistung in Anspruch genommen werden (vgl. BGE
94 II 287 Erw. 4).

    Die Kläger gehen daher fehl, wenn sie geltend machen, die
Sachverständigen und das Handelsgericht hätten bei der Beurteilung der
Erfindungshöhe gewisse physikalische Tatsachen, die schon in Werken aus
den Jahren 1924 und 1936 öffentlich bekanntgegeben worden waren, nicht
berücksichtigen dürfen, weil der schweizerische Durchschnittsfachmann
diese weit zurückliegenden und in Amerika herausgegebenen Schriften weder
habe kennen können noch habe kennen müssen. Der Inhalt der betreffenden
Veröffentlichungen gehörte zum Stand, den die Technik vor dem 11. März
1955 erreicht hatte, und es fragt sich nur, ob der durchschnittlich gut
ausgebildete Fachmann, wenn er hievon Kenntnis nahm, mit Hilfe seiner
Fähigkeiten in normaler Fortentwicklung dieser Technik das Verfahren gemäss
Streitpatent ausfindig machen und als fortschrittlich erkennen konnte.